Es ist mitten in der Nacht in San Pablo de Amalí, einem kleinen Nest mit etwa 500 Einwohner:innen, gelegen in einem fruchtbaren, wasserreichen Tal in Ecuador. Hier liegt die sogenannte Kornkammer des Landes. Draussen tobt ein Unwetter, wie ich es wohl noch nie erlebt habe. Eine Stunde zuvor schlug mit einem ohrenbetäubenden Krachen der Blitz ganz in der Nähe ein und das Licht ging aus. Und ich verstehe nun, warum die Leute hier Angst haben vor dem Fluss, der ansteigen und ihre Häuser mitnehmen kann.
Fünf Tage zuvor bin ich in San Pablo angekommen. Ich treffe Abel, der in einem Haus etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt wohnt. Aus Angst vor Überschwemmungen in der Regenzeit zieht er während der Hälfte des Jahres in ein vom Fluss weiter entferntes Haus. Aus gutem Grund: In der Nacht vom 19. März 2015 wurde das Dorf überschwemmt, drei Menschen starben, Abels Haus, 13 weitere und unzählige Kakao‑, Orangen- und Bananenplantagen der KleinbäuerInnen wurden zerstört. Der Schock sitzt bis heute tief.
San Pablo de Amalí war in seinen Anfängen eine grosse Hacienda und wurde ab 1960 von immer mehr Menschen besiedelt, die ihre Häuser in ausreichender Distanz zum Fluss bauten. Trotz heftigster Regenfälle in den letzten 60 Jahren wurde das Dorf nie überschwemmt, auch dann nicht, wenn sich während den wiederkehrenden El Niño-Phänomenen der Pazifik ausserordentlich stark erwärmte und es dadurch zu aussergewöhnlich starken Regenzeiten an der ganzen Pazifikküste Südamerikas kam.
Leere Versprechen und eine grosse Bedrohung
Was war 2015 also anders? Nur wenige Monate vor Beginn der Regenzeit leitete die Firma Hidrotambo S.A. für den Bau ihres Wasserkraftwerks den Fluss in Richtung des Dorfes um.
Das natürliche Flussbett, wo sich in der Regenzeit bisher die angeschwemmten Sedimente absetzten und die zusätzlichen Wassermassen passieren konnten, war von da an verbaut. Und genau wie das ganze Dorf befürchtet hatte, stauten sich bei den ersten heftigeren Regenfällen nach dem Bau vor dem Auffangbecken die Sedimente an und hielten die Wassermassen während zwanzig Minuten zurück. Als die Anstauung durch den Druck gebrochen wurde, zerstörte der Fluss nicht das Auffangbecken des Wasserkraftwerks, sondern flutete das ungeschützte Dorf.
Hidrotambo ist eine Aktiengesellschaft. Hauptaktionärin ist die Familie Cuesta, die ihr Vermögen mit dem Verkauf von Schuhen, insbesondere von Gummistiefeln, gemacht hat. Als einzige ausländische Aktionärin ist eine Frau mit dem blumigen Namen Magistra Maria Schenk Francesco am Konzern beteiligt. Dem ecuadorianischen Firmenregister ist ihr Name zu entnehmen, dass sie über zweieinhalb Millionen Dollar in die Firma investiert hat – und dass sie Schweizerin ist. Weitere Angaben gibt es nicht. Bei local.ch ist keine Telefonnummer einer Maria Schenk Francesco zu finden, auch auf Google hat sie unter diesem Namen keine Spuren hinterlassen.
Die Frau scheint weder zu einer Firma noch zu einer Organisation zu gehören. Vielleicht liess sie sich als Privatperson von der Firma dazu verleiten, in den Kampf gegen den Klimawandel am anderen Ende der Welt zu investieren, verspricht Hidrotambo S.A. im Firmenemblem doch nichts weniger als „Saubere Energie für alle“. Den Menschen in San Pablo de Amalí versprach sie ausserdem kostenlosen Strom, Arbeit und Fortschritt. Keines dieser Versprechen wurde eingehalten.
Skrupelloses Vorgehen
Die Bedrohung für die Dorfbewohner:innen und ihre Lebenswelt durch Überschwemmungen stellt das Problem während der Regenzeit flussabwärts dar: Die vom Wasserministerium nach 2015 angeordneten Vorsichtsmassnahmen werden bis heute weder vom Staat noch von der Firma umgesetzt, obwohl es 2017 und 2019 erneut zu Überschwemmungen kam, glücklicherweise ohne Todesfälle. Die nächste Katastrophe ist durch diese Nachlässigkeit bereits vorprogrammiert. Damit sind weiterhin Tausende von Menschen bedroht.
Das andere Problem passiert in der Trockenzeit flussaufwärts: Der Fluss führt in dieser Zeit nur wenig Wasser, zu wenig, damit all die Menschen in den Dörfern weiter oben im Tal ihren täglichen Wasserbedarf für sich, ihre Tiere und ihre Felder abdecken könnten und das Wasserkraftwerk am Ende auch noch funktionieren würde. Die ecuadorianische Verfassung sagt zwar klar, dass Wasser ein Menschenrecht ist und dass deswegen die Menschen für den Eigenkonsum und die Subsistenzwirtschaft ein Vorrecht auf das lebenswichtige Nass haben. Erst danach darf das Wasser für industrielle Zwecke, wie zum Beispiel das Erzeugen von Energie durch Wasserkraft, genutzt werden.
Ihr Vorrecht müssen die KleinbäuerInnen aber bei der Regionalstelle des Wasserministeriums beantragen und legalisieren lassen. Ein aufwändiger Prozess, insbesondere für Menschen, die jeden Tag auf dem Feld arbeiten und in bis zu drei Stunden Entfernung von der Provinzhauptstadt leben. Ausserdem beinhaltet das Legalisierungsverfahren die Pflicht, andere Nutzer:innen der Wasserquellen zu informieren, damit diese bei allfälligen Konflikten Einspruch erheben können. Eine Mitnutzerin aller Quellen im Tal ist eben auch das Laufwasserkraftwerk. Und dies nutzen die Anwält:innen des Konzerns schamlos aus: Seit Jahren erheben sie Einspruch gegen jeden einzelnen Legalisierungsantrag der Menschen, die flussaufwärts wohnen.
Rechtlich ist die Sache dermassen klar, dass bis jetzt keinem einzigen ihrer etwa 200 Einsprüche stattgegeben wurde. Die Anwält:innen von Hidrotambo S.A. können durch diese rechtliche Sinnlosigkeit die Legalisierungsanträge der Lokalbevölkerung aber unnötig hinauszögern und die Menschen im Tal einschüchtern, verunsichern und deren Widerstandskraft zermürben.
Manuel, Einwohner von San Pablo, erinnert sich, dass der Konzern Hidrotambo S.A. von Beginn an ohne Skrupel vorging: „Im September 2004 kamen die Arbeiter:innen der Firma, die damals Coandes hiess, zum ersten Mal. Sie hatten keine Bewilligung, unser Land zu betreten, sie hatten keinen offiziellen Auftrag und keine Dokumente. Trotzdem betraten sie unser Land und zerstörten ohne Rücksicht alles, was ihnen im Weg stand: Kakaostauden, Bananenpflanzen, Orangenbäume.“ Manuel fühlte sich seiner Rechte beraubt und trommelte in derselben Nacht vier andere Dorfbewohner zusammen, um sich zu wehren.
In der nächsten Woche waren es bereits zwanzig Personen, die sich den Angestellten des Wasserkraftwerks entgegenstellten. Diese gingen mithilfe der Polizei hart gegen die Dorfbewohner:innen vor und dachten, so den Widerstand brechen zu können. Aber Manuel und seine MitstreiterInnen liessen sich nicht unterkriegen: „In der nächsten Woche waren wir bereits 200 Menschen, die sich der Firma entgegenstellten. Von diesem Moment an waren wir jeden Tag dort. Wir blockierten das Vorhaben der Firma, bis die den Ingenieur-Korps des Militärs holte.“ Aber auch das hielt die Menschen San Pablos nicht davon ab, weiterzukämpfen. Und sie erhielten Unterstützung von all den Dörfern aus der Region. So standen innert kürzester Zeit 4000 Leuten den Ingenieuren des Militärs gegenüber.
Diese Zeit wird von vielen Bewohner:innen als Krieg beschrieben. Ein Krieg ohne Grenzen, organisiert auf der einen Seite vom Militär und der Firma, auf der anderen Seite von der Lokalbevölkerung, die sich zu helfen wusste: Einige Mitstreiter:innen wohnten dort, wo das Militär stationiert war. Wenn sich etwas regte, riefen sie sofort an, damit sich weiter oben die Leute versammeln konnten, um die Strasse zum Fluss zu versperren. Das Militär antwortete mit Tränengas, Gummischrot und Festnahmen. Sogar von Entführungen ist die Rede.
Erschöpft und ohne Hoffnung
Dieser Kampf hielt so lange an, bis das Militär sich zurückzog: Es stellte sich heraus, dass die nötigen Bewilligungen für den Bau des Kraftwerks gar nicht vorhanden waren. Die angeblichen Protest-Anführer:innen wurden dennoch wegen Terrorismus verklagt. Dies hätte bis zu sechzehn Jahre Gefängnis bedeuten können. Alle Prozesse endeten jedoch mit einem Freispruch.
Nach diesem heftigen Zusammenstoss glaubten die Menschen im Dorf, dass die Firma sich zurückgezogen habe und das Problem damit vorbei war. Sie täuschten sich: Drei Jahre später kamen dieselben Besitzer:innen unter dem neuen Namen Hidrotambo S.A. und mit verändertem Plan zurück. Anstatt Energie für den lokalen Gebrauch zu produzieren, würde die Energie nun an den Staat verkauft werden, zu einem etwa doppelt so hohen Preis, da es ja erneuerbare Energie ist. Diesmal blieb der breite Widerstand aus, die Bevölkerung war durch Gerichtsurteile und Einschüchterungen wie gelähmt. So bauten die Arbeiter:innen, zum Teil aus San Pablo, zum Teil aus anderen Dörfern, das Kraftwerk, indem sie auf der anderen Flussseite eine ganze Felslandschaft wegsprengten, um Platz für das Auffangbecken zu schaffen.
Trotz der Erschöpfung, die nach so vielen Jahren Zermürbung, Einschüchterung und Gewalt von Seiten des Konzerns und des Staates viele Menschen im Dorf ergriffen hat, ist der Kampf von San Pablo de Amalí bis heute nicht vorbei. Seit über drei Jahren setzt sich das sozio-ökologische Projekt „Río Dulcepampa“ für die Menschen flussabwärts und flussaufwärts ein. Die fünf Hauptverantwortlichen sind täglich im Einsatz, einerseits bei den Legalisierungsprozessen des Wassergebrauchs, andererseits bei der Bereitstellung von Informationen für mehrere Gerichtsprozesse.
Der vielversprechendste ist die Anklage von der regionalen öffentlichen Ombudsstelle, der defensoría del pueblo, und der NGO „Comisión Ecuménica de Derechos Humanos“ wegen dem Verstoss gegen verschiedenste Rechte der Lokalbevölkerung: gegen das Recht auf eine intakte Umwelt, das Recht auf Wasser und das Recht auf physische und psychische Integrität. Angeklagt ist aber nicht nur Hidrotambo S.A., sondern auch der ecuadorianische Staat, da er genauso am Missbrauch beteiligt war.
Eine Firma ohne Spuren
Nachdem die Anklage von sämtlichen regionalen Instanzen zurückgewiesen worden war, hat das Höchste Gericht in Quito den Fall dagegen als aussergewöhnlich wichtig erachtet. Da bisher keine Rechtsprechung in diesem Bereich existiert, besteht Hoffnung, dass die Dorfbewohner:innen nach 17 Jahren Kampf vielleicht endlich Gerechtigkeit erfahren.
Das Wasserkraftwerk steht nun seit 2014, gebaut gut sichtbar direkt gegenüber von San Pablo de Amalí. Die Firma hingegen bleibt ein Phantom: Hidrotambo S.A. hat keinen Firmensitz in San Pablo de Amalí, sie hat nicht einmal eine Homepage, nur einen Facebookauftritt. Auch nach mehrfacher Nachfrage bleibt eine Reaktion der Verantwortlichen bisher aus. Auf Kommunikation scheint die Firma also keine Lust zu haben. Und ohne eine Möglichkeit, mehr über Magistra Schenk Francesco herauszufinden, bleibt nur die grosse Frage, ob sie wohl eine Ahnung hat, in was für eine skrupellose Firma sie investiert hat.
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