Auch wenn sich der Sommer langsam dem Ende zuneigt, erinnern uns die omnipräsenten Werbeplakate der Detailhändler*innen zuverlässig daran, keinen lauen Sommerabend verstreichen zu lassen, ohne den Grill anzuschmeissen: „Jetzt chame grilliere!“, schreit es seit Monaten penetrant von jeder erdenklichen Werbefläche. Auf den Rost kommt, was schmeckt: gefüllte Pilze, mariniertes Gemüse, Halloumi und natürlich Fleisch. Für Tsch-Tsch-Tschennifer gibt’s Gemüse aller Art, Tsch-Tsch-Tschimmy gönnt sich Fisch und Tsch-Tsch-Tscheremy geniesst Spareribs. Das Problem? Fehlende Vitamine auf den Tellern der männlichen Esser. Kurz: Die Coop-Werbung suggeriert, dass sich Frauen tendenziell vegetarisch oder vegan ernähren, währenddessen ihre männlichen Kollegen Fleisch und Fisch auf den Grill schmeissen, bis sich die Roststangen biegen.
Grundsätzlich erstaunt dieses Bild wenig, hat Coop doch bereits in den letzten Jahren in diversen Werbespots mit steilen, aus feministischer Sicht fragwürdigen Thesen um sich geworfen. So startet ein Spot von 2017 damit, dass eine hinter dem Grill stehende Frau mit den Worten „Ganz falsch! Für das brucht’s doch viel meh Erfahrig“, aufgeschreckt wird. Und das Werbefilmchen aus 2013 wird auf Youtube mit folgenden Worten angeteasert: „ ‚Tsch Tsch‘ ist zum festen Bestandteil des Schweizer Wortschatzes geworden. Auch Feuerwehrmänner, Einbrecher, Militärhauptmänner und sogar Ausserirdische brauchen heute ‚Tsch Tsch‘ als fixen Ausdruck.“ Genauso wie die geschlechterspezifische Zuteilung von Gemüse und Fleisch in der aktuellen Werbekampagne legt auch diese Aufzählung „richtiger“ Männerberufe offen, dass Coop in Sachen Grillieren von einer männerdominierten Welt ausgeht. In dieser gehören Frauen zwar hinter den Herd, aber die Königsdisziplin des Grillierens sollen sie gefälligst dem anderen Geschlecht überlassen. Doch entspricht das in der Werbung gezeichnete Bild wirklich der Realität?
Begrüssenswerter Trend
Auf der Suche nach einer Antwort erkundigen wir uns bei Danielle Cotten, Mediensprecherin des Interessenverbands Swissveg nach der Entwicklung von Ernährungstrends. Sie bestätigt, dass sich tatsächlich mehr Frauen für die fleischlose Ernährung begeistern lassen. Ein Blick auf die schweizerische Statistik zeigt trotzdem ein durchaus erfreuliches Bild: Obwohl ein Unterschied zwischen den Geschlechtern besteht, nimmt auch die Anzahl Vegetarier kontinuierlich zu.
Tendenziell sind es die jüngeren Generationen, die sich für eine vegetarische oder vegane Lebensweise interessieren. Cotten von Swissveg stellt jedoch fest, dass die Offenheit gegenüber einer weniger fleischbetonten Ernährung in den letzten Jahren auch bei Menschen mittleren Alters stetig zugenommen habe. Ein Grund dafür könnte sein, dass die negativen Folgen des Fleischkonsums immer mehr im Bewusstsein der Bevölkerung ankommen. Diese Beobachtung führt zum zweiten Problem der Tsch-Tsch-Werbung: Das fleischlastige Essverhalten der Darsteller blendet die damit einhergehenden Umweltbelastungen, die unwürdige Tierhaltung, die gesundheitlichen Folgen sowie den exorbitanten Energieverbrauch des Fleischkonsums komplett aus.
Rinder dominieren die Debatte
Im Zentrum vieler Diskussionen rund um die Klimakrise steht das Treibhausgas Methan, das für etwa einen Viertel des globalen Treibhauseffekts verantwortlich ist. Mehr als die Hälfte dieser Emissionen wiederum entsteht aufgrund menschlicher Aktivitäten. Zu einem grossen Teil stammen sie aus der Rinder- und Schafhaltung, also sowohl aus der Fleischproduktion wie auch aus der Herstellung von Milchprodukten. Immerhin haben im Jahr 2017 die dreizehn grössten Milchwirtschaftsbetriebe in der Summe mehr Emissionen verursacht als die zwei umweltschädlichsten Aktiengesellschaften, der Bergbaukonzern BHP und der Energiekonzern ConocoPhillips, zusammen.
Ein weiteres oft aufgegriffenes Thema sind Sojaimporte, die der hiesigen Tierfütterung dienen: Neben den USA, die in der Sojaproduktion marktführend sind, stehen Argentinien und Brasilien auf der Liste der grössten Sojaproduzent*innen. In beiden Ländern wird dafür wertvoller Regenwald abgebrannt, der wiederum für die Absorption des Klimagases CO2 wichtig wäre. Der Fleischkonsum befeuert die Klimakatastrophe also gleich doppelt.
Opfer des profitorientierten Systems
Doch die Klischee-Spareribs von Tsch-Tsch-Tscheremy sind nicht nur für das Klima schädlich, sondern auch aus ethischer Perspektive höchst fragwürdig. Rund 25 % der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in der Schweiz haben einen Migrationshintergrund, wie eine Studie im Auftrag der Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft aufzeigt. Die meisten der ausländischen Angestellten arbeiten auf Schweizer Höfen zu Niedrigstlöhnen. So beträgt der vom Schweizerischen Bauernverband publizierte Richtlohn für eine saisonale Hilfskraft im Durchschnitt 3300.- Franken brutto, wobei monatlich 990.- Franken für Kost und Logis abgezogen werden.
Frappant: So richtig publik wurde unsere Abhängigkeit von diesen saisonalen Hilfskräften erst, nachdem viele von ihnen coronabedingt nicht mehr einreisen konnten, was unsere Ernährungssicherheit zu bedrohen schien. Nicht grundlos haben sich Italien, Portugal sowie Deutschland überlegt, illegale Arbeitskräfte temporär zu legalisieren und Asylsuchenden eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Solche politischen Entscheide sind vor allem deshalb widerlich, weil sie negieren, dass sich diese Menschen oftmals bereits seit Jahren in eben jenen Ländern aufhalten.
Ähnlich sieht es bei den Schlachtbetrieben aus: In aller Munde war der Corona-Skandal in Deutschlands grösstem Schlachtkonzern Tönnies, der sein Stammwerk im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück hat. Auch bei Tönnies kommen die meisten Beschäftigten aus Nachbarländern. Etwa 80 % sind über Subunternehmen angestellt und können dadurch zu menschenunwürdigen Konditionen unter dem Mindestlohn beschäftigt werden.
Hat Coop nicht mitgekriegt, dass wir mit einer Klimakrise kämpfen, die den Konsum von solch exorbitanten Fleischmengen einfach nicht zulässt? Oder gibt es einen guten Grund, weshalb man sich bei Coop dazu entschieden hat, diese geschlechterstereotypischen Ernährungsmuster zu beackern? Wir haben nachgefragt.
Sehr geehrte Damen und Herren von Coop
Sommerzeit ist Grillzeit: Dementsprechend wirbt auch Coop auf Plakaten mit dem Werbespot „Grillieren verbindet uns“. Mir ist aufgefallen, dass die männlichen Darsteller zwar ganz viel Fleisch und Fisch, aber kein Gemüse essen. Weshalb ist das so?
Ich danke bestens für die Auskunft und grüsse herzlich,
das Lamm
Die Antwort kam eine Woche später:
Guten Tag liebes Lamm
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne lasse ich Ihnen die gewünschte Antwort zukommen.
Der Fokus bei „Grillieren verbindet uns“ liegt auf Produkten, die besonders oft auf den Grill kommen. Deshalb werden von den Darstellerinnen und Darstellern mehrheitlich Fleischwaren und Fisch gegrillt. In den Szenen werden auch Gemüse und Salate gezeigt, die dazu gegessen werden.
Freundliche Grüsse,
Coop
Natürlich freuen wir uns darüber, dass Coop den Darsteller*innen auch ein paar Blättlein Salat gönnt. Die von uns gestellte Frage beantwortet das aber leider nicht, weshalb wir nochmals nachfragen mussten:
Sehr geehrte Damen und Herren von Coop
Vielen Dank für Ihre Antwort. Leider beantworten Sie meine Frage jedoch nicht.
Mich interessiert, weshalb in der Werbekampagne die männlichen Darsteller allesamt zu Fisch oder Fleisch greifen, während die vegetarische respektive vegane Ernährung ausschliesslich den Darstellerinnen zugeteilt wird. Die Werbung suggeriert somit, dass es keine Vegetarier gibt. Das stimmt jedoch nicht. Tatsächlich entscheiden sich nebst Frauen immer mehr Männer dazu, teilweise oder ganz auf Fleisch und Fisch zu verzichten. Wieso zeigt Ihre Werbekampagne keine männliche Personen, die sich für eine vegetarische Variante entscheiden?
Ich danke Ihnen bestens für Ihre Erklärung.
Freundliche Grüsse,
das Lamm
Sehr viel später – ausführliche Antworten beanspruchen schliesslich Zeit – kam die Rückmeldung:
Guten Tag
[…] Gerne lasse ich Ihnen die gewünschte Antwort zukommen.Die Aufteilung des Grillguts erfolgte unabhängig vom Geschlecht. Für den Spot wurden Produkte ausgewählt, die besonders oft auf den Grill kommen.
Beste Grüsse,
Coop
Diese diplomatische Antwort überrascht wenig. Nur ist sie natürlich vielmehr Teil des Problems als Teil der Lösung. Denn sie legt offen, dass es der Kommunikationsabteilung nicht einmal bewusst zu sein scheint, dass sie den Geschlechtern spezifische Ernährungsmuster zuschreibt. Damit befeuern sie das leider immer noch weitverbreitete stereotypische Bild des fleischverzehrenden Kerls, anstatt diesen toxischen und klimaschädlichen Geschlechterrollen entgegenzuwirken. Im Jahr 2020 kann von einer Kommunikationsabteilung eine sensibilisiertere Haltung erwartet werden – bezüglich Klima und Geschlechterrollen.
In jedem lustig klingenden „Tsch-Tsch“ schwingt neben der Schädigung des Klimas auch ein Stück menschenverachtende Ausbeutung mit. Das Argument der Detailhändler*innen, dass sie mit ihren Angeboten lediglich auf die Nachfrage ihrer Kundschaft reagieren würden, lässt sich indes ziemlich einfach entkräften. Denn Nachfrage ist schliesslich nur ein Produkt unserer Realitätskonstruktion, in welcher Plakate wie die Tsch-Tsch-Werbungen durchaus eine grosse Rolle spielen. Dazu ist Werbung ja da: Sie soll Jeremy und Giuseppe dazu bringen, weiterhin an Weltvorstellungen festzuhalten, in denen es gang und gäbe zu sein scheint, dass sie bei der Sommergrillade mit ihren männlichen Kollegen an einem Knochen nagen.
Dass diese Einflussnahme bei tief eingebrannten, stereotypischen Geschlechterbilder am besten funktioniert, ist klar. Toxisch ist sie trotzdem. Coop hat indes, wie’s scheint, wenig Interesse daran, dass sich solche Vorstellungen ändern. Weshalb auch? Coop ist Mehrheitsaktionärin beim Basler Fleischverarbeitungsbetrieb Bell AG, einem der grössten Fleischkonzerne der Schweiz. Nachvollziehbar also, möchten sie den Fleischkonsum mithilfe von plumpen und veralteten Rollenbildern weiter ankurbeln. Aber im Falle der Tsch-Tsch-Kampagne ist solch ein Vorgehen vor allem eines: klimaschädlich und stereotypisierend. Kurz: egoistisch.
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