Wenn Zerti­fi­kate Menschen­rechts­ver­let­zungen vertu­schen (2/4)

Der Minen­ge­sell­schaft Alphamin werden in der DR Kongo etliche Menschen­rechts­ver­let­zungen vorge­worfen. Die betrof­fene Zinn­mine findet sich auch in Fair­phones Liefer­kette – denn sie entspricht den gängigen Stan­dards für verant­wor­tungs­volle Rohstoffe. Teil 2 unserer Fairphone-Serie. 
Auch Fairphone bleibt meist nichts anderes übrig, als sich auf Industrie-Zertifikate zu verlassen. (Illustration: Iris Weidmann)

Bisie, Januar 2020. Omari* betritt mit Mitglie­dern zweier Berg­bau­ko­ope­ra­tiven das Gelände der Minen­ge­sell­schaft Alphamin: Sie fordern die Rück­kehr zu ihrem früheren Wohnort, ihre Rechte für den Abbau der Rohstoffe und eine Wieder­gut­ma­chung ihrer Vertrei­bung. Mit Soldaten im Schlepptau taucht ein Oberst der kongo­le­si­schen Streit­kräfte auf, verfrachtet das Dutzend Prote­stie­rende in Jeeps und fährt sie in ein Hotel in einem nahe­ge­le­genen Dorf. Dort werden sie für sieben Tage fest­ge­halten, bevor ihnen Mili­tärs erneut Hand­schellen anlegen. Sie wehren sich, es folgen Faust­schläge und Hiebe mit Peit­schen. Dann werden sie im Flug­zeug des Minen­un­ter­neh­mens ins Zentral­ge­fängnis nach Goma gebracht. 

So erzählt es Omari zusammen mit seinen Mitstreiter:innen im Juli 2020 in einem lärmigen Restau­rant in der ostkon­go­le­si­schen Provinz­haupt­stadt Goma. Sie alle waren nach diesem Ereignis für drei Monate in Haft – der krimi­nellen Verschwö­rung, der Rebel­lion und der Anstif­tung zu ordnungs­wid­rigem Verhalten ange­klagt. Mitt­ler­weile wurden sie von allen Ankla­ge­punkten freigesprochen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Omari, der heute in seinen 40ern ist, während Monaten in Haft war. Und dort unter unmensch­li­chen Bedin­gungen etwa mit blossen Händen verstopfte Toiletten reinigen musste. Denn der Vorfall ist nur einer unter vielen während des lang­jäh­rigen Konflikts zwischen der Minen­ge­sell­schaft Alphamin und den Berg­leuten aus Bisie; erneut werden Alphamin wegen Kompli­zen­schaft mit dem Militär etliche Menschen­rechts­ver­let­zungen vorge­worfen.

Und doch: Das hollän­di­sche Unter­nehmen Fair­phone, das seine Tele­fone mit Rohstoffen aus konflikt­freien und verant­wor­tungs­vollen Minen herstellt, erachtet Alpha­mins Zinn­mine als verträg­lich mit ihren Stan­dards. Wie kann das sein?

Diese Geschichte folgt der kontro­versen Deutung um die Gescheh­nisse in Bisie, beleuchtet die entschei­dende Rolle von Indu­strie-Zerti­fi­katen und führt zur Endver­brau­cherin Fair­phone, die weniger Einfluss auf die eigene Liefer­kette hat, als dem Unter­nehmen selbst lieb ist.

Die Geschichte(n) von Bisie

„Wir waren es, die 2002 die Zinn­vor­kommen in Bisie entdeckt hatten.“ Omari berichtet, wie sie damals die Abtei­lung für Bergbau in Nord-Kivu infor­mierten und Abbau­li­zenzen für die Koope­ra­tiven COMIMPA und COCABI erhielten. Aus einem grossen Stapel Papiere kramt er die Doku­mente hervor, die das bestä­tigen. Denn noch immer nicht kann er verstehen, weshalb der Staat zur selben Zeit weitere Lizenzen vergeben hatte.

Mit der Entdeckung des Zinn-Reich­tums in Bisie begannen sich auch andere für den Abbau zu inter­es­sieren, unter ihnen ein südafri­ka­ni­sches Handels­haus, das 2006 eine Forschungs­ge­neh­mi­gung erhielt und mit Explo­ra­ti­ons­ar­beiten begann – dort, wo die Berg­leute mit Pickel und Schaufel das zinn­hal­tige Erz abbauten. 

Obwohl damals ledig­lich ein Tram­pel­pfad durch den Regen­wald nach Bisie führte, ist am Fusse des Stein­bruchs eine kleine Stadt mit Läden, Schulen, Bordellen, Geld­ver­leih­häu­sern und Apotheken entstanden. Um die 15’000 Leute lebten in den einfa­chen, mit Plastik­planen bedeckten Behau­sungen – unter ihnen Omari mit seiner Frau, die mit Gütern wie Bier und Scho­ko­lade handelte.

„Zu dieser Zeit konnte ich meine ganze Verwandt­schaft versorgen“, erzählt Omari. Er kaufte auch Grund­stücke und schickte seine Kinder an die Univer­sität: Betriebs­wirt­schaft, Poli­tik­wis­sen­schaft, Agro­nomie. Nicht alle jedoch verdienten so viel wie Omari. Er war Besitzer von 13 Gruben, in denen er je bis zu 20 Leute beschäf­tigte. Diese erwirt­schaf­teten nicht nur ein gerin­geres Einkommen, sondern arbei­teten ohne die nötigen Schutz­vor­keh­rungen in den engen Tunnels.

Anders als die nost­al­gi­schen Ausfüh­rungen der Berg­leute vermit­teln, hatte Bisie inter­na­tional einen sehr schlechten Ruf: Der Ort galt als Nega­tiv­bei­spiel für das Problem von Konflikt­mi­ne­ra­lien. Denn die Mine wurde immer wieder von bewaff­neten Gruppen kontrol­liert. Unter deren Kontrolle fanden Vergehen gegen die Bevöl­ke­rung statt: Über­fälle, Kinder- und Zwangsarbeit. 

Omari will nichts davon wissen. Nur einmal seien bewaff­nete Gruppen in die Mine einge­drungen: An diese seien keine Abgaben bezahlt und Minder­jäh­rige immer sofort aus dem Stein­bruch vertrieben worden. Für ihn haben die Probleme erst mit der Ankunft des südafri­ka­ni­schen Handels­un­ter­neh­mens begonnen. 

Obwohl die Koope­ra­tiven laut einem offi­zi­ellen Abkommen in zuge­teilten Gebieten weiterhin hätten Zinn abbauen dürfen, wurden sie nach und nach aus ihren Zonen gedrängt. Das südafri­ka­ni­sche Unter­nehmen habe die hand­werk­li­chen Abbau­ak­ti­vi­täten behin­dert und die Kleinschürfer:innen einge­schüch­tert, noch bevor es 2015 eine Abbau­li­zenz für das ganze Gebiet erhielt. In der Zwischen­zeit wurde das Unter­nehmen von der heute kana­disch-maure­ta­ni­schen Alphamin Resources aufge­kauft (damals hatte diese ihren Sitz im schwei­ze­ri­schen Zug).

„Alphamin hatte begonnen, das Image des Stand­ortes zu beschmutzen, damit wir unsere Erze nicht mehr verkaufen konnten“, sagt Omari. Einige Leute in Bisie stimmen ihm zu, dass Alphamin wegen der prokla­mierten Gewalt und entsetz­li­chen Arbeits­be­din­gungen in der Mine leich­teren Zugang zu den Abbau­li­zenzen erhielt und die Umsied­lung der Berg­leute eher geltend machen konnte.

Im Dezember 2017 wurden sie samt Frauen und Kindern vom Militär in Fahr­zeuge mit offenen Lade­flä­chen gepfercht. Zur selben Zeit waren in einem der Stein­brüche Schüsse zu hören, Tränengas wurde einge­setzt und die Berg­leute waren dazu gezwungen, all ihre Geräte und ihr Hab und Gut zurück­zu­lassen. Omari und seine Mitstreiter:innen legen hand­ge­schrie­bene Listen von geschä­digten Personen, abge­grif­fene Fotos und Briefe an Beamt:innen vor, um das Gesagte zu untermauern. 

Auch die Unter­su­chung eines zivil­ge­sell­schaft­li­chen Dach­ver­bandes doku­men­tiert menschen­recht­liche Vergehen wie Körper­ver­let­zung oder dass die Leute mitten in der Nacht kilo­me­ter­weit entfernt in verschie­denen Dörfern abge­setzt wurden. Ein daraufhin von Alphamin in Auftrag gege­bener Gegen­be­richt spricht hingegen von einem „gere­gelten Migra­ti­ons­pro­zess“. Er betont, dass die Firma das Lizenz­recht für das ganze Gelände besitze und die Personen sich illegal auf ihrem Gelände befanden. Und dass die Leute über ihre Evaku­ie­rung infor­miert waren.

Heute produ­ziert Alphamin als „Welt­markt­führer für konflikt­freies Zinn“ – obwohl die Berg­leute vertrieben und fried­lich Prote­stie­rende wieder­holt fest­ge­nommen wurden. Wie geht das?

Die Zerti­fi­zie­rung

Bevor das Zinn die Tore des Minen­ge­ländes verlassen kann, muss es offi­ziell das regio­nale Konflikt­frei-Zerti­fikat von der Confe­rence Inter­na­tional sur la Region des Grands Lacs (CIRGL) erhalten. Die indu­stri­elle Mine wird hierfür nicht wie hand­werk­liche Abbau­stätten jedes Jahr einer Inspek­tion unter­zogen, sondern es genügt die stän­dige Anwe­sen­heit von Vertreter:innen der staat­li­chen Berg­bau­dienste. Anhand fälschungs­si­cherer Versie­ge­lung der Säcke oder bewachter Last­wa­gen­sta­tionen stellen diese sicher, dass keine Mine­ra­lien in die Liefer­kette gelangen, die bewaff­nete Gruppen finan­zieren könnten. 

Weil aber auch Vorwürfe der Menschen­rechts­ver­let­zungen Alpha­mins Zinn bela­stet hatten, führte der kongo­le­si­sche Koor­di­nator des Zerti­fi­zie­rungs­me­cha­nismus vor Produk­ti­ons­be­ginn 2018 eine drei­tä­gige Unter­su­chung durch. Diese kam zum Schluss: Bei den Menschen­rechts­vor­würfen um die Delo­ka­li­sie­rung der Bevöl­ke­rung von Bisie handle es sich um „Lügen“.

Während Expert:innen wegen fehlender Finan­zie­rung der Arbeit des CIRGL und der Nähe der staat­li­chen Akteur:innen zur Rohstoff­in­du­strie an der Glaub­wür­dig­keit dieser Über­prü­fungen zwei­feln, sieht die Zivil­ge­sell­schaft auf natio­naler und inter­na­tio­naler Ebene um die Unter­su­chung in Bisie einen grossen Inter­es­sen­kon­flikt: Diese hätte alleine zum Ziel gehabt, Alpha­mins Weste rein­zu­wa­schen, um das Zinn zum Verkauf freizugeben.

So gelangt das Zinn als Näch­stes in die Hände von Gerald Metals, einem der grössten Rohstoff­händler welt­weit. Seit Beginn der indu­stri­ellen Zinn­pro­duk­tion in Bisie besitzt Gerald Metals einen fünf­jäh­rigen exklu­siven Kauf­ver­trag mit Alphamin. Um ihre Sorg­falts­pflichten sicher­zu­stellen, hat das Unter­nehmen im Jahr 2019 Besuche in der Zinn­mine durch­ge­führt. Der Bericht listet keinerlei Risiken auf – auch nicht die mehr­wö­chige Inhaf­tie­rung von Berg­leuten im selben Jahr.

Diese unkri­ti­sche Beur­tei­lung der Risiken hat wohl auch mit weiteren engen Verban­de­lungen der beiden Unter­nehmen zu tun: Ein Manager von Gerald Metals sitzt im Vorstand von Alphamin, Gerald Metals besitzt sechs Prozent der Aktien dieser Firma und hat wieder­holt enorme Summen in das Minen­pro­jekt inve­stiert, das sie als „stra­te­gi­scher Vermö­gens­wert“ bezeichnet. 

So landet das Zinn erst in einem Depot von Gerald Metals in der Haupt­stadt des Nach­bar­landes Uganda, bevor es über die kenia­ni­sche Hafen­stadt Mombasa nach Malaysia verschifft wird und in die Zinn­schmelze der Malaysia Smel­ting Corpo­ra­tion (MSC) gelangt. 

Auch die MSC hat eine Sorg­falts­prü­fung in Alpha­mins Mine durch­ge­führt, wie aus ihrem Jahres­be­richt 2018 hervor­geht. Und auch dieser stellt keine Unre­gel­mäs­sig­keiten im Umgang mit den Berg­leuten fest. Und glei­cher­massen muss beachtet werden: Die MSC ist nicht nur Verar­bei­terin des Zinns aus Bisie, sondern kaufte schon 2013 knapp fünf Prozent der Aktien Alpha­mins. Und diese Inve­sti­tion war keines­wegs zufällig. 

Denn schon früher war die MSC die grösste Abneh­merin des Zinns aus Bisie – als dieses inter­na­tional noch als proble­ma­tisch galt. Wie aus dem Abschluss­be­richt der UN Group of Experts 2009 hervor­geht, soll die MSC damals indi­rekt bewaff­nete Gruppen finan­ziert haben: Denn seit März 2009 wurde die Bisie-Mine von einer Brigade des kongo­le­si­schen Mili­tärs kontrolliert.

Als die Firma mit der Einfüh­rung des ameri­ka­ni­schen Konflikt­mi­ne­ra­li­en­ge­setzes noch­mals stärker unter Druck geriet, stellte es 2011 all ihre Geschäfts­tä­tig­keiten im Kongo ein. So erstaunt es nicht, dass sich die weitaus grösste Käuferin des kongo­le­si­schen Zinns aktiv in der Conflict Free Tin Initia­tive enga­gierte (das Lamm berich­tete) – und noch im Jahr ihres Rück­zuges als eine der ersten inter­na­tio­nalen Schmelzen den Konflikt­frei-Status erhielt. 

Die Zinn­schmelze selbst wird durch eine Kontrolle der Respon­sible Mine­rals Initia­tive (RMI) bewertet. Im Gegen­satz zu den Sorg­falts­prü­fungen der stark verban­delten Zinn­mine, Händ­lerin und Zinn­schmelze wird diese Kontrolle von unab­hän­gigen Dritt­firmen durchgeführt. 

Doch auch deren Unab­hän­gig­keit kann täuschen. Denn neben ihren Prüf­auf­gaben bieten die Firmen gleich­zeitig Dienst­lei­stungen wie Bera­tung oder Quali­täts­be­ur­tei­lungen an. Oftmals besteht zudem durch lang­jäh­rige Zusam­men­ar­beit inner­halb dieser Branche oft eine kriti­sche Nähe zwischen Geprüften und Prüfer:innen.

Der zusam­men­fas­sende Bericht auf der Webseite der RMI gibt über die letzte Prüf­firma der MSC Auskunft: Die Schweizer SGS, die von Expert:innen zur grössten Profi­teurin des globalen Rohstoff­han­dels gezählt wird. Die Prüf­firmen würden regel­mässig rotieren, so die RMI, doch das Lamm erhielt auch nach mehreren Nach­fragen die Namen der verant­wort­li­chen Prüf­firmen der vergan­genen Jahre der MSC nicht. Auch die MSC hat auf keine unserer Nach­fragen reagiert – so auch nicht auf die Vorwürfe von Menschen­rechts­ver­let­zungen in Bisie. Von Alphamin und Gerald Metals erhielten wir glei­cher­massen keine Antworten.

Die Doku­men­ta­tion

Wir wollen von Fair­phone wissen, ob sich Alpha­mins Zinn in ihrem Telefon befindet. Denn die Zinn­schmelze MSC findet sich auch in ihrer Liste von Schmelzen und Raffi­ne­rien. „Das können wir nicht ausschliessen“, schreibt Fair­phone, „aber es ist auch nicht unsere Absicht, uns zu entla­sten, sondern uns zu enga­gieren und ständig zu verbessern.“

Endverbraucher:innen wie Fair­phone haben übli­cher­weise keinen Zugang zu den Infor­ma­tionen, die Schmelzen wie die MSC mit ihren Prüf­firmen teilen müssen: Doku­mente wie Kauf­ver­träge mit Minen, Zoll­aus­fuhr­pro­to­kolle oder Lager­haus­quit­tungen. Ihnen sollte aber das soge­nannte Conflict Mine­rals Reporting Temp­late (CMRT) Infor­ma­tionen liefern. In diesem sollten ihre Zulie­ferer nicht nur die Schmelzen, sondern auch die Namen und Ortschaften der Minen verzeichnen, aus denen die Schmelzen ihre Rohstoffe beziehen.

Fair­phones Lötpa­sten­her­steller AIM Solder stellt diese Bericht­erstat­tung öffent­lich zu Verfü­gung. Doch es findet sich kein Hinweis auf Alpha­mins Zinn­mine. In der Spalte, die die Herkunfts­minen der Rohstoffe der MSC aufli­sten sollte, steht ledig­lich „Verschie­dene“. Fair­phone sagt dazu: „Wir haben oft keinen Zugang zu dem, was sich jenseits der zweiten Liefer­ebene befindet.“ Und weiter: „Von wem die Schmelzen kaufen, ist im Grunde ihr Geschäftsgeheimnis.“

Nur manchmal sei es möglich, die Akteur:innen auf der zweiten Liefer­ebene davon zu über­zeugen, dass sie mehr Infor­ma­tionen preis­geben. Dies ist ihnen beim Lötpa­sten­her­steller gelungen: Sie konnten einen Händler iden­ti­fi­zieren, über den sie via Massen­bi­lanz­mo­dell Zinn aus hand­werk­li­chen Minen beziehen. Als Mitglied der RMI seien sie aber dazu ange­halten, „Daten auf aggre­gierter Ebene zu veröf­fent­li­chen, um die Vertrau­lich­keit der Beschaf­fungs­in­for­ma­tionen zu wahren“. Gerade die Handels­un­ter­nehmen scheinen nicht zu mehr Trans­pa­renz bereit – ihr Geschäft ist ein Wett­rennen und jede Infor­ma­tion könnte der Konkur­renz helfen.

Auch wenn die RMI regel­mässig staat­liche und zivil­ge­sell­schaft­liche Akteur:innen für ihre Programme konsul­tiert: Letzt­lich wird die frei­wil­lige Initia­tive von der welt­weit grössten Indu­strie­ko­ali­tion regu­liert: der in den USA basierten Respon­sible Busi­ness Alli­ance. Mit über 400 Mitglie­dern vereint die RMI als Unter­gruppe Firmen, die Rohstoffe verwenden, mit ihnen handeln, sie abbauen, schmelzen oder veredeln. 

Dabei über­wacht sich die Indu­strie nicht nur selbst, sondern setzt oder beein­flusst auch die Stan­dards. Obwohl die Daten vorhanden sind, ist die Rück­ver­folg­bar­keit von Rohstoffen bis zu den Minen in den meisten Fällen nicht möglich – auch nicht für Fair­phone. Obwohl in den Minen die gravie­rend­sten Menschen­rechts­ver­let­zungen geschehen.

Fair­phone schreibt nach­träg­lich, dass sie nicht wissen, ob sich Alpha­mins Mine in der Liefer­kette ihres Lötpa­sten­her­stel­lers befindet – da sie selbst via Massen­bi­lanz­mo­dell arbeiten. Man kann sich wohl darüber streiten, in wessen Liefer­kette sich das Zinn befindet. Denn auf der Ebene der Schmelze wird alles vermischt: der Lötpa­sten­her­steller bezieht das Zinn von der MSC und kann sich nicht aussu­chen, ob Alpha­mins Zinn da drin ist oder nicht. 

Der Hand­lungs­spiel­raum

Fair­phone kann zwar keine proble­ma­ti­sche Mine aus der Liefer­kette ausschliessen, hat aber eine gewisse Kontrolle über die Schmelzen. So werden „nicht-konforme“ Schmelzen über die Zulie­ferer zu einer Kontrolle durch die RMI bewegt. „Weigert sich die Schmelze, sich zu enga­gieren“, schreibt das Unter­nehmen, „wird Fair­phone unseren Liefe­ranten auffor­dern, sich von dieser Schmelze zu trennen“.

Mulan Mu, Nach­hal­tig­keits­expertin, die früher für Fair­phone gear­beitet hat, bezwei­felt jedoch die Nütz­lich­keit dieser verbrei­teten Praxis: „Wenn Zulie­ferer sagen, sie hätten eine Schmelze aus ihrer Liefer­kette entfernt, können dies Smartphonehersteller:innen kaum über­prüfen“, sagt sie und offen­bart: „Das Entfernen von der Liste bedeutet nicht zwin­gend, dass eine aus dem Liefe­ran­ten­be­richt entfernte Schmelze auch tatsäch­lich aus der Liefer­kette entfernt wurde.“

Die Kontrolle von Smartphonehersteller:innen sei äusserst begrenzt. „Das Direk­teste, was wir tun können, ist, die Liefe­ranten zu entfernen, welche eine proble­ma­ti­sche Schmelze in ihrer Liefer­kette melden“, sagt Mu. Doch dies ist äusserst schwierig – gerade wenn diese bei einer grossen Schmelze wie der MSC beziehen. Als welt­weit dritt­grösste Zinn­ver­ar­bei­terin belie­fert sie etliche Hersteller:innen von Kompo­nenten für Smart­phones. Fair­phone arbeitet mit minde­stens 73 Komponentenhersteller:innen zusammen. Und die Batterie ist das einzige Modul, das kein Zinn enthält.

Ein Unter­nehmen wie Fair­phone kann in der Praxis kaum ausschliessen, dass Zinn aus einer grossen Schmelze in ihrem Telefon landet. Trotzdem wollen wir von Fair­phone wissen: Kann das Zinn von Alphamin unter den beschrie­benen Umständen wirk­lich als „konflikt­frei“ oder „verant­wor­tungs­voll“ gelten? Das Unter­nehmen schreibt: „Wir stützen uns auf den Status der konflikt­freien Schmelzen und Minen auf der Grund­lage der Zerti­fi­zie­rung der RMI. Die MSC ist eine konforme Schmelze in der RMI-Datenbank.“ 

Fair­phone verlässt sich auf diese Indu­strie-Initia­tive, da es kaum möglich wäre, die 51 Schmelzen in ihrer Liefer­kette selbst zu über­prüfen. Sie haben aber auch keinen Einblick in die voll­stän­digen Reports der Prüf­firmen. Das Unter­nehmen lagert wie der Rest der Branche die Bewer­tung der Risiken in ihrer Liefer­kette an weitere Akteur:innen der Indu­strie aus. Diese möchte die MSC nicht aus ihrer Liefer­kette entfernen. Und das, obwohl der Fall Alphamin keines­wegs abge­schlossen ist.

Der Gerichts­pro­zess

Goma, August 2020. Vor dem Tribunal de Grand Instance in Goma stehen haupt­säch­lich Männer in schwarzen Roben mit weissen Rüsch­chen um die Brust. Sie drängen sich an die an den Holz­türen des Gerichts­saals ange­schla­genen A4-Blätter, auf denen die heutigen Prozesse verzeichnet sind. Omari wartet mit seinen Mitstreiter:innen auf die Prozess-Nummer RC 20648. Sie haben Alphamin verklagt und fordern 2,5 Milli­arden Dollar Scha­den­er­satz für ihre Verluste.

Die Mitglieder der Koope­ra­tiven COCABI und COMIMPA wandten sich an zwei Anwalts­kanz­leien, die sie beim Verfassen ihrer Klage­schrift unter­stützten. Sie umfasst eine Liste des viel­fäl­tigen Inven­tars welches in Bisie zurück­ge­lassen wurde – darunter 126 zerstörte Häuser, 549 Gruben und knapp 107 Tonnen Kassi­terit – und impli­ziert die Verschul­dung, mit der die Leute daraufhin konfron­tiert waren.

Die Unre­gel­mäs­sig­keiten während der Umsied­lung der Bevöl­ke­rung Bisies seien haupt­säch­lich auf das Fehlen einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­studie von Alphamin zurück­zu­führen. Alphamin gibt an, schon 2013 eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­studie veröf­fent­licht zu haben. Die Gegen­seite streitet dies ab. Heute findet sich auf Alpha­mins Webseite eine solche Studie, die auf 2016 datiert ist. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass eine Konsul­ta­tion der Bevöl­ke­rung und deren freie, infor­mierte Zustim­mung für die Pläne statt­ge­funden hätte.

Die Anwälte sowie Menschenrechtler:innen halten die extrem hohe Scha­den­er­satz­for­de­rung von 2,5 Milli­arden Dollar für ange­messen. Denn es gehe nicht nur um die Zerstö­rung und Plün­de­rung der Güter, sondern auch die „Entmensch­li­chung“ während der Vertrei­bung. Eben­falls um alle zukünf­tigen Einkommen, das die Berg­leute und deren Fami­lien noch über Jahre hätte unter­stützen können. Bei der Umsied­lung wurden manche mit zwischen 50 und 300 Dollar entschä­digt – ein „Taschen­geld“ laut den Betrof­fenen (Alpha­mins Angaben gehen bis 800 Dollar).

Im Juni 2018 reichten neun zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen eine weitere Klage gegen Alphamin ein. Die Ankla­ge­punkte reichen von Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit über Auffor­de­rung des Mili­tärs zu diszi­pli­n­wid­rigen Hand­lungen zu rechts­wid­riger Inhaf­tie­rung. Die Klage­schrift bezieht sich auf Einzel­klagen von 300 Opfern, die beim Beru­fungs­ge­richt einge­reicht wurden.

Beide Prozesse jedoch werden immer wieder verzö­gert. So auch an jenem Tag im Gerichtshof, dem Omari und seine Mitstreiter:innen beiwohnen. Im voll­ge­drängten Gerichts­saal stehen sich die Anwälte der beiden Parteien gerade fünf Minuten gegen­über, dann wird die Sache vertagt. „Wir waren schon bei vier Anhö­rungen und die Firma hat nie ihre Doku­mente vorge­legt. Ihre Anwälte sagen jedes Mal, dass sie nicht bereit sind, mit uns zu verglei­chen“, sagt Omari nach der Anhörung.

Die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen sehen darin eine bewusste Verzö­ge­rung und bedauern, dass die kongo­le­si­sche Regie­rung zu den Ereig­nissen in Bisie meist schweigt und die hand­werk­li­chen Berg­leute nicht ausrei­chend unter­stützt. Alphamin nutze die Tatsache aus, dass der Staat verschie­dene Dienst­lei­stungen, darunter auch die Straf­ver­fol­gung, nicht ausrei­chend gewähr­lei­stet. Omaris Kinder haben unter­dessen die Univer­sität abbre­chen müssen und sind bei Verwandten unter­ge­bracht, weil er sie selbst nicht mehr versorgen kann.

*Name von der Redak­tion geändert.

„Es ist kein Geheimnis: Wir wollen die Welt verän­dern. Fair­phone stellt Mensch und Umwelt an erste Stelle.“ Mit diesem Anspruch will Fair­phone nun schon seit bald zehn Jahren die Geschäfts­welt der Smart­phones revo­lu­tio­nieren. Anfang Oktober 2021 ist ihr viertes Fair­phone-Modell erschienen. Kann dieses Telefon wirk­lich eine fairere Welt schaffen?

In einer vier­tei­ligen Serie geht das Lamm dieser Frage nach.

Teil 1: Fair­phones Zinn­lie­fer­kette: Diffe­rent but same

Teil 2: Wenn Zerti­fi­kate Menschen­rechts­ver­let­zungen vertuschen

Teil 3:  Fair­phone: Der Preis der Wachs­tums

Teil 4: Wenn das Geld abfliesst

Die Serie enthält Links zu wissen­schaft­li­cher Lite­ratur, die nicht für alle frei zugäng­lich ist. Kontak­tiere uns, wenn du sie lesen möchtest.

Diese Repor­tage wurde in Zusam­men­ar­beit mit dem kongo­le­si­schen Geologen Lucien Kamala reali­siert und von der Jour­na­li­stin Sylke Gruhn­wald begleitet. Die Recherche wurde geför­dert und unter­stützt von Netz­werk Recherche und der Olin gGmbH.


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