Die Utopie des grünen Fliegens

Der Mensch­heits­traum des Flie­gens ist längst erfüllt, das Fliegen selbst aber verlor dabei viel zu früh seine Unschuld. Trotz allem Zukunfts­op­ti­mismus muss leider gesagt werden: Fliegen wird vorerst nicht grün. 
Schöne neue Welt: Solarbetriebenes Experiment aus den 1980igern (Foto: NASA).

Er sieht aus wie eine Mischung aus Pinoc­chio und einem TGV auf Redbull: eine lang­ge­zo­gene Nase, ein schneller Rumpf und zwei glän­zend weisse Flügel. Die Rede ist vom Boom-Jet, einem neuen Flug­zeug, das verspricht, inner­halb von drei­ein­halb Stunden von Paris nach New York zu fliegen. Er wird als Nach­folger der Concorde gehan­delt und fliegt mit solch hohen Mach-Zahlen, dass sogar Gillette neidisch wird.

Momentan ist er jedoch noch mehr Pinoc­chio als TGV, mehr Fiktion als Realität. Der Jung­fern­flug ist im Jahre 2023 geplant. Aber ob die bis anhin eher unbe­kannte Flug­zeug­bau­firma Boom ein solches Projekt stemmen kann, bleibt frag­lich. Aber selbst als ökolo­gi­scher Luft­fahrt­gegner muss man solch tech­no­lo­gi­schen Eifer begrüssen, denn eines ist klar: Die Zukunft des Flie­gens hat ganz viel mit der Zukunft unserer Welt zu tun.

Laut WWF Schweiz ist die Schweizer Luft­fahrt bereits heute zu über 16 Prozent für den Klima­ef­fekt unseres Landes verant­wort­lich. Geht die Entwick­lung weiter wie bisher, wird dieser Anteil bis 2020 auf fast 22 Prozent anwachsen. Global betrachtet sieht es sogar noch extremer aus. Prognosen der Euro­päi­schen Union gehen davon aus, dass der inter­na­tio­nale Flug­ver­kehr bis ins Jahr 2050 ums Sieben­fache zunehmen wird; die Emis­sionen sollen um den Faktor vier ansteigen.

Der erwähnte Klima­ef­fekt ist unge­fähr zur Hälfte dem CO2 aus dem Flug­zeug­treib­stoff Kerosin zuzu­schreiben, die andere Hälfte fällt auf das Konto von Stick­oxiden, NOx und den anthro­po­genen Wolken der Kondens­streifen. Summa summarum sind das hohe Zahlen, und das ist blöd für das Flug­zeug, dieses faszi­nie­rende Wunder der Technik, das man nicht mehr missen möchte.

Doch die hohen Zahlen haben auch einen entschei­denden Vorteil: Wenn man es schafft, das Fliegen besser, effi­zi­enter und sauberer zu machen, dann können wir auf einen Schlag ganz viel errei­chen. Blickt man also in die Kristall­kugel des Flie­gens, kann man viel über unser zukünf­tiges Klima ableiten. Doch wie sieht sie aus, die Zukunft des Flie­gens? Die Politik, die Tech­no­logie und das Konsum­ver­halten — die Heilige Drei­fal­tig­keit der Gegen­wart, sozu­sagen — liefern drei mögliche Anknüp­fungs­punkte, um voraus­zu­sagen, ob uns am Hori­zont grüne Flieger erwarten.

Wieso die Politik das Fliegen nicht begrünen wird

Endlich, hiess es im letzten Jahr. Endlich hat sich die globale Luft­fahrt­branche auf ihr erstes Luft­fahrt-Klima­ab­kommen über­haupt geei­nigt. 2021 tritt es in Kraft, bis 2026 ist es frei­willig, ab 2027 verpflich­tend. Das Problem: Es ist mehr Schein als Sein. Das Abkommen verpflichtet die Flug­ge­sell­schaften, die Emis­sionen ab 2021 auf den Stand des Vorjahres einzu­frieren. Alles, was darüber hinaus­geht, müssen sie CO2-kompen­sieren. Somit wird nur das Wachstum kompen­siert, nicht aber der Status quo. Das Abkommen wird deshalb als „Kompro­miss“ und als „Lizenz für weiteres Wachstum“ bezeichnet.

Dabei liefert die Politik bereits genug Start­hilfe für die Luft­fahrt­branche, was einer Subven­tion gleich­kommt: Kerosin ist auf den meisten Strecken steu­er­be­freit, zudem gibt es keine Mehr­wert­steuer für inter­na­tio­nale Flüge – ein trau­riges Produkt des markt­wirt­schaft­li­chen Wett­be­werbs zwischen Staaten. Natio­nale Umwelt­stan­dards sind sowieso kein Thema, in Deutsch­land zum Beispiel deswegen, weil die Angst vor einem Zusam­men­bre­chen von Luft­hansa und Air Berlin schlicht zu gross ist.

Der Haupt­grund, warum der Flug­ver­kehr weder im Kyoto­pro­to­koll von 1997 noch im Pariser Klima­ab­kommen von 2015 berück­sich­tigt wurde, ist ein rein mathe­ma­ti­scher: Der Ausstoss von Klima­gasen wird terri­to­rial, also länder­spe­zi­fisch, berechnet. Beim Flug- und Schiffs­ver­kehr ist das nicht so einfach, denn welchem Land werden die Emis­sionen eines Fluges von Berlin nach Athen für eineN Schweizer Staats­bür­gerIn angerechnet?

Zu versplittet sind die Inter­essen aller Betei­ligten, zu schwierig die Rech­nungen, als dass ein rigo­ro­seres Abkommen zustande kommen könnte — das zeigt auch das Beispiel Schweiz: Hier hat sich erst vor zwei Jahren der Zürcher Kantonsrat gegen eine Einfüh­rung einer CO2-Abgabe für Flug­pas­sa­giere ausge­spro­chen. Gefor­dert war eine Gebühr von minde­stens 10 (!) Franken für alle Passa­giere, die vom Flug­hafen Zürich abfliegen. Das Postulat wurde mit 104 gegen 53 Stimmen abge­lehnt, unter anderen wegen der „Geiz-Ist-Geil-Befürch­tung“, dass sich die Flug­häfen München, Stutt­gart oder Milano darüber freuen würden. Ange­sichts der Wich­tig­keit des Themas über­rascht der fehlende poli­ti­sche Druck. Es scheint, dass man sich lieber mit Kampf­jets als mit Passa­gier­flug­zeugen beschäf­tigt. Fliegen ist poli­tisch, ohne selbst Poli­tikum zu sein.

Forscher suchen zwar grüne Flug­zeuge, aber die Suche wird dauern

Weil die Politik nicht hilft, Fliegen grüner zu machen, steht die Tech­no­logie in der Bring­schuld. Nur: Momentan ist keine ausge­reifte und erprobte Tech­no­logie in Sicht, die die Flug­zeug­indu­strie innert nütz­li­cher Frist revo­lu­tio­nieren könnte. Bei heutigen Flug­zeugen versucht man viel­mehr, Bestehendes zu opti­mieren: besseres Design, leich­teres Gewicht, effi­zi­en­tere und leisere Motoren.

Der entschei­dende nächste Schritt wäre die Elek­tri­fi­zie­rung des Flug­ver­kehrs. Auf der Home­page des Wissen­schafts­blogs I Fucking Love Science ist Folgendes zu lesen: „That’s zero CO2 and NOx emis­sions, with energy sourced from power stations that are them­selves sustain­ably fuelled.“ Wich­tig­ster Hindernis auf dem Weg zum E‑Flugi: Die Ener­gie­dichte von Batte­rien, ein Mass, wie viel Energie in Abhän­gig­keit des Batte­rie­ge­wichts produ­ziert werden kann. Weil die heutigen Batte­rien so schwer sind, ist es momentan kaum vorstellbar, dass Lang­strecken­flug­zeuge elek­trisch betrieben werden können.

Dazu kommt ein weiteres Problem: die Zeit. Flug­zeuge haben eine Lebens­dauer von 21 bis 33 Jahren (Schnitt Airbus 25 Jahre), und die Entwick­lung eines neuen Modells nimmt minde­stens eine Dekade in Anspruch. Das heisst, ein Flug­zeug, das heute in Planung ist, bleibt minde­stens bis 2050 in Betrieb. Die Post­fos­si­lität der Flug­zeuge kommt also frühe­stens in zwei oder drei Dekaden.

In der Zwischen­zeit versucht man, Emis­sionen durch die Verwen­dung von so genannten Drop-In-Kraft­stoffen einzu­sparen. Das sind Biotreib­stoffe, die nicht aus Erdöl gewonnen wurden, und die man als Ersatz, oder zumin­dest als Zugabe, für Kerosin verwenden kann — ohne den ganzen Motor umbauen zu müssen. Dort sind zwischen 36–85% Emis­si­ons­ein­spa­rung möglich.

Haupt­hin­dernis in der kommer­zi­ellen Umset­zung der tech­no­lo­gi­schen Updates ist, wie so oft, der Preis (und die enorme Menge an Drop-In-Kraft­stoffen, die gebraucht würde). Glaubt man den Prognosen, dauert es noch unge­fähr zehn Jahre, bis Preis­pa­rität zwischen Biotreib­stoffen und Kerosin erreicht ist. Ein Lösungs­vor­schlag: Das Klimage­wissen der KundInnen soll den neuen, saube­reren Kraft­stoff bezahlen. Quasi eine Bio-Linie fürs Fliegen. Trotzdem: Dass es in greif­barer Zukunft einen 100%-CO2-freien Flug­ver­kehr gibt, ist höchst zweifelhaft.

Einfach weniger fliegen?

Kann ein Appell an das Gewissen der Konsu­men­tInnen das Fliegen grüner machen? Eher nicht. Obwohl in gewissen Kreisen eine Abkehr vom sinn­losen Ewig­konsum fest­zu­stellen ist, kann man sich beim Fliegen nicht darauf verlassen. Pessi­mi­stisch ausge­drückt muss man wohl fest­stellen, dass konse­quente Konsum­tipps irgendwie nicht ins 21. Jahr­hun­dert passen. Suffi­zienz zum Trotz, massen­fähig ist Verzicht nicht. Der Impe­rativ „Du sollst nicht fliegen“ greift nicht. Bei einem schlechten Gewissen kauft man sich bei Mycli­mate frei. Warum das „My“ heisst und nicht „Our“, bleibt ein Rätsel. Als ob sogar das Klima perso­na­li­siert werden könnte.

Das Flug­zeug ist zudem ein Objekt der Pola­ri­sie­rung. In der Arena des Flug­zeugs werden somit auch ausge­tragen: First gegen Busi­ness, Fenster gegen Gang, Chicken gegen Vegi. Die wahre Pola­ri­sie­rung findet jedoch fernab von Flug­häfen statt: Der Kampf zwischen Flie­ge­rInnen und Nicht­flie­ge­rInnen wurde bis anhin äusserst gewaltlos ausge­tragen, viel gewalt­loser als in den Flug­zeugen selber. Dabei spie­gelt sich auch hier die globale Realität: Schät­zungen zufolge betraten bis anhin nur rund 5% der Welt­be­völ­ke­rung ein Flug­zeug. Das wird nicht so bleiben. Im Gegen­teil. Explo­die­rende Bevöl­ke­rungs­zahlen, eine stär­kere Globa­li­sie­rung sowie stei­gender Wohl­stand tragen viel­mehr dazu bei, dass das Flug­zeug bestimmt nicht an Popu­la­rität verliert.

Blickt man in die Zukunft des Flie­gens, dann sieht es folg­lich kaum danach aus, als ob die Politik das Problem ernst­haft anpacken würde, bald unschul­dige Alpen­luft aus den Abgas­rohren unserer Luft­flotte strömt oder die Konsu­men­tInnen sich selbst geis­seln werden. Viel­mehr gleicht die Zukunft der Luft­fahrt eher einer Frist­er­streckung der Gegen­wart als einem Moonshot direkt in die Utopie. Diese lähmende Patt-Situa­tion ist so typisch für die komplexen Probleme unserer Zeit. Fried­rich Dürren­matt hat dies, in einem komplett anderen Zusam­men­hang, in seiner Rede an Václav Havel 1990 auf den Punkt gebracht: „Wo alle verant­wort­lich sind, ist niemand verantwortlich.“


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