„Du isst kein Fleisch? Ja aber deine Sojaprodukte kommen im Fall auch aus dem Regenwald!“ oder „Weil die Alternative nicht makellos ist, bleibe ich bei meinem schädlichen Verhalten“
Der Klassiker. Du sitzt mit ein paar Leuten am Tisch beim Essen. Dann entbrennt eine Diskussion darüber, ob vegane oder vegetarische Ernährung wirklich besser, angebrachter, nötig, gerechter oder was auch immer ist. Es geht um Tierethik und den ökologischen Fussabdruck. Und zuverlässig ruft irgendwann jemand verzweifelt in den Raum hinein: „Ja aber dein ganzes Soja kommt im Fall auch aus dem Regenwald!“ Gemeint ist mit dieser Aussage folgendes: Soja sei gar keine gute Alternative zum ‚Schweizer Steak‘, weil die Rohstoffe für Sojanuggets und Co. ja zuerst über den Atlantik zu uns transportiert werden müssten. Und deshalb könne man auch ohne schlechtes Gewissen weiterhin ein Steak geniessen.
Inhaltlich ist das eh Blödsinn. Auch im Schweizer Fleisch steckt Soja in Form von Tiermast drin und das Soja in veganen Fleischersatzprodukten stammt zu einem grossen Teil nicht „aus dem Regenwald“. Das Argument wird aber trotzdem immer wieder angewandt. Nicht nur, wenn es um Soja geht.
Ein weiterer Klassiker mit der gleichen Logik(freien)-Struktur: Weil das Kobalt in den Batterien von E‑Autos unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird, kann man ja auch gleich beim benzinbetriebenen Auto bleiben.
Dem liegt ein fundamentaler Denkfehler zugrunde. Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir entgegen der Realität an, dass der Verzehr von veganen Fleischersatzprodukten aus Soja wirklich schlimm wäre, sogar noch ein bisschen schlimmer als der Fleischverzehr. Daraus zu schlussfolgern, man könne weiterhin ungeniert jeden Tag einen Schweinebraten geniessen, ist unlogisch. Denn nur weil eine zweite Variante genauso schädlich ist, heisst das doch nicht, dass die erste deshalb ok ist.
Deshalb müssten auf die Aussage „Ja, aber dein Soja kommt im Fall auch aus dem Regenwald“ hin konsequenterweise sowohl Soja wie auch Fleisch von der Einkaufsliste gestrichen und nicht guten Gewissens weiterhin Fleisch konsumiert werden.
„Du gehst an die Klimastreiks und hast trotzdem ein Smartphone?“ oder „Weil du selber nicht perfekt bist, sind all deine Forderungen illegitim“
Sei es wegen Elektrogeräten, Shoppingwahn oder Flugzeugreisen: Den Klimastreikenden wird in vielen Diskussionen die Legitimität abgesprochen, weil sie selbst ja auch Klimasünden begingen.
Das Argumentationsmuster funktioniert in etwa so: „Die Klimastreikenden behaupten, es bräuchte Massnahmen zum Schutz des Klimas. Aber gleichzeitig machen die Streikenden x. Auch x belastet das Klima. Deshalb sind die Forderungen der Streikenden nach Klimaschutzmassnahmen nicht ernstzunehmen. Und deshalb kann ich weitermachen wie bis anhin.“
Der Klimaaktivistin Greta Thunberg wurde bei ihrem Besuch am Weltwirtschaftsforum (WEF) gar die Legitimation, sich kritisch zu äussern, gänzlich abgesprochen, weil sie von Schweden her nicht zu Fuss oder mit dem Fahrrad kam, sondern sich in den Zug setzte.
Aber nicht nur Greta Thunberg und die Klimastreikenden sind Opfer solcher Diffamierungskampagnen. Allen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, kann man mit diesem Scheinargument den Wind aus den Segeln nehmen. Denn perfekt ist niemand.
Natürlich ist das absurd. Denn die eigene Imperfektion hat nichts mit der Gültigkeit der Argumente zu tun. Auch wenn ich selbst jeden Tag nach London und zurück jetten würde, bliebe die Aussage „Fliegen schadet dem Klima“ absolut korrekt.
Und wenn nur Leute, die gar kein CO2 ausstossen, klimapolitische Forderungen stellen dürften, dann darf das niemand mehr. Denn sogar die Produktion eines Kaugummis, das Tippen auf einem Taschenrechner oder unsere Atmung produzieren Kohlendioxid. Es gibt nur einen einzigen klimaunschädlichen Menschen – den toten Menschen. Aber der kann dann halt leider auch nichts mehr fordern.
„Bist du wirklich so naiv und glaubst denen? Diese Bio-Labels wollen dir doch nur das Geld aus der Tasche ziehen“ oder „Man kann niemandem vertrauen, deshalb ist es eh egal, was ich mache“
„Bio, Fairtrade, Freiland… ist doch alles Beschiss. Bist du wirklich so doof, dass du denen vertraust? Die wollen doch nur Geld machen.“ So oder ähnlich wurde mir schon öfters der Griff zum ungelabelten Produkt und meine eigene Naivität gegenüber den Labelprodukten erklärt. Die Idee dahinter: Ich bin nicht so doof wie du und lass mich von denen nicht über den Tisch ziehen. Deshalb nehme ich die meist billigeren, ungelabelten Produkte.
Natürlich gibt es Unterschiede bei den Labels. Aber die Labels werden kontrolliert und bewertet. Die Ergebnisse dieser Bewertungen werden zum Beispiel von der Plattform Labelinfo.ch zusammengefasst, welche von der Umweltschutzorganisation PUSCH — praktischer Umweltschutz Schweiz betrieben wird.
Klar, auch diese Kontrollen könnten gefälscht, gefakt oder gekauft sein. Absolute Sicherheit ist kaum zu erreichen – das gilt für viele Ökothemen. Schlussendlich braucht es halt doch immer ein bisschen Vertrauen. Genauso, wie du deiner Ärztin vertraust, dass sie dir das richtige Medikamente gibt, dem Gemüseverkäufer, dass er dir keine giftigen Pilze verkauft und der Autofahrerin auf der Gegenfahrbahn, dass sie das Lenkrad nicht rumreisst, wenn du ihr entgegenkommst.
Ausserdem: Statt aufgrund mangelnden Vertrauens einfach gar keine Rücksicht auf soziale und ökologische Standards zu nehmen, könnten die Skeptiker*innen ja auch etwas Zeit in eigene Recherche investieren. Mindestens etwas Sicherheit lässt sich so nämlich schon dazugewinnen.
„Ich kaufe keine CO2-Kompensationen, wenn ich fliege. Das ist doch nur Ablasshandel!“ oder „Wenn dein Verhalten die Welt nicht retten kann, lass es lieber gleich ganz bleiben“
Ein moderner Ablasshandel sei das mit diesen CO2-Kompensationen, kriegt man oft zu hören, wenn man seine Auto‑, Flug- oder Zugreise mit einer Ausgleichszahlung an Klimaschutzorganisationen wie etwa myclimate kompensiert. Und tatsächlich: Mit solchen Kompensationen werden wir das Klimaproblem nicht lösen. Denn myclimate wird mit dem überwiesenen Geld zwar Massnahmen umsetzen, welche der Atmosphäre CO2 entziehen, sprich Bäume pflanzen oder Solarkocher unter die Leute bringen. Aber diese Kompensationsmassnahmen werden nicht zu einer Senkung der Klimagasemissionen führen, sondern lediglich zu einer Stagnation, denn gleichzeitig puste ich ja mit meiner Reise dieselbe Menge CO2 wieder in die Luft. Wenn wir jedoch die Pariser Klimaziele für das Jahr 2030 erreichen wollen, dann reicht eine Stagnation nicht. Denn für die dort vereinbarten Ziele brauchen wir eine Senkung, und zwar um 50% verglichen mit den Emissionen, die wir im Jahr 1990 ausgepustet haben. CO2-Kompensationen sind aber immerhin eine Möglichkeit, die negativen Auswirkungen unseres Mobilitätsverhaltens wenigstens ein bisschen abzufedern. Reichen tut das noch lange nicht. Aber es ist besser als nichts. Also auch besser als zu fliegen und keine CO2-Kompensationen zu kaufen, nur weil das nicht gleich das ganze Klimaproblem löst.
Wer die Kompensationen für nicht ausreichend hält, hat damit also nicht Unrecht. Diese Einsicht müsste aber konsequenterweise zu einem Flugboykott führen, nicht zu einem unbekümmerten Weiterfliegen, ohne zu kompensieren.
„Wer fliegen will, soll fliegen, und wer nicht, solls doch einfach lassen!“ oder „Hört doch auf, einander etwas vorschreiben zu wollen“
Das Argument, dass doch jede*r selbst entscheiden dürfe, ist immer wieder in den sozialen Medien zu finden. Es soll doch jede*r für sich entscheiden, ob er oder sie nun fliege, Fleisch esse oder den dicksten SUV fahren wolle oder nicht. Wer’s halt nicht machen wolle, könne es ja lassen. Aber er oder sie müsse nicht denken, den anderen etwas vorschreiben zu können.
Das Problem bei dieser Argumentation: Wir reden hier nicht über etwas, das nur einen selbst betrifft, sondern von Tätigkeiten, die auf uns alle Auswirkungen haben. Deshalb ist diese Argumentation in etwa so schlau, wie wenn man denkt, man hätte in einer Bar das Problem mit dem Zigarettenrauch gelöst, indem man die Regel aufstellt, dass, wer rauchen wolle, doch einfach rauchen soll, und wer nicht wolle, es doch lassen soll.
„Das Waldsterben und das Ozonloch waren am Schluss auch nicht so schlimm. Alles Panikmacherei!“ oder „Weil die Welt bis jetzt noch nie unterging, wird das auch so bleiben“
Alles Hysterie. Das Ende der Welt sei schon oft angekündigt worden, eingetreten sei es aber noch nie. Und mit dem Klimawandel, der Übernutzung der natürlichen Ressourcen und der sinkenden Biodiversität sei es heute genau gleich wie damals mit dem Waldsterben: Am Schluss ist alles halb so schlimm. In etwa so klingt eine weitere Argumentationsschiene, die oft gegen die vermeintlichen Gutmenschen angebracht wird.
Der in der NZZ erschienene Artikel mit dem Titel „Geht es in der Klimadebatte wirklich nur um Erkenntnis? Bekenntnisse eines Skeptikers“ ist nur das jüngste Beispiel, das sich dieser Strategie bedient. Der Autor kommt zu folgendem Schluss: „Doch die Apokalypse fiel aus […]. Die Schweizer Wälder wuchsen wie nie zuvor; die Ozonschicht litt dank dem Montreal-Protokoll von 1987 unter weniger FCKW […].“ Sprich: Die ganze Hysterie war für nix und wieder nix.
Falsch: Denn das Verbot der FCKW-Kühlschränke und die neuen Luftreinhalteverordnungen zum Schutz der Wälder wären ohne den Druck aus der Gesellschaft gar nicht entstanden. Anstatt also in Frage zu stellen, dass die Welt tatsächlich einige Baustellen hat, würde man sich besser bei denen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass an diesen Baustellen gearbeitet wurde.
Der Kampf gegen die Gutmenschen: Ein argumentatives Desaster
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Betrachtet man die hier aufgeführten Versuche, das Engagement der sogenannten Gutmenschen in seiner Falschheit zu entblössen, fällt auf, dass die Argumente nicht wirklich aufgehen. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass diese Einwände verzweifelte Legitimationsversuche für das eigene Verhalten sind. Wir verstehen die vermeintlich aus Brasilien stammenden Sojawürste als Berechtigung für unseren Fleischkonsum, die Smartphones der Klimastreikenden als Argument dafür, uns selbst nicht einsetzen zu müssen und behandeln ein Vertrauensdefizit als Freipass für Apathie.
Eine stringente Argumentation sieht anders aus. Es bleibt die Frage, weshalb wir hier in unserem logischen Denken so versagen. Dazu mehr im nächsten Artikel.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 24 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1508 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 840 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 408 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?