Amsterdam, 2020. Fairphone hat laut dem firmeneigenem Impact Report 18 sogenannte „Industrie-Einfluss-Punkte“ dazugewonnen. Ihr Einfluss auf die Branche und auf einen „systemischen Wandel“ innerhalb dieser hat sich demnach in nur einem Jahr mehr als verdoppelt. Ausschlaggebend für diesen Anstieg: Rohstoffriese Glencore und der Elektroautohersteller Tesla haben sich der von Fairphone mitinitiierten Fair Cobalt Alliance angeschlossen.
„Es ist Teil unserer Theorie des Wandels, die ganze Industrie zu mehr Verantwortung zu inspirieren“, sagt Eva Gouwens, CEO von Fairphone, gegenüber das Lamm. Um eine Hebelwirkung auf die Branche zu haben, müsste man eben wachsen – und kommerziell erfolgreich sein. Doch kann dieser Kurs gut ausgehen für ein Unternehmen mit selbstdeklarierten Werten wie Fairphone?
Investitionen und kontinuierliche Verfügbarkeit
Seit der Gründung im Jahr 2013 war es für Fairphone zentral, möglichst unabhängig agieren zu können. Ihr erstes Telefon wurde erst nach einer bestimmten Menge an Vorbestellungen via Crowdfunding produziert: Die Kund:innen zahlten dem Unternehmen die 325 Euro drei Monate vor der Lieferung ihres Geräts.
Im Gegensatz zum vorgefertigten Fairphone 1 entwickelte das Unternehmen ihr zweites Modell als ein modulares Telefon, das durch das Auswechseln defekter Einzelteile möglichst lange benutzt werden sollte. Dafür benötigte Fairphone nicht nur mehr Kapital im Vorfeld, sondern musste künftig auch mehr Telefone verkaufen. Denn die Fabrikant:innen der einzelnen Module arbeiteten auf Grundlage von Mindestbestellmengen.
2015 wurde schliesslich das eben beschriebene Vorfinanzierungsmodell gekippt und stattdessen externe Grossinvestor:innen an Board geholt: Das Fairphone 2 sollte von nun an kontinuierlich verfügbar sein und einen Absatz von 150’000 Telefonen pro Jahr erreichen. Die Firma suchte hierfür sogenannte „Impact-Investor:innen“, die nicht nur an finanziellen Gewinnen, sondern auch an den sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Investments interessiert seien.
2016 investierte schliesslich Phalanx Capital 6,25 Millionen Euro in die Firma und kaufte damit 20 Prozent der Aktien. Nach der Beteiligung dieser niederländischen Holdinggesellschaft, vertreten durch Pharmamultimillionär Tony Tabatznik, folgten zwei weitere grössere Beteiligungen im Jahr 2017.
Trade-offs
„Unsere Kommunikation hat sich im Laufe der Jahre verändert“, sagt Co-Gründerin Tessa Wernink. Je mehr die Verantwortlichkeiten des Unternehmens wuchsen und je mehr Partner sich dem Projekt anschlossen, desto mehr Interessen mussten berücksichtigt werden, was zu einer strategischeren Kommunikation führte. „Transparenz war immer noch unser Ziel, aber nicht immer leicht zu erreichen“, sagt Wernink.
Wenn man ein Geschäftsmodell für eine Mission wählt, sei man mit Dilemmata und Kompromissen konfrontiert, so Wernink. Das Unternehmen hätte solche Trade-offs und die Gründe dafür aber so gut wie möglich kommuniziert: etwa als der Support für das Fairphone 1 trotz Fünfjahresgarantie schon früher eingestellt wurde.
Die Skalierung des Unternehmens habe auch dazu geführt, dass sich die Art und Weise, wie und von wem die Strategien entwickelt wurden, geändert habe. „Wir sahen unser Organisationsmodell als entscheidend für unsere Wirkung an und versuchten, uns nach einem holakratischen Modell – das heisst mit einer flachen Struktur und wechselnden Rollen – zu organisieren. Als wir schnell skalierten und die Komplexität zunahm, verlagerte sich die Entscheidungsbefugnis ins Management und den Aufsichtsrat“, erinnert sich Wernink. Die verschiedenen Ansätze der Firma konnten innerhalb des neuen Geschäftsmodells nicht mehr gleichermassen breit und kollektiv diskutiert werden.
Laut des ehemaligen Mitarbeiters Sylvain Mignot haben sich die internen Veränderungen direkt auf seine Arbeit im Value Chain Team – der Abteilung, die Fairphones Lieferkettenpraxis untersuchen und verbessern sollte – ausgewirkt: „Unsere Abteilung musste anstatt innovativer, proaktiver Forschung immer mehr PR-Kommunikation betreiben“, sagt er. Für eigene Forschung sei dagegen immer weniger Geld zur Verfügung gestanden.
Schliesslich verkaufte das Unternehmen 2017 statt der angestrebten 150’000 nur 25’000 Handys. Die den Investor:innen vorgelegten Prognosen wurden nicht einmal annähernd erreicht, was den Druck auf die Geschäftspraktiken des Unternehmens weiter erhöhte. Mignot erzählt, wie sein Team beispielsweise lange recherchierte, um dem Management einen geeigneteren Endmontagepartner vorzuschlagen. Zu seiner Überraschung entschied sich das Management dann jedoch für denjenigen mit der schlechtesten Bewertung, was Arbeitsbedingungen anbelangte: den aktuellen Endmontagepartner Arima Corporations. Mignot meint dazu: „Fairphone trifft wie jedes andere Unternehmen kostenbasierte Entscheide. Aber sie kommunizieren, dass sie Dinge anders machen.“
Das Lamm konnte diesen Entscheid nicht überprüfen. Was aber auffällt: Der Wechsel vom allerersten Endmonteur zum zweiten wurde von Fairphone ausführlich begründet, indem die Kriterien für das Auswahlverfahren offengelegt wurden. Der Wechsel zum aktuellen Fabrikanten war für die Kund:innen von Fairphone nicht mehr gleichermassen nachvollziehbar. Zu den Gründen hierfür hat Fairphone gegenüber das Lamm keine Stellung bezogen.
Arbeitsklima, Werbung, Transparenz
Ehemalige Angestellte der Firma berichten auch von einem belastenden Arbeitsklima während der Umbruchszeit. Immer mehr Leute hätten das Unternehmen verlassen, die Arbeitsbedingungen wären zunehmend schlecht, das Klima toxisch geworden.
Auf Glassdoors Reviews, einem Portal, auf dem Mitarbeiter:innen ihre Arbeitgeber:innen anonym bewerten können, finden sich etliche Einträge, welche diese Eindrücke bestätigen: „Riesige Enttäuschung, die schwer zu verarbeiten ist“, „Unzuverlässiges und missbräuchliches Unternehmen“ oder „Fake-Fairness“ lauten einige der Titel für solche Arbeitnehmer:innen-Reviews. Weitere Themen sind unbegründete Kündigungen, Burnouts, unfaires Lohnsystem und das Fehlen von postulierten Werten.
Die involvierten Personen, mit denen das Lamm gesprochen hat, verliessen Fairphone während oder nach der Umbruchszeit und konnten daher nicht über die aktuellen Arbeitsweisen des Unternehmens berichten. Was sie aber damals beobachteten, scheint sich auch heute noch abzuzeichnen.
So kommunizierte Fairphone in der Vergangenheit beispielsweise selbstkritisch über die anhaltend unfairen Arbeitsbedingungen in der unternehmenseigenen Lieferkette. Betrachtet man ihre aktuelle Bildsprache, wird man dagegen eher an die Nachhaltigkeitskommunikation von Glencore erinnert. So zeigt ein zweiminütiges Werbevideo Bilder von Fabrikarbeiter:innen von Arima Corporations, untermalt mit Musik. Während die lächelnden Menschen nicht zur Sprache kommen, steht in Untertiteln: „Diese Menschen sind mehr als ein Fliessband“, „Wenn Sie ein Fairphone kaufen, können Sie ihnen in die Augen sehen“. Bei Betrachter:innen bleibt ein fahler, nicht unberechtigter Geschmack von Neokolonialismus. „Willkommen in einer gerechteren Welt, getarnt als glänzendes neues Telefon“ – mit diesem nicht weniger platten Slogan machte die Agentur KesselsKramer Werbung für das Fairphone 3+.
An anderen Beispielen zeigt sich, wie sich der firmeneigene Transparenz-Anspruch verändert hat: Die Kostenaufschlüsselung für das Fairphone 3 listet im Gegensatz zum zweiten Modell keine Marketingkosten oder Margen pro Telefon auf. Die Margen seien entfernt worden, weil Fairphone heutzutage gegenüber grossen Wiederverkäufer:innen in einer Verhandlungsposition stünde und die Marketingkosten seien nicht ausreichend genau definierbar, begründet das Unternehmen diesen Schritt auf Nachfrage. Für das Fairphone 3+ und 4 gibt es schliesslich gar keine öffentliche Kostenaufschlüsselung mehr.
Wachsendes Sozialunternehmen
Während Wachstumsbestrebungen jedes Startup vor Herausforderungen stellen, ist diese Phase für Sozialunternehmen noch einmal schwieriger: Wer wirklich an einem sozialen Auftrag festhält, wird mit niedrigeren Erträgen rechnen müssen. Die meisten Startups überstehen diese erste Phase nicht, Fairphone hat dagegen überlebt.
Was mit der Lancierung des Modells Fairphone 2 Ende 2015 in die Wege geleitet wurde, trug fünf Jahre später Früchte: 2021 verkündet das Unternehmen einen Umsatzanstieg von 87 Prozent, das Volumen der verkauften Geräte stieg um 76 Prozent. Noch immer aber liegt die Zahl der verkauften Telefone mit 95’000 unter den angestrebten 150’000 pro Jahr. Die zweite Wachstumsphase steht also bevor. Eelco Blok, ehemaliger CEO der grössten niederländischen Telekommunikationsfirma, wurde dafür in den Aufsichtsrat geholt.
Wie Fairphones Impact-Investor:innen verkündet auch dieser sein Engagement für eine fairere, nachhaltigere Welt. Das Unternehmen könne weiterhin, auch mit externer Kapitalbeteiligung und den damit einhergehenden Mitbestimmungsrechten, seine Mission erfüllen, so CEO Eva Gouwens gegenüber das Lamm. Die Aktionärsvereinbarung beinhalte eine Klausel, dass Investor:innen missionsbezogen entscheiden müssen.
Die Verknüpfung von Wachstumswirtschaft und Nachhaltigkeit ist aber so oder so fragwürdig. Wenn Wachstum mittels Investments und Renditen verwirklicht werden soll, umso mehr: Der Rückfluss von Gewinnen an Eigentümer:innen wird Ungleichheit immer weiter vergrössern. Und die Investor:innen können ihre Anteile jederzeit verkaufen. Auf eine mögliche Exit-Strategie – so weit zu wachsen, um von einem anderen Player gekauft zu werden – antwortet das Unternehmen knapp: „Fairphone wird auf absehbare Zeit ein unabhängiges Unternehmen bleiben.“
Umstrittene Wirkung
In Fairphones aktuellstem Impact Report lassen sich die Erfolge des Unternehmens ablesen. Beispielsweise zahlt es einen Lohnbonus von 1,85 Dollar pro Fairphone an die Mitarbeiter:innen von Arima Corporations; 56 Prozent von acht ihrer Rohstoffe stammen aus verantwortungsvollen Minen. Und für das mittlerweile sechsjährige Fairphone 2 konnte das Unternehmen kürzlich ein Software-Update erkämpfen. Ansonsten fällt Fairphones Umwelt- und Sozialbilanz nicht gross anders aus als etwa bei Apple, wie die Republik kalkulierte – zumindest dort, wo das möglich war.
Jedenfalls sollte Fairphones Einfluss auf die Industrie – die postulierte Motivation für die Wachstumsbestrebungen – kritisch hinterfragt werden. Hierfür lohnt sich ein Blick auf die Fair Cobalt Alliance. Über diese wird in aktuell zwei Abbaustätten im Kongo Schutzausrüstung bereitgestellt oder sauberes Wasser geliefert. Hinzu kommt die Unterstützung alternativer Einkommensmöglichkeiten. Der Bergbau stellt jedoch für viele im Kongo eine vergleichsweise gute Einkommensmöglichkeit dar. Und zwar eine, die durch Player wie Glencore – einem Partner dieser Allianz – verunmöglicht wurde.
Durch Glencores milliardenhohe Investitionen in Katanga wurden kongolesische Abbaugebiete privatisiert; zwischen August 2010 und Februar 2011 waren über 10’000 Menschen von Vertreibungen durch die Katanga Mining Limited betroffen. Diese gehört mittlerweile zu 100 Prozent Glencore. Glencores Unterstützung der Fair Cobalt Alliance mutet auch deshalb komisch an, weil der Konzern Kobalt aus handwerklichen Quellen weder verarbeitet noch kauft oder handelt. Und Tesla, ebenfalls Unterstützerin der Initiative, wird über einen mehrjährigen Kaufvertrag mit Glencore ihr Kobalt zukünftig von der Katanga Mining Limited beziehen.
Mit Hilfe von Fairphone unterstützen Glencore und Tesla also den Kleinbergbau, den sie verdrängten und mit dem sie eigentlich auch heute nichts zu tun haben wollen. Was aber dieses Bündnis über fairen Kobalt bis anhin nicht tangiert hat: Massnahmen zu Verbesserung der noch immer extrem umweltbelastenden Bergbaukomplexe Glencores etwa. Oder eine Festlegung der finanziellen Beiträge der Partner:innen für Investitionen in den handwerklichen Bergbau.
Fairphone jedoch ist überzeugt, dass strukturelle Veränderungen nur in Zusammenarbeit mit Unternehmen mit grösseren Verkaufsvolumen bewirkt werden können.
Die Zahl der sogenannten Sozialunternehmen, die vermeintliche wirtschaftliche Lösungen für soziale und ökologische Probleme bereithalten, ist laut einer Datenbanksuche von weniger als 100 pro Jahr im Jahr 2000 auf über 10’000 pro Jahr seit 2014 gestiegen. Diese versuchen im Grunde jedoch nichts anderes zu tun, als kapitalistische Machtstrukturen und Geschäftsmethoden so zu nutzen, dass soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht. Die Unternehmensgeschichte von Fairphone ist das beste Beispiel hierfür.
„Es ist kein Geheimnis: Wir wollen die Welt verändern. Fairphone stellt Mensch und Umwelt an erste Stelle.“ Mit diesem Anspruch will Fairphone nun schon seit bald zehn Jahren die Geschäftswelt der Smartphones revolutionieren. Anfang Oktober 2021 ist ihr viertes Fairphone-Modell erschienen. Kann dieses Telefon wirklich eine fairere Welt schaffen?
In einer vierteiligen Serie geht das Lamm dieser Frage nach.
Teil 1: Fairphones Zinnlieferkette: Different but same
Teil 2: Wenn Zertifikate Menschenrechtsverletzungen vertuschen
Teil 3: Fairphone: Der Preis des Wachstums
Teil 4: Wenn das Geld abfliesst
Die Serie enthält Links zu wissenschaftlicher Literatur, die nicht für alle frei zugänglich ist. Kontaktiere uns, wenn du sie lesen möchtest.
Diese Reportage wurde in Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Geologen Lucien Kamala realisiert und von der Journalistin Sylke Gruhnwald begleitet. Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der Olin gGmbH.
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