Tödli­ches Insek­ten­gift auf Schweizer Maiskölbchenfeldern?

Vergif­tungs­fälle auf indi­schen Feldern machen gerade Schlag­zeilen — ausge­löst von einem Insek­ten­killer aus der Schweiz. Wir wollten von den Detail­händ­lern wissen, ob das Gift auch für den Anbau der belieb­te­sten Raclette-Beilage verwendet wird. Teil 2 der Maiskölbchen-Recherche. 
Illustration: Jaski (Instagram: @jaski_art)
Illustration: Jaski (Instagram: @jaski_art)

Es ist eines der Fall­bei­spiele der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive: Das Pflan­zen­schutz­mittel Polo wird von der Schweizer Firma Syngenta nach Indien expor­tiert. Dort kam es zu Vergif­tungen: Zwanzig Menschen starben. In der Schweiz selbst ist der Insek­ten­killer seit über 10 Jahren verboten, da der Wirk­stoff Diafenthi­uron schäd­lich ist für Umwelt und Gesund­heit. Der Export des Giftes ist jedoch weiterhin erlaubt. 2017 expor­tierte Syngenta laut der NGO Public Eye 126,5 Tonnen, 75 Tonnen davon nach Indien. Einge­setzt wird Diafenthi­uron im Baum­woll- und Gemü­se­anbau gegen Insektenbefall.

Noch. Denn Mitte Oktober hat der Bundesrat bekannt gegeben, dass die Ausfuhr von Pflan­zen­schutz­mit­teln, die in der Schweiz aufgrund des Gesund­heits- und Umwelt­schutzes nicht zuge­lassen sind, neu regu­liert werden soll. Für fünf beson­ders proble­ma­ti­sche Feld­gifte gilt ab 2021 ein Ausfuhr­verbot. Die neuen Vorschriften sollen laut dem Bundesrat dazu dienen, Ausfuhren von proble­ma­ti­schen Stoffen in „Entwick­lungs- und Schwel­len­länder strenger zu kontrol­lieren“. Zu den vier Pesti­ziden, die ab 2021 gar nicht mehr expor­tiert werden dürfen, zählt auch der Wirk­stoff Diafenthi­uron, der in Indien für trau­rige Schlag­zeilen sorgte.

Das erwartet man nicht: Unsere Raclette-Mais­kölb­chen kommen fast alle aus Indien (Foto: Alex Tiefenbacher)

Da eine unserer belieb­te­sten Raclette-Beilagen, die sauer einge­legten Mais­kölb­chen, zum aller­grössten Teil aus Indien kommen, wollten wir von den Detail­händ­lern Coop, Aldi, Migros und Denner wissen, ob es sein kann, dass auch auf ihren Mais­kölb­chen­felder Diafenthi­uron gespritzt wurde.

Seit Februar ist unsere Redak­torin mit einer tief­grei­fenden Recherche beschäf­tigt. Das Thema: Sauer einge­legte Mais­kölb­chen. Denn an der Raclette-Beilage zeigt sich mehr Global­po­litik, als man meinen würde. Entstanden ist eine drei­tei­lige Serie:

Nur die Migros erwähnt Kontrollen vor Ort

In einer ersten Antwort verneinten dies alle Lebens­mit­tel­ketten deut­lich. Bei der Produk­tion von Mais­kölb­chen im Sorti­ment von Aldi, Coop, Migros und Denner würde kein Diafenthi­uron einge­setzt. Etwas ausführ­li­cher wird allein Denner: Weil das Pestizid in der Schweiz nicht zuge­lassen sei, sei es auch für die Zulie­ferer von Denner nicht zulässig.

Doch wie können sie sich da so sicher sein? Wird das irgendwie über­prüft? Wir fragen noch­mals nach:

Aldi vertraut auf seine Lieferant:innen: „Unsere Mais­kölb­chen werden ausschliess­lich von Kontrakt­farmen ange­baut, die sich exakt an unsere strengen Vorgaben halten müssen. Unser Liefe­rant stellt den Kontrakt­farmen Saatgut und Pflan­zen­schutz­mittel zur Verfü­gung. Damit stellt er nicht nur sicher, dass die rich­tigen Pflan­zen­schutz­mittel zum Einsatz kommen, sondern auch, dass nicht zu viel davon ausge­bracht wird.“

Coop vertraut auf Tests: „Das Produkt wird in Labors über­prüft und die Inhalts­stoffe analysiert.“

Und Denner auf beides: „Wir verfügen über die Bestä­ti­gung des Liefe­ranten, dass im Ursprung (Anm. d. Red.: gemeint ist der Ursprung der Mais­kölb­chen, also auf den Feldern in Indien) dieser Wirk­stoff nicht einge­setzt wird. Zudem ist der Wirk­stoff Diafenthi­uron im regu­lären Pestizid-Scree­ning enthalten. Rück­stände würden bei einer Pestizid-Analyse angezeigt.“

Die Migros ist ausführ­lich: „Die Migros verlangt von ihren Liefe­ranten neben den gesetz­li­chen Anfor­de­rungen auch die SwissGAP- (bzw. GlobalGAP-) sowie die Migros-Vorgaben einzu­halten. Unser Früchte- und Gemü­se­sor­ti­ment wird stich­pro­ben­artig und risi­ko­ba­siert von der Migros wie auch von unseren Liefe­ranten geprüft, um das Einhalten der Vorgaben zu über­prüfen und die Qualität der Produkte sicher­zu­stellen. Zudem werden Kontrollen bei unseren Liefe­ranten und Produ­zenten vor Ort durch­ge­führt. Auch der Mais wurde in diesem Rahmen bereits analy­siert und es wurde kein Diafenthi­uron gefunden.“

Das Control­ling scheint also auf zwei Säulen zu stehen. Erstens auf dem Verspre­chen der Liefe­ranten, dass sie Diafenthi­uron nicht einsetzen und zwei­tens auf Labor­ana­lysen, den soge­nannten Pestizid-Scree­nings. Doch wie seriös ist dieses Zwei-Säulen-Control­ling wirklich?

Die erste Säule, das Verspre­chen der Lieferant:innen, scheint einzig von der Migros ernst­lich über­prüft zu werden. Die Migros führe Stich­proben vor Ort durch, schreibt die Medi­en­stelle. Auf die Frage, wie viele Stich­proben sie im vergan­genen Jahr durch­ge­führt hat, erhalten wir bis Redak­ti­ons­schluss leider keine Antwort mehr.

Coop und Aldi erwähnen keine Kontrollen vor Ort. Und die Migros-Tochter Denner winkt ab: „Was wir können, ist die Liefe­ranten, von denen wir Produkte für unsere Eigen­marken-Artikel beziehen, vertrag­lich verpflichten, die verein­barten Vorgaben einzu­halten“, schreibt die Medi­en­stelle. Aber auch: „Was wir nicht können, ist auf tausenden Bauern­be­trieben rund um den Globus selbst Kontrollen durch­führen.“ Denner spielt den Ball also an die Lieferant:innen weiter.

Gerne hätten wir bei denen ange­klopft, um nach­zu­fragen, wie man die Einhal­tung der vertrag­lich gere­gelten Vorgaben kontrol­liere. Doch Denner gäbe die Kontakt­daten seiner Lieferant:innen „aus wett­be­werbs­tech­ni­schen Gründen grund­sätz­lich nicht bekannt“, so der Discounter.

Coop über­schätzt die Labortests

Können die Labor­tests, also die zweite Säule des Control­lings, diese Kontrolllücken schliessen? Können die Pestizid-Scree­nings an den Produkten fehlende Kontrollen vor Ort wettmachen?

Um das heraus­zu­finden, haben wir noch einmal bei den Detail­händ­lern nach­ge­fragt, was bei so einem Scree­ning genau fest­ge­stellt werden kann. Die Antworten fallen zunächst beru­hi­gend aus: „Es wird fest­ge­stellt, ob die Mais­pflanzen mit dem Stoff in Berüh­rung kamen“, antwortet Coop.

Von Denner erreicht uns eine präzi­sere Antwort: „Ein Pestizid-Scree­ning stellt fest, ob Rück­stände von Pesti­zid­wirk­stoffen auf einem Produkt vorhanden sind. Falls eine Analyse positiv ausfällt, bedeutet das entweder, dass der Wirk­stoff beim Anbau selbst einge­setzt wurde oder durch Verwe­hungen aus angren­zenden Feldern, auf denen der entspre­chende Wirk­stoff einge­setzt wurde, auf das Feld und damit das Produkt gelangt ist.“

Anders als Coop erklärt Denner in seiner Antwort, worum es beim Pestizid-Scree­ning wirk­lich geht: Das Scree­ning dient nämlich in erster Linie der Lebens­mit­tel­si­cher­heit – und kann ledig­lich fest­stellen, ob es auf den Mais­kölb­chen in den Regalen der Super­märkte gefähr­liche Rück­stände des Insek­ten­kil­lers hat.

Um jedoch zu bestä­tigen, dass auf dem indi­schen Feld kein Diafenthi­uron zum Einsatz kam, taugen diese Pestizid-Scree­nings nicht.

Dies bestä­tigt uns auch der Zürcher Kantons­che­miker: „Man kann mit Produkt­kon­trollen nicht nach­weisen, dass ein Wirk­stoff nie einge­setzt worden ist.“ Oft seien die Wirk­stoffe nach einem Einsatz in der Kultur auf den Produkten selbst nicht mehr nach­weisbar – dann nämlich, wenn die vorge­ge­benen Absetz­fri­sten bis zur Ernte einge­halten wurden.

Die Aussage von Coop, dass mit den Labor­tests fest­ge­stellt werde, ob die Mais­pflanzen mit dem Stoff in Berüh­rung kamen, stimmt also nicht. Coop recht­fer­tigt sich auf Anfrage damit, dass bei einer wirk­samen Behand­lung „in der Regel“ Rück­stände gefunden würden.

Totaler Schutz hier, lücken­hafte Sicher­heit dort

Auch wenn es gewisse Mecha­nismen gibt, mit denen die Detail­händler versu­chen, den Einsatz von Pesti­ziden zu kontrol­lieren: Eine Garantie dafür, dass das Gift auf keinem der Felder einge­setzt wurde, auf denen unsere Raclette-Beilagen gewachsen sind, gibt es nicht. Die Feldarbeiter:innen in Indien müssen sich auf ein nur lücken­haft kontrol­liertes Verspre­chen der Lieferant:innen verlassen.

Eine völlig gegen­sätz­liche Situa­tion besteht in den hiesigen Super­märkten: Die Mais­kölb­chen in den Regalen sind frei von giftigen Rück­ständen. Das garan­tieren die aufwän­digen Pestizid-Scree­nings. Sie dienen in erster Linie dem Schutz der Endkonsument:innen.

Dass man sich in Indien dieselbe Sicher­heit wünschen könnte wie hier, das scheint zweit­rangig. Selbst der Kantons­che­miker beendet seine Erklä­rungen darüber, dass die Scree­nings eben gerade nicht nach­weisen können, dass Diafenthi­uron nicht einge­setzt wurde, mit den Worten: „Zur Einhal­tung der lebens­mit­tel­recht­li­chen Vorgaben ist dies aller­dings auch nicht nötig.“

 


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