Selten wirkte ein Meinungsumschwung so berechnend wie derjenige von FDP-Präsidentin Petra Gössi in der Klimapolitik. In einem Tagesanzeiger-Interview stellte die Parteipräsidentin eine grüne Wende für den Freisinn in Aussicht. Die politische Schweiz rieb sich die Augen, denn weder Petra Gössi noch ihre Partei haben in der Vergangenheit Interesse selbst an niederschwelligen, klimafreundlichen Vorstössen gezeigt.
Keine andere Partei kassierte an den jüngsten Schüler*innenprotesten so viel Kritik, Spott und Häme wie die FDP. „Fuck de Planet” stand da unter anderem auf Demonstrationsschildern.
Auslöser für die Kritik war das Verhalten der Partei in der Beratung des CO2-Gesetzes im Nationalrat. Unter der Federführung der FDP wurde die Vorlage des Bundesrates verwässert und zahnlos gemacht: Keine Inlandreduktion der CO2-Emissionen, keine Flugzeugticket-Abgaben, kein erhöhter Benzin- und Dieselpreis. Das CO2-Gesetz wurde in der Folge auch von der linken Ratshälfte abgelehnt. Die Schweiz stand vor einem klimapolitischen Scherbenhaufen.
Warum also jetzt der Stimmungsumschwung? Die Partei verhält sich in der wohl grössten Herausforderung der Menschheitsgeschichte wie ein Fähnchen im Wind, und die Parteipräsidentin streckt jetzt etwas ungeschickt den angefeuchteten Zeigefinger in die Luft und sucht die Richtung, in die der Wind gerade weht.
Im Tagesanzeiger-Interview versuchte Petra Gössi, der Kritik etwas entgegenzusetzen. Die FDP sei keine klimafeindliche Partei. Vielmehr gehöre der Umweltschutz zur DNA der Partei. Deswegen plane die Parteipräsidentin eine Mitgliederbefragung zur zukünftigen Fahrtrichtung in Sachen Klimapolitik.
Auch wenn das für FDP-Politiker*innen und ‑Wähler*innen stimmen mag: Die Reaktion von Hardlinern wie Christian Wasserfallen zeigt, dass der FDP aufreibende interne Richtungskämpfe bevorstehen. Denn der Berner Nationalrat ist lautstarker Gegner der Flugticketabgabe („wirkungslos”; falsch) und einer griffigen CO2-Inlandreduktion („reiner Klimanationalismus”; falsch) – just die beiden Themenbereiche, in denen Petra Gössi Gesprächsbereitschaft signalisierte.
Keine Ausnahme, sondern System
Die bisherige Klimapolitik der FDP ist keine blosse Fehlkalkulation. Sie ist System. Und die unrühmliche Verwässerung des CO2-Gesetzes ist nur der prominenteste Beweis dafür, dass die Freisinnigen bereit sind, jede fortschrittliche Vorlage zu opfern.
Die „FDP — Die Liberalen“ ist die Bevormunderin und Verhinderin, die sie immer bei den Linken wähnt: Mit ihrem gut orchestrierten Vorgehen sabotiert sie auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene jeden noch so kleinen Versuch, den Klimawandel zu bekämpfen – und nimmt so den Schweizerinnen und Schweizern die Möglichkeit, sich auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten.
Anstatt die Chancen zu betonen, die ein neuer Mobilitätsplan in einer Gemeinde, ein Energiegesetz in den Kantonen oder ein CO2-Gesetz für die Schweiz haben könnte, stellt sich die FDP konsequent quer. Sie maskiert ihr Engagement stets als Kampf für die Autofahrer*innen, Hausbesitzer*innen und Konsument*innen. Ihre Politik, die es den Unternehmen erlaubt, Gewinne zu privatisieren, während Umweltbelastungen auf die öffentliche Hand ausgelagert werden, hilft aber allein den Gross-Klimasünderinnen und ‑sündern. Sie ist das politische Pendant zum Marktversagen im Klimaschutz.
Die grünen Einzelfälle der FDP?
Das Spannungsfeld der freisinnigen Klimapolitik ist also gross und die Meinungen innerhalb der Partei scheinen zunehmend auseinanderzugehen. Das zeigt sich erneut bei der Gletscherinitiative: Die Initiative fordert die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Konkret will die Initiative in der Verfassung festschreiben, dass ab 2050 keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in die Schweiz importiert werden dürfen. Ausnahmen sollen nur noch für technisch nicht ersetzbare Anwendungen gelten. Diese müssten dann jedoch durch eine Inlandreduktion kompensiert werden.
Das Vorhaben ist ehrgeizig, aber nicht unmöglich – und wird überraschenderweise auch von einigen prominenten FDP-Exponent*innen mitgetragen; im Initiativkomitee sitzt zum Beispiel der Zürcher Ständerat Ruedi Noser, der sich für dieses Engagement bereits mit parteiinterner Kritik konfrontiert sah. Das Beispiel Noser zeigt dennoch: Es akzentuieren sich die ökologischen Kräfte innerhalb der Partei. Es wird bereits über die Gründung einer „FDP Nachhaltigkeit” diskutiert.
Aber auch wenn einzelne Exponent*innen in der Partei neuerdings versuchen, einen grünen Freisinn zu vertreten: Gerade für die Klimajugend ist die FDP in den letzten Jahren zu Recht zu einem Feindbild und einer Saboteurin in der Klimapolitik herangewachsen. Ein Image, welches sich so kurz vor den Parlamentswahlen nicht mehr mit einem grünen Mäntelchen kaschieren oder gar umdeuten lässt. Vor allem dann nicht, wenn nur einige wenige Parteiexponent*innen um diesen Imagewandel bemüht scheinen. FDP-Nationalrat Andrea Caroni etwa nennt den Klimastreik eine „quasi-religiöse Bewegung“.
Solche Aussagen verdeutlichen zuallererst vor allem eines: Angst. Die Angst der alteingesessenen Wirtschaftsliberalen nämlich vor einer Jugend, die nicht mehr bereit ist, die unverantwortliche Politik ihrer Eltern fortzusetzen. Die nicht bereit ist, jeden Fortschritt wegen eines fiktiven Preisschildes zu torpedieren. Die Jugendlichen nennen die FDP „Fuck de Planet“ – eine kalkulierte Provokation von jungen Menschen, die mit kühlem Kopf die vernichtende Politik einer ökologischen Abwärtsspirale bekämpfen.
Es ist eine zynische Tatsache, dass die heutigen Schüler*innen an den Klimastreiks die Realist*innen sein müssen; die erwachsenen Politiker*innen und Unternehmer*innen hingegen sind die Ideolog*innen.
Diese Erwachsenen und Politiker*innen sind in Tat und Wahrheit die „quasi-religiösen” Verblendeten, die von einer Welt träumen, in der ungebremster Ressourcenverbrauch und endloses Wirtschaftswachstum eine Zukunft haben.
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