Er sieht aus wie eine Mischung aus Pinocchio und einem TGV auf Redbull: eine langgezogene Nase, ein schneller Rumpf und zwei glänzend weisse Flügel. Die Rede ist vom Boom-Jet, einem neuen Flugzeug, das verspricht, innerhalb von dreieinhalb Stunden von Paris nach New York zu fliegen. Er wird als Nachfolger der Concorde gehandelt und fliegt mit solch hohen Mach-Zahlen, dass sogar Gillette neidisch wird.
Momentan ist er jedoch noch mehr Pinocchio als TGV, mehr Fiktion als Realität. Der Jungfernflug ist im Jahre 2023 geplant. Aber ob die bis anhin eher unbekannte Flugzeugbaufirma Boom ein solches Projekt stemmen kann, bleibt fraglich. Aber selbst als ökologischer Luftfahrtgegner muss man solch technologischen Eifer begrüssen, denn eines ist klar: Die Zukunft des Fliegens hat ganz viel mit der Zukunft unserer Welt zu tun.
Laut WWF Schweiz ist die Schweizer Luftfahrt bereits heute zu über 16 Prozent für den Klimaeffekt unseres Landes verantwortlich. Geht die Entwicklung weiter wie bisher, wird dieser Anteil bis 2020 auf fast 22 Prozent anwachsen. Global betrachtet sieht es sogar noch extremer aus. Prognosen der Europäischen Union gehen davon aus, dass der internationale Flugverkehr bis ins Jahr 2050 ums Siebenfache zunehmen wird; die Emissionen sollen um den Faktor vier ansteigen.
Der erwähnte Klimaeffekt ist ungefähr zur Hälfte dem CO2 aus dem Flugzeugtreibstoff Kerosin zuzuschreiben, die andere Hälfte fällt auf das Konto von Stickoxiden, NOx und den anthropogenen Wolken der Kondensstreifen. Summa summarum sind das hohe Zahlen, und das ist blöd für das Flugzeug, dieses faszinierende Wunder der Technik, das man nicht mehr missen möchte.
Doch die hohen Zahlen haben auch einen entscheidenden Vorteil: Wenn man es schafft, das Fliegen besser, effizienter und sauberer zu machen, dann können wir auf einen Schlag ganz viel erreichen. Blickt man also in die Kristallkugel des Fliegens, kann man viel über unser zukünftiges Klima ableiten. Doch wie sieht sie aus, die Zukunft des Fliegens? Die Politik, die Technologie und das Konsumverhalten — die Heilige Dreifaltigkeit der Gegenwart, sozusagen — liefern drei mögliche Anknüpfungspunkte, um vorauszusagen, ob uns am Horizont grüne Flieger erwarten.
Wieso die Politik das Fliegen nicht begrünen wird
Endlich, hiess es im letzten Jahr. Endlich hat sich die globale Luftfahrtbranche auf ihr erstes Luftfahrt-Klimaabkommen überhaupt geeinigt. 2021 tritt es in Kraft, bis 2026 ist es freiwillig, ab 2027 verpflichtend. Das Problem: Es ist mehr Schein als Sein. Das Abkommen verpflichtet die Fluggesellschaften, die Emissionen ab 2021 auf den Stand des Vorjahres einzufrieren. Alles, was darüber hinausgeht, müssen sie CO2-kompensieren. Somit wird nur das Wachstum kompensiert, nicht aber der Status quo. Das Abkommen wird deshalb als „Kompromiss“ und als „Lizenz für weiteres Wachstum“ bezeichnet.
Dabei liefert die Politik bereits genug Starthilfe für die Luftfahrtbranche, was einer Subvention gleichkommt: Kerosin ist auf den meisten Strecken steuerbefreit, zudem gibt es keine Mehrwertsteuer für internationale Flüge – ein trauriges Produkt des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen Staaten. Nationale Umweltstandards sind sowieso kein Thema, in Deutschland zum Beispiel deswegen, weil die Angst vor einem Zusammenbrechen von Lufthansa und Air Berlin schlicht zu gross ist.
Der Hauptgrund, warum der Flugverkehr weder im Kyotoprotokoll von 1997 noch im Pariser Klimaabkommen von 2015 berücksichtigt wurde, ist ein rein mathematischer: Der Ausstoss von Klimagasen wird territorial, also länderspezifisch, berechnet. Beim Flug- und Schiffsverkehr ist das nicht so einfach, denn welchem Land werden die Emissionen eines Fluges von Berlin nach Athen für eineN Schweizer StaatsbürgerIn angerechnet?
Zu versplittet sind die Interessen aller Beteiligten, zu schwierig die Rechnungen, als dass ein rigoroseres Abkommen zustande kommen könnte — das zeigt auch das Beispiel Schweiz: Hier hat sich erst vor zwei Jahren der Zürcher Kantonsrat gegen eine Einführung einer CO2-Abgabe für Flugpassagiere ausgesprochen. Gefordert war eine Gebühr von mindestens 10 (!) Franken für alle Passagiere, die vom Flughafen Zürich abfliegen. Das Postulat wurde mit 104 gegen 53 Stimmen abgelehnt, unter anderen wegen der „Geiz-Ist-Geil-Befürchtung“, dass sich die Flughäfen München, Stuttgart oder Milano darüber freuen würden. Angesichts der Wichtigkeit des Themas überrascht der fehlende politische Druck. Es scheint, dass man sich lieber mit Kampfjets als mit Passagierflugzeugen beschäftigt. Fliegen ist politisch, ohne selbst Politikum zu sein.
Forscher suchen zwar grüne Flugzeuge, aber die Suche wird dauern
Weil die Politik nicht hilft, Fliegen grüner zu machen, steht die Technologie in der Bringschuld. Nur: Momentan ist keine ausgereifte und erprobte Technologie in Sicht, die die Flugzeugindustrie innert nützlicher Frist revolutionieren könnte. Bei heutigen Flugzeugen versucht man vielmehr, Bestehendes zu optimieren: besseres Design, leichteres Gewicht, effizientere und leisere Motoren.
Der entscheidende nächste Schritt wäre die Elektrifizierung des Flugverkehrs. Auf der Homepage des Wissenschaftsblogs I Fucking Love Science ist Folgendes zu lesen: „That’s zero CO2 and NOx emissions, with energy sourced from power stations that are themselves sustainably fuelled.“ Wichtigster Hindernis auf dem Weg zum E‑Flugi: Die Energiedichte von Batterien, ein Mass, wie viel Energie in Abhängigkeit des Batteriegewichts produziert werden kann. Weil die heutigen Batterien so schwer sind, ist es momentan kaum vorstellbar, dass Langstreckenflugzeuge elektrisch betrieben werden können.
Dazu kommt ein weiteres Problem: die Zeit. Flugzeuge haben eine Lebensdauer von 21 bis 33 Jahren (Schnitt Airbus 25 Jahre), und die Entwicklung eines neuen Modells nimmt mindestens eine Dekade in Anspruch. Das heisst, ein Flugzeug, das heute in Planung ist, bleibt mindestens bis 2050 in Betrieb. Die Postfossilität der Flugzeuge kommt also frühestens in zwei oder drei Dekaden.
In der Zwischenzeit versucht man, Emissionen durch die Verwendung von so genannten Drop-In-Kraftstoffen einzusparen. Das sind Biotreibstoffe, die nicht aus Erdöl gewonnen wurden, und die man als Ersatz, oder zumindest als Zugabe, für Kerosin verwenden kann — ohne den ganzen Motor umbauen zu müssen. Dort sind zwischen 36–85% Emissionseinsparung möglich.
Haupthindernis in der kommerziellen Umsetzung der technologischen Updates ist, wie so oft, der Preis (und die enorme Menge an Drop-In-Kraftstoffen, die gebraucht würde). Glaubt man den Prognosen, dauert es noch ungefähr zehn Jahre, bis Preisparität zwischen Biotreibstoffen und Kerosin erreicht ist. Ein Lösungsvorschlag: Das Klimagewissen der KundInnen soll den neuen, saubereren Kraftstoff bezahlen. Quasi eine Bio-Linie fürs Fliegen. Trotzdem: Dass es in greifbarer Zukunft einen 100%-CO2-freien Flugverkehr gibt, ist höchst zweifelhaft.
Einfach weniger fliegen?
Kann ein Appell an das Gewissen der KonsumentInnen das Fliegen grüner machen? Eher nicht. Obwohl in gewissen Kreisen eine Abkehr vom sinnlosen Ewigkonsum festzustellen ist, kann man sich beim Fliegen nicht darauf verlassen. Pessimistisch ausgedrückt muss man wohl feststellen, dass konsequente Konsumtipps irgendwie nicht ins 21. Jahrhundert passen. Suffizienz zum Trotz, massenfähig ist Verzicht nicht. Der Imperativ „Du sollst nicht fliegen“ greift nicht. Bei einem schlechten Gewissen kauft man sich bei Myclimate frei. Warum das „My“ heisst und nicht „Our“, bleibt ein Rätsel. Als ob sogar das Klima personalisiert werden könnte.
Das Flugzeug ist zudem ein Objekt der Polarisierung. In der Arena des Flugzeugs werden somit auch ausgetragen: First gegen Business, Fenster gegen Gang, Chicken gegen Vegi. Die wahre Polarisierung findet jedoch fernab von Flughäfen statt: Der Kampf zwischen FliegerInnen und NichtfliegerInnen wurde bis anhin äusserst gewaltlos ausgetragen, viel gewaltloser als in den Flugzeugen selber. Dabei spiegelt sich auch hier die globale Realität: Schätzungen zufolge betraten bis anhin nur rund 5% der Weltbevölkerung ein Flugzeug. Das wird nicht so bleiben. Im Gegenteil. Explodierende Bevölkerungszahlen, eine stärkere Globalisierung sowie steigender Wohlstand tragen vielmehr dazu bei, dass das Flugzeug bestimmt nicht an Popularität verliert.
Blickt man in die Zukunft des Fliegens, dann sieht es folglich kaum danach aus, als ob die Politik das Problem ernsthaft anpacken würde, bald unschuldige Alpenluft aus den Abgasrohren unserer Luftflotte strömt oder die KonsumentInnen sich selbst geisseln werden. Vielmehr gleicht die Zukunft der Luftfahrt eher einer Fristerstreckung der Gegenwart als einem Moonshot direkt in die Utopie. Diese lähmende Patt-Situation ist so typisch für die komplexen Probleme unserer Zeit. Friedrich Dürrenmatt hat dies, in einem komplett anderen Zusammenhang, in seiner Rede an Václav Havel 1990 auf den Punkt gebracht: „Wo alle verantwortlich sind, ist niemand verantwortlich.“
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