Atoms for Peace

Ein radi­kaler Ausstieg aus fossilen Ener­gien ist drin­gend nötig. Doch welche Szena­rien sind über­haupt möglich in einer Welt, die fast voll­ständig von fossil betrie­benen Maschinen abhängt? Der Comic „Welt ohne Ende“ geht dieser Frage nach – und gibt aufschluss­reiche, aber auch gefähr­liche Antworten. 
Welche Wege führen aus dem fossilen Chaos? Eine Frage, die der Comic „Welt ohne Ende“ stellt. (Bild: zvg Jan Miotti)

Der Beginn des Comics räumt gleich mit naiven Vorstel­lungen von Energie auf. Eine der Haupt­fi­guren, Chri­stophe Blain, fanta­siert über einen alten Traum der Mensch­heit: „Denk dir ein System mit Lauf­rollen und Schwung­rä­dern, die meine Kraft verviel­fäl­tigen würden“ (Bild 1). Mitt­ler­weile werden viele wissen, dass er nicht zu verwirk­li­chen ist. Trotzdem verführt seine Kraft immer wieder dazu, an ihn zu glauben; den Traum, aus dem Nichts Energie zu schöpfen.

Bild 1: „Denk dir ein System mit Lauf­rollen und Schwung­rä­dern, die meine Kraft verviel­fäl­tigen würden“ (Bild: zvg Jan Miotti)

In diesem Traum steckt eine wort­wört­lich meta­phy­si­sche – also eine über die Gesetze der Physik hinaus­ge­hende – Faszi­na­tion. Beson­ders betö­rend ist solche Ener­gie­er­zeu­gung bei mini­maler Geste: Gott erschafft die Sonne mit einem Wort, Hermine Granger wedelt mit ihrem Zauber­stab und es wird Licht. Die libe­rale Version dieses Traums kommt zwar ohne alther­ge­brachte Glau­bens­sy­steme aus, hält aber am Glauben fest und ersetzt ledig­lich die Akteur*innen. Eine raffi­nierte Tech­no­logie soll es sein, die der Physik ein solch magi­sches Schnipp­chen schlägt, dass die Ener­gie­frage gelöst und der ökolo­gi­sche Kollaps zum Verschwinden gebracht wird. Dumm nur, dass die Physik stur auf ihren Gesetzen beharrt.

Jean-Marc Janco­vici, die andere Haupt­figur des Comics, wider­legt den naiven Tech­ni­kop­ti­mismus Blains, indem er eine unum­gäng­liche Erkenntnis auf den Punkt bringt: „Wenn wir Menschen mehr Energie wollen, als wir aus unserem eigenen Körper hervor­bringen können, sind wir gezwungen, sie der Umwelt zu entziehen.“ Das bedeu­tete in den letzten 150 Jahren – euphe­mi­stisch gesagt –, fossile Ener­gie­träger zu „fördern“. Und das wiederum hat die schon länger bekannte und mitt­ler­weile global spür­bare Folge, Ökosy­steme an den Rand des Kollapses zu bringen.

Kleinbürger*innen und Prometheus

Im Kern dreht sich der Comic „Welt ohne Ende“ (orig. „Le Monde sans fin“) genau um diesen Zusam­men­hang. Der Szena­rist und Zeichner Chri­stophe Blain arbei­tete dafür wie schon bei vorhe­rigen Comics („Quai d’Orsay, In der Küche mit Alain Passard“) mit einer Fach­person zusammen, hier mit dem Klima- und Ener­gie­ex­perten Jean-Marc Janco­vici. Im Oktober 2021 bei Dargaud veröf­fent­licht, liegt bereits seit April 2022 die deut­sche Über­set­zung im Repro­dukt-Verlag vor.

Bild: Wiki­media

Chri­stophe Blain gehört zu den renom­mier­te­sten Zeichner*innen und Szenarist*innen des zeit­ge­nös­si­schen frank­o­bel­gi­schen Comics. Zweimal erhielt er den „Prix du meil­leur album“ in Angoulême, einer der wich­tig­sten Preise der hiesigen Comic­szene: 2002 für seine Aben­teu­er­serie „Isaak der Pirat“ und 2013 für „Quai d’Orsay“, eine histo­ri­sche Graphic Novel über die diplo­ma­ti­schen Akti­vi­täten Frank­reichs rund um den Beginn des Irakkriegs.

Die Figu­ren­kon­stel­la­tion der Story mitsamt einge­schrie­bener Drama­turgie ist gemeinhin bekannt und schnell ausge­macht: Der etwas naive, aber wiss­be­gie­rige Neuling (die Auto­in­sze­nie­rung von Blain) trifft auf eine souverän erklä­rende, allwis­sende Auto­rität (Janco­vici). Der eine fragt, der andere antwortet. Anders als in bishe­rigen Graphic Novels von Blain („Isaak der Pirat“, „Gus“ oder „Sokrates der Halb­hund“) sticht visuell nicht das Gesti­sche hervor – etwas, das Blain beherrscht wie nur wenige andere –, sondern schlicht die Veran­schau­li­chung des Dialogs der beiden. 

Die Figur von Blain lädt das Ziel­pu­blikum ein, sich mit ihr zu iden­ti­fi­zieren; mit ihren Ängsten vor radio­ak­tiver Strah­lung, ihren Freuden an den Bequem­lich­keiten der fossilen Tech­no­logie, ihrer alltäg­li­chen Lange­weile, ihrer Über­for­de­rung, den komplexen Zusam­men­hängen zu folgen oder ihrem Zustand zwischen Wunsch nach Besse­rung und Ohnmacht, etwas zu bessern. Blain ist ein typi­scher Klein­bürger: Ausge­stattet mit genü­gend Wissen und Geld, um sich Dingen jenseits prole­ta­ri­scher Zwänge zu widmen, aber derart uner­reichbar entfernt von den Produk­ti­ons­zen­tren von Wissen und Geld, um stets nur aus einer unter­ge­ord­neten Posi­tion spre­chen zu können.

Janco­vici hingegen ist ein wich­tiger Akteur im Kampf um hege­mo­niale, also gesell­schaft­lich vorherr­schende Deutungen und Antworten auf die ökolo­gi­sche Frage. Wie später noch genauer gezeigt wird, operiert er auf der Schnitt­stelle zwischen einer tech­no­lo­gi­schen Avant­garde und einem ideo­lo­gi­schen Konser­va­tismus, die zusammen schon lange ein mäch­tiges Hege­mo­nie­pro­jekt in diesem Kampf bilden. 

Der renom­mierte Forscher, Unter­neh­mens­be­rater und Haupt­ent­wickler der Berech­nung von CO2-Äqui­va­lenten verkör­pert zunächst den eingangs erwähnten Energie-Traum, der in der bürger­li­chen Welt dem gott­glei­chen Genie zukommt: Janco­vici ist ein Quell uner­schöpf­li­cher Energie, über­legen und unbe­stech­lich, in keinem Beruf tätig, sondern einer Beru­fung verschrieben: der Reduk­tion des mensch­li­chen CO2-Ausstosses. Er ist – ohne Zeichen von Ironie – erleuchtet (Bild 2). 

Bild 2: Janco­vici, der Beru­fung verschrieben und erleuchtet. (Bild: zvg Jan Miotti)

Dass er trotzdem nicht abge­hoben daher­kommt, sondern nahbar, humor­voll, gar sympa­thisch auftreten darf, basiert auf seiner Funk­tion als Vermittler zwischen Zentrum und Peri­pherie. „Janco“, wie er manchmal liebe­voll genannt wird, macht sich die Mühe, den langen Weg ins Klein­bür­gertum zurück­zu­legen, um ‘uns’ seine Erkennt­nisse zu über­bringen: Ein moderner Prometheus.

Ökolo­gi­sches Desaster

Der Autor Blain legt die Ambi­va­lenz dieser Figur nicht so offen, wie er müsste – und könnte. In seinem bedeu­tend­sten Werk „Quai d’Orsay“ setzt er die Ambi­va­lenz des gott­glei­chen fran­zö­si­schen Aussen­mi­ni­sters meister­haft in Szene. In „Welt ohne Ende“ lässt er zumeist kaum Platz für kriti­sche Distanz gegen­über den Argu­menten Janco­vicis. Wie wir später sehen, wird dies zum Problem, sobald Janco­vici seine natur­wis­sen­schaft­li­chen Erklä­rungen gesell­schafts­theo­re­tisch wirksam macht. Abge­sehen davon führt Blain die genre­ei­genen Gestal­tungs­formen gekonnt vor. Weder in doku­men­ta­ri­sche Realität noch in poeti­sche Verklä­rung verbohrt, veran­schau­li­chen oder über­spitzen seine Panels die Ausfüh­rungen Janco­vicis. Das ist nieder­schwellig und infor­mativ, fesselt und macht Spass.

Das einfüh­rende Kapitel ist das stärkste des ganzen Comics. Hier finden sich auch die blei­bend­sten Panels von Blain. Seine zentrale Aussage ist banal und doch beein­druckend: Wir leben in einer durch und durch fossilen Gesell­schaft. Oder histo­risch-mate­ria­li­stisch formu­liert: Die modernen Mani­fe­stie­rungen der gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse – unter anderem eben auch die Heraus­bil­dung des modernen Klein­bür­ger­tums – formten sich entlang des Ener­gie­über­schusses, die die expan­sive Ausbeu­tung fossiler Ener­gie­träger mit sich brachte. 

Über­zeu­gend zeigen die Autoren, wie auch nicht-mate­ri­elle Tätig­keiten von wach­sender mate­ri­eller Produk­tion unter­füt­tert sind. Der Wider­spruch der bürger­li­chen Frei­heit wird inso­fern offen­ge­legt, als dass sie in ihrer histo­ri­schen Entwick­lung bedeutet, von fossil betrie­benen Maschinen abhängig zu sein: Die Ener­gie­frage ist untrennbar verbunden mit Grund­zügen der heutigen Klas­sen­ge­sell­schaft und ‑ideo­logie.

Leicht vorzu­stellen, worauf Janco­vicis Argu­ment mit dieser Prämisse hätte hinaus­laufen können; nämlich eine allge­meine eman­zi­pa­to­ri­sche Bewe­gung der Post­wachs­tums­öko­nomie, die zu Teilen den radi­kalen Rückbau des globalen Maschi­nen­parks sowie eine Umstruk­tu­rie­rung von Produk­tion und Produk­ti­ons­ketten im Sinne einer Suffi­zienz- und Subsi­stenz­wirt­schaft beinhal­tete. Statt aber die eigens ange­ris­sene Klas­sen­frage zu vertiefen, zeigt er auf, was es bedeuten würde, konzen­trierte fossile Energie durch diffuse erneu­er­bare Energie zu ersetzen.

Eindring­lich zerzaust er dabei das konven­tio­nelle, links­li­be­rale Mass­nah­men­paket aus indi­vi­du­ellen Spar­mass­nahmen, einzelnen Verboten und dem Umstieg auf erneu­er­bare (kohlen­stoff­freie) Ener­gien. Jede Form von Ener­gie­er­zeu­gung bringe ab einem gewissen Ausmass Nach­teile mit sich: Der Land- und Ressour­cen­ver­schleiss und die Gefähr­dung der Arten­viel­falt erhöhen sich enorm, sobald neue, riesige Anlagen von Sonnen­kol­lek­toren, Wind­rä­dern oder Stau­seen die Nutzung fossiler Energie auch nur ansatz­weise ersetzen und sie nicht nur wie bis anhin ergänzen sollen (Bild 3).

Bild 3: „Und jetzt kommt, wovon alle spre­chen: erneu­er­bare Ener­gien.“ (Bild: zvg Jan Miotti)

Auch dieses Argu­ment von Janco­vici über­zeugt: Die Nutzung diffuser Ener­gien wie Wind und Sonne ist und wird immer inef­fi­zi­enter und platz­rau­bender sein als die Nutzung der hoch konzen­trierten, fossilen Ener­gie­träger. Beispiels­weise hat Erdöl einen 20-mal höheren ERoEI-Wert (Energy Returned on Energy Inve­sted) als Solar­pa­nels. Verbrau­chen wir weiterhin gleich viel Energie, ist es ironi­scher­weise also gerade der Ausstieg aus den fossilen Ener­gien, der ein ökolo­gi­sches Desa­ster anrichtet. Schliess­lich müssten nicht nur die Kraft­werke, sondern auch prak­tisch alle Maschinen um- bezie­hungs­weise neuge­baut werden. Die Schäden der erneu­er­baren Ener­gie­träger sind so ökolo­gisch schlicht nicht tragbar; es ist eine der Stärken des Comics, die schiere Grös­sen­ord­nung dieser Verhält­nisse scho­nungslos zu illustrieren.

Das Gamm­lige der Socke

Leider blendet der Comic selbst in seinen stärk­sten Argu­menten den zentralen gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hang genauso aus wie die GLP das Graue des grünen Wachstums.

Das liegt unter anderem daran, dass für Janco­vici kollek­tive eman­zi­pa­to­ri­sche Prozesse zum Schei­tern verur­teilt sind, weil sie der ‘mensch­li­chen Natur’ wider­spre­chen. Zur Begrün­dung zaubert er – drama­tur­gisch effekt­voll aufge­baut und unter Beru­fung auf den Neuro­wis­sen­schaftler Séba­stien Bohler – eine anthro­po­lo­gi­sche Konstante herbei: das Striatum (Bild 4). Diese dopa­min­aus­schüt­tende Hirn­re­gion deter­mi­niere ‘den Menschen’. Der Sucht nach Beloh­nung ausge­lie­fert, würden ‘wir’ selbst ange­sichts schwer­ster ökolo­gi­scher Konse­quenzen immer mehr wollen.

Bild 4: „Das Striatum drängt uns, immer mehr zu wollen.“ (Bild: zvg Jan Miotti)

Das ist nichts weiter als eine gamm­lige Socke aus der evolu­ti­ons­psy­cho­lo­gi­schen Schub­lade. Bohlers Meta­pher, das Striatum ‘steure’ den Willen, ist schon in der evolu­ti­ons­psy­cho­lo­gi­schen Forschung stark umstritten; komplett haltlos wird die Begrün­dung aber, wenn aus dem neuro­nalen Prozess ohne Weiteres gesell­schaft­liche Verhält­nisse abge­leitet werden. Der Kniff – also das Gamm­lige der Socke – besteht bekannt­lich darin, syste­ma­tisch ausbeu­te­ri­sche Prak­tiken zu legi­ti­mieren, indem sie auf eine nicht verän­der­bare, univer­sale und somit unschul­dige Natur zurück­ge­führt werden. So lieferte bekannt­lich die (teils miss­bräuch­liche) Deutung von Darwins Evolu­ti­ons­theorie eine will­kom­mene ‘wissen­schaft­liche’ Legi­ti­ma­tion für die impe­rialen Mächte, um ihre globalen Plün­de­rungs­züge voranzutreiben.

Ein weiteres grund­le­gendes Manko in Janco­vicis Argu­men­ta­tion besteht in der Vorstel­lung, es gelte einen sozialen Frieden zu wahren. Zwei­fels­ohne hat die fossil-kapi­ta­li­sti­sche Wirt­schafts­he­ge­monie für gewisse Teile der Gesell­schaft zu Wohl­stand und Inno­va­tion geführt. Sie hat jedoch nie, nicht einmal ansatz­weise, eine Gesell­schaft hervor­ge­bracht, von der gesagt werden kann, sie sei als ganze tatsäch­lich frei oder friedlich. 

Ganz im Gegen­teil gehören Ausbeu­tung und Margi­na­li­sie­rung oder, wenn man das denn so nennen will, soziale ‘Kriege’ seit jeher zu ihr. Poin­tiert genug hat das selbst einer gesagt, der über jeden Verdacht, Sozia­list zu sein, erhaben ist: Warren Buffett, Gross­in­ve­stor und einer der reich­sten Menschen der Welt, erklärte in einem Inter­view mit der New York Times von 2006: „There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.“ 

Norma­ler­weise bekommen wir solchen Zynismus nicht derart offen ins Gesicht geklatscht. Norma­ler­weise bemühen sich Akteur*innen hege­mo­nialer Kräfte darum, ihre ausbeu­te­ri­schen Prak­tiken zu verschleiern, anzu­passen oder zu verschieben. Aber Buffetts Aussage kommt der Realität bestimmt näher als jeder Verweis auf sozialen Frieden. Dieser ist – wie auch die bereits dekon­stru­ierte bürger­liche Frei­heit – ein Mythos. Für Janco­vici aber nicht.

Deshalb kommen für ihn nur zwei Zukunfts­sze­na­rien infrage. Erstens: Wir verbrau­chen weniger Energie, indem wir den globalen Maschi­nen­park redu­zieren. Dieses Szenario kolli­diere mit unserem evolu­tio­nären Drang nach Wachstum. Die Folge wäre eine Zunahme der Konkur­renz um knappe Ressourcen: Lebens­mittel, Wasser, Energie; der intel­li­gente Affe ist halt doch ein Affe. Es folge die soziale Apoka­lypse oder, wie im Comic mehr­fach hinzu­ge­zogen, die Welt von Mad Max: der archai­sche Krieg aller gegen alle.

Also genau jene – durchaus an obige Theorie des Stria­tums anschliess­bare – Dystopie, auf die sich neoli­be­rale oder impe­riale Frie­dens­of­fen­siven gerne berufen, um ihre Machen­schaften zu legi­ti­mieren: Konkur­renz ist natur­ge­geben, es behaupten sich nur die Starken, die folg­lich nichts dafür haben, andere auszu­beuten. Dieses Szenario kommt für Janco­vici aus ethi­schen Bedenken nicht infrage. Deshalb schlägt er als zweite Option vor, den globalen Maschi­nen­park wie gehabt zu unter­halten und damit den Frieden zu sichern. Ermög­li­chen soll das Ganze die Förde­rung eines Ener­gie­trä­gers, der alle Nach­teile der fossilen und der kohlen­stoff­freien Ener­gien aufhebt: Uran.

Die Frage der Atomenergie

Die Autoren betreiben viel Aufwand, um für CO2-neutrale, effi­zi­ente, steu­er­bare, günstige, kleine und vor allem sichere atomare Dampf­kessel zu werben. Und sie tun dies derart vehe­ment, dass man beinahe gewillt ist, den im Gegen­satz zum eingangs erwähnten naiven Traum nunmehr infor­mierten Tech­ni­kop­ti­mismus zu über­lesen: Die Lösung für ein Problem, das aus der Nutzung immer konzen­trier­terer Ener­gie­träger entstand (von Holz zur Kohle, von Kohle zu Erdgas und Erdöl), sei die Nutzung eines noch konzen­trier­teren Ener­gie­trä­gers (von Erdöl zu Uran). Dieser Vorschlag argu­men­tiert offen­sicht­lich am – no pun intended – Kern des Problems vorbei.

Aus der Perspek­tive Janco­vicis hat Atom­kraft klare Vorteile gegen­über fossilen Ener­gie­trä­gern. Nach­voll­ziehbar ist, dass er es als irrsinnig einstuft, aus der Atom­kraft auszu­steigen, nur um gewal­tige Kohle­kraft­werke in Betrieb zu nehmen, wie es Deutsch­land nach Fuku­shima getan hat. Aber Atom­kraft bleibt gefähr­lich, dreckig und teuer. Ausserdem ist sie entgegen den gängigen Loblie­dern weder gefeit vor geopo­li­ti­schen Abhän­gig­keiten noch ist sie unpro­ble­ma­tisch in Bezug auf die benö­tigten Ressourcen. Die globale Konkur­renz um Wissen und Ressourcen verschärft sich zuse­hends; nicht nur, aber auch ange­sichts des Aufstiegs der neuen Atom­mächte China und Indien. Der Uran­abbau verletzt nach­weis­lich Menschen­rechte und die ökolo­gi­schen Grenzen des hohen Bedarfs an Kühl­wasser – das sehen wir bereits im zukünftig ganz normal-heissen Sommer 2022 – sind eng. Davon lesen und sehen wir im Comic aber nichts.

Das gewich­tigste Argu­ment gegen Atom­kraft bleibt bezeich­nen­der­weise genauso unbe­nannt: Von Beginn an ist sie unzer­trenn­lich verbunden mit der mili­tä­ri­schen Nutzung der Spalt­ma­te­ria­lien. Eine atomare Aufrü­stung ging finan­ziell und ideo­lo­gisch immer schon einher mit der als frie­dens­stif­tend geltenden Atom­wirt­schaft; proto­ty­pisch zu hören in der über­ex­plizit frie­dens­för­dernden Rede „Atoms for Peace“ von 1953. Der dama­lige US-Präsi­dent und vorma­lige General der alli­ierten Streit­kräfte Dwight D. Eisen­hower bewarb darin die konstruk­tive Kraft der Atom­energie in Abgren­zung zur destruk­tiven Kraft der Atombombe. 

Gleich­zeitig machte er aber keinen Hehl daraus, die atomare Aufrü­stung der USA in einen impe­rialen Kontext zu stellen. So kam es im Verlauf der 50er- und 60er-Jahre zu einer beispiel­losen Erwei­te­rung des atomaren Waffen­ar­se­nals der USA. Parallel dazu rüstete die späte­stens seit Ende des Zweiten Welt­krieges zur Gross­macht aufge­stie­gene Sowjet­union ihr Atom­waf­fen­ar­senal auf. Das Gleich­ge­wicht des Schreckens brachte die Welt an den Rand eines atomaren Krieges.

Atom­lobby und Militär bilden auch heute noch eine unzer­trenn­liche Inter­es­sens­ge­mein­schaft. Bemer­kens­wer­ter­weise zeigt sich diese auch in Janco­vicis Werde­gang. Seine Ausbil­dungs­stätte, die École poly­tech­nique, ist eine Elite-Hoch­schule, die dem fran­zö­si­schen Vertei­di­gungs­mi­ni­ste­rium unter­steht und deren Ausbil­dungs­pro­gramm zu Teilen mili­tä­risch orga­ni­siert ist: Der Rektor ist ein General, Absolvent*innen haben den Rang von Reserveoffizier*innen, erhalten Sold und tragen Uniform. 

Heute berät Janco­vici Firmen und Staaten, wie der Ausstieg aus den fossilen Ener­gien zu bewerk­stel­ligen sei. Über­deut­lich aus dem Comic heraus­zu­lesen ist, dass Atom­energie ein stra­te­gi­scher Pfeiler ist, um dieses Ziel zu errei­chen. Aus diesen Beob­ach­tungen lässt sich frei­lich kein voll­ständig bela­stender Befund ableiten, Janco­vici als Agitator einer mili­tä­risch unter­füt­terten Atom­lobby zu verstehen. Bedenk­lich ist aber, dass seine Argu­men­ta­tion im Comic kaum einen Grund liefert, sie nicht in einen solch gefähr­li­chen Verschnitt von tech­no­lo­gi­scher Avant­garde – unter anderem neue Atom­re­ak­toren oder auch climate engi­nee­ring – und ideo­lo­gi­schem Konser­va­tismus – unter anderem eben die mili­tä­ri­sche Durch­set­zung natio­naler Inter­essen – einzubetten.

Der affir­ma­tive Blick auf einen atomar betrie­benen Maschi­nen­park bleibt auf dem Auge der mili­tä­ri­schen Inter­essen an der Atom­kraft blind und auf dem Auge der realen Wider­sprüche unserer heutigen kapi­ta­li­sti­schen Klas­sen­ge­sell­schaft minde­stens faul. Lieber diffa­miert der Comic auf plumpe Weise den so wich­tigen Wider­stand gegen die Atom­kraft, wie er beispiels­weise von Ursula und Michael Sladek in Deutsch­land voran­ge­trieben wurde. Auch daran ist abzu­lesen, dass das Welt­bild hier ideo­lo­gisch reibungslos einher­geht mit denje­nigen Hege­mo­nie­pro­jekten, die die ökolo­gi­sche Kata­strophe primär zu verant­worten haben.

Das fried­liche Bild einer leicht entschleu­nigten, CO2-freien, atomar elek­tri­fi­zierten Welt, wie es Janco­vici und Blain entwerfen, muss verworfen werden, weil es sozu­sagen auf der Rück­seite die Ausbeu­tungs- und Zerstö­rungswut einer kapi­ta­li­sti­schen und impe­rialen Welt unge­stört weiter­toben lässt. Nur schon die Statio­nie­rung der russi­schen Artil­lerie nahe den ukrai­ni­schen Atom­kraft­werken zeichnet von diesem Zusam­men­hang ein anderes Bild. Ein Bild, das dem Comic gutgetan hätte.


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