Anfang November hat der Schweizer Bauernverband beschlossen, seinen Mitgliedern die Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) zu empfehlen. Dass der Verband die Nein-Parole gefasst hat, ist laut einem Bericht der Sonntagszeitung jedoch in erster Linie als strategischer Schachzug zu verstehen: Der Bauernverband will den Wirtschaftsverband Economiesuisse für die Verhandlungen der Agrarreform auf seine Seite ziehen.
In der NZZ war zudem zu lesen, dass Verbandspräsident Markus Ritter und die Verbandsführung auch emotionale Gründe zur Ablehnung der KVI bewogen hätten. Die Bauernvereinigung war nämlich alles andere als erfreut über die unlängst geführte Kampagne „Agrarlobby stoppen“ der grossen Umweltschutzverbände WWF Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und Bird Life.
Aber sind Strategiespiele und emotionale Retourkutschen wirklich das, was einen Dachverband bei der Fassung von Abstimmungsparolen leiten sollte? Müsste er nicht vielmehr die Interessen der Mitglieder vertreten, sprich nüchtern die Vor- und Nachteile einer Annahme der KVI für die Schweizer Landwirt:innen analysieren? Das haben wir Markus Ritter gleich direkt gefragt:
Guten Tag Herr Ritter
[…] In mehreren Zeitungsberichten hat man nun schon über den Deal zwischen dem Bauernverband und dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse lesen können. Zuletzt im NZZ-Artikel „Das Spiel der Bauern mit der Konzerninitiative“, in welchem Sie zudem erklären, dass dieser Schulterschluss mit den Bürgerlichen zumindest teilweise eine Reaktion auf die Kampagne „Agrarlobby stoppen“ gewesen sei. Im genannten Artikel werden sie mit den folgenden Worten zitiert: „Es hat uns verbittert, dass wir als Organisation und ich als Präsident über Monate diskreditiert werden. Das hat mich persönlich getroffen.“
Mich würde nun interessieren, ob es neben diesen emotionalen und strategischen Punkten ihrer Meinung nach auch faktisch-inhaltliche Gründe gibt, weshalb sie den Schweizer Bauern und Bäuerinnen eine Ablehnung der Konzerninitiative empfehlen.
[…] Freundliche Grüsse
Der Präsident antwortete flink:
Guten Tag
Wir sind nicht einfach gegen die Konzernverantwortung generell, sondern unterstützen den indirekten Gegenvorschlag – wie der Bundesrat und das Parlament. Die Haftungsregeln in der Initiative gehen viel zu weit und würden den Wirtschaftsstandort Schweiz deutlich schwächen. Solche Regeln sind dann möglich, wenn dazu internationale Standards bestehen, wie beim Informationsaustausch bei den Steuerdaten zwecks der Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Ein Problem sehen wir zudem beim Prinzip der Beweisumkehr. Wenn das Kreise zieht, müssten generell vermeintlich Geschädigte nicht mehr den Schaden beweisen, sondern die angegriffenen Unternehmen den Nichtschaden.
Freundliche Grüsse
Ritters Antwort ist wenig fantasievoll. Es sind dieselben Gegenargumente, die man entlang der ganzen Front der Gegner:innen liest. Tatsächlich würde die KVI kein „Prinzip der Beweisumkehr“ zur Folge haben. Die Kläger:innen müssen ganz normal beweisen, dass sie erstens durch eine Firma einen Schaden erlitten haben und zweitens der angeklagte Schweizer Konzern die Geschäfte der ausländischen Firma massgeblich steuert.
Wenn das Schweizer Unternehmen glaubwürdig darlegen kann, dass es den Schaden mit aller Sorgfalt zu verhindern versucht hat, ist es aus dem Schneider. Auch dann, wenn Kläger:innen beweisen können, dass eine Schädigung vorliegt. Von einer Umkehr der Beweislast kann also keine Rede sein. Vielmehr könnten sich die Konzerne mit sauberem Controlling vor Klagen schützen. Bei der sogenannten Geschäftsherrenhaftung wird dieses Konzept in der Schweiz schon lange angewandt.
Und auch im internationalen Vergleich wäre die Schweizer Gesetzeslage nach Annahme der KVI gar nicht so speziell wie von den Gegner:innen dargestellt. Unter anderem kennen Frankreich und England schon heute ähnliche Regeln. Und mit dem Lieferkettengesetz wird derzeit auch in der EU in eine ähnliche Richtung verhandelt.
Wo ist die Perspektive der Bauern und Bäuerinnen?
Was an Ritters Antwort auffällt: Die Leute, die er als Präsident des Bauernverbands vertritt, kommen darin nicht vor. Keiner der genannten Gründe, die Nein-Parole zu ergreifen, muss aus Sicht der Landwirt:innen zwingend gegen die Annahme der Initiative sprechen. Darum fragten wir nochmals nach und wollten von Ritter wissen, wie ein Nein zur KVI denn seiner Meinung nach den Bauern und Bäuerinnen helfen sollte.
Diesmal erhalten wir keine persönliche Antwort, sondern ein von der Führung des Bauernverbandes verfasstes Statement. „Mehr als das kann ich Ihnen nicht liefern“, lässt uns die Kommunikationsverantwortliche wissen.
Aber auch in diesem Positionspapier findet sich nur ein einziger Punkt, der einen möglichen Nachteil der KVI für die Landwirt:innen mitbenennt: Die Initiative könnte Firmen betreffen, bei denen Schweizer Landwirt:innen einkaufen. „Auch Partnerunternehmen im Agrar- und Lebensmittelsektor könnten aufgrund von Geschäftsbeziehungen mit Zulieferbetrieben im Ausland von Sanktionen betroffen sein“, heisst es im Statement. Gemeint sind importierte Dünger- und Futtermittel.
Viele Mitgliedsorganisationen ergreifen keine Parole
Swiss Beef, die Vereinigung der Schweizer Rindfleischproduzierenden, ist Mitgliedsorganisation des Schweizer Bauernverbands. Dass es bei Annahme der KVI für die hiesige Rindfleischproduktion zu Problemen kommen könnte, glaubt man bei Swiss Beef nicht. „Aus Sicht der Rindviehhaltung […] gehen wir nicht davon aus, dass die Konzernverantwortungsinitiative einen spürbaren Einfluss auf die Haltung, Produktion und die Märkte hat“, schreibt Swiss Beef auf Anfrage. Bei den Futtermitteln könnten höchstens die Soja-Importe betroffen sein. Diese kämen jedoch bereits heute zu einem Grossteil aus nachhaltiger Produktion und zunehmend auch aus Europa. Der Vorstand von Swiss Beef hat keine Parole gefasst zur KVI.
Und auch andere der rund 80 Mitgliedsorganisationen teilen die Haltung des Bauernverbandes nicht. Von acht angefragten Organisationen geben neben Swiss Beef sechs weitere keine Parole aus: der Schweizerische Getreideproduzentenverband, die Schweizerischen Kartoffelproduzenten, der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband, der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband sowie der Schweizerische Schweinezucht- und Schweineproduzentenverband. Die Schweizer Milchproduzenten geben an, generell keine politischen Parolen zu fassen.
Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) erklärt seine Nicht-Positionierung anders: „Der Vorstand vom SBLV prüfte diese Initiative und hat beschlossen, keine Abstimmungsempfehlung abzugeben […]. Er hat grosse Sympathie für diese Initiative und deren Ziele.“ Da es sich bei dem Thema aber nicht um ein Anliegen handle, dass unter die Tätigkeit des Verbands falle, habe man auf eine Parole verzichtet, so der SBLV.
Keine Parole heisst also noch lange nicht, dass die Mitgliedsorganisationen zu einem Nein tendieren, wie der übergeordnete Bauernverband anzunehmen scheint. Im Gegenteil: Von keiner der angeschriebenen Mitgliedsorganisationen kam ein klares Bekenntnis zur Parole des Dachverbandes zurück.
Bio Suisse stellt sich gegen den Dachverband
Eine davon bezog sogar Position für die KVI: Bio Suisse, der Dachverband der Schweizer Bio-Betriebe. Die Biobäuerinnen und Biobauern würden hinter der KVI stehen, auch wenn die Initiative die Schweizer Landwirtschaft nicht unmittelbar betreffe, schreibt der Verband: „Die Konzernverantwortungsinitiative entspricht voll und ganz dem Anliegen von Bio Suisse: Fairness nicht nur im eigenen Land – sondern gegenüber jedem in der Wertschöpfungskette. […] Bäuerinnen und Bauern weltweit sind ebenso wie ihre Kollegen und Kolleginnen in der Schweiz auf faire Bedingungen angewiesen, damit sie eine naturnahe, zukunftsfähige Landwirtschaft betreiben können.“
Vielen Schweizer Bäuerinnen und Bauern sei die Solidarität mit ihren Kolleg:innen auf der ganzen Welt wichtig. Zudem brauche es Regeln für eine intakte Umwelt und einen sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Der Bauernverband ist nicht die einzige Stimme der Schweizer Landwirtschaft
Auch wenn es in der Schweizer Landwirtschaft nicht einfach ist, sich neben dem Schweizer Bauernverband Gehör zu verschaffen, gibt es Bäuerinnen und Bauern, die sich nicht durch den Bauernverband vertreten lassen: zum Beispiel die Kleinbauern-Vereinigung. Bereits ein Jahr nach der Gründung des Bauernverbands 1980 sind die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wegen Uneinigkeiten bei der Initiative „für ein naturnahes Bauern – gegen Tierfabriken“ aus Protest wieder ausgetreten.
Die Fronten von damals scheinen sich zu wiederholen. Denn die Kleinbauern-Vereinigung unterstützt die KVI und findet für das Vorgehen des Bauernverbands deutliche Worte: „Aus Kleinbauern-Sicht ist die Haltung des Schweizer Bauernverbands (SBV) geradezu rufschädigend, da der Grund für die Nein-Parole des SBV nur in den unmittelbaren eigenen politischen Interessen liegt und nichts mit dem eigentlichen Anliegen und Inhalt der Initiative zu tun hat. Es ging also nur darum, freisinnige Politiker für einen Stillstand in der Debatte zur nächsten Agrarreform zu gewinnen.“
Man sei davon überzeugt, dass zahlreiche Bäuerinnen und Bauern nicht hinter dem Entscheid des Bauernverbandes stehen könnten.
Mit einer Fotoaktion, in der Landwirt:innen Bilder von sich und dem Hof inklusive der orangen Flagge der Konzernverantwortungsinitiative veröffentlichten, machten die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen darauf aufmerksam, dass nicht alle Landwirt:innen die Parole des Bauernverbands vertreten.
Die Expert:innen schweigen
Klar ist: Bauernpräsident Ritter hat alles andere als ein geschlossenes Nein-Lager hinter sich. Noch immer unklar ist hingegen, wie sich die Annahme der KVI nun tatsächlich auf die Schweizer Landwirt:innen auswirken würde.
Bei einem Ja müssten in Zukunft auch Schweizer Konzerne mit Produktionsstandorten im Ausland bei der Einhaltung von Menschenrechten und Bestimmungen zum Umweltschutz internationale Mindestauflagen erfüllen. Die Annahme der Initiative würde also eine gewisse Gleichstellung der inländischen mit den im Ausland produzierenden Landwirtschaftsbetrieben mit Sitz in der Schweiz mit sich bringen.
Auf der anderen Seite steht die Befürchtung des Bauernverbands, dass sich einige Produkte, die die Bauern und Bäuerinnen aus dem Ausland beziehen, verteuern könnten. Leider haben wir keine Expert:innen gefunden, die uns das näher hätten aufschlüsseln können. Agroscope, immerhin das bundesamtliche Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung, schreibt: „Leider arbeiten bei Agroscope keine Fachleute auf diesem Gebiet.“
Ein Hauptziel der Forschungsgruppe Agricultural Economics and Policy der ETH ist gemäss Webseite, „das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Politik und Produktionsentscheidungen im Agrar- und Lebensmittelsektor zu verbessern“. Auf unsere Frage zur KVI antwortet der Leiter der Forschungsgruppe dann aber nur: „Leider ist das ausserhalb dessen, woran wir arbeiten und ich mich äussern kann/möchte.“ Und auch vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau erhalten wir leider keine Expertise.
Zwischen den Zeilen ist ziemlich klar lesbar: Gross wäre der Effekt der Annahme der KVI auf die Schweizer Landwirtschaft kaum. Umso befremdender erscheint die Nein-Parole des Bauernverbands. Klar, lieber Markus Ritter, Rache ist süss. Aber halt alles andere als professionell.
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