Nachhaltigkeit ist schon lange in der Fashion-Branche angekommen. Zumindest als Marketingstrategie. Grosse Modeketten haben schon vor Jahren ‚nachhaltige‘ Kollektionen auf den Markt gebracht. Extra grün, extra teuer, extra exklusiv. Doch ist auch grün drin, wo grün draufsteht? Nicht immer.
Das merkte auch eine H&M‑Kundin, die sich 2011 ein T‑Shirt und ein Jäckchen aus der Organic-Serie kaufte. Zu Hause stellte sie fest, dass beide Kleidungsstücke nur 50 Prozent Bio-Baumwolle enthielten. Sie fragte also bei H&M nach, wieso gewisse Kleidungsstücke aus ihrer Conscious-Linie nur aus 50 Prozent Bio-Baumwolle bestünden. Das Lamm publizierte damals die Frage inklusive der Antwort von H&M. Darin erwähnte H&M unter anderem, dass man sich das Ziel gesetzt habe, „bis 2020 nur noch Baumwolle aus nachhaltigerem Anbau zu verwenden“. Da wir mittlerweile im besagten Jahr angekommen sind, haben wir nochmal nachgefragt, wie es um das Versprechen steht.
Lieber H&M
Vor acht Jahren hat eine Kundin euch eine E‑Mail geschrieben und nachgefragt, wieso bei der H&M‑Conscious-Kollektion einige Kleidungsstücke nur aus 50 Prozent Bio-Baumwolle bestehen statt aus 100 Prozent. Die Frage (zusammen mit eurer Antwort) erschien in einem Artikel bei „das Lamm“. Ihr habt in der Antwort erwähnt, dass es euer Ziel sei, „bis 2020 nur noch Baumwolle aus nachhaltigerem Anbau zu verwenden“.
Als ich heute im H&M nach den Bio-Kleidern fragte, sagte mir eine Mitarbeiterin genau dasselbe. Bis 2020 würden alle Materialien nachhaltig sein, darum seien die Bio-Kleider mit ihren grünen Etiketten jetzt schon im ganzen Laden verstreut. Ich ging also auf die Suche nach den grünen Etiketten und fand vergleichsweise wenige. Zudem variierte der Anteil der in den Bio-Kleidern enthaltenen Bio-Baumwolle immer noch zwischen 51%, 95% und 100%. In der neusten Kollektion fand ich leider gar keine grünen Etiketten.
Wie wollt ihr euer Versprechen umsetzen?
Freundliche Grüsse
H&M hat sich mit dem Beantworten unserer Frage Zeit gelassen. Nach zwei unbeantworteten E‑Mails versuchten wir es gar mit einer öffentlichen Anfrage auf Facebook – aber nichts.
Das Lamm hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als nach über sechs Wochen doch noch eine Antwort eintrudelte.
Liebes Lamm
Es freut uns sehr, dass Sie sich für H&M und die eingesetzten Materialien interessieren und ich hoffe, ich kann Ihnen mit meiner untenstehenden Antwort weiterhelfen.
H&M bietet Mode und Qualität zum besten Preis auf nachhaltige Weise – und Verantwortung für unsere Handlungen zu übernehmen, welche den Umgang mit Menschen und Umwelt beeinflussen, ist entscheidend für den langfristigen Erfolg von H&M. Denn die Modeindustrie muss umdenken und die Zukunft von Mode neu gestalten – und unsere Vision ist, den Wandel zu zirkulärer und erneuerbarer Mode anzuführen. Seit mehreren Jahren investiert H&M daher in sogenannte Closed-Loop-Technologien, die es erlauben, neue Kleidungsstücke aus recycelten Stoffen zu produzieren, wodurch nicht nur die Nutzung der natürlichen Ressourcen begrenzt wird, sondern auch der Abfall minimiert werden kann.
Für eine nachhaltige Zukunft der Mode hat die H&M‑Gruppe sich folgende drei Meilensteine gesetzt:
- Bis 2020 möchte die H&M‑Gruppe ausschliesslich 100% nachhaltige Baumwolle verwenden
- Bis 2030 möchte die H&M‑Gruppe zu 100% recycelte oder anderweitig nachhaltige Materialien einsetzen
- Bis 2040 möchte H&M eine klimapositive Wertschöpfungskette schaffen
In Ihrer Frage beziehen Sie sich hauptsächlich auf die Nutzung nachhaltiger Baumwolle. Zum heutigen Tage sind bereits 95% der Baumwolle, die die H&M‑Gruppe bezieht, recycelt (0.3%), organisch (14.6%) oder durch die Better Cotton Initiative gewonnen (79.9%). Dies bedeutet, dass wir unserem Ziel, bis 2020 ausschliesslich 100% nachhaltige Baumwolle zu verwenden, sehr nahe kommen. Das Label MONKI beispielsweise bezieht bereits seit Herbst 2018 ausschliesslich nachhaltige Baumwolle, 2020 wird dies für alle Brands der H&M‑Gruppe Wirklichkeit.
Gemäss der globalen Non-Profit-Organisation Textile Exchange ist die H&M‑Gruppe weltweit der grösste Abnehmer nachhaltiger Baumwolle und der zweitgrösste Nutzer recycelter und organischer Baumwolle.
Freundliche Grüsse
95 Prozent haben sie schon geschafft, das klingt doch schon mal gut – H&M hat ja noch ein paar Monate Zeit für die letzten fünf Prozent. Versprechen gehalten, könnte man meinen. Falsch. Denn was H&M als nachhaltig bezeichnet, ist es nicht.
Denn recycelte und organische Baumwolle macht mit 15 Prozent nur einen läppischen Bruchteil aus. Den Löwenanteil stemmt mit einem Anteil von fast 80 Prozent Baumwolle, die durch die Better Cotton Initiative (BCI) gewonnen wird.
BCI beschreibt sich selbst auf ihrer Webseite als eine globale, gemeinnützige Organisation und als das grösste Nachhaltigkeitsprogramm für Baumwolle weltweit. Die Idee entstand bereits 2005 im Rahmen eines Runden Tisches geleitet vom WWF, wo nachhaltige Lösungen für Landwirt*innen, die Umwelt und die Zukunft des jeweiligen Sektors gefunden werden sollten. BCI erhielt von Anfang an Unterstützung von grossen Firmen wie Adidas, Gap, Ikea oder eben H&M und konnte so sechs Jahre später die erste Better Cotton ernten.
Bessere Baumwolle trotz Pestiziden?
Es ist bekannt, dass die Textilindustrie signifikant zu den globalen Treibhausgasemissionen beiträgt – laut WWF Schweiz sind es jährlich 1.7 Milliarden Tonnen CO2. Etwas konkreter: Um die in Paris festgelegten Klimaziele zu erreichen, dürften wir global jährlich maximal acht Milliarden Tonnen CO2 ausstossen, also etwa eine Tonne pro Person. Die heutige Textilindustrie würde davon ganze 20 Prozent verbrauchen.
Der Anbau, die Herstellung und die Verarbeitung der Baumwolle findet dabei meistens in Ländern mit sehr tiefen Löhnen und lockeren Umweltvorschriften statt. Zu den grössten Problemen innerhalb der Lieferkette gehören der hohe Einsatz von Pestiziden auf den Baumwollfeldern, die Verpackung und der Transport der Baumwolle und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen in Textilfabriken.
Dabei ist Baumwolle nicht per se umweltschädigend. Wenn sie jedoch unverantwortlich produziert wird, verursacht das einen erheblichen ökologischen und sozialen Schaden. Und genau diesem Schaden soll durch nachhaltige Zertifikationen Einhalt geboten werden.
BCI ist eine davon – und scheint irgendetwas richtig zu machen. Denn während Better Cotton vor drei Jahren 12 Prozent der weltweit produzierten Baumwolle ausmachte, sind es heute bereits 19 Prozent. Bis Ende Jahr strebt BCI gar einen Marktanteil von 30 Prozent an. Doch was unterscheidet Better Cotton von regulärer Baumwolle?
Die vom WWF mitgegründete Initiative hat sieben Kriterien aufgestellt, die Baumwollproduzent*innen erfüllen müssen, um eine Lizenz für die Produktion von Better Cotton zu erhalten:
- BCI-Landwirte minimieren die schädlichen Auswirkungen von Pflanzenschutzpraktiken.
- BCI-Landwirte fördern das Wassermanagement.
- BCI-Landwirte sorgen für die Gesundheit des Bodens.
- BCI-Landwirte verbessern die biologische Vielfalt und nutzen das Land verantwortungsbewusst.
- BCI-Landwirte pflegen und erhalten die Faserqualität.
- BCI-Landwirte fördern menschenwürdige Arbeit.
- BCI-Landwirte betreiben ein effektives Managementsystem.
Konkret erhalten die Landwirt*innen von BCI ein kleines Training, in dem sie lernen, die oben genannten Kriterien umzusetzen. Das Hauptproblem dieser Anforderungen ist, dass sie sehr vage und niederschwellig sind. Erschütternd ist insbesondere Nummer sechs: Es wäre lachhaft, wenn es nicht so enorm tragisch wäre. Menschenwürdige Arbeit wird gefördert, aber nicht garantiert. Es geht hier nicht darum, ob das Mittagessen offeriert werden soll oder nicht. Sondern ob Arbeiter*innen unter anderem existenzsichernde Löhne, Schutz im Fall von Krankheit und Schutz vor Ausbeutung zugesichert bekommen sollen. Garantieren will das BCI nicht.
Was ebenfalls relevant ist: Anders als in der Schweizer Landwirtschaft ist genmanipuliertes Saatgut in der BCI-Landwirtschaft erlaubt. Zudem wird lediglich eine Reduktion von Pestiziden angestrebt – erlaubt sind sie immer noch, solange sie nicht gemäss Stockholm-Konvention verboten sind. Doch das kann für eine Initiative, die echte Nachhaltigkeit anstrebt, nicht der einzige Richtwert sein. Völkerrechtlich verbotene Pestizide zu vermeiden ist das absolute Minimum. Die Schweiz zum Beispiel hat die Stockholm-Konvention schon 2003 ratifiziert.
Die Kriterien von BCI erreichen also teilweise nicht einmal das Niveau eines regulären Landwirtschaftsbetriebs in der Schweiz. Geschweige denn das einer biologischen Produktion.
Kann das wirklich nachhaltig sein?
Firmen vermeiden den Bio-Aufwand
David Hachfeld, Fachverantwortlicher der Clean Clothes Campaign Schweiz, bezeichnet BCI von den Ambitionen her als eine vergleichsweise schwache Initiative. „Die Agrarpraxis soll vor allem über Landwirte-Training etwas nachhaltiger gemacht werden. Wenn man das mit anderen Initiativen in diesem Bereich vergleicht, wie z.B. Organisationen, die sich für Bio-Baumwolle einsetzen, merkt man schnell, dass da Welten dazwischen sind.“
Das Problem liege dabei eigentlich nicht bei BCI selbst, sondern bei den grossen Firmen, die Better Cotton beziehen und dann vermarkten. „BCI kann man keinen Vorwurf machen, denn sie behaupten gar nicht, Bio-Baumwolle zu produzieren. Aber im Gesamtpaket, bei der Präsentation des Produkts, wird leider genau dieser Eindruck erweckt.“
Firmen würden sich genau das zunutze machen: „Firmen wissen, dass es für eine Kaufentscheidung häufig reicht, wenn ein Konsument irgendwie erkennt ‚ah, das ist ein bisschen nachhaltiger’. Und dann wird gar nicht mehr weiter gefragt.“ Auch der Name Better Cotton und grüne Labels seien irreführend – dass da bei Konsument*innen der Gedanke an Bio-Baumwolle aufkomme, sei nicht weit hergeholt.
H&M hat derweil in den letzten fünf Jahren einen gleichbleibenden Bio-Baumwoll-Anteil von ca. 12 bis 14 Prozent verzeichnet. Auf die Frage, wieso H&M nicht in Bio-Baumwolle investiere, wollte H&M aber nicht antworten.
Hachfeld erklärt sich das so: „Für grosse Firmen ist es letztendlich einfacher, eine Initiative wie BCI zu übernehmen, weil sich sowohl preislich wie auch im Prozess nicht viel verändert. BCI lässt sich ohne grosse Veränderung in den Business-Zyklus einbauen, indem sie ein paar Landwirten ein kleines Training geben.“ Das würde so bei Bio-Baumwolle nicht funktionieren – denn das würde einen systemischen Wechsel im Anbau verlangen. „Und das ist natürlich aufwändig. Ein Aufwand, den meiner Einschätzung nach gerade grosse Firmen gerne vermeiden.“
Auch Onlineshops hören den Ruf nach „grünen Kleidern“ – Zalando zum Beispiel hat 2016 ein Nachhaltigkeitslabel eingeführt und ist 2019 BCI beigetreten. Dementsprechend kann ein*e Konsument*in im Suchfilter „Nachhaltigkeit“ auswählen und ohne schlechtes Gewissen stöbern und shoppen. Doch auch davor warnt Hachfeld: „Da tauchen dann Better Cotton, Bio-Baumwolle und anderweitig zertifizierte Baumwolle einfach in einem Topf auf. Und das vermischt die Unterschiede bis zur Unkenntlichkeit.“
Ein kurzer Blick in Zalandos FAQ zu Nachhaltigkeit bestätigt dies. Nicht weniger als 14 verschiedene Labels sind dort aufgelistet. Die Liste erstreckt sich von Ein-Schritt-besser-als-konventionelle-Baumwolle bis zu Garantiert-95-Prozent-Bio-Baumwolle. Sie werden alle im „Nachhaltigkeit“-Filter angezeigt – und kreieren so ein Gemisch, das nur durch Lesen des Kleingedruckten entziffert werden kann.
Bio-Baumwolle leidet unter BCI
Generell sind die Hürden für Better cotton tief und gelten nur für den Baumwollanbau, jedoch nicht für die Weiterverarbeitung. Eine von BCIs Kritikerinnen ist die Changing Markets Foundation, eine Stiftung, die mit Kampagnen die Marktanteile von unökologischen Produkten und Unternehmen zu nachhaltigen Alternativen verschieben möchte. Laut einem ihrer Reports ist es irreführend, das BCI-Zertifikat als Garantie für Nachhaltigkeit zu propagieren. Better Cotton bedeute nur dann wirklich „besser“, wenn die Betriebe vor der Zertifizierung rein gar keine internationalen oder nationalen Vorschriften und Gesetze erfüllen würden.
Der BCI wird weiter vorgeworfen, dass sie es versäumt, wirklich umweltfreundliche Baumwolle zu fördern und die Gesundheit der Landwirt*innen zu schützen. Der Report geht sogar so weit, zu sagen, dass BCI das Wachstumspotenzial von wirklich nachhaltigen Programmen, wie z.B. GOTS, beschränke und die Gefahr bestehe, dass der Markt für Bio-Baumwolle darunter leide.
Gemäss der gemeinnützigen NGO Textile Exchange sind aktuell von der weltweit produzierten Baumwolle 0.7 Prozent in biologischer Produktion entstanden. 2011 lag der Anteil der Bio-Baumwolle aber noch bei 1.1 Prozent. Das entspricht einer Reduktion von fast 40 Prozent, und das trotz des verschwindend kleinen Anteils. Statt dass BCI Bio-Baumwolle unterstützt, ermöglicht sie diese Entwicklung.
Konsument*innen sollte bewusst sein, dass Firmen keinesfalls aus Liebe zur Umwelt auf BCI setzen. Sondern um unser Schuldgefühl – „scheisse, jetzt kaufe ich wieder so ein billiges T‑Shirt“ – mit so wenig Aufwand und Geld wie möglich zu dämpfen und uns letztendlich zum Weiterkauf zu animieren.
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