CO2 – Ablass­handel unter dem Mantel der Entwicklungspolitik

Mit Holz­ko­chern will die Schweiz in Peru ihre eigenen CO2-Emis­sionen redu­zieren. Solche Öfen kommen in perua­ni­schen Entwick­lungs­pro­jekten schon lange zum Einsatz. Was hat es also zu bedeuten, wenn sie nun von einem privaten Unter­nehmen als Klima­schutz­mass­nahme verkauft werden? 
In Peru werden Kochöfen gebaut – doch die Kosten sind nicht immer die gleichen. (Illustration: Luca Mondgenast)

Eine Frau steht mit ihren zwei Kindern in einer einfa­chen Lehm­hütte. Die Wände sind schwarz vor Russ. Ihr Lächeln in die Kamera wirkt gezwungen. Die Klei­dung der drei ist schmutzig.

Das beschrie­bene Bild zeigt die Armut einer Familie in den perua­ni­schen Hochanden. Hoch­ge­laden ist es auf der Webseite von Tuki Wasi. Das Projekt hat die ehema­lige offene Feuer­stelle, auf der die Familie bis anhin ihre Mahl­zeiten gekocht hatte, durch einen Lehm­ofen ersetzt. Der schon etwas herun­ter­ge­kom­mene Ofen nimmt promi­nent die Hälfte des Fotos ein. Demon­strativ stehen riesige Töpfe darauf.

Tuki Wasi ist eine Koope­ra­tion zwischen dem fran­zö­si­schen Unter­nehmen Microsol und der Schweizer Stif­tung KliK – zwei private Akteure, die im Rahmen des Pariser Klima­ab­kom­mens die CO2-Emis­sionen der Schweiz redu­zieren wollen.

Das Projekt soll einen „Beitrag gegen die globale Erder­wär­mung setzen“, so die Eigen­be­schrei­bung. Bis zu 60’000 Koch­öfen sollen es werden, derzeit sind es 1’000. Finan­ziert durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten.

Es ist ein Pilot­pro­jekt und gleich­zeitig ein wich­tiger Baustein der Schweizer Klima­po­litik. So bizarr es klingen mag: Die Schweiz will bis zu einem Viertel ihrer verspro­chenen CO2-Reduk­tionen im Ausland errei­chen. Seit Oktober 2020 ist das effektiv möglich, weil die Schweiz und Peru damals den welt­weit ersten Vertrag unter­zeich­neten, mit dem obli­ga­to­ri­sche Reduk­tionen im Rahmen des Pariser Abkom­mens ins Ausland verla­gert werden können.

Mitt­ler­weile ist das Projekt ange­laufen: Im November 2021 unter­zeich­nete die Stif­tung KliK den ersten Kauf­ver­trag von CO2-Zerti­fi­katen aus Peru. Das einge­sparte CO2 wird dem Ausstoss von Verbren­nungs­mo­toren in der Schweiz ange­rechnet. „Eine Pioniertat im Klima­schutz“, meinte der Bund in einem Inter­view mit dem Direktor von KliK, Marco Berg. Kritiker:innen monieren dagegen, dass dadurch laufende Entwick­lungs- durch Klima­schutz­pro­jekte ersetzt werden könnten und die Schweiz damit ihren hohen CO2-Ausstoss aufrecht­erhalten kann. Denn wer im Ausland CO2-Emis­sionen redu­ziert, muss weniger im Inland unternehmen.

Von Paris über Bern in die Hochanden

Mit dem Pariser Klima­ab­kommen hat sich die Schweiz im Jahr 2015 dazu verpflichtet, die CO2-Emis­sionen bis 2030 auf die Hälfte derer aus dem Jahr 1990 zu redu­zieren. Laut dem CO2-Über­gangs­ge­setz, das nach dem Nein zur letzten Vorlage im Eiltempo vom Parla­ment beschlossen wurde, darf momentan bis zu einem Viertel dieser Reduk­tionen im Ausland statt­finden. Dies wird unter einer Bedin­gung explizit durch das Pariser Abkommen erlaubt: Um gültig zu sein, muss es sich um Inve­sti­tionen handeln, die sonst nicht getä­tigt worden wären.

Laufende Entwick­lungs­pro­jekte etwa, die den CO2-Ausstoss verrin­gern, darf sich das finan­zie­rende Land nicht anrechnen. Gemessen wird das einge­sparte CO2 in Inter­na­tional Transfer Miti­ga­tion Outcomes (ITMOs), die ähnlich wie CO2-Zerti­fi­kate über Unter­nehmen gehan­delt und den Staaten ange­rechnet werden.

CO2-Zerti­fi­kate bemessen den einge­sparten CO2-Ausstoss verschie­dener Akteure. Der Bund stellt die Zerti­fi­kate an die CO2-redu­zie­renden Akteure aus, die diese verkaufen, um so die Inve­sti­tionen für ihre CO2-Erspar­nisse zu finan­zieren. Gekauft werden sie beispiels­weise von Akteur:innen aus der Mine­ral­öl­branche, die damit den eigenen Ausstoss „kompen­sieren“.

Diese Art der CO2-Kompen­sa­tion gibt es schon seit Jahren, nur durften CO2-Zerti­fi­kate im Ausland bislang nicht auf die Klima­bi­lanz im Sinne des Pariser Abkom­mens ange­rechnet werden. Bereits mit dem auslau­fenden CO2-Gesetz aus dem Jahr 2013 wurden verschie­dene Akteur:innen dazu verpflichtet, ihren CO2-Ausstoss zu kompen­sieren – so etwa die Schweizer Erdöl­ver­ei­ni­gung, heute Avenergy. Mit diesem Ziel grün­dete sie die Stif­tung KliK, die CO2-Zerti­fi­kate im In- und Ausland aufkauft, finan­ziert durch einen Aufschlag von 1,5 Rappen pro Liter Treib­stoff, der verkauft wird.

Wich­tige CO2-Emittent:innen wie die Erdöl­branche pochen darauf, möglichst viele CO2-Zerti­fi­kate im Ausland kaufen zu können. Sie wollen bis zu 90 % ihrer Kompen­sa­tionen im Ausland tätigen, weil dies deut­lich günstiger ist. Im Jahr 2018 unter­stützte ein grosser Teil des Parla­ments die Idee. Wenn auch nicht in dieser Höhe: Das Parla­ment setzte fest, dass ein Viertel der CO2-Reduk­tionen der Schweiz im Ausland statt­finden kann.

Die ehema­lige Bundes­rätin Doris Leuthard begrün­dete den Schritt mit den grös­seren Möglich­keiten, im Ausland CO2 zu redu­zieren: „Wir haben schon sehr vieles gemacht. Wir sind seit zwanzig Jahren Mitglied des Kyoto-Proto­kolls; die meisten Staaten dieser Welt sind das nicht. Deshalb sind sie auch bezüg­lich des Pro-Kopf-Ausstosses wie des globalen Ausstosses von CO2 auf einem ganz anderen Niveau als die Schweiz“, sagte sie, mit Lob für die Schweiz nicht geizend, anläss­lich einer Vernehm­las­sung am 4. Dezember 2018 im Parlament.

Doch das Ganze hat einen Haken. Auf dem Schweizer Terri­to­rium gelangen pro Jahr und Kopf 5.5 Tonnen Klima­gase in die Luft, deut­lich mehr als die 1,36 Tonnen pro Person, die es in Peru sind. Berechnet man zusätz­lich den CO2-Ausstoss eines Landes anhand des eigenen Konsums, so steigt der Schweizer CO2-Ausstoss durch den Import von im Ausland produ­zierten Produkten noch­mals markant – laut Our World in Data im Jahr 2019 um ganze 215,9 Prozent. Zählt man also die Emis­sionen der Import­pro­dukte dazu, dann werden aus den 5,5 Tonnen pro Person 14 Tonnen pro Person, was uns vom Mittel­feld nach oben zu den Grossemittent:innen katapultiert.

Die Schweiz gene­riert also durch ihren Konsum CO2 im Ausland. Dieser Ausstoss wird laut Pariser Abkommen im Entste­hungs­land ange­rechnet und nicht in der Schweiz. Gleich­zeitig kann die Schweiz im Ausland Projekte zur Reduk­tion vom CO2-Ausstoss durch­führen, diese aber im Inland anrechnen. 

Koch­öfen als Gesundheitspolitik

Doch was hat das alles mit der verarmten Familie in den Hochanden und ihrem Ofen zu tun?

In Peru kochten laut der Regie­rung im Jahr 2007 knapp 2,4 Millionen Menschen auf einfa­chen Feuer­stellen. Der Holz­ver­brauch ist durch das offene Feuer beson­ders hoch und aufgrund fehlender Kamine wird die Luft in den Innen­räumen durch die giftigen Verbren­nungs­gase bela­stet und stellt somit ein enormes Gesund­heits­pro­blem für die Bevöl­ke­rung und insbe­son­dere Frauen und Kinder dar, die sich beson­ders oft in der Küche aufhalten.

Dem sind sich auch inter­na­tio­nale Akteur:innen und die perua­ni­sche Regie­rung bewusst. Nachdem ein Bericht der Welt­bank im Jahr 2007 empfahl, die Koch­stellen zu ersetzen, wurde im Jahr 2009 die Kampagne „eine halbe Million verbes­serter Koch­öfen: Für ein Peru ohne Rauch“ von der Regie­rung ins Leben gerufen.

Unter­stützt durch die nieder­län­di­sche und deut­sche Regie­rung stellte der perua­ni­sche Staat bis ins Jahr 2010 mehr als 150’000 Koch­öfen für die betrof­fene Bevöl­ke­rung zur Verfü­gung. Weitere 150’000 wurden damals verspro­chen. Über den Entwick­lungs­fonds des perua­ni­schen Entwick­lungs­mi­ni­ste­riums (FONCODES) wurden über die folgenden Jahre im ganzen Land Koch­öfen gebaut, einmal 700, ein andermal 50’000. Alle paar Monate berichtet die FONCODES über weitere Projekte.

Längst bauen auch inter­na­tio­nale Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen Kochöfen.

Das Geschäft mit dem CO2-Ausstoss

„Gemeinsam“, „inno­vativ“, „ermäch­ti­gend“: So stellt sich das Pariser Unter­nehmen Microsol im Internet vor. In den auf der firmen­ei­genen Webseite einge­bun­denen Videos sind atem­be­rau­bende Land­schaften zu sehen und hippe Musik läuft im Hinter­grund, während der Lösungs­an­satz zur Verbes­se­rung der Lebens­qua­lität der Bevöl­ke­rung erklärt wird. Kurz: Der Markt macht’s.

Im Prinzip macht Microsol aber nichts anderes als Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen und der perua­ni­sche Staat. Es lässt Koch­öfen bauen und betreut die Bevöl­ke­rung bei deren Instand­hal­tung und Benüt­zung. Dabei ist das Unter­nehmen in Provinzen aktiv, in denen auch der Staat Koch­öfen baut. Ein wich­tiger Unter­schied jedoch besteht: Das Unter­nehmen finan­ziert sich über den Verkauf von CO2-Zerti­fi­katen und verdient somit mit dieser vermeint­li­chen Entwick­lungs­hilfe Geld.

Das Perfide: Das Unter­nehmen verkauft sich gegen aussen als eine weitere Hilfs­or­ga­ni­sa­tion. Der Online­auf­tritt wird mit Bildern geschmückt, in denen verschmutzte Gesichter, kleine Kinder in verdreckter Klei­dung und lächelnde Frauen in die Kamera blicken. Hin und wieder ist ein chic geklei­deter Mann zu sehen, der die neuen Koch­öfen ganz profes­sio­nell unter­sucht. Wer ganz nach unten auf der Webseite scrollt, findet ein Banner, das zum Spenden aufruft.

Besucher:innen der Webseite erfahren nicht, dass es sich bei Microsol um eine „Société par actions simpli­fiée“ (kurz S.A.S.) handelt – eine in Frank­reich existie­rende Misch­form zwischen einer Akti­en­ge­sell­schaft und einer GmbH mit mehreren Eigentümer:innen.

Microsol ist das Unter­nehmen, welches die Schweizer CO2-Kompen­sa­tion im Auftrag der Stif­tung KliK umsetzt. Auf die Profit­ori­en­tie­rung ihres Koope­ra­ti­ons­part­ners ange­spro­chen meint Mischa Classen von der Stif­tung KliK: „Wenn Microsol Geld verdient für gute Arbeit und damit weitere Projekte ermög­li­chen kann, ist das nur richtig.“

Eine magere Bilanz

Laut der Info­bro­schüre eines ähnli­chen Projektes von Microsol, bei dem 77’000 Koch­öfen in Koope­ra­tion mit NGOs und der Regio­nal­re­gie­rung gebaut wurden, bekamen 406’000 Menschen verbes­serte Koch­stellen zur Verfü­gung gestellt. Der alljähr­liche CO2-Ausstoss soll dabei um 75’526 Tonnen gesenkt worden sein.

Divi­diert man jedoch diese grossen Zahlen auf die Anzahl der Begün­stigten, so ergibt das gerade einmal 186 kg CO2-Ersparnis pro Kopf. Also weniger als die 201 kg CO2, die MyCli­mate für einen Lini­en­flug von Zürich nach Stutt­gart pro Person berechnet. Zwei Städte, zwischen denen eine Distanz von 200 km liegt, die inner­halb von drei Stunden mit dem Zug zurück­ge­legt werden kann.

Classen von der Stif­tung KliK meint dazu: „Die Berech­nung zeigt eindrück­lich, wie klima­schäd­lich unser Verhalten respek­tive wie aufwendig die Kompen­sa­tion ist.“ Und erläu­tert: „Der Wert von Kochofen­pro­jekten sind insbe­son­dere die Gesund­heits­ef­fekte durch funda­mental verbes­serte Luft­qua­lität in den Häusern und Kochhütten.“

Der „Beitrag gegen die globale Erder­wär­mung“ ist also doch eher Entwick­lungs­po­litik. Dann sollten doch zumin­dest die Ausgaben stimmen. Im Gegen­satz zu den genauen Angaben bezüg­lich der erreichten Personen, des einge­sparten CO2 oder der geschaf­fenen Jobs macht Microsol auf der eigenen Webseite keine Angaben zu den Kosten pro Kochofen.

Die Stif­tung KliK ist trans­pa­renter. In einer Pres­se­mit­tei­lung gibt sie an, in der Pilot­phase des Projektes zwei Millionen Schweizer Franken für 2’000 gebaute Koch­öfen ausgeben zu wollen. Bislang sind rund 1’000 Öfen fertig­ge­stellt worden. Für die Pilot­phase kommt ein Endpreis von 1’000 Franken pro Ofen zustande. Diese hohen Kosten entstünden aufgrund der initialen Entwick­lungs­in­ve­sti­tionen, erklärt Classen: „Microsol hat beispiels­weise eine NGO gegründet, um die vertrag­liche Abwick­lung der Zahlungen mit den inter­me­diären Ofenbauer:innen sauber zu regeln.“ In Zukunft erwarte man deut­lich gerin­gere Kosten pro Ofen.

Doch machen diese hohen Preise über­haupt Sinn? Zum Vergleich: Die perua­ni­sche Regie­rung infor­mierte im Jahr 2017 bei einem eigenen Kochofen­pro­jekt, das 50’000 Koch­öfen finan­zierte, 36’599’980 Soles (umge­rechnet 11,3 Millionen Schweizer Franken) ausge­geben zu haben. Pro Kochofen sind das 732 Soles, also 225 Schweizer Franken. Zum Aufbau der Öfen gehörte auch die tech­ni­sche Unter­stüt­zung für die Instandhaltung.

Laut Classen sei ein Vergleich nicht möglich: „Sie verglei­chen hier unter­schied­liche Sachen“, schreibt er per Mail. „Das Angebot von Tuki Wasi beinhaltet die fort­lau­fende Über­wa­chung und den lang­fri­stigen Unter­halt der Öfen, was zwar die Kosten treibt, aber für einen nach­hal­tigen Werte­wandel in Bezug auf Kochen notwendig ist.“

Doch wieso eine eigene NGO aufge­baut werden musste, erklärt diese Antwort nicht. Viel­leicht hätte auch einfach die perua­ni­sche Regie­rung – viel günstiger – unter­stützt werden können. Aber dann wäre die CO2-Reduk­tion Peru ange­rechnet worden.


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