Sechs Gründe, weshalb es ein sicheres Velo­netz braucht

In ein paar Wochen stimmen die Stadt­zür­che­rInnen über die Initia­tive Sichere Velo­routen für Zürich ab. Sie fordert ein sicheres, durch­ge­hendes Velo­netz von minde­stens 50 Kilo­me­tern Länge. Wir haben die sechs wich­tig­sten Gründe dafür gesam­melt, wieso Zürich, aber auch alle anderen Städte ihre Velo­fah­re­rInnen nicht irgendwo zwischen Blech­la­wine, Gully­deckeln und Fuss­gän­ger­strömen vergessen sollten. 
Symbolbild (Foto: Flo Karr/ Unsplash)

Klar, schon heute gibt es auf manchen Zürcher Strassen Velo­streifen. Aber ein gutes Velo­netz könnte so viel mehr sein als ein paar gelbe Strich­li­nien, die überall dort auf die Strassen gezeichnet wurden, wo die Spuren­breite dies problemlos erlaubt. Viel­mehr könnten Auto- und Velover­kehr dank eines durch­gän­gigen Velo­netzes vonein­ander entflochten werden. Zum Beispiel mit Velo­schnell­routen, die grund­sätz­lich vom moto­ri­sierten Indi­vi­du­al­ver­kehr befreit wären. Sprich: Die Zwei­räder müssten ihre Verkehrs­fläche nicht mehr mit einer Horde von SUVs und Trans­por­tern teilen.

Denn eines muss gerade zu Beginn gesagt werden: In dieser Abstim­mung, ja in allen Diskus­sionen rund um das Velo, geht es nie nur darum, ob man das Velo fördern will, soll oder kann. Es geht immer vor allem darum, ob man das Velo auf Kosten der Autos fördert. Der städ­ti­sche Raum ist begrenzt. Was an neuen Velo­wegen entsteht, muss dem Auto­ver­kehr abge­rungen werden. Und es spre­chen so einige Gründe dafür, das auch wirk­lich zu tun. Wir haben die wich­tig­sten gesammelt.

1) Weil Autos allen schaden

Egal, wie wir uns fort­be­wegen: Unsere Mobi­lität ist nicht nur nütz­lich, sondern auch schäd­lich. Während der Nutzen logi­scher­weise zum grössten Teil bei der sich bewe­genden Person liegt, entfällt der Schaden zu einem grossen Teil auf die ganze Gesell­schaft. Etwa in Form von soge­nannten externen Kosten, also die durch den Verkehr verur­sachten Umwelt‑, Gesund­heits- und Unfall­ko­sten. Sie beliefen sich 2017 laut dem Bundesamt für Raum­ent­wick­lung (ARE) schweiz­weit auf 13.4 Milli­arden Franken.

Durch­schnitt­lich berappte also indi­rekt jeder Schweizer und jede Schwei­zerin eine Rech­nung von rund 1500.- Franken für das Verkehrs­ver­halten von sich selbst und allen anderen. 26’800 Spital­tage wegen Erkran­kungen durch Luft­ver­schmut­zung und Lärm, 88’000 Tonnen Ernte­aus­fall und 39’000 Tage für Asth­ma­sym­ptome bei Kindern sind genauso Teil dieser trau­rigen Abrech­nung wie 17’200 verlo­rene Lebens­jahre. Haupt­ver­ur­sa­cher ist der private moto­ri­sierte Stras­sen­ver­kehr. Wegen der riesigen Mengen an Schad­stoffen, dem Lärm und den Unfällen, die er verur­sacht: 71 % der externen Kosten, also 9.5 Milli­arden Franken, gehen auf seine Kappe.

2) Weil Velos allen nützen

Auch das Velo verur­sacht externe Kosten: 2017 waren es 554 Millionen Franken. Grösster Kosten­punkt: selbst­ver­schul­dete Unfälle. Aber: Im Gegen­satz zum Auto fallen beim Velo nicht nur externe Kosten an, es gene­riert auch externen Nutzen. Wer Velo fährt, ist gesünder und verur­sacht dadurch weniger Kosten im Gesund­heits­wesen, was zu tieferen Prämien für uns alle führt. Diesen externen Nutzen bezif­ferte das ARE für 2017 mit 457 Millionen Franken. Damit bleiben ledig­lich 97 Millionen Franken, die der Velover­kehr an externen Kosten verur­sacht. Das ist fast hundert Mal weniger als der Autoverkehr.

Frei­lich wird per Velo auch eine viel gerin­gere Strecke zurück­ge­legt als mit dem Auto. Doch die grosse Kosten-Diffe­renz lässt sich damit nur bedingt erklären. Denn die externen Kosten können auch nach zurück­ge­legten Kilo­me­tern aufge­schlüs­selt werden. Der moto­ri­sierte Privat­ver­kehr verur­sachte 2017 externe Kosten von 7.8 Rappen pro Kilo­meter und Person. Das Velo bringt es auf 3.9 Rappen pro Personenkilometer.

Und dieser bereits tiefe Wert liesse sich mit einem besser ausge­bauten Velo­netz noch deut­lich redu­zieren: Denn auch wenn die Unfälle, die hinter den externen Velo­ko­sten stecken, selbst­ver­schuldet waren, so wird die Schwere und damit die Kosten der Unfälle wohl vor allem damit zusam­men­hängen, dass die Velos mit einem Auto und nicht mit einem anderen Velo zusam­men­ge­stossen sind. Ein gutes Velo­netz könnte also dazu führen, dass jeder und jede Velo­fah­rerIn der Bevöl­ke­rung netto sogar Nutzen statt Schaden beschert. Beim Fuss­ver­kehr ist das bereits heute der Fall.

Das Velo hat in Zürich eine grosse Fangemeinde. Jeden letzten Freitag im Monat trifft sie sich gegen Abend am Bürkliplatz zur sogenannten Critical Mass. Ihr Ziel: Wie hier auf der Hardbrücke gemeinsam eine volle Ladung Velopräsenz auf die Stadtstrassen bringen, um damit auf sich und ihr Anliegen aufmerksam zu machen (Foto: Alex Tiefenbacher).
Das Velo hat in Zürich eine grosse Fange­meinde. Jeden letzten Freitag im Monat trifft sie sich gegen Abend am Bürkli­platz zur soge­nannten Critical Mass. Ihr Ziel: wie hier auf der Hard­brücke gemeinsam eine volle Ladung Velo­prä­senz auf die Stadt­strassen bringen, um damit auf sich und ihr Anliegen aufmerksam zu machen (Foto: Alex Tiefenbacher).

3) Weil das Auto gar nicht viel schneller ist

Trotzdem kommt das Velo in der Schweiz laut dem Bericht Verkehrs­ver­halten der Bevöl­ke­rung 2015 vom ARE bis jetzt ledig­lich für rund 2 % der zurück­ge­legten Kilo­meter zum Einsatz. Ein Grund dürfte die weit­ver­brei­tete Meinung sein, dass man mit dem Auto weniger Zeit braucht, um ans Ziel zu kommen. Doch das stimmt nur bedingt.

Natür­lich: Wenn man mit dem Auto von A nach B fährt, kann man in einer Stunde gut 60 Kilo­meter zurück­legen. Wenn man aber im Anschluss daran noch eine halbe Stunde lang einen Park­platz sucht, ist man bereits bei einer Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von 40 km pro Stunde (60 km / (1 h Fahrt + 0.5 h Park­platz­suche) = 40 km/h). Und die Park­platz­suche ist bei Weitem nicht die einzige Zeit, die man neben der reinen Fahrt­zeit aufwenden muss, um mit einem Auto voranzukommen.

Denn: Das Auto muss ja zuerst gekauft werden. Dafür braucht man Geld, und dafür muss man Arbeits­zeit aufwenden. Genauso wie für die Versi­che­rung, den Benzin­kauf und die Repa­ra­tur­ko­sten. Je nach Stun­den­lohn, zurück­ge­legter Strecke und Auto­ko­sten kommt man dadurch auf eine massiv tiefere Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von zwischen 20 und 30 Kilo­meter pro Stunde, wie dieser Artikel in der Frank­furter Allge­meinen zeigt.

Ein deut­scher Blogger errechnet sich für seinen teuren Mercedes S 500 gar eine durch­schnitt­liche Geschwin­dig­keit von 2 km/h in der Berliner Innen­stadt. Da ist das Velo um einiges schneller. Laut einer Erhe­bung des Bundes­amts für Stati­stik liegt die mitt­lere Geschwin­dig­keit der Schweizer Fahr­rad­fah­re­rInnen bei 13.3 km/h.

Und wenn man dazu­rechnet, dass ja auch noch die 1500.- Franken an externen Kosten zuerst erar­beitet werden müssen, dann kann das Auto entgültig einpacken. Laut der Studie Effec­tive speed: Cycling because it’s faster des austra­li­schen Wissen­schaft­lers Paul Tranter von 2012 könnten Stadt­be­woh­ne­rInnen zehn bis fünf­zehn Jahre früher in Pension gehen, wenn sie nicht das Auto, sondern das Fahrrad nutzen würden.

4) Wegen den Abgastoten

Ange­sichts der Ster­be­rate, die der fossil betrie­bene Verkehr mit sich bringt, ist es schon sehr erstaun­lich, dass wir nicht stärker auf die Barri­kaden gehen. Laut dem Tages-Anzeiger töteten die Verkehrs­ab­gase 2015 in der Schweiz 830 Menschen. Zählt man die 2019 vom Bundesamt für Stati­stik gemel­deten 187 direkten Todes­fälle durch Umfälle mit dazu, ergeben sich 1’017 jähr­liche Todesopfer.

Gesund­heits­schäd­lich sind die Abgase vor allem wegen des Ozons und des Fein­staubs. Sie können zu Herz­er­kran­kungen, Schlag­an­fällen, chro­ni­schen Lungen­er­kran­kungen, Lungen­krebs und Infek­tionen der Atem­wege führen – und dadurch zu vorzei­tigen Todes­fällen. Immerhin darf man hoffen, dass die Zahl der früh­zei­tigen Tode seit 2015 ein wenig gesunken ist. Woran das liegt? Ein grosser Teil des schäd­li­chen Fein­staubs kann auf Diesel­fahr­zeuge zurück­ge­führt werden, und deren Verkauf ging laut der Taschen­sta­ti­stik des Bundes­amtes für Stati­stik (BFS) in den letzten Jahren massiv zurück. Diesel­skandal sei Dank. Dafür haben die Benziner zuge­legt. Und auch die verschmutzen die Luft. Fakt ist: Autos töten, Velos nicht.

5) Weil man keine leere Drei­er­couch mit sich rumfahren muss

Die durch­schnitt­liche Beset­zung eines Autos liegt laut dem BFS bei 1.6 Personen. Grund­sätz­lich fährt also jede und jeder mit seinem Auto eine leere Drei­er­couch spazieren. Das ist schlichtweg dumm. Denn der gesamte Schweizer Verkehr (ohne Schiff- und Luft­fahrt) verur­sacht 32 % Prozent der gesamten Treib­haus­gas­emis­sionen in der Schweiz. Laut dem Bundesamt für Umwelt gehen fast drei Viertel davon auf die Kappe der Perso­nen­wagen. Mit ihren leeren Rück­bänken. Diese Dumm­heit will ich niemandem erklären müssen, der sich in den näch­sten Jahr­zehnten mit den Folgen des Klima­wan­dels konfron­tiert sehen wird. Vor allem, weil der Gross­teil der Auto­ki­lo­meter (44 %) im Rahmen von Frei­zeit­be­schäf­ti­gungen zurück­ge­legt wird. Der viel beschwo­rene Gewer­be­ver­kehr macht hingegen gerade einmal 7 % aus. Es ist deshalb höchste Zeit, die Platz­ver­hält­nisse auf den städ­ti­schen Strassen zugun­sten der klima­freund­li­chen Vari­anten neu zu verteilen.

6) Weil es auch für die Auto­fah­re­rInnen entspannter wäre

Klar: Ein paar wenige fossil betrie­bene Vehikel wird es auch in Zukunft noch brau­chen. Dem Gewerbe, den Blau­licht­or­ga­ni­sa­tionen und Personen mit einge­schränkter Mobi­lität bleiben in naher Zukunft noch nicht viele Alter­na­tiven. Aber auch die Verkehrs­teil­neh­me­rInnen, die weiterhin mit einem Diesel- oder Benzin­motor durch die Strassen düsen, werden sich über ein besseres Velo­netz und damit über weniger Draht­esel in ihrer Fahr­bahn freuen.

Die Chancen stehen gut, dass die Zürche­rInnen am 27. September „Ja“ sagen zur Velo­in­itia­tive. Denn in der Stadt Zürich ist mehr als die Hälfte der Haus­halte auto­frei. Zudem stehen sowohl der Stadtrat als auch die meisten Parteien hinter der Initia­tive. Ledig­lich die FDP und die SVP lehnen die Vorlage ab. Gemäss der Info­seite der Stadt Zürich zum kommenden Abstim­mungs­sonntag sehen sie darin „eine einsei­tige Lösung, die auf Kosten der weiteren Verkehrs­teil­neh­menden umge­setzt wird“. In Tat und Wahr­heit ist es genau umge­kehrt: Der jetzige Zustand wird seit Langem auf Kosten derje­nigen aufrecht­erhalten, die nicht fossil durch die Gegend düsen.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 12 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 884 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Fick den Genderstern!

Die SVP betreibt mit der Genderstern-Initiative rechten Kulturkampf und will dem sogenannten ‚Woke-Wahnsinn‘ den Garaus machen. Sie können das Sonderzeichen gerne haben – vorausgesetzt, genderqueere Personen können ein sicheres Leben führen.