Die Tage kurz von den Wahlen sind lang, Anspannung liegt in der Luft. Die Kolumbianer*innen wollen wissen, ob die Stichwahl vom kommenden Sonntag (19. Juni) den Weg für eine neue Zukunft legen wird, was sich in Gesprächen am Mittagstisch sowie auf der mit Wahlplakaten vollgepflasterten Strasse ausdrückt. Auch Andres Perez* (34) löst seinen Blick selbst während des Mittagessens kaum vom Handy. Nachrichten über die beiden Kandidaten schwirren über den kleinen Bildschirm.
Er schüttelt den Kopf: „Unglaublich, was wieder für Mist gepostet wird, sie setzen alles daran, einen Sieg Petros zu verhindern“, meint er und steckt das Handy energisch in seine Hosentasche. Doch auch wenn er nicht wirklich daran glaubt, Perez hofft auf einen Wandel: „Für mich geht es nicht um links und rechts oder einen Leader. Vielmehr geht es um das Ende von Klientelismus, Korruption, historischer Vetternwirtschaft und des Drogenhandels mit all seinen Ausläufern, die Jahr für Jahr den Namen dieses Landes in Verruf gebracht haben.“
Der ehemalige Bürgermeister von Bogotá Gustavo Petro kandidiert für die progressive Koalition Pacto Histórico, mit der afro-kolumbianischen Aktivistin Francia Márquez als Vizepräsidentin.
Gustavo Petro war Mitglied der politischen Bewegung Alianza Democrática M‑19 (Movimiento 19 de abril), einer politisch-militärischen Guerilla, die nach dem Wahlbetrug von 1970, der von der Regierung und ihren traditionellen Parteien gegenüber der Opposition inszeniert wurde, entstand. Er war ein unbewaffneter Kämpfer und bekleidete in der Bewegung ein politisches Amt.
Petros Vergangenheit wird von seinen politischen Gegner*innen gegen ihn benutzt, auch weil die M‑19 für den Anschlag auf den kolumbianischen Justizpalast in Bogotá am 6. November 1985 verantwortlich war.
Petro wurde 1991 in einer Volkswahl Mitglied der Abgeordnetenkammer für das Departement Cundinamarca. Von 1994 bis 1996 arbeitete er an der kolumbianischen Botschaft in Belgien als diplomatischer Attaché für Menschenrechte und kandidierte 1998 für das Abgeordnetenhaus im Wahlkreis Bogotá. Von 2006 bis 2010 war Gustavo Petro Senatsabgeordneter und wurde 2012 zum Bürgermeister von Bogotá gewählt – ein Amt, das er bis 2015 innehatte.
Bei seiner ersten Kandidatur für das Präsidentschaftsamt im Jahr 2018 mit der Bürgerbewegung Colombia Humana erhielt er acht Millionen Stimmen.
Perez stammt aus einer kleineren Stadt im Departement Cundinamarca in der Nähe von Bogotá. Nach der Grundschule finanzierte er sich sein Studium zum Buchhalter mit Überstunden in einer Bar sowie seinem Geschick für den Kleinhandel. Wie viele Kolumbianer*innen musste er seinen Heimatort aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, doch er hatte Glück: Einer seiner Chefs wurde auf ihn aufmerksam und förderte ihn – wegen seiner Pünktlichkeit und seines Pflichtbewusstseins, wie Perez meint.
Demokratischer Wandel oder Neoliberalismus
Es geht um zwei Zukunftsmodelle: Während der progressive Gustavo Petro (Pacto Histórico) mit einem konkreten Programm einen demokratischen Wandel und bei öffentlichen Reden das Ende des Rechtskonservatismus verspricht, will der parteilose Unternehmer Rodolfo Hernández (Liga de Gobernantes Anticorrupción) „Kolumbien wie eine Firma führen“. Von den rund 20 Millionen abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang gingen 8,5 Millionen an Petro und rund 5,9 Millionen an Hernández.
Der Bauunternehmer Rodolfo Hernández Suárez war von 2016 bis 2019 Bürgermeister von Bucaramanga im Departement Santander. Hernández vertritt zusammen mit Marelen Castillo die Bewegung Liga de Gobernantes Anticorrupción.
Er finanzierte seinen Bürgermeisterwahlkampf selbst und hatte während seiner Amtszeit mehrere Kontroversen, darunter ein gewalttätiger Angriff auf ein Ratsmitglied, der zu einer dreimonatigen Suspendierung durch die Staatsanwaltschaft führte. Nationale und internationale Medien bezeichnen ihn stets als den „kolumbianischen Donald Trump“. Er hat mehrfach erklärt, dass er Kolumbien im Falle eines Sieges wie ein „Unternehmen“ führen wird. Wie der ehemalige US-Präsident stellt er sich als Selfmade-Millionär dar, der nichts mit der herrschenden Elite in Kolumbien zu tun hat, und sorgt immer wieder für Kontroversen im Land, weil er sich als Hitler-Fan äussert oder Frauen öffentlich diskriminiert.
Hernández ist ein Wirtschaftsmagnat, der in den letzten drei Monaten in Kolumbien an Einfluss gewonnen hat. Er hat eine Sonntagskolumne in der Zeitung des Departements Bucaramanga Vanguardia Liberal, in der er über seine politischen Ideen spricht. Sein Image basierte auf einer starken Antikorruptionsbotschaft. Doch derzeit läuft gegen ihn ein Verfahren, da er angeblich einen Auftrag im Wert von mehr als 500 Milliarden Pesos (125 Millionen Franken) unter der Hand vergeben haben soll.
Laut der aktuellen wöchentlichen Wahlumfrage von Invamer im Auftrag des kolumbianischen Senders Caracol verlor Petro in den letzten zwei Monaten knapp zehn Prozent der Wähler*innen.
Kurz nachdem Hernández überraschend den zweiten Platz im ersten Wahlgang belegt hatte, distanzierte er sich vom Centro Democrático, der Partei des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe. Die Mitglieder des Centro Democrático haben jedoch noch am selben Abend erklärt, dass sie ihn am 19. Juni unterstützen werden. In europäischen Medienberichten wird derweil Gustavo Petros Triumph in der ersten Runde über Federico ‚Fico‘ Gutiérrez, dem Kandidaten der herrschenden Elite, als „Untergang des Uribismus und Aufkommen des Neuen“ angekündigt. Doch wie zutreffend ist diese Einschätzung?
Der Uribismo (Uribismus) ist in Kolumbien die Bezeichnung für die politische Bewegung, die auf den Ideen des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez basiert.
Der scheidende Präsident Iván Duque, Vertreter des Demokratischen Zentrums, der Partei Uribes, wird auch oft Sub-Präsident von Uribe genannt, weil dessen Einfluss immer noch stark ist. Während Uribes Regierungszeit von 2002 bis 2010 wurden mindestens 6’402 Zivilisten durch das kolumbianische Militär umgebracht und im Nachhinein als „Guerillakämpfer“ dargestellt.
Uribe wird von seinen Gegner*innen ebenfalls „Vater des Paramilitarismus“ genannt, da bis heute immer wieder neue Verbindungen zur paramilitärischen AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) aufgedeckt werden. Medial wird wenig über die Machenschaften von Uribe oder der politischen Elite berichtet, weil in- und ausländische Medienkonzerne im Laufe der Jahre privatisiert wurden. Unabhängige Medien gibt es kaum – oder sie sind zu klein. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die Übernahme der Wochenzeitschrift Semana durch die mächtige Gilinski-Gruppe.
Die Publikation hatte fast 40 Jahre lang mit brisanten investigativen Berichten und politischen Analysen den Ton in der öffentlichen Debatte gesteuert und ist mittlerweile eine Art kolumbianische Fox-News in Magazinform.
Zu den Grundsätzen des Uribismus gehören die sogenannte demokratische Sicherheit, die Schaffung von Vertrauen für nationale und internationale Privatkapitalinvestitionen, der soziale Zusammenhalt (verstanden als „Überwindung der Armut“), ein streng geführter Staat und der Dialog mit dem Volk.
„Die Freiheit für Petro zu stimmen, habe ich mir erarbeitet“
Perez stimmt für Petro und weiss, dass dies vielen missfällt. Er arbeitet in einer öffentlichen Funktion. Das Risiko, aufgrund der politischen Gesinnung den Job zu verlieren, gehört in Kolumbien zur Realität. Weil er sich aber Kenntnisse angeeignet hat, die ihn in seinem Job praktisch unersetzbar machen, kann er sich das erlauben. Er lacht: „Diese Freiheit habe ich mir erarbeitet.“ Perez repräsentiert in der oberen Mittelklasse damit aber eher die Ausnahme.
Mit den Zurechtweisungen und negativen Kommentaren seiner Mitarbeitenden und Vorgesetzten weiss er umzugehen. „Viele meiner Freunde müssen ihre Stimmkarten fotografieren, um die Stimmabgabe für einen der Kandidaten nachzuweisen“, ergänzt Perez. Gerade in kleineren Bezirken des Landes mit einer noch grösseren Arbeitslosigkeit und mehr konzentrierter Macht gilt: Wer seinen Job behalten will, stimmt für den von der Firma bevorzugten Kandidaten.
In Santa Marta an der kolumbianischen Karibik-Küste poliert Luis Javier Rivera den Bartresen eines internationalen Nobelhotels. Die Fassade des kleinen Hotel-Restaurants, in dem er als Barista arbeitet, ist in Pastellfarben gehalten und alles ist mit Rosen dekoriert. Schnell wird klar: Wer hier seinen Kaffee schlürft, hat Geld. Mit dem Einkommen eines Baristas gehört Reyes zur unteren Mittelschicht. Auch er wird für Petro stimmen, weil er glaubt, dass dieser das Leben für die Menschen in Kolumbien verbessern wolle.
Mit seiner Arbeitgeberin hatte Rivera Glück. Zum Mindestlohn zahlt ihm diese auch Renten- und Krankenversicherungsbeiträge. Lange hat es gedauert, bis der 27-Jährige eine Anstellung wie diese gefunden hat. Im Gastrobereich läuft praktisch alles über Beziehungen. Rivera „darf“ über Politik reden und abstimmen, für wen er will. „Sie geben uns sogar frei, um stimmen zu gehen“, sagt er. Doch das war lange nicht so. Auch bei sämtlichen Kommunalwahlen wurde ihm jeweils von früheren Arbeitgeber*innen „geraten“, für wen er stimmen sollte.
Dass die Elite kein grosses Geheimnis um solche illegalen Praktiken macht, zeigt der Fall des Lebensmittelkonzerns Colanta. In einem Schreiben an die ganze Belegschaft hat der Leiter des Konzerns die Belegschaft wissen lassen: „Wir leben in komplexen Zeiten, ein entscheidender Präsidentschaftswechsel steht bevor, der ein vorher und nachher in Bezug auf die Freiheit bedeuten könnte, den Weg des Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen fortzusetzen.“ Das Schreiben wurde als Unterstützung für Federico Gutiérrez gewertet und sorgte landesweit für verschiedene Reaktionen aus Politik und Gesellschaft, bevor die Empörung – wie so oft – schnell wieder abklang.
Es handelt sich nicht um Einzelfälle
In der Privatwirtschaft werden die Mitarbeitenden als contratistas angestellt, diese haben befristeten Verträge bis zu einem Jahr. „Wer seinen Job behalten will, wählt den Kandidaten, der von der Firma unterstützt wird“, sagt Perez. Die Praktiken von Colanta seien auf viele Firmen landesweit übertragbar: Vorgesetzte würden das Gespräch mit den contratistas kurz vor Ablauf von deren Verträgen persönlich suchen. Dort werde ihnen dann mitgeteilt, welche politische Kandidatur eine weitere Arbeitsbeschäftigung „gewährleistet“.
Der Skandal um eine ehemalige Kongressabgeordnete, die das Ausmass des Stimmenkaufs und der Korruption in der kolumbianischen Politik in einem Interview mit dem kolumbianischen Magazin Cambio publik machte, zeigt, dass es sich bei Perez’ Schilderungen nicht um Einzelfälle handelt. Die Ex-Geliebte von Alejandro Char beschuldigte diesen, zusammen mit anderen Abgeordneten Teil eines Netzwerks zu sein, dass in der ganzen Küstenregion Stimmen kaufe.
Char, ehemaliger Bürgermeister von Barranquilla, der grössten Stadt an der Karibik-Küste, ist bekennender Uribist und vermutlich eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in dieser Region. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, behauptete die ehemalige Kongressabgeordnete weiter, werden sogenannte „Vermittler“ eingesetzt, die zwischen Politiker*innen und Wähler*innen vermitteln und auch Geld dafür bezahlen. Char war nach Federico Gutiérrez in der Equipo por Colombia der zweite Anwärter auf den Präsidentschaftssitz.
Es fängt schon in der Primarschule an
Im Vorgarten eines Hauses in Armenia, im Departement Quindío, westlich von Bogotá, sitzt die 11-jährige Isabel Reyes* auf einem farbigen Plastikstuhl, während ihr Grossvater eine Cazuela de Mariscos, einen Meeresfrüchte-Eintopf für das Mittagessen zubereitet. Reyes kommt gerade von der Schule, der Rucksack liegt zu ihren Füssen. „Mein Lehrer spricht immer über seine politische Meinung, statt uns etwas beizubringen“, sagt sie, während sie aufsteht, um ihre Katze zu holen.
Mit dem Tier im Arm kommt sie zurück und ist sichtlich genervt: „Ich finde das nicht gut, heute hat er auch wieder mit Uribe angefangen.“ Reyes Lieblingsfach ist „Mathematik und Technologie“, sie will Statistikerin werden – wie ihre Mutter. Wenn der Lehrer über Politik spreche, sagt sie, „werden wir faul und langweilen uns, denn wir sind Kinder und können ja nicht einmal wählen.“
Obwohl solche Szenen in vielen Bereichen des kolumbianischen Lebens stattfinden, sei es schwierig, daran etwas zu ändern, sagt der Barista Rivera. Auch was den Stimmenkauf angehe. „Es handelt es sich zwar um ein offenes Geheimnis, doch was wird dagegen gemacht?“, fragt er. Im Land werden immer Departemente ausgewiesen, bei denen Wahlunregelmässigkeiten beobachtet wurden. Rivera bestätigt: „Untersuchungen werden zwar eingeleitet, aber laufen dann ins Leere.“ Er fühlt sich wie viele andere Kolumbianer*innen schlicht und einfach „verarscht“.
Vor der ersten Wahlrunde am 29. Mai kam Kritik an den demokratischen Grundlagen im Land auf. Doch anstatt internationale Beobachter*innen ins Land zu lassen, wurde den vom Nationalen Wahlrat (CNE) eingeladenen Beobachter*innen Ende Mai die Einreise nach Kolumbien von der kolumbianischen Migrationsbehörde verweigert. Der Nationale Wahlrat (CNE) und die Wahlbehörde (Registraduría) schlossen zudem die Beauftragung eines internationalen Audits der Software aus, die für die Auszählung der Stimmen bei den Wahlen am kommenden Sonntag verwendet werden soll.
„In jeder Familie gibt es eine*n Uribista“
„Gestern bin ich aus dem Familien-Chat ausgetreten“, lacht Andres Perez, der inzwischen wieder mit seinem Handy beschäftigt ist. „In Kolumbien sagt man in jeder Familie gibt es eine*n Uribista, in meiner sind es fünf.“ Er ist erschöpft. Nicht nur im Berufsleben muss er sich immer wieder für seinen Wahlentscheid rechtfertigen. Auch im privaten Umfeld hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Leute aufzuklären, wenn sie „einmal mehr das Gefühl haben, dass es bei einem Wahlsieg Petros zu Enteignungen kommen würde“, so Perez und rollt mit den Augen.
Seiner Meinung nach läuft auf den sozialen Medien politisch so viel, dass das Wesentliche, also das tatsächliche Wahlprogramm der Kandidierenden, entweder ignoriert oder übersehen wird. Rivera bestätigt: „Die Leute verbringen lieber den ganzen Tag auf Instagram und schauen Videos von Hernández, der auf TikTok polarisiert, als die Wahlprogramme zu lesen und zu entscheiden, was das Beste für sie ist.“ Die Ignoranz sei gross, viele seiner Freunde hätten resigniert und würden sich die Mühe nicht mehr machen, weil sie entweder unter dem Druck der Arbeitgeber*innen stehen oder der Politik überdrüssig sind. In jahrelanger Tradition nimmt jeweils nur die Hälfte der 50 Millionen Einwohner*innen an den Präsidentschaftswahlen teil.
In Kolumbien gibt es nicht nur, wie in vielen anderen Ländern, die Wahl zwischen zwei oder mehreren Kandidat*innen. Es gibt zusätzlich eine „weisse Stimme“. Diese kann abgegeben werden, wenn die stimmende Person für keine Kandidat*in wählen, aber trotzdem stimmen möchte.
Die ungültige Stimme ist ein demokratischer Mechanismus, der geschaffen wurde, um schlechte Kandidaturen abzulehnen, und der in Artikel 258 der Verfassung vorgesehen ist. Wenn es bei einer Wahl eine Mehrheit von leeren Stimmen gibt, wird dies so interpretiert, dass das Volk die Kandidaturen abgelehnt hat, die Veranstaltung darf nur einmal wiederholt werden und die angefochtenen Kandidat*innen dürfen nicht erneut kandidieren.
Die leere Stimme gewinnt, wenn die Summe der gültigen Stimmen „eine Mehrheit“ ergibt. In diesem Fall wird die Wahl wiederholt und dieselben Kandidat*innen können nicht mehr kandidieren.
Eigentlich ist laut Verfassung bei einer Stichwahl keine „weisse Stimme“ vorgesehen. Trotzdem kündigte der Wahlleiter Alexander Vega Anfang Juni an, dass sich die Bürger*innen im zweiten Wahlgang zwischen drei Optionen entscheiden könnten: Gustavo Petro, Rodolfo Hernández und die weisse Stimme.
Die Meinungsmaschine greift in Kolumbien in sämtliche Bereiche des Lebens ein, die politische Meinung entscheidet oftmals über Freundschaften und sozialen Stand. Auch wenn die europäische Berichterstattung zu den Wahlen sowie die Diskurse der politischen Klasse in Kolumbien den Schein erwecken, dass es sich um demokratische Wahlen handelt, wirft die Meinungsfreiheit in Kolumbien Fragen auf.
Die traditionellen Parteien verfügen nach wie vor über die Mehrheit im Parlament
Sollte Petro die Präsidentschaftswahlen gewinnen, wäre es das erste Mal in der jüngeren Geschichte Kolumbiens, dass die Linke an die Macht kommt. Was das tatsächliche Regieren betrifft, wird er ohne Kompromisse mit der Opposition im Kongress grundlegende Reformen nicht durchsetzen können. Denn die traditionellen Parteien (Liberale, Konservative, la U, Centro Democrático und Cambio Radical) haben im Parlament nach wie vor die Mehrheit.
Gewinnt Hernández, weiss wohl niemand so genau, was vom Unternehmer zu erwarten ist. Mehrere Abgeordnete der traditionellen Parteien haben jedoch bereits ihre Unterstützung für ihn bekundet – vermutlich aber eher, um einen Sieg Petros zu verhindern als aus Zustimmung für Hernández’ Programm.
Ein grosser Teil der kolumbianischen Bevölkerung will eine Veränderung. Die Unzufriedenheit über die aktuelle Regierung unter Iván Duque und mehr als zwei Jahrzehnte Rechtskonservatismus hat sich 2019 und 2021 in landesweiten Demonstrationen ausgedrückt. Die zunehmende Gewalt im Land sowie die pandemiebedingte Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation für fast die Hälfte aller Kolumbianer*innen sind Gründe dafür.
Unter Anbetracht der fehlenden Garantien für eine unabhängige Stimmabgabe sind die Wahlumfragen mit Vorsicht zu geniessen. Welcher der beiden Kandidaten schliesslich am meisten Stimmen macht, wird sich am Sonntag zeigen. Fest steht nur: Andres Reyes wird nach den Wahlen wohl wieder mehr Zeit seinem Mittagessen widmen, anstatt am Handy seinem Umfeld zu erklären, was Enteignungen bedeuten.
*Name von der Redaktion geändert.
Bei der minderjährigen Person wurde zudem das Einverständnis der Eltern eingeholt.
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