Zwischen dem 25. und dem 27. Oktober begleitete das Lamm die Aktionen des Anti-Kohle-Aktionsbündnisses Ende Gelände in der Nähe des Hambacher Forstes. Dort haben wir verschiedene AktivistInnen gefragt, was sie dazu veranlasst hat, hierher zu reisen, Kälte und Regen auf sich zu nehmen und sogar eine Verhaftung zu riskieren. Was treibt sie an? Was sind die Hintergründe ihrer Motivation?
Das Lamm hat die spannendsten Antworten gesammelt.
1) Der Auslöser? Dokus. Melanie, aus Zürich angereist
Die letzte Übung vor der grossen Ende-Gelände-Aktion steht an. Zwischen Inszenierungen von Polizeigewalt und der Einführung ins Einmaleins der Plenumsdemokratie entdecken wir Melanie. Aus der Schweiz ist sie angereist, um hier bei null Grad auf dem Platz rumzustehen.
„Da kommen wohl verschiedene Einflüsse zusammen“, antwortet Melanie auf die Frage, wie sie hierher gefunden hat. „Bei mir persönlich haben Dokumentarfilme wie ‚What the health‘ oder ‚Cowspiracy‘ viel zu meiner kritischen, aktiven Haltung beigetragen.“ Und wieso gerade diese Filme und nicht andere, wollen wir von Melanie wissen – schliesslich gibt es ja kaum eine Position, die nicht mit einer ebenso aktiv bewirtschafteten Gegenposition gekontert wird. „Faktenbasiertheit und Quellenangaben machen für mich eine gute Doku aus und können wohl bei vielen Menschen dazu beitragen, dass sie sich weiter über ein Thema informieren möchten. So kann einE DokumentarfilmerIn auch mit wenig Mitteln viele Interessierte erreichen“, sagt Melanie. „Ich finde es schön, wenn jemand seinen eigenen Weg findet, etwas zu bewegen. Da muss man auch gar nicht zwingend hier vor Ort sein. Wer andernorts ein kreatives Mittel findet, um Aktivismus zu unterstützen, etwa mit Spendenaktionen, übernimmt genauso einen wichtigen Part.“
2) Ein Graben, der durch die Familie geht: Christiane, 57, Anwohnerin aus Buiren
„Kommt ihr vom Klimacamp her? Ja? Hier, nehmt die paar Euros und werft das in die Kollekte. Schön, dass ihr hier seid“, sagt uns die Anwohnerin Christiane aus Buiren bei unserem ersten Einkauf in der Nähe des Camps. Wir reagieren etwas perplex, doch das scheint sie nicht zu irritieren: „Mein Vater hat 45 Jahre in der Grube gearbeitet, ich kenne also auch die andere Seite. RWE ist einer der grössten Arbeitgeber der Region. Aber der Kohleausstieg hätte schon lange, lange stattfinden sollen. Stattdessen sind wir immer noch abhängig vom Kohleabbau.“
Christiane stellt kurz sicher, dass wir auch alles mitschreiben und holt mit noch mehr Energie aus: „Der Graben geht bei uns quer durch die Familie. Aber schlussendlich dauert es Jahrhunderte, bis der Wald wieder steht, das spricht dann wieder keiner an. Unseren Politikern muss endlich gezeigt werden, dass wir nicht das Geld regieren lassen wollen.”
3) Kernelemente? Die Jugend. Mr. Meeseeks und Baader, Supporter der Bewegung und militanter Arm von „Die Partei”
Während wir in Gedanken noch beim Aktionstraining hängen, parken auf dem Weg zu unserem Bus zwei unheimliche Gestalten gerade ihren PKW. Vollständig uniformiert und mit prüfendem Blick steigen Mr. Meeseeks und Baader aus ihrem Kleinwagen und betreten das Gelände. Im hippiesquen Klimacamp wirken sie wie im falschen Film. Wir wollen auch von ihnen wissen: Was war da los in ihrem Leben, dass sie sich heute hier am Tagebau Hambach aktiv engagieren?
„Ich bin erstmal erfolgreich antiautoritär erzogen worden“, sagt Mr. Meeseeks lachend. „Später habe ich mich gemeinsam mit der wöchentlichen Bahnhofs-Biertrinker-Runde politisiert: Wir haben Küche-für-alle mit Essensresten organisiert und Plakate rechtsgerichteter Parteien niedergerissen. Daraus hat sich dann meine aktivistische Tätigkeit entwickelt, und als ‚Die Partei’ gegründet wurde, haben wir den militanten Arm gegründet.” Meeseeks erklärt uns, dass die Truppe unter diesem Namen an Veranstaltungen der „Die Partei“ immer wieder zur Hilfe eilen, wenn Infrastruktur auf- oder abgebaut werden soll. Sie würden eigentlich auch hier auf dem Gelände gerne aushelfen – doch im vorbildlich aufgezogenen Camp scheint man nichts vergessen zu haben.
An Meeseeks Seite erzählt nun auch Baader seine Geschichte: „Ich war schon früher immer links eingestellt, ohne dass ich davon wusste. Da war ich der Meinung, jeder kann machen, was er will, mir wurscht, wie er aussieht oder wo er herkommt. Meiner grundsätzlichen Freundlichkeit kam der latente Grundrassismus meines Dorfes irgendwie in die Quere. Es hat mich furchtbar aufgeregt, dass die Leute nicht einfach freundlich zueinander sein können und es ihnen stattdessen immer nur ums Geld geht. Mir wars einfach wichtiger, dass man das Leben geniesst und dass jeder sein eigenes Ding machen kann.”
4) Motivationsfaktor: Freunde. Joghurt, 27, Baumbesetzer aus Zürich
Am Freitag fahren wir in andere Camps und treffen hier erstmals auf langfristige BewohnerInnen der Baumhäuser im Hambacher Forst.
„Ich habe tatsächlich erst letzten Winter über Freunde, die in Köln studieren, von der Besetzung im Hambacher Wald erfahren“, erzählt einer der AktivistInnen. Man nennt ihn hier Joghurt.
Joghurt hat sein Studium in Berlin pausiert, um für den Widerstand in den Forst zu ziehen. „Obwohl am Tag meiner Anreise mehrere Barrikaden zerstört und Menschen verhaftet wurden, wurde ich im Wald sehr herzlich willkommen geheissen. Der hierarchiefreie und bewusste Umgang miteinander ist eine bereits gelebte Alternative zu unserem fast allgegenwärtigen kapitalistischen System – und hat mir das Gefühl gegeben, am richtigen Ort zu sein.“
Trotz der Entschlossenheit seiner Worte trägt auch er die Ruhe und freundliche Art zutage, welche uns hier schon öfters begegnet ist.
„Wir haben schon früh zuhause am Küchentisch über Politik diskutiert. Dann habe ich, um natürliche Ressourcen zu schonen, aufgehört, Fleisch zu essen. So richtig aufgeweckt haben mich Videos, in denen gezeigt wurde, wie Tiere industriell gehalten werden. Ich fühlte mich über Tage hinweg schlecht, war wütend und traurig. Ich verlor den Glauben in dieses System, in welchem wir leben. Das Leid, das wir alle verursachen, in dem wir uns ‚normal‘ verhalten, konnte ich nicht mehr ignorieren. Dann habe ich von Freunden vom Hambacher Wald erfahren, jetzt bin ich hier.”
5) Die konservative Familie: Alex, 30, als Maler auf einer Mahnwache am Tagebau
Wir fahren dem Forst entlang und treffen auf eine eindrückliche Mahnwache. Mehrere begehbare Zelte, Klos und Infrastruktur für die Verpflegung beherbergen hier weitere AktivistInnen. Der 30-jährige Alex sitzt warm eingepackt auf einer Bank, und auch er beantwortet uns die Frage nach seiner persönlichen Politisierung gerne.
„Es hat auf jeden Fall erstmal familiäre Gründe, dass ich hier bin. Früh wurde ich auf den kurzsichtigen, egozentrischen Blick meiner Familie aufmerksam. Ihnen ging es immer gut, aber mit ihrer Leitlinie ‚Man kann eh nichts verändern, kuck lieber auf deinen Teller‘ konnte ich mich nicht anfreunden.
Mit unserem relativen Wohlstand, der Gesundheit und Bildung war ich schon ordentlich privilegiert. Das bringt eine gewisse Verantwortung mit sich: Jeder kann für andere Leute geradestehen. Als ich ab 2016 in direkten Kontakt mit Kölner Flüchtlingen kam, hat sich mein Drang nach Fairness nochmals verstärkt.“
In einem schwerfälligen familiären Umfeld aktivistisch zu sein, scheint zu ermüden. Doch Alex beantwortet die Frage danach, wo er die Energie für seinen Aktivismus hernimmt, gleich vorneweg.
„Ich sehe aber auch immer wieder Lichtblicke. Mein 83-jähriger Grossvater ändert jetzt gerade sein Weltbild. Er hat sich nach jahrelangen Diskussionen am Familientisch entschieden, künftig nicht mehr die CDU zu wählen. Der früher so stolze Jäger setzt sich nun an meiner Seite für Wildbrücken ein.“
„Lustigerweise hat mich auch Arnold Schwarzenegger mit seinen Tipps begleitet“, erzählt uns Alex zum Abschied. „Arnold betont das Vertrauen in die eigene Kraft, etwas verändern zu können.“ Alex blickt etwas verlegen auf unseren Schreibblock: „Könnt ihr bitte im Artikel auch seine fünfte und wichtigste Regel erwähnen? Die lautet: Manchmal muss man auch eine Regel brechen, wenn sie nicht mehr konform ist.”
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 30 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1820 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 1050 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 510 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?