Peru ist nach Brasilien das lateinamerikanische Land mit den zweitmeisten Corona-Fällen. Insgesamt sind es (Stand 27. Mai) 129’751 bestätigte Infektionen und 3’788 Todesfälle. In den Amazonasgebieten sind die Fallzahlen sehr hoch. Besonders stark von der Pandemie betroffen ist die Stadt Iquitos. Der englische Guardian hat in letzter Zeit immer wieder über die Situation in Peru berichtet. Zum Beispiel hier.
Iquitos liegt mitten im Amazonasgebiet. „Die Stadt ist nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen“, sagt Susanne Birchler. Die 38-jährige Sozialpädagogin aus Einsiedeln ist im Februar in den Dschungel gereist, um in einem Ayahuasca-Retreat in der Nähe von Iquitos zur Ruhe zu kommen, wie sie sagt. Die Unzugänglichkeit macht die Situation in der von Armut geprägten Stadt besonders prekär. Hilfe kommt nur schwer an, das Gesundheitssystem ist unterfinanziert und überlastet.
Peru hat am 16. März strenge Quarantäne-Massnahmen eingeführt. Neben Abstandsregeln gibt es Ausgangssperren, Geschäfte, Restaurants und Hotels wurden geschlossen. „Einkaufen darf man nur montags, mittwochs und freitags. Am Sonntag ist komplette Ausgangssperre“, berichtet Birchler. Zudem dürfe man sich morgens nur bis neun Uhr auf den Strassen aufhalten.
Doch warum steigen die Zahlen trotz der strengen Massnahmen weiter an? „In Iquitos sind die Massnahmen schwierig durchzusetzen – die wenigsten halten sich daran“, sagt Birchler – trotz der Präsenz von Militär und Polizei, welche vor allem am Anfang des Lockdowns systematisch Strassen abgesperrt haben. Die Menschen würden zwar Masken tragen und sich an die Abstandsregeln halten, aber nach wie vor auf die Strassen gehen.
Im Dschungel ist der Kampf gross
Ayahuasca ist ein Pflanzensud mit psychedelischer Wirkung, mit dem der indigene Stamm der Shipibo Rituale zur inneren Heilung durchführt. Diese Rituale ziehen hilfesuchende Menschen aus der ganzen Welt in den Regenwald. Auch die indigenen Shipibo sind auf die Einnahmen aus den Ayahuasca-Retreats angewiesen. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bleibt die Kundschaft weg. Birchler hat seit über einem Jahr Kontakt zu den Shipibo und war im November 2019 bereits im Dschungel – Celia, die Leiterin des kleinen Retreats, und sie sind enge Vertraute geworden. Zur Unterstützung von Celia und ihrer Familie hat Birchler schon mehrmals die über einstündige Fahrt nach Iquitos unternommen, um die Handarbeiten der Shipibo, bestickte Tücher und Schmuck, per Facebook zu verkaufen. Im Retreat gibt es keinen Internetzugang.
Birchler Schlangestehen in der Amazonasstadt Iquitos. (Foto: Susanne Grädel)Wenn Birchler nach Iquitos fährt, erledigt sie auch Einkäufe für die Familie. In den Läden der umliegenden Amazonasdörfer, die meist nur aus etwa acht Häusern und einer Kirche bestehen, sind Lebensmittel rar geworden. Im Dschungel hilft man sich mit ein paar Hühnern, Fischen und Früchten. „Die Menschen im Dschungel können nirgends mehr hin, denn der ganze Verkehr wurde lahmgelegt. Öffentliche Busse fahren nicht mehr“, erzählt Birchler. Zwar bestehe die Möglichkeit, mit einem Mototaxi – einem Motorrad mit Kabine – in die Stadt zu fahren. Aber das können sich nur die wenigsten leisten. Zudem werden die Lebensmittel auch in der Stadt immer teurer. Das Kilo Tomaten koste mittlerweile 20 Soles – fast siebenmal mehr als vor der Krise, so Birchler.
Iquitos hat neben dem Ausbruch des Coronavirus ebenfalls seit mehreren Monaten mit dem Denguefieber zu kämpfen. Da Iquitos zur Zeit von der Aussenwelt abgeschnitten ist, werden neben Lebensmitteln auch die Medikamente knapp. „Man geht hier davon aus, dass nur 30 Prozent der Medikamente bei den Ärzten ankommen“, sagt Birchler. Der Rest werde auf dem Schwarzmarkt teuer verkauft. Auch fehlen Beatmungsgeräte für Covid-19-Patienten, die Krankenhäuser sind überfüllt und über 120 Ärzte und Ärztinnen erkrankten an Covid-19. Drei davon starben an Sauerstoffmangel (Stand 4. Mai 2020). Die Menschen kämpfen jeden Tag ums Überleben – wirtschaftlich und gesundheitlich.
Zur Zeit unseres Gesprächs befindet sich Birchler in Iquitos. Kurz darauf reist sie zurück in den Dschungel. Wie sieht die Situation dort aus? Gibt es auch bei den Shipibo Covid-19-Erkrankungen? Aufgrund von Krankheitssymptomen, die sie und Celias ganze Familie hatten, ist Birchler überzeugt, dass sie alle Covid-19 hatten. „Testen lassen haben wir uns aber nicht.“
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