Die Antifa im Herbst

Julia von Heinz wirbelt in ihrem Film „Und morgen die ganze Welt“ linke Protest­ge­schichte durch­ein­ander. Ein bunter Bilder­reigen mit einigen Ecken und Kanten und einem erstaun­lich stim­migen Lächeln zum Schluss. 
Am Set von Und morgen die ganze Welt. (Foto: Oliver Wolff)

Eine junge Frau unter einer Auto­bahn­brücke in einer herbst­li­chen Vorstadt­land­schaft. Sie hat es eilig, sie rennt, sie stol­pert, fühlt sich offen­sicht­lich verfolgt. In den Händen hält sie ein grosses Jagd­ge­wehr. Noch einmal sieht sie sich um, die Kamera mit ihr, immer nahe dran, immer atemlos und verwackelt. Dann packt sie das Gewehr am Lauf und wirft es in einer fast verzwei­felten Geste ins vertrock­nete Schilf am Rand eines Ackers.

Die Szene steht isoliert am Anfang von Und morgen die ganze Welt, dem neuen Film von Julia von Heinz, mit dem sie gerade ins Rennen um den Ausland­s­oscar geschickt wurde. Was wir sehen, ist der Schluss: die junge Frau auf dem Höhe­punkt ihrer poli­ti­schen Radi­ka­li­sie­rung, kurz vor dem Einsatz ulti­ma­tiver Gewalt.

Dazu wird ein Artikel aus dem deut­schen Grund­ge­setz einge­blendet: „Die BRD ist ein demo­kra­ti­scher und sozialer Bundes­staat. Gegen jeden, der es unter­nimmt, diese Ordnung zu besei­tigen, haben alle Deut­schen das Recht zum Wider­stand.“ Damit ist die Spur gelegt. Es geht um Radi­ka­li­sie­rung bis zum Äusser­sten und um die Frage nach legi­timem Wider­stand: Wer darf Wider­stand leisten? Was sind die ange­mes­senen Mittel?

Nach dem Auftakt springt der Film in der Zeit zurück und zeigt die junge Frau (Mala Emde) zu Beginn ihrer Poli­ti­sie­rung. Luisa heisst sie. Wir befinden uns mit ihr in der Gegen­wart von 2019. Sie ist Jura­stu­dentin aus Mann­heim und wird von ihrer Freundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) in die örtliche Antifa-Szene einge­führt. Batte bewohnt mit anderen Aktivist*innen das besetzte Haus p81. An ihrer Seite stehen der Polit-Macker Alfa (Noah Saavedra) und sein sensi­bler Side­kick Lenor (Tonio Schneider), die sich als Führungsduo der anson­sten eher anar­chisch aufge­stellten Kommune geben.

Der nie um einen sexi­sti­schen Spruch verle­gene Alfa treibt die Hand­lung voran und treibt die anderen Figuren durch das Kommu­n­en­leben. Es wird gemeinsam gekocht, gesungen und vor allem: für den Kampf trai­niert. „Entweder mitma­chen oder abhauen. Zugucken ist nicht“, haut er Luisa an, die zuerst faszi­niert daneben steht und sich dann fallen lässt. Sie geht mit den anderen contai­nern, sie übt sich im Kick­boxen. Und sie hilft schliess­lich bei der grossen Demo gegen eine unschwer als AFD-Verschnitt erkenn­bare Rechts­partei aus.

Auf der Demo schafft sie es, einem der Secu­ri­ties das Handy zu klauen. Der Grup­pen­tech­niker Lenor knackt den Code und kommt an geheime Versamm­lungs­daten einer rechten Burschen­schaft. Als die Gruppe loszieht, um die Nazis zu stören, ist es wieder Alfa, der mehr will, mehr Gewalt. Luisa unter­stützt ihn. Es kommt zur Prügelei mit Verletzten auf beiden Seiten.

Die Gruppe macht trotzdem weiter, findet ein Mate­ri­al­lager der Rechten und stösst dabei auf Spreng­stoff. Offen­sicht­lich war ein Anschlag geplant. Batte und Lenor wollen zur Polizei gehen und das Ganze anzeigen, Luisa und Alfa wollen den Spreng­stoff klauen und auf eigene Faust vernichten.

Recht auf Widerstand

Die Ereig­nisse über­schlagen sich, als klar wird, dass die Bomben den Rechten von der Polizei unter­ge­schoben wurden. Jetzt ist die Polizei auf einmal hinter den Antifas her, die mit ille­galem Spreng­stoff im Gepäck als Terro­ri­sten gelten.

Was tun? Aufgeben oder den letzten Schritt auch noch gehen? Mit der Waffe kämpfen, so wie wir Luisa gleich am Anfang gesehen haben? Oder mit Papas Anwalt zurück in die Bürger­lich­keit, wie es der Super­an­führer Alfa am Ende klein­laut und einge­schüch­tert machen wird?

Und morgen die ganze Welt erzählt den Weg in die poli­ti­sche Gewalt als unwi­der­steh­liche Abwärts­spi­rale, die alles und alle mitreisst. Die Figuren stol­pern fast wie in einem Noir-Krimi in ihr Verhängnis. Das Dumme ist nur, dass sie bei all dem span­nenden Furor auch noch ständig über Politik reden müssen. Immer wenn die Gewalt­frage disku­tiert wird, sinkt das Niveau der Dialoge auf Ober­fläch­lich­keiten à la: Wir hatten zu einfache Antworten auf komplexe Probleme.

Das ist ärger­lich, aber es ist nicht das eigent­liche Problem von Und morgen die ganze Welt. Die aktive poli­ti­sche Gewalt wird nur an der Ober­fläche disku­tiert, weil es nur scheinbar um sie geht. Tatsäch­lich liegt das wahre Gewalt­ver­hältnis inner­halb der Gruppe – exem­pla­risch in der Bezie­hung zwischen Luisa und Alfa – im Geschlechterverhältnis.

Wie revo­lu­tionär auch immer die Haupt­fi­guren ihren Kampf arti­ku­lieren, sie verstricken sich dabei in film­äs­the­tisch gera­dezu archai­sche Bezie­hungs­ki­sten, in denen mit passiv-aggres­siver Gewalt Verliebte verführt werden und Machos andere ausbeuten und miss­brau­chen. „Stimmt es, dass du mit allen bei p81 schon mal was hattest?“, fragt Luisa Alfa. Der muss zur Antwort nur zufrieden die Augen­braue heben: So ist er halt. Luisa akzeptiert’s.

Und so liegt das eigent­liche Poten­zial des Films auch in der Möglich­keit einer Selbst­kritik der akti­vi­sti­schen Linken: Werden wir den eigenen Ansprü­chen über­haupt gerecht? Fallen wir nicht immer wieder in genau die konser­va­tiven Rollen­mu­ster zurück, die wir eigent­lich kritisieren?

Leider verpufft dieses Poten­zial sofort, wenn man wieder auf das grosse Ganze schaut, auf einen Film nämlich, der in sich über­la­gernden Bild- und Text­zi­taten von legi­timem Wider­stand in einer zuneh­mend nach rechts drif­tenden Gesell­schaft erzählt. Schon während der ersten Vier­tel­stunde stellt sich das Gefühl ein, dass Julia von Heinz Über­blick und Kontrolle über die vielen anzi­tierten Wider­stands­er­zäh­lung verliert. Zuerst die Anfangs­szene, die mit der bewaff­neten jungen Frau vor Herbst­land­schaft unmiss­ver­ständ­lich die RAF heraufbeschwört.

Wer hat das Recht auf Wider­stand? Die Frage wird aktiv gestellt, dann aber so unprä­zise beant­wortet, dass die Kate­go­rien und beson­ders die Zeit­ebenen verschwimmen.

So ist das Thema Sexismus in der linken Bewe­gung auch heute noch aktuell. Eine Figur wie Alfa aber, die mit ihrem schnodd­rigen Gelaber eher in die Neun­ziger – und damit in die Jugend der Regis­seurin – passt, hat zum besseren Verständnis nichts beizu­tragen. Heute wird in Antifa-Kommunen so nicht mehr geredet. Es herr­schen andere Kommu­ni­ka­ti­ons­codes, in denen sich auch verbale sexi­sti­sche Gewalt anders äussert.

Zeit­reise

Gleich­zeitig führt der gele­gent­lich aufflackernde RAF-Kontext voll­kommen in die Irre. Die Antifa hat sich immer wieder vehe­ment gegen links­ra­di­kalen Kader-Terro­rismus gestellt. RAF bedeutet stali­ni­sti­schen Gehorsam. Das ist nichts für egali­täre und anar­chi­sche Antifaschist*innen.

Wo, oder besser: Wann befinden wir uns also? Die Frage ist nicht trivial. Denn der unsau­bere Umgang mit grund­ver­schie­denen Wider­stands­er­zäh­lungen führt den Film direkt in das bekannte rechte Narrativ: Links- und rechts­ra­dikal sind im Grunde dasselbe. Oder, um es in Trumps Worten zu sagen: „There were very fine people on both sides.“

Beim letzten Schar­mützel zwischen Polizei und Aktivist*innen sind die poli­ti­schen Ziele und die Unter­schiede zwischen den Wider­stands­mo­ti­va­tionen dann auch so weit verwischt, dass die Riot Cops nur noch einer amor­phen Masse gewalt­be­reiter junger Menschen gegenüberstehen.

Und ausge­rechnet jetzt wird noch einmal das Grund­ge­setz zitiert: Es gibt ein Recht auf Wider­stand gegen jeden Versuch, die grund­ge­setz­liche Ordnung auszu­he­beln. Was sonst sollte man denken, als dass hier die Polizei Wider­stand leistet gegen einen poli­ti­schen Akti­vismus, der kaum der Gewalt abschwören will oder kann? Womit die Antifa aber in genau der Ecke landet, in der sie die soge­nannte Neue Rechte gerne hätte: Krawallmacher*innen auf dem Weg in den Terrorismus.

Es ist kaum anzu­nehmen, dass Julia von Heinz auf dieses Ergebnis hinaus­wollte. Dafür zeigt sie zu viel Sympa­thie für ihre Figuren. Es passiert ihr aber, weil sie es nicht schafft, die hand­lungs­be­stim­menden Bezie­hungs­ge­flechte in Politik aufzulösen.

Damit bleibt die mögliche Kritik am Sexismus inner­halb der linken Szene eine Kritik am Fehl­ver­halten Einzelner, während die grosse Politik in Bezie­hungs­ge­plänkel verschwimmt, womit ihr jede diskur­sive Legi­ti­ma­tion genommen wird.

Trotzdem wäre es falsch, den Film darauf zu redu­zieren. Denn auf einer bestimmten Ebene funk­tio­niert er gerade in den Momenten, in denen er schei­tert. Er funk­tio­niert, weil er die inhä­rente Selbst­kritik der Linken auch dann nicht versteckt, wenn sie offen­sicht­lich proble­ma­tisch wird. Im Gegen­teil, er trägt sie stolz vor sich her.

Und das in einer Zeit, in welcher das zweit­wich­tigste Propaganda­­narrativ der Rechten lautet, links der Mitte lauere eine selbst­zu­frie­dene Meinungs­dik­tatur. Und morgen die ganze Welt hat für diesen Blöd­sinn nicht mehr übrig als Luisas plötz­li­ches und wunderbar tief­sin­niges Lächeln kurz vor den Credits, das zu sagen scheint: „Versucht, das hier erst mal nachzumachen!“

 

 


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