Die 6 häufig­sten Einwände gegen die soge­nannten Gutmen­schen – und weshalb sie nichts taugen

Man trifft sie an in Kommen­tar­spalten, im persön­li­chen Gespräch und überall in den sozialen Medien: Argu­mente, mit denen die Klima­strei­kenden, die Veganer*innen, die Nichtflieger*innen, ja all diese Gutmen­schen als Heuchler*innen entblösst werden sollen. Hier kommen die sechs häufig­sten dieser Diffa­mie­rungs­ver­suche aus allen ökolo­gisch-mora­li­schen Sparten — und wieso sie nichts taugen. 
Symbolbild (Unsplash)

„Du isst kein Fleisch? Ja aber deine Soja­pro­dukte kommen im Fall auch aus dem Regen­wald!“ oder „Weil die Alter­na­tive nicht makellos ist, bleibe ich bei meinem schäd­li­chen Verhalten“

Der Klas­siker. Du sitzt mit ein paar Leuten am Tisch beim Essen. Dann entbrennt eine Diskus­sion darüber, ob vegane oder vege­ta­ri­sche Ernäh­rung wirk­lich besser, ange­brachter, nötig, gerechter oder was auch immer ist. Es geht um Tier­ethik und den ökolo­gi­schen Fuss­ab­druck. Und zuver­lässig ruft irgend­wann jemand verzwei­felt in den Raum hinein: „Ja aber dein ganzes Soja kommt im Fall auch aus dem Regen­wald!“ Gemeint ist mit dieser Aussage folgendes: Soja sei gar keine gute Alter­na­tive zum ‚Schweizer Steak‘, weil die Rohstoffe für Soja­nug­gets und Co. ja zuerst über den Atlantik zu uns trans­por­tiert werden müssten. Und deshalb könne man auch ohne schlechtes Gewissen weiterhin ein Steak geniessen.

Inhalt­lich ist das eh Blöd­sinn. Auch im Schweizer Fleisch steckt Soja in Form von Tier­mast drin und das Soja in veganen Flei­scher­satz­pro­dukten stammt zu einem grossen Teil nicht „aus dem Regen­wald“. Das Argu­ment wird aber trotzdem immer wieder ange­wandt. Nicht nur, wenn es um Soja geht.

Ein weiterer Klas­siker mit der glei­chen Logik(freien)-Struktur: Weil das Kobalt in den Batte­rien von E‑Autos unter menschen­un­wür­digen Bedin­gungen abge­baut wird, kann man ja auch gleich beim benzin­be­trie­benen Auto bleiben.

Dem liegt ein funda­men­taler Denk­fehler zugrunde. Ein Gedan­ken­ex­pe­ri­ment: Nehmen wir entgegen der Realität an, dass der Verzehr von veganen Flei­scher­satz­pro­dukten aus Soja wirk­lich schlimm wäre, sogar noch ein biss­chen schlimmer als der Fleisch­ver­zehr. Daraus zu schluss­fol­gern, man könne weiterhin unge­niert jeden Tag einen Schwei­ne­braten geniessen, ist unlo­gisch. Denn nur weil eine zweite Vari­ante genauso schäd­lich ist, heisst das doch nicht, dass die erste deshalb ok ist.

Deshalb müssten auf die Aussage „Ja, aber dein Soja kommt im Fall auch aus dem Regen­wald“ hin konse­quen­ter­weise sowohl Soja wie auch Fleisch von der Einkaufs­liste gestri­chen und nicht guten Gewis­sens weiterhin Fleisch konsu­miert werden.

„Du gehst an die Klima­streiks und hast trotzdem ein Smart­phone?“ oder „Weil du selber nicht perfekt bist, sind all deine Forde­rungen illegitim“

Sei es wegen Elek­tro­ge­räten, Shop­ping­wahn oder Flug­zeug­reisen: Den Klima­strei­kenden wird in vielen Diskus­sionen die Legi­ti­mität abge­spro­chen, weil sie selbst ja auch Klima­sünden begingen.

Das Argu­men­ta­ti­ons­mu­ster funk­tio­niert in etwa so: „Die Klima­strei­kenden behaupten, es bräuchte Mass­nahmen zum Schutz des Klimas. Aber gleich­zeitig machen die Strei­kenden x. Auch x bela­stet das Klima. Deshalb sind die Forde­rungen der Strei­kenden nach Klima­schutz­mass­nahmen nicht ernst­zu­nehmen. Und deshalb kann ich weiter­ma­chen wie bis anhin.“

Der Klima­ak­ti­vi­stin Greta Thun­berg wurde bei ihrem Besuch am Welt­wirt­schafts­forum (WEF) gar die Legi­ti­ma­tion, sich kritisch zu äussern, gänz­lich abge­spro­chen, weil sie von Schweden her nicht zu Fuss oder mit dem Fahrrad kam, sondern sich in den Zug setzte.

Aber nicht nur Greta Thun­berg und die Klima­strei­kenden sind Opfer solcher Diffa­mie­rungs­kam­pa­gnen. Allen, die sich mit dem Thema Nach­hal­tig­keit beschäf­tigen, kann man mit diesem Schein­ar­gu­ment den Wind aus den Segeln nehmen. Denn perfekt ist niemand.

Natür­lich ist das absurd. Denn die eigene Imper­fek­tion hat nichts mit der Gültig­keit der Argu­mente zu tun. Auch wenn ich selbst jeden Tag nach London und zurück jetten würde, bliebe die Aussage „Fliegen schadet dem Klima“ absolut korrekt.

Und wenn nur Leute, die gar kein CO2 ausstossen, klima­po­li­ti­sche Forde­rungen stellen dürften, dann darf das niemand mehr. Denn sogar die Produk­tion eines Kaugummis, das Tippen auf einem Taschen­rechner oder unsere Atmung produ­zieren Kohlen­di­oxid. Es gibt nur einen einzigen klimaun­schäd­li­chen Menschen – den toten Menschen. Aber der kann dann halt leider auch nichts mehr fordern.

„Bist du wirk­lich so naiv und glaubst denen? Diese Bio-Labels wollen dir doch nur das Geld aus der Tasche ziehen“ oder „Man kann niemandem vertrauen, deshalb ist es eh egal, was ich mache“

„Bio, Fair­trade, Frei­land… ist doch alles Beschiss. Bist du wirk­lich so doof, dass du denen vertraust? Die wollen doch nur Geld machen.“ So oder ähnlich wurde mir schon öfters der Griff zum unge­la­belten Produkt und meine eigene Naivität gegen­über den Label­pro­dukten erklärt. Die Idee dahinter: Ich bin nicht so doof wie du und lass mich von denen nicht über den Tisch ziehen. Deshalb nehme ich die meist billi­geren, unge­la­belten Produkte.

Natür­lich gibt es Unter­schiede bei den Labels. Aber die Labels werden kontrol­liert und bewertet. Die Ergeb­nisse dieser Bewer­tungen werden zum Beispiel von der Platt­form Labelinfo.ch zusam­men­ge­fasst, welche von der Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tion PUSCH — prak­ti­scher Umwelt­schutz Schweiz betrieben wird.

Klar, auch diese Kontrollen könnten gefälscht, gefakt oder gekauft sein. Abso­lute Sicher­heit ist kaum zu errei­chen – das gilt für viele Ökothemen. Schluss­end­lich braucht es halt doch immer ein biss­chen Vertrauen. Genauso, wie du deiner Ärztin vertraust, dass sie dir das rich­tige Medi­ka­mente gibt, dem Gemü­se­ver­käufer, dass er dir keine giftigen Pilze verkauft und der Auto­fah­rerin auf der Gegen­fahr­bahn, dass sie das Lenkrad nicht rumreisst, wenn du ihr entgegenkommst.

Ausserdem: Statt aufgrund mangelnden Vertrauens einfach gar keine Rück­sicht auf soziale und ökolo­gi­sche Stan­dards zu nehmen, könnten die Skeptiker*innen ja auch etwas Zeit in eigene Recherche inve­stieren. Minde­stens etwas Sicher­heit lässt sich so nämlich schon dazugewinnen.

„Ich kaufe keine CO2-Kompen­sa­tionen, wenn ich fliege. Das ist doch nur Ablass­handel!“ oder „Wenn dein Verhalten die Welt nicht retten kann, lass es lieber gleich ganz bleiben“

Ein moderner Ablass­handel sei das mit diesen CO2-Kompen­sa­tionen, kriegt man oft zu hören, wenn man seine Auto‑, Flug- oder Zugreise mit einer Ausgleichs­zah­lung an Klima­schutz­or­ga­ni­sa­tionen wie etwa mycli­mate kompen­siert. Und tatsäch­lich: Mit solchen Kompen­sa­tionen werden wir das Klima­pro­blem nicht lösen. Denn mycli­mate wird mit dem über­wie­senen Geld zwar Mass­nahmen umsetzen, welche der Atmo­sphäre CO2 entziehen, sprich Bäume pflanzen oder Solar­ko­cher unter die Leute bringen. Aber diese Kompen­sa­ti­ons­mass­nahmen werden nicht zu einer Senkung der Klima­gas­emis­sionen führen, sondern ledig­lich zu einer Stagna­tion, denn gleich­zeitig puste ich ja mit meiner Reise dieselbe Menge CO2 wieder in die Luft. Wenn wir jedoch die Pariser Klima­ziele für das Jahr 2030 errei­chen wollen, dann reicht eine Stagna­tion nicht. Denn für die dort verein­barten Ziele brau­chen wir eine Senkung, und zwar um 50% vergli­chen mit den Emis­sionen, die wir im Jahr 1990 ausge­pu­stet haben. CO2-Kompen­sa­tionen sind aber immerhin eine Möglich­keit, die nega­tiven Auswir­kungen unseres Mobi­li­täts­ver­hal­tens wenig­stens ein biss­chen abzu­fe­dern. Reichen tut das noch lange nicht. Aber es ist besser als nichts. Also auch besser als zu fliegen und keine CO2-Kompen­sa­tionen zu kaufen, nur weil das nicht gleich das ganze Klima­pro­blem löst.

Wer die Kompen­sa­tionen für nicht ausrei­chend hält, hat damit also nicht Unrecht. Diese Einsicht müsste aber konse­quen­ter­weise zu einem Flug­boy­kott führen, nicht zu einem unbe­küm­merten Weiter­fliegen, ohne zu kompensieren.

„Wer fliegen will, soll fliegen, und wer nicht, solls doch einfach lassen!“ oder „Hört doch auf, einander etwas vorschreiben zu wollen“

Das Argu­ment, dass doch jede*r selbst entscheiden dürfe, ist immer wieder in den sozialen Medien zu finden. Es soll doch jede*r für sich entscheiden, ob er oder sie nun fliege, Fleisch esse oder den dick­sten SUV fahren wolle oder nicht. Wer’s halt nicht machen wolle, könne es ja lassen. Aber er oder sie müsse nicht denken, den anderen etwas vorschreiben zu können.

Das Problem bei dieser Argu­men­ta­tion: Wir reden hier nicht über etwas, das nur einen selbst betrifft, sondern von Tätig­keiten, die auf uns alle Auswir­kungen haben. Deshalb ist diese Argu­men­ta­tion in etwa so schlau, wie wenn man denkt, man hätte in einer Bar das Problem mit dem Ziga­ret­ten­rauch gelöst, indem man die Regel aufstellt, dass, wer rauchen wolle, doch einfach rauchen soll, und wer nicht wolle, es doch lassen soll.

„Das Wald­sterben und das Ozon­loch waren am Schluss auch nicht so schlimm. Alles Panik­ma­cherei!“ oder „Weil die Welt bis jetzt noch nie unter­ging, wird das auch so bleiben“

Alles Hysterie. Das Ende der Welt sei schon oft ange­kün­digt worden, einge­treten sei es aber noch nie. Und mit dem Klima­wandel, der Über­nut­zung der natür­li­chen Ressourcen und der sinkenden Biodi­ver­sität sei es heute genau gleich wie damals mit dem Wald­sterben: Am Schluss ist alles halb so schlimm. In etwa so klingt eine weitere Argu­men­ta­ti­ons­schiene, die oft gegen die vermeint­li­chen Gutmen­schen ange­bracht wird.

Der in der NZZ erschie­nene Artikel mit dem Titel „Geht es in der Klima­de­batte wirk­lich nur um Erkenntnis? Bekennt­nisse eines Skep­ti­kers“ ist nur das jüngste Beispiel, das sich dieser Stra­tegie bedient. Der Autor kommt zu folgendem Schluss: „Doch die Apoka­lypse fiel aus […]. Die Schweizer Wälder wuchsen wie nie zuvor; die Ozon­schicht litt dank dem Mont­real-Proto­koll von 1987 unter weniger FCKW […].“ Sprich: Die ganze Hysterie war für nix und wieder nix.

Falsch: Denn das Verbot der FCKW-Kühl­schränke und die neuen Luft­rein­hal­te­ver­ord­nungen zum Schutz der Wälder wären ohne den Druck aus der Gesell­schaft gar nicht entstanden. Anstatt also in Frage zu stellen, dass die Welt tatsäch­lich einige Baustellen hat, würde man sich besser bei denen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass an diesen Baustellen gear­beitet wurde.

Der Kampf gegen die Gutmen­schen: Ein argu­men­ta­tives Desaster

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Betrachtet man die hier aufge­führten Versuche, das Enga­ge­ment der soge­nannten Gutmen­schen in seiner Falsch­heit zu entblössen, fällt auf, dass die Argu­mente nicht wirk­lich aufgehen. Viel­mehr drängt sich der Verdacht auf, dass diese Einwände verzwei­felte Legi­ti­ma­ti­ons­ver­suche für das eigene Verhalten sind. Wir verstehen die vermeint­lich aus Brasi­lien stam­menden Soja­würste als Berech­ti­gung für unseren Fleisch­konsum, die Smart­phones der Klima­strei­kenden als Argu­ment dafür, uns selbst nicht einsetzen zu müssen und behan­deln ein Vertrau­ens­de­fizit als Frei­pass für Apathie.

Eine strin­gente Argu­men­ta­tion sieht anders aus. Es bleibt die Frage, weshalb wir hier in unserem logi­schen Denken so versagen. Dazu mehr im näch­sten Artikel.

 


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