Die Leiden linker Männer

Wie können Männer auf die femi­ni­sti­sche Bewe­gung reagieren, ohne reak­tio­näre Idioten zu werden? Ein Künstler:innen-Kollektiv stellt sich der Frage in einer Videoperformance. 
Auch eine Art, mit nacktem Oberkörper zu posieren. In der Performance "Gift" lernen cis Männer die kritische Selbstreflexion. (Foto: Caroline Hepting)

Kürz­lich strahlte die Rund­schau des SRF eine Repor­tage aus, in der sich Männer über den Femi­nismus beklagen und in Work­shops ihre Männ­lich­keit wieder­finden wollen. Das Lamm nahm dies zum Anlass, sowohl eine Rezen­sion als auch einen Kommentar zum Thema Männ­lich­keit zu veröf­fent­li­chen. Völlig zurecht entlarven die Autoren die im Film gezeigten Posi­tionen als anti­fe­mi­ni­stisch und reak­tionär. Es gibt keine Benach­tei­li­gung von Männern (sofern sie als solche gelesen werden und als solche amtlich einge­tragen sind) aufgrund ihres Geschlechts in der Gesell­schaft. Der Femi­nismus kämpft auch nicht für die Herr­schaft der Frauen, sondern ist die Bewe­gung der Befreiung aller Geschlechter.

Dass der femi­ni­sti­sche Aufbruch auch Männern einiges abver­langt, ist unbe­stritten. Wie eine fort­schritt­liche Reak­tion darauf aussehen kann, will die Vide­oper­for­mance Gift zeigen, welche zurzeit in Zürich zu sehen ist. Feli (Feli­cian Hohn­loser), Tobi (Tobias Bienz) und Dave (David Jeger­lehner) sind cis Männer, die sich selbst als links und pro-femi­ni­stisch defi­nieren. Über eine Stunde lang reflek­tieren sie darüber, wie sie Männ­lich­keit repro­du­zieren, woher Männ­lich­keits­ideale kommen und wie man sie wieder loswerden kann.

Will­kommen im Dschungel

Wie im SRF-Beitrag beginnt auch in Gift die Ausein­an­der­set­zung mit Männ­lich­keit mit nackten Ober­kör­pern. Männer, die sich anbrüllen und balgen wie ein Rudel Wölfe, das seine Hack­ord­nung bestimmt. Das Publikum ist mitten­drin, es sitzt in der Mitte des Raumes und an jede der vier Wände wird ein Video proji­ziert. „Immersive Vide­oper­for­mance“ nennen die Macher:innen das Konzept.

In der darauf­fol­genden Szene sehen wir die drei Prot­ago­ni­sten in einer Zoom-Konfe­renz – Männer aus einem linken Kultur­mi­lieu. Feli berichtet, wie er auf einer Party einer Frau Eindruck machen wollte, indem er ihr von seinem männ­lich­keits­kri­ti­schen Thea­ter­pro­jekt erzählte, „wie so ein Pfau“. Ob testo­ste­ron­ge­la­denes Rumbrüllen oder femi­ni­sti­sche Refle­xion, jedes Tier­chen hat seine eigene Balzstrategie.

Toxi­sche Macker, zwei­felnde Männer

Späte­stens jetzt gibt es für den männ­li­chen Zuschauer kein Entkommen mehr. Die Perfor­mance erlaubt nicht, das Problem der Männ­lich­keit auf den toxi­schen Macker oder den James Bond der 1960er-Jahre abzu­schieben. Die Prot­ago­ni­sten reflek­tieren darüber, wie sie in ihre Geschlech­ter­rolle sozia­li­siert wurden, wie sie ihre Kinder erziehen, ob sie schon mal sexu­elle Über­griffe begangen haben. Sie berichten von Druck, Angst und Schmerz.

Dann wiederum reden sie sich in Rage und vertei­digen den Gebrauch sexi­sti­scher Fluch­wörter und sind frustriert, wenn sie nicht auf den Booty Call reagiert. Wir sehen hier keine femi­ni­sti­schen Super­helden, sondern Suchende, die immer wieder an ihren Ansprü­chen schei­tern. Das ist teil­weise witzig, teil­weise beklem­mend, aber immer sehr nahe an der Realität.

Bevor man aller­dings fragen kann, ob es auch was bringt, erklingt das Echo der auto­nomen Männer­be­we­gung der 1990er-Jahre. Die Passagen aus dem Profe­mi­ni­sti­schen Männer­rund­brief verdeut­li­chen, dass all die Fragen und Konflikte nicht neu sind. Daraus spricht auch eine gewisse Ratlo­sig­keit. Es gibt also seit minde­stens 30 Jahren Männer, die über sich selbst nach­denken. Die Männ­lich­keits­kritik dreht sich im Kreis und sie erfolgt nur auf Druck von aussen. Es sind immer und immer wieder FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans, agender Personen) und femi­ni­sti­sche Bewe­gungen, die Männer zu Refle­xion und Reak­tion zwingen.

Femi­nismus als Hooligan

Auch in Gift sind es Frauen, die den Prozess voran­treiben – vor allem Luisa (Luisa Ricar), die vierte Prot­ago­ni­stin im Kollektiv. Zu Beginn lächelt sie noch milde über die Flirts­tra­te­gien ihrer Kollegen, um dann für den Rest des Stücks zu verschwinden und die Männer sich selbst zu über­lassen. Am Schluss kommt sie zurück, um ihnen die ersehnte Abso­lu­tion zu erteilen – oder eben nicht. Sie über­nimmt die Regie und setzt die Prot­ago­ni­sten für das Schluss­bild in Szene. „Femi­nist Hooli­gans“ steht auf ihrem T‑Shirt.

Das Mittel der Wahl, um auf die erstar­kende femi­ni­sti­sche Bewe­gung zu reagieren, ist für die Männer in Gift also nicht die Abwehr, sondern die Refle­xion. Sie nehmen die Kritik ernst und über­legen, wie sie ihr Verhalten ändern können. Damit sind sie nicht nur freund­lich ihrem Umfeld gegen­über, sondern auch gegen­über sich selbst. Die Prot­ago­ni­sten beschreiben den Prozess als befreiend und am Ende freuen sie sich darüber, dass sie bessere Menschen geworden sind – zumin­dest ein bisschen.

Als „Diskus­si­ons­bei­trag“ ange­kün­digt, liefert Gift viel Mate­rial und Inspi­ra­tion für die Refle­xion über Männ­lich­keit. Männer tun gut daran, sich die aufge­wor­fenen Fragen selbst zu stellen und mit ihren Freunden, Kollegen und Genossen zu diskutieren.

Wie diese Praxis zur Befreiung aller anderen beitragen könnte, bleibt hingegen unge­klärt. Es fehlt jede Bezug­nahme auf femi­ni­sti­sche Theorie und Analyse. Männ­lich­keits­kritik wird nicht als Teil dieser Analyse verstanden, sondern als Reak­tion darauf. Statt­dessen erscheint der Femi­nismus als höhere Macht, die es zufrie­den­zu­stellen gilt.

Damit bringen die Macher:innen von Gift nicht nur die Leiden linker Männer auf die Lein­wände, sondern fassen den Zustand der Männ­lich­keits­kritik in ihrem Milieu wunderbar zusammen. Und unfrei­willig tat das auch das Publikum: Bei der ausver­kauften Auffüh­rung waren Männer stark in der Minder­heit. Ausein­an­der­set­zung mit Männ­lich­keit scheint immer noch ein Thema, das vor allem Frauen und non binäre Personen inter­es­siert. Zeit, das zu ändern!

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