Baby­shower — Wenn zehn Frauen zusammen duschen. Not.

Unsere Autorin sitzt nach­mit­tags in einem Garten. Women only. Grosse Vorfreude, Kinder­kleider und Horror­sze­na­rien von Geburten. Das will man selber nicht erleben! Obwohl… was gibt es rühren­deres als ein Neuge­bo­renes! Aber so ganz ohne Kinder­wunsch fühlt sich unsere Autorin an diesem Nach­mittag nur als halbe Frau. 
Kinderwagen lösen bei unserer Autorin gemischte Gefühle aus. (Foto: Sindre Wimberger)

Ich bin auf eine Baby­shower einge­laden. Women only. Sehr aufre­gend. Es ist fünf­zehn Jahre her, seit ich das letzte Mal auf eine Party einge­laden wurde, wo nur Frauen waren. Im Zug lege ich mir Antworten auf mögliche Fragen zurecht:

  1. Was machst du beruf­lich? — Ich schreibe.
  2. Und wie verdienst du dein Geld? — Mit Schreiben.
  3. Bist du in einer Bezie­hung? — Puh, ja. Obwohl! Ja doch. Hm. Jein. Obwohl. Ach!
  4. Also hast du keinen festen Partner? – Doch, irgendwie schon.
  5. Ihr wohnt nicht zusammen? — Um Himmels Willen, nein! // Besser: Im Moment (noch?!) nicht.
  6. Möch­test du Kinder? — Auf keinen Fall! // Besser: Ich habe einen bezau­bernden Göttibueb!
  7. Aber ein eigenes Kind? — Auf keinen Fall!
  8. Bist du glück­lich? — Ist das die logi­sche Anschluss­frage nach meiner Antwort auf Frage Nr. 7?
  9. Das Schreiben macht dich aber glück­lich? — Warum aber?
  10. Du hast ja mit 30ig noch viel Zeit! — Und wie! Ich habe meine Eier mit 27ig einfrieren lassen.

Als ich auf der Party ankomme, werden Ballone aufge­blasen, Girlanden in die Bäume gehängt und Sekt kalt­ge­stellt. Es gibt keine drei­stöckige Windel­torte, dafür Scho­ko­la­den­ku­chen. Die Freundin, für die wir die Party veran­stalten, weiss von nichts. Darauf freue ich mich, den Moment, wenn sie kommt und wir sie über­ra­schen. Nicht, dass früh­zei­tige Wehen provo­ziert werden. Dann stelle ich mir vor, wie wir das Kind im Garten zur Welt bringen. Die Plazenta würden wir vergraben.

Sie kommt! Zu Tränen gerührt, als ihr die Augen­binde abge­nommen wird. Das ist doch das Schönste, wenn man begreift, dass Freun­dinnen soviel orga­ni­siert haben und niemand etwas verraten hat.

Geschenke! Kinder­kleider. So ein Strampler hat schon was. Finger­lein und Füss­lein eines Neuge­bo­renen sind was vom absolut Irrsten über­haupt, alles ist schon dran.

Jetzt sitzen wir um den hübsch deko­rierten Tisch und snacken Gemü­se­sticks, tunken Cracker in den Humus und trinken Sekt oder Bier. Ich bin damit beschäftig, ständig einen vollen Mund zu haben, aber die einzige Frage, die mir gestellt wurde an diesem Nach­mittag, war Nr. eins. Und auf meine Antwort dann grosse Begei­ste­rung. Ich schäme mich für meine Vorurteile.

Ich fühle mich zwischen den Girlanden und der ganzen Freude nur als halbe Frau. Allein der Gedanke, dass in mir ein Mensch wächst, finde ich creepy, ganz abge­sehen von den Stim­mungen, die bei mir so schon schwanken. Es kommt mir nicht einmal was Schönes in den Sinn, wenn ich an mich mit einem Kind denke. Obwohl. Wenn ich mit einem Kind noch einmal die Welt neu begreifen könnte, das fände ich schön. Ein Laub­blatt! Der erste Schnee! Essig­gurken — yummi! Das muss sich doch wie ein LSD-Trip anfühlen, als kleiner Mensch in der Welt alles zum ersten Mal wahr­zu­nehmen. Aber das kann ich mit meinem Göttibueb genauso machen. Oder ein Kind adop­tieren? Nein, das ist nicht das Gleiche. Nicht ganz eben. Nicht so richtig eben. Das verstehe ich nicht. Warum es denn mein eigen gezeugt und ausge­tra­genes Kind sein muss, damit es die wirk­liche Mutter­liebe ist, die alles in den Schatten stellt, alles rela­ti­viert, mich noch­mals ganz anders werden lässt. Und wenn ich jetzt sage, dass ich das nicht will, was spreche ich mir ab?

Scho­ko­la­den­ku­chen! Davon kann ich kein Stück essen, weil ich direkt an Mutter­ku­chen denke. Die Frau neben mir erzählt gerade, dass ihr Freund sagte: „Seit heute weiss ich, eine Baby­shower bedeutet nicht, dass zehn Frauen zusammen duschen!“ — ich verschlucke mich an einem Grissini.

Und dann geht’s los: Fast jede erzählt von einer schwie­rigen Geburt aus ihrem Umfeld. Nabel­schnur um den Hals. Füsse voraus. Damm­riss. Ohnmacht. Als würde man auf einer Beer­di­gung mit spek­ta­ku­lä­reren Toden auftrumpfen.

Ich werde ganz still. Falle in mich hinein. Mein Unter­leib zieht sich zusammen. Eisprung. Vermut­lich. Was fehlt mir denn, dass ich mich nicht nach einem – also meinem – Kind sehne? Da ist eine Leere und eine beacht­liche Angst. Vor der Verant­wor­tung und vor dem Verlust meiner Auto­nomie, was ich bereits fürchte, wenn ich mich in eine verbind­li­chere Paar­be­zie­hung hinein­gebe. Oder ist es die Erin­ne­rung an eine Abtrei­bung in der Jugend? Das Kind wäre heute acht.  Oder doch die Myome an meiner Gebär­mutter, die man mir raus­nehmen musste? Die Konfron­ta­tion mit meiner Frucht­bar­keit auf einer völlig unro­man­ti­schen Ebene, wo man mir zu meinem Alter gratu­liert, wo medi­zi­nisch noch alles möglich sei.

Natür­lich habe ich ab und an die Phan­tasie, wenn ich einen Mann treffe, den ich gut finde, wie der wohl so als Vater wäre. Aber da geht es mir ja eigent­lich darum, ob ein Mann bei sich ist. Natür­lich schmelze ich beim Anblick von Vätern mit Kindern in den Armen. Das finde ich sogar ausge­spro­chen attraktiv. Apropos: Es hat sich auch schon eine Lieb­schaft von mir verab­schiedet, als er nach der zweiten Nacht fragte, ob ich Kinder will. Und ich nein sagte.

Aber öfters ist es eben doch so, wenn ich einen Kinder­wagen sehe, ärgere ich mich darüber, dass er im Weg steht (auch wenn er von einem attrak­tiven Mann geschoben wird). Wenn ich aber den Kinder­wagen meines Göttibuebs durch die Gegend stosse, platze ich vor Stolz. Schön auch, wenn ich Menschen treffe, die sich dann irri­tiert nach mir umdrehen und sich den Kopf zerbre­chen: Woher hat die Zukker ein Kind? Wer hat ihr das gemacht? Hat sie es entführt? Das geniesse ich ausgesprochen.

Drei kleine Bier später und mit einem Gemü­se­garten im Magen sitze ich im Zug nach Hause. Mir gegen­über ein Mädchen mit ihrem Vater. Sie hält sich einen Kühl­schrank­ma­gnet ans Ohr und spricht eine mir unbe­kannte Sprache. Phan­ta­sie­sprache, lacht mich ihr Vater an. Das Mädchen nimmt den Kühl­schrank­ma­gnet vom Ohr, verdreht die Augen und sagt dann: „Könnt ihr beide sofort still sein? Ich tele­fo­niere gerade mit Amerika.“  Kurz stelle ich mir vor, wie wir zu dritt als Familie aus dem Zug steigen. Aber das ist jetzt viel­leicht auch mein Eisprung in Kombi­na­tion mit dem Bier.


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