Die fürch­ter­li­chen Feminist*innen

Im Vorfeld zum femi­ni­sti­schen Streiktag versuchten diverse Schweizer Medien die eman­zi­pa­to­ri­sche Bewe­gung mit Schein­de­batten zu schwä­chen. Davon sollten wir uns nicht beirren lassen. 
Der feministische Widerstand wächst immer weiter. (Foto: Jonas Zürcher)

Heute ist der femi­ni­sti­sche Streiktag. Im ganzen Land legen Frauen und gender­queere Personen ihre Arbeit nieder, veran­stalten poli­ti­sche Aktionen und demon­strieren für den Wandel hin zu einer femi­ni­sti­schen Gesellschaft.

Das ist noch immer drin­gend nötig. Denn obwohl der 14. Juni 2019 mit seiner halben Million Demonstrant*innen das Land femi­ni­stisch und nach­haltig geprägt hat – mass­geb­lich verän­dert hat sich nichts. Ok, es sitzen nun so viele Frauen im Parla­ment wie nie zuvor in der Schweizer Geschichte – aber sonst?

Letzten Sommer wurde gegen den mehr­heit­li­chen Willen der Betrof­fenen – als Frauen regi­strierte Personen – das Renten­alter erhöht. Noch immer verübt durch­schnitt­lich alle zwei Wochen ein Mann einen Femi­nizid. Frauen – insbe­son­dere trans Frauen – sind jeden einzelnen Tag sexua­li­sierter Gewalt ausge­setzt, weder Care-Arbeit noch Lohn sind gerecht verteilt. Strassen, Autos und Medizin sind weiterhin an den durch­schnitt­li­chen Mann angepasst.

Nicht komisch also, dass Feminist*innen seit Jahr­zehnten versu­chen, an diesem System zu rütteln. Und trotz dem, dass sich die mate­ri­ellen Umstände nur sehr langsam verän­dern, kann niemand leugnen, dass der femi­ni­sti­sche Wider­stand erstarkt.

Auf Fort­schritt folgt Gegenwehr

Bekannt­lich verläuft Fort­schritt aber nicht linear. Das Patri­ar­chat sträubt sich wie ein wider­spen­stiges Tier und versucht alles zu zerfetzen, das ihm zwischen seine häss­li­chen Klauen kommt.

So bemühten sich beispiels­weise bürger­liche Medien im Vorfeld zum heutigen Streiktag redlich darum, die Spal­tung der femi­ni­sti­schen Bewe­gung herauf­zu­be­schwören. „Frau­en­streit vor dem Frau­en­streik“ titelte der Tages­an­zeiger mit einer lang­wei­ligen Alli­te­ra­tion, „Streit vor dem Frau­en­streik entbrannt“, zündete der Blick, „Miss­stim­mung im Vorhinein“ nannte es das SRF und 20 Minuten schrieb, dass sich bürger­liche Frauen von dem Streik abwen­deten, da er ihnen zu „extrem“ sei.

Die Luzerner Zeitung brachte es mit einer skur­rilen Über­schrift auf den Punkt: „Verstehe nicht, warum man den Femi­nismus rein­bringen muss“, titelte sie unlängst. Noch immer wollen sich viele nicht mit dem unge­heuren F‑Wort in Verbin­dung setzen, selbst wenn ihr Enga­ge­ment es teil­weise durchaus gebieten würde. Doch bis heute ist es in diesem konser­va­tiven Land wich­tiger, sich von den Lauten, Wütenden und Fordernden zu distan­zieren – beson­ders, wenn sich diese gegen Macht­struk­turen auflehnen.

Es ist nicht das Ziel der femi­ni­sti­schen Bewe­gung, reiche, weisse Frauen zu bekehren oder zu bitten, sich an den Befrei­ungs­kämpfen zu beteiligen.

So sollten Frauen „nicht nur fordern, sondern selbst etwas unter­nehmen“, wie es eine Bäuerin im Tages­an­zeiger ausdrückt. Ganz so, als wäre es nicht genau das, was Feminist*innen am 14. Juni und das ganze Jahr über tun. Doch wer fordert, muss auch geben – diese Devise ist im gesell­schaft­li­chen Blick auf Frauen und andere Menschen, die für ihre Rechte kämpfen, tief verankert.

Ganz so, als seien Grund­rechte und Gleich­stel­lung mehr, als ihnen zustünde.

Für eine femi­ni­sti­sche Zukunft zu kämpfen, bedeutet, ein unbe­quemes Leben zu führen. Es bedeutet, die Miss­gunst unserer Gesell­schaft auf sich zu ziehen, als extre­mi­stisch abge­stem­pelt und krimi­na­li­siert zu werden. Verständ­lich, dass das nicht gerade attraktiv klingt.

Femi­nismus sowie alle anderen eman­zi­pa­to­ri­schen Kämpfe entspringen nicht poli­ti­schen Parteien, sondern der Strasse.

So meint auch die Präsi­dentin der Mitte-Frauen, Chri­stina Bach­mann-Roth, dass femi­ni­sti­scher Streik „total abschreckend tönt“. Ausserdem sei der Begriff „links-akti­vi­stisch“ gefärbt.

Das war dann auch das einzige Argu­ment des medial künst­lich aufge­bauschten Disputs um den vermeint­li­chen Namens­wechsel, weg von „Frau­en­streik“ hin zu „femi­ni­sti­scher Streik“. Das ginge vielen endgültig zu weit, schrieben zahl­reiche Medien und igno­rierten den Fakt, dass diese Begriffe schon beim Streik 2019 parallel benutzt wurden und es auch heute noch werden. Sowieso sei die Bewe­gung vielen zu „schrill“, jammert eine FDP-Natio­nal­rätin, und vor allem eben zu „links“,– also: geworden.

Tatsäch­lich aber hat man sich bereits 2019 darüber echauf­fiert, dass der Streik bürger­liche Frauen abschrecken könnte. Und natür­lich waren femi­ni­sti­sche Forde­rungen schon seit jeher näher an soge­nannten linken Partei­pro­grammen, als an solchen, die Frauen gerne wieder zurück an den Herd verdon­nern würden oder die sich nur für weisse Mütter und „Karrie­re­frauen“ interessieren.

Das Gebaren über die femi­ni­sti­sche Bewe­gung, die es trotz dem eigenen Anspruch nicht schaffe, „die weib­li­chen 50% der Bevöl­ke­rung“ abzu­bilden, ist ein kläg­li­cher Versuch, sie zu schwächen.

Welcher Femi­nismus?

Die Diskus­sion um Bürger­liche, die sich nicht oder nicht mehr vom Frau­en­streik ange­spro­chen fühlen würden, ist konstru­iert und hinfällig. Nicht nur, weil meistens von Politiker*innen die Rede ist und sich die femi­ni­sti­sche Bewe­gung zu grossen Teilen als ausser­par­la­men­ta­risch versteht: Femi­nismus sowie alle anderen eman­zi­pa­to­ri­schen Kämpfe entspringen nicht poli­ti­schen Parteien, sondern der Strasse.

Ausserdem ist es nicht das Ziel der femi­ni­sti­schen Bewe­gung, reiche, weisse Frauen zu bekehren oder zu bitten, sich an diesen Befrei­ungs­kämpfen zu betei­ligen. Denn sie führen nicht unbe­dingt die selben.

Macht­ge­fälle findet nicht nur entlang des Geschlechts statt, sondern auch aufgrund von Rassi­fi­zie­rung, Klasse oder der sozialen Herkunft beispiels­weise. Privi­le­gierte weisse cis Frauen können gut im perfiden Macht­spiel von Patri­ar­chat und Kapi­ta­lismus mitei­fern. Sie haben die Spiel­re­geln verstanden und treten dafür schamlos nach unten.

So erkennen bürger­liche Frauen und Poli­ti­ke­rinnen zum Beispiel nicht an, was die Einfüh­rung eines Mindest­lohnes oder verkürzte Arbeits­zeiten mit Frau­en­rechten zu tun haben. Oder ihnen genügt der Fakt, dass die gegne­ri­sche Partei diese Forde­rungen auf dem Wahl­pro­gramm stehen hat, um sie abzu­lehnen. Diese Einstel­lung muss man sich leisten können. Und das ist der eigent­liche Graben, der zwischen „den Frauen“ herrscht.

Statt Soli­da­rität mit anderen Frauen und anderen diskri­mi­nierten Gruppen zu zeigen und sich zu verbünden, kämpfen bürger­liche Frauen im bestehenden System um genau eines: das eigene Überleben.

Die ganze Diskus­sion ist deshalb hinfällig, weil wir genau den Femi­nismus brau­chen, den Konser­va­tive fürchten: einen prole­ta­ri­schen und inter­sek­tio­nalen Femi­nismus, der dasje­nige System angreift, das unzer­trennbar mit dem Patri­ar­chat verwoben ist.

In diesem Sinne: Für einen kämp­fe­ri­schen 14. Juni – und darüber hinaus!

Trans­pa­renz­hin­weis: Die Autorin des Textes ist Teil des femi­ni­sti­schen Streik­kol­lek­tivs Zürich.


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