Kürzlich strahlte die Rundschau des SRF eine Reportage aus, in der sich Männer über den Feminismus beklagen und in Workshops ihre Männlichkeit wiederfinden wollen. Das Lamm nahm dies zum Anlass, sowohl eine Rezension als auch einen Kommentar zum Thema Männlichkeit zu veröffentlichen. Völlig zurecht entlarven die Autoren die im Film gezeigten Positionen als antifeministisch und reaktionär. Es gibt keine Benachteiligung von Männern (sofern sie als solche gelesen werden und als solche amtlich eingetragen sind) aufgrund ihres Geschlechts in der Gesellschaft. Der Feminismus kämpft auch nicht für die Herrschaft der Frauen, sondern ist die Bewegung der Befreiung aller Geschlechter.
Dass der feministische Aufbruch auch Männern einiges abverlangt, ist unbestritten. Wie eine fortschrittliche Reaktion darauf aussehen kann, will die Videoperformance Gift zeigen, welche zurzeit in Zürich zu sehen ist. Feli (Felician Hohnloser), Tobi (Tobias Bienz) und Dave (David Jegerlehner) sind cis Männer, die sich selbst als links und pro-feministisch definieren. Über eine Stunde lang reflektieren sie darüber, wie sie Männlichkeit reproduzieren, woher Männlichkeitsideale kommen und wie man sie wieder loswerden kann.
Willkommen im Dschungel
Wie im SRF-Beitrag beginnt auch in Gift die Auseinandersetzung mit Männlichkeit mit nackten Oberkörpern. Männer, die sich anbrüllen und balgen wie ein Rudel Wölfe, das seine Hackordnung bestimmt. Das Publikum ist mittendrin, es sitzt in der Mitte des Raumes und an jede der vier Wände wird ein Video projiziert. „Immersive Videoperformance“ nennen die Macher:innen das Konzept.
In der darauffolgenden Szene sehen wir die drei Protagonisten in einer Zoom-Konferenz – Männer aus einem linken Kulturmilieu. Feli berichtet, wie er auf einer Party einer Frau Eindruck machen wollte, indem er ihr von seinem männlichkeitskritischen Theaterprojekt erzählte, „wie so ein Pfau“. Ob testosterongeladenes Rumbrüllen oder feministische Reflexion, jedes Tierchen hat seine eigene Balzstrategie.
Toxische Macker, zweifelnde Männer
Spätestens jetzt gibt es für den männlichen Zuschauer kein Entkommen mehr. Die Performance erlaubt nicht, das Problem der Männlichkeit auf den toxischen Macker oder den James Bond der 1960er-Jahre abzuschieben. Die Protagonisten reflektieren darüber, wie sie in ihre Geschlechterrolle sozialisiert wurden, wie sie ihre Kinder erziehen, ob sie schon mal sexuelle Übergriffe begangen haben. Sie berichten von Druck, Angst und Schmerz.
Dann wiederum reden sie sich in Rage und verteidigen den Gebrauch sexistischer Fluchwörter und sind frustriert, wenn sie nicht auf den Booty Call reagiert. Wir sehen hier keine feministischen Superhelden, sondern Suchende, die immer wieder an ihren Ansprüchen scheitern. Das ist teilweise witzig, teilweise beklemmend, aber immer sehr nahe an der Realität.
Bevor man allerdings fragen kann, ob es auch was bringt, erklingt das Echo der autonomen Männerbewegung der 1990er-Jahre. Die Passagen aus dem Profeministischen Männerrundbrief verdeutlichen, dass all die Fragen und Konflikte nicht neu sind. Daraus spricht auch eine gewisse Ratlosigkeit. Es gibt also seit mindestens 30 Jahren Männer, die über sich selbst nachdenken. Die Männlichkeitskritik dreht sich im Kreis und sie erfolgt nur auf Druck von aussen. Es sind immer und immer wieder FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans, agender Personen) und feministische Bewegungen, die Männer zu Reflexion und Reaktion zwingen.
Feminismus als Hooligan
Auch in Gift sind es Frauen, die den Prozess vorantreiben – vor allem Luisa (Luisa Ricar), die vierte Protagonistin im Kollektiv. Zu Beginn lächelt sie noch milde über die Flirtstrategien ihrer Kollegen, um dann für den Rest des Stücks zu verschwinden und die Männer sich selbst zu überlassen. Am Schluss kommt sie zurück, um ihnen die ersehnte Absolution zu erteilen – oder eben nicht. Sie übernimmt die Regie und setzt die Protagonisten für das Schlussbild in Szene. „Feminist Hooligans“ steht auf ihrem T‑Shirt.
Das Mittel der Wahl, um auf die erstarkende feministische Bewegung zu reagieren, ist für die Männer in Gift also nicht die Abwehr, sondern die Reflexion. Sie nehmen die Kritik ernst und überlegen, wie sie ihr Verhalten ändern können. Damit sind sie nicht nur freundlich ihrem Umfeld gegenüber, sondern auch gegenüber sich selbst. Die Protagonisten beschreiben den Prozess als befreiend und am Ende freuen sie sich darüber, dass sie bessere Menschen geworden sind – zumindest ein bisschen.
Als „Diskussionsbeitrag“ angekündigt, liefert Gift viel Material und Inspiration für die Reflexion über Männlichkeit. Männer tun gut daran, sich die aufgeworfenen Fragen selbst zu stellen und mit ihren Freunden, Kollegen und Genossen zu diskutieren.
Wie diese Praxis zur Befreiung aller anderen beitragen könnte, bleibt hingegen ungeklärt. Es fehlt jede Bezugnahme auf feministische Theorie und Analyse. Männlichkeitskritik wird nicht als Teil dieser Analyse verstanden, sondern als Reaktion darauf. Stattdessen erscheint der Feminismus als höhere Macht, die es zufriedenzustellen gilt.
Damit bringen die Macher:innen von Gift nicht nur die Leiden linker Männer auf die Leinwände, sondern fassen den Zustand der Männlichkeitskritik in ihrem Milieu wunderbar zusammen. Und unfreiwillig tat das auch das Publikum: Bei der ausverkauften Aufführung waren Männer stark in der Minderheit. Auseinandersetzung mit Männlichkeit scheint immer noch ein Thema, das vor allem Frauen und non binäre Personen interessiert. Zeit, das zu ändern!