COP26: Die Zeit der Appelle ist vorbei!

Der Klima­wandel ist längst bekannt, wie man ihn bekämpfen könnte ebenso. Trotzdem passiert nichts. Der Umwelt­hi­sto­riker Milo Probst sieht die einzige Hoff­nung in einer Gegen­macht von unten. 
Es brennt, aber schon seit Langem und die Regierenden haben nichts gemacht. (Foto: Matt Palmer/Unsplash)

Fast sechs Jahre ist es her, seit der fran­zö­si­sche Mini­ster Laurent Fabius mit einem kleinen grünen Hammer den Abschluss des Pariser Klima­ab­kom­mens besie­gelte und der mit Verhandlungsteilnehmer:innen gefüllte Saal in tosenden Applaus ausbrach.

Als Gegen­stimme zu diesen Bildern der hoff­nungs­vollen Über­schwäng­lich­keit bleiben die laut­starken Proteste in den Strassen von Paris: Vor dem Abschluss des Abkom­mens demon­strierten Zehn­tau­sende Menschen trotz Ausnah­me­zu­stand und massiver Polizeipräsenz.

Wurden die Appelle erhöht, kamen die Entscheidungsträger:innen im Dezember 2015 zur Vernunft?

Vom 31. Oktober bis zum 12. November findet die 26. Klima­kon­fe­renz in Glasgow statt. Als Vorbe­rei­tung für die Verhand­lungen veröf­fent­lichte das UNO-Umwelt­pro­gramm ihren Emis­sion Gap Report. Dieser unter­sucht, inwie­fern sich die progno­sti­zierte Emis­si­ons­ent­wick­lung mit dem deckt, was zur Einhal­tung der Klima­ziele erfor­der­lich wäre. Er ermisst sozu­sagen die Kluft zwischen Worten und Taten.

Der Bericht kommt zum unmiss­ver­ständ­li­chen Schluss, dass die Einhal­tung des in Paris verein­barten 1.5°C‑Ziels einen sofor­tigen Rück­gang der Produk­tion fossiler Ener­gien erfordert.

„Seit Beginn der Pandemie haben die G20-Staaten weitere 300 Milli­arden Dollar in fossile Akti­vi­täten inve­stiert, mehr als in erneu­er­bare Energien.“

Tatsäch­lich aber planen alle Staaten zusam­men­ge­nommen bis 2030 mehr als doppelt so viele fossile Ener­gie­träger aus dem Boden zu holen, als für dieses Klima­ziel zulässig wäre. Seit Beginn der Pandemie haben die G20-Staaten weitere 300 Milli­arden Dollar in fossile Akti­vi­täten inve­stiert – mehr als in erneu­er­bare Ener­gien. Von Einsicht ist man an den Schalt­he­beln der Macht also weit entfernt – auch sechs Jahre nach Paris.

Dieser syste­ma­ti­schen Untä­tig­keit zum Trotz besteht ein wich­tiger Teil des Klima­ak­ti­vismus darin, an die Entscheidungsträger:innen zu appel­lieren: Man ruft wissen­schaft­liche Fakten in Erin­ne­rung, appel­liert an den gesunden Menschen­ver­stand der Machtträger:innen. „Die Wahr­heit zu sagen“ war dann auch die Haupt­for­de­rung von Extinc­tion Rebel­lion an die Schweizer Regie­rung, als sie Anfang Oktober in Zürich eine Blockade-Aktion durchführte.

Aber solche Appelle über­sehen die wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Struk­turen, die sich einem klima­po­li­ti­schen Kurs­wechsel hart­näckig entge­gen­stellen. So lassen sie bestehende Macht­un­gleich­ge­wichte unangetastet.

Man weiss längst Bescheid

Eine nüch­terne Analyse der letzten 50 Jahre zeigt: Nicht Unwissen ist die Haupt­ur­sache für klima­po­li­ti­sche Untä­tig­keit. Viel­mehr haben die Staaten und die grossen Konzerne wider besseres Wissen nach Erdöl gebohrt, Kohle ausge­graben und Wälder abge­holzt. Eine jüngst veröf­fent­liche Erfor­schung der Archive des fran­zö­si­schen Erdöl­kon­zerns Total ergab, dass der Konzern bereits 1971 von den Gefahren des Klima­wan­dels wusste.

Der für die Warnung verant­wort­liche Wissen­schaftler progno­sti­zierte damals bis circa 2010 eine CO2-Konzen­tra­tion von 400ppm. Das war erstaun­lich akkurat: Erst­mals wurde am 9. Mai 2013 auf dem Mauna Loa in Hawaii eine solche Kohlen­stoff­di­oxid-Konzen­tra­tion gemessen. Das wahre Problem liegt, man muss es so sagen, nicht im fehlenden Zugang zu Infor­ma­tionen, denn diese lagen ja bekannt­lich vor.

Trotz der ersten Warn­rufe handelte Total nicht. Schlimmer: Als in den 1990er-Jahren erste Klima­schutz­po­li­tiken disku­tiert wurden, sabo­tierte Total solche Mass­nahmen mit verbis­sener Lobby­ar­beit. Heute noch baut der Konzern neue Förder­an­lagen für Erdöl und Gas, obwohl längst klar ist, dass der Gross­teil der fossilen Ener­gie­vor­kommen im Boden bleiben müsste.

Dasselbe gilt für die Regie­rungen: In der Klima­rah­men­kon­ven­tion von 1992 spra­chen 154 Staaten ihre Sorge über die „nach­tei­ligen Auswir­kungen“ des Klima­wan­dels aus. Sie nahmen sich vor, gemeinsam das Klima zu stabi­li­sieren, um eine „gefähr­liche anthro­po­gene Störung des Klima­sy­stems“ zu verhin­dern. Wie es mit guten Absichten nun mal so ist: Sie reichen nicht.

Seit 1992 sind die globalen Emis­sionen um rund 60 % gestiegen. Es wird deut­lich, dass aus den Kennt­nissen über die Gefahren der Klima­krise nicht zwin­gend entschie­denes Handeln wächst. Das Problem sind wirt­schaft­liche und poli­ti­sche Inter­essen, die sich einem wirk­li­chen Klima­schutz entge­gen­stellen. Es geht somit mehr um Geld und Macht, weniger um Unwissen. Entspre­chend müsste die Klima­be­we­gung vor allem eines tun: auf Selbst­er­mäch­ti­gung setzen.

Macht von unten aufbauen

Nur wenn bestehende Kräf­te­ver­hält­nisse verän­dert werden, lässt sich das Schlimmste, der Kollaps des globalen Klimas, verhin­dern. Erst wenn die Zukunft des Planeten nicht mehr nur in den Chef­etagen und Regie­rungen, sondern an den Arbeits­plätzen, Quar­tieren, Schulen, Unis und in WGs wie in Fami­li­en­haus­halten entschieden wird, besteht Hoff­nung auf tatsäch­liche Veränderung.

Dafür muss die Klima­be­we­gung zual­ler­erst Macht von unten aufbauen. Der Macht des Geldes muss ein kollek­tives Vermögen der inter­na­tional vernetzten Vielen entge­gen­ge­halten werden. Obwohl wir als Einzel­per­sonen nur einen geringen Einfluss auf das kollek­tive Zusam­men­leben haben, hängt das Fort­be­stehen dieser Gesell­schafts­form vom Gehorsam und der Mitar­beit von jeder:m Einzelnen von uns ab. Wenn wir uns zusam­mentun und orga­ni­sieren, können wir diese poten­zi­elle Stärke bündeln und kollek­tive Macht aufbauen, wie die Akti­vi­stin Fran­ziska Heinisch in ihrem Buch erläutert.

„Statt die bestehenden Macht­in­stanzen zum Handeln aufzu­for­dern, müsste diese Form des Akti­vismus einen konfron­ta­tiven Ansatz verfolgen.“

Statt die bestehenden Macht­in­stanzen zum Handeln aufzu­for­dern, müsste diese Form des Akti­vismus einen konfron­ta­tiven Ansatz verfolgen. Eine Stra­tegie der Appelle setzt häufig auf Einklang und Harmonie. Sie setzt voraus, dass wir alle im selben Boot sitzen. Dem ist aber nicht so. Während einem Gross­teil der Welt­be­völ­ke­rung schon jetzt das Wasser sprich­wört­lich bis zum Hals steht, schauen die Mäch­tigen weiterhin zu, wie das Boot unter­geht. Zumal schon jetzt klar ist, dass sie es sind, die auf den wenigen luxu­riösen Rettungs­booten Platz finden werden. So bestehen berech­tigte Zweifel, ob jene, die Millionen an der Natur­zer­stö­rung verdienen, recht­zeitig handeln werden.

Die Klima­be­we­gung muss somit nach Stra­te­gien suchen und Taktiken stärken, mit denen bestehende Kräf­te­ver­hält­nisse verän­dert werden können. Dazu gehören zwei­fels­ohne die Fähig­keiten zu streiken und zu blockieren, wie sie in der Klima­be­we­gung oder auch im Femi­ni­sti­schen Streik bereits einge­setzt werden.

Eine Zusam­men­ar­beit zwischen diesen und vielen weiteren Bewe­gungen – etwa der anti­ras­si­sti­schen oder gewerk­schaft­li­chen – ist deshalb uner­läss­lich. Beim Klima­wandel geht es längst nicht mehr nur ums CO2. Es geht um alles – um die Trans­for­ma­tion einer Gesell­schaft, die auf Profit, Ausbeu­tung, Unter­wer­fung, Ausgren­zung und Egoismus getrimmt ist. Eine solche Vernet­zung kann erreicht werden, wenn sich die Klima­be­we­gung als femi­ni­stisch, anti­ras­si­stisch, inter­na­tio­na­li­stisch und kapi­ta­lis­mus­kri­tisch versteht. In den Aktionen von „Ende Gelände“ oder „Sand im Getriebe“ in Deutsch­land – um nur diese Beispiele zu nennen – werden solche Verknüp­fungen seit Längerem hergestellt.

Ganz so einfach sind diese Alli­anzen aber nicht herzu­stellen. Um diesem Plura­lismus der Bewe­gungen und Ansätze einen Schritt näher­zu­kommen, muss die Klima­be­we­gung poli­ti­sche Infra­struk­turen aufbauen und stärken. Es braucht kollek­tive Räume des Austauschs und Kennen­ler­nens: Akti­ons­ko­mi­tees, Diskus­si­ons­zirkel, Kultur­orte, Wohn­pro­jekte, Genos­sen­schaften, Orga­ni­sa­tionen, Parteien, Zeitungs­pro­jekte. Denn Bezie­hungs­aufbau und Bezie­hungs­ar­beit sind Teil jedes poli­ti­schen Aktiv-Seins. Das Private ist auch deshalb poli­tisch, weil es beim poli­ti­schen Handeln darum geht, sich kennen­zu­lernen, vonein­ander zu lernen, sich gegen­seitig zu bestärken, fürein­ander zu sorgen.

Die Ohnmacht durchbrechen

Vieles davon ist bereits da. Die Klima­be­we­gung muss nicht bei null anfangen. Sich nur als Bittsteller:innen an Machthaber:innen zu wenden, ist ernüch­ternd und lässt einen häufig machtlos zurück. Auf Selbst­er­mäch­ti­gung zu setzen kann hingegen dieses Gefühl der Ohnmacht zurück­drängen. Denn gemeinsam zu demon­strieren, blockieren, streiken und disku­tieren, kann und sollte vor allem eines sein: bestär­kend. Wir haben viel zu verlieren, aber auch eine Welt zu gewinnen.

Milo Probst schreibt seine Disser­ta­tion in Geschichte an der Univer­sität Basel und ist Autor des Buchs „Für einen Umwelt­schutz der 99%“.

Am 6. November finden in Zürich und Lausanne Demon­stra­tionen zur COP26 statt, am 7. November zudem ein Forum im Kanzlei Club Zürich.

Ähnliche Artikel