Die Flug­branche erhielt mit falschen Zahlen 1.8 Milli­arden und niemanden interessierts

Im ersten Corona-Früh­ling stimmte das Parla­ment darüber ab, ob die klima­schäd­liche Flug­branche einen Milli­ar­den­kredit erhalten soll. Die Zahlen, die die Wich­tig­keit der Branche aufzeigen sollten, waren jedoch frag­würdig bis falsch. Ob diese Fehl­in­for­ma­tion ein Versehen oder gewollt war, ist bis heute nicht geklärt. 
Illustration: Oger, ogercartoon.com

*Korri­gendum: Wir haben in diesem Artikel geschrieben, dass die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK) die Covid-19-Kredite an die Flug­branche nicht prüft. Das war falsch: Die EFK ist aktuell an einer Prüfung dran. Wie es zu dieser falschen Infor­ma­tion kam, erklären wir in diesem Artikel.

Im Früh­ling 2020 stand der Flug­hafen Kloten still. Eine ganze Branche kam wegen des Ausbruchs der Pandemie zum Erliegen. Um zu verhin­dern, dass SWISS und Co. plötz­lich kein Geld mehr haben, bewil­ligte das Schweizer Parla­ment damals einen Kredit von 1.8 Milli­arden Franken.

Das war nicht nur proble­ma­tisch, weil dadurch eine der klima­schäd­lich­sten Bran­chen mit Steu­er­gel­dern über­schüttet wurde, sondern vor allem auch, weil das Parla­ment die Gelder auf Basis falscher Infor­ma­tionen gespro­chen hatte. Auf drei Zahlen stützte sich das Bundesamt für Zivil­luft­fahrt (BAZL) im Früh­ling 2020, um das Parla­ment von der Wich­tig­keit der Flug­branche zu über­zeugen und um für ein Ja zu den Unter­stüt­zungs­kre­diten von 1.8 Milli­arden zu werben. Unsere Recher­chen zeigten damals: Alle drei Zahlen waren irgendwo zwischen tenden­ziös, irre­füh­rend und falsch anzusiedeln.

Ein Beispiel: In der Botschaft an die Parlamentarier:innen wurde behauptet, dass für rund 70 Prozent der Schweizer Unter­nehmen die Abwick­lung von Luft­fracht eine wich­tige Grund­vor­aus­set­zung sei. Eine Quel­len­an­gabe für die „70 Prozent der Schweizer Unter­nehmen“ wurde nicht genannt.

Unsere Recher­chen zeigten, dass die Zahl aus einer Studie der Hoch­schule St. Gallen stammte. Nur: Diese Studie unter­suchte nicht die Bedeu­tung der Luft­fracht für alle Schweizer Unter­nehmen, sondern sie führte ledig­lich eine „Befra­gung von Empfän­gern und Versen­dern von Luft­fracht sowie von Logi­stik­dienst­lei­stern“ durch.

Dass die meisten Studienteilnehmer:innen ange­geben hatten, die Luft­fracht sei für sie wichtig, wenn alle Befragten die Luft­fracht sowieso schon regel­mässig nutzten, erstaunt kaum. Die Aussage auf alle Schweizer Unter­nehmen auszu­dehnen, ist weder logisch noch zulässig. Die Aussage ist so, wie sie in der Botschaft steht, schlicht falsch. Das musste schluss­end­lich auch der Bundesrat zugeben.

Wie konnte es passieren, dass die Parlamentarier:innen von einer Bundes­stelle derart schlecht infor­miert wurden? War das ein Lapsus – oder wollten die Flugbeamt:innen das Parla­ment vorsätz­lich hinters Licht führen? Ein Jahr nach der Enthül­lung haben wir uns auf der Suche nach Antworten durch die verschie­den­sten Gremien und Kommis­sionen des Bundes­hauses gemailt.

Das UVEK hat mit den zustän­digen Stellen gesprochen

Verant­wort­lich für die Botschaft war das Bundesamt für Zivil­luft­fahrt (BAZL). Weil das BAZL Teil des Eidge­nös­si­schen Depar­te­ments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu­ni­ka­tion (UVEK) ist, schicken wir unsere erst Mail an das UVEK und wollten wissen, ob man in der Zwischen­zeit über­prüfen konnte, wie diese Zahlen in der Botschaft gelandet seien. Das UVEK antwortet uns folgendermassen:

„Zu den Gründen, die vor einem Jahr zu den besagten Angaben führten, haben wir Ihnen damals bereits Auskunft gegeben. Wir haben dem nichts Weiteres anzu­fügen. Das UVEK hat bereits im letzten Früh­ling mit den zustän­digen Stellen gespro­chen, damit diese klare und unmiss­ver­ständ­liche Grund­lagen liefern.”

Die Frage, ob das Parla­ment mit der Aussage „Für rund 70 Prozent der Schweizer Unter­nehmen ist die Abwick­lung von Luft­fracht eine wich­tige Grund­vor­aus­set­zung” jedoch bewusst oder aus Versehen getäuscht wurde, beant­wortet uns das UVEK auch auf mehr­fa­ches Nach­fragen hin nicht.

Deshalb versu­chen wir unser Glück bei der Eidge­nös­si­schen Finanz­kon­trolle (EFK), dem ober­sten Finanz­auf­sichts­organ des Bundes.

Die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle wird ihrem Namen gerecht: Denn alles, was sie macht, sind Kontrollen. Und zwar viele. Jedes Jahr legt sie einen mehr­sei­tigen Katalog von Fragen fest, die es zu über­prüfen gilt. Ausschlag­ge­bend dafür, was unter die Lupe genommen wird, ist laut der EFK eine Risi­ko­ana­lyse. Anhand dieser Risi­ko­ana­lyse entsteht dann das jähr­liche Prüf­pro­gramm der EFK. 2021 umfasst dieses Programm etwa die „Prüfung der Sanie­rung von Duro-Gelän­de­wagen”, die „Prüfung der Aufsicht des Bundes über die Land­käufe im Projekt Rhone­kor­rek­tion” oder die „Prüfung der Ober­auf­sicht über das Grundbuchwesen”.

Und die Prüfbeamt:innen der EFK werden sich 2021 auch mit Corona-Geldern beschäf­tigen. Zum Beispiel soll zu den COVID-Krediten an Unter­nehmen eine Daten­ana­lyse gemacht und der COVID-Erwerbs­er­satz für Selbst­stän­dige unter­sucht werden. Den 1.8‑Milliarden-Kredit an die Flug­branche sucht man hingegen verge­bens im Jahres­pro­gramm der EFK. Auf die Frage, aus welchen Gründen diese Kredite nicht über­prüft werden, antwortet uns die EFK ledig­lich, dass man diese Prüfungen zu gege­bener Zeit durch­führen werde*.

Einer der klima­schäd­lich­sten Bran­chen Milli­arden an Steu­er­gel­dern auszu­leihen, obwohl gleich­zeitig klar ist, dass es klima­po­li­tisch nicht wünschens­wert ist, dass der Flug­ver­kehr wieder floriert, stufte die EFK anschei­nend als weniger risi­ko­reich ein als die Sanie­rung der mili­tä­ri­schen Geländewagen.

Die Finanz­kom­mis­sionen lassen uns mona­te­lang warten

Noch immer wissen wir nicht, ob es Absicht oder Dumm­heit war, dass dem Parla­ment falsche Zahlen vorge­setzt wurden. Unser näch­ster Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen, führt uns zu den Finanzkommissionen.

Jedes Bundes­de­par­te­ment hat bei den Finanz­kom­mis­sionen zwei zustän­dige Subkom­mis­sion – eine stän­de­rät­liche und eine natio­nal­rät­liche. Sie haben im Bereich der Finanzen die Ober­auf­sicht über dieses Depar­te­ment. Zudem beraten diese Subkom­mis­sionen Botschaften im Finanz­be­reich vor. Für das UVEK sind die Subkom­mis­sionen 3 zuständig. Viel­leicht haben ja diese Subkom­mis­sionen genauer unter­sucht, wieso die BAZL-Beamt:innen in die Botschaft an die Parlamentarier:innen falsche Zahlen einge­ar­beitet haben.

Auf Nach­frage beim Sekre­ta­riat der Finanz­kom­mis­sionen erhielten wir folgende Antwort:

„Die Finanz­kom­mis­sionen haben die Kredite zuhanden des Parla­ments vorbe­raten. Die Diskus­sionen waren in den Kommis­sionen wie in den Räten intensiv. Grund­sätz­lich müssen sich parla­men­ta­ri­sche Kommis­sionen auf die Angaben und Infor­ma­tionen in den Botschaften verlassen können. Diese werden aber im Rahmen der Diskus­sion durchaus kritisch hinter­fragt und auf ihre Plau­si­bi­lität über­prüft und es kommt vor, dass man zusätz­liche Berichte einver­langt von der Verwal­tung. Zuständig für die Trak­tan­die­rung eines Themas in der Kommis­sion oder Subkom­mis­sion sind die Präsi­den­tinnen oder Präsi­denten dieser Organe. Wir werden Ihren Artikel den Präsi­denten der für das UVEK zustän­digen Subkom­mis­sion 3 zur Infor­ma­tion weiter­geben. Sie werden entscheiden, ob sie die von Ihnen aufge­wor­fenen Hinweise oder Fest­stel­lungen anläss­lich einer Sitzung thema­ti­sieren wollen.”

Wie es aussieht haben die zustän­digen Subkom­mis­sionen noch nichts vom Zahlen­de­sa­ster in der von ihnen vorbe­spro­chenen Botschaft mitge­kriegt. Auch ist es erstaun­lich, dass die Kommis­sionen trotz kriti­scher Diskus­sionen nicht schon damals bei den „70 Prozent der Schweizer Unter­nehmen” etwas stutzig wurden. Denn weder Schrei­ne­reien, Bauun­ter­nehmen, Treu­hand­firmen, Gärt­ne­reien, Fitness­center, Bäcke­reien oder Elek­tro­ge­schäfte verschicken ihre Sachen per Flug­zeug. Dass es kaum sein kann, dass sieben von zehn Unter­nehmen grund­le­gend von der Luft­fracht abhängig sind, liegt eigent­lich auf der Hand.

Aber immerhin scheint sich endlich eine offi­zi­elle Stelle dafür zu inter­es­sieren, dass das BAZL die Parlamentarier:innen bewusst oder unbe­wusst mit zu hohen Zahlen hinters Licht geführt hat. Wir bitten das Sekre­ta­riat uns doch bitte Bescheid zu geben, sobald fest­steht, ob die Präsident:innen die Fehl­in­for­ma­tionen trak­tan­dieren werden oder nicht.

Drei Monate später haben wir noch immer nichts gehört und fragen deshalb nach. „Entschul­digen Sie bitte die etwas späte Antwort”, schreibt uns der Sekretär der Finanz­kom­mis­sionen. Und auch, dass die zwei Subkom­mis­sionen die Ange­le­gen­heit mit dem BAZL im Oktober bespre­chen werden. Die Bericht­erstat­tung in den Kommis­sionen erfolge dann im November. Doch: „Ob die Kommis­sion hierzu in irgend­einer Weise kommu­ni­ziert, kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist auch abhängig vom Ergebnis der Ausspra­chen, den Anträgen der Subkom­mis­sion und den Beschlüssen der Kommission.” 

Eines ist sicher: In der Mailbox der Finanz­kom­mis­sionen wird im November erneut eine Nach­richt von uns landen. Denn eine Antwort auf die Frage, ob die Flugbeamt:innen das Parla­ment mit Absicht oder aus Versehen getäuscht haben, konnte uns leider immer noch niemand geben.

Aber wenig­stens scheint sich in Bundes­bern nun endlich irgend­je­mand dafür zu inter­es­sieren, dass dem höch­sten Entschei­dungs­gre­mium des Landes mit falschen Zahlen 1.8 Milli­arden Franken Steu­er­gelder abge­luchst wurden. Und das erst noch für eine der klima­schäd­lich­sten Branchen.


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