Fick den Genderstern!

Die SVP betreibt mit der Gender­stern-Initia­tive rechten Kultur­kampf und will dem soge­nannten ‚Woke-Wahn­sinn‘ den Garaus machen. Sie können das Sonder­zei­chen gerne haben – voraus­ge­setzt, gender­queere Personen können ein sicheres Leben führen. 
Es ist nicht die Verwendung des Gendersterns, der Menschen schützt oder sichtbar macht – sondern eine queerfreundliche Politik und Gesellschaft. (Bild: Luca Mondgenast)

Der Kultur­kampf hat es an die Urne geschafft: Am 24. November stimmt die Stadt Zürich darüber ab, ob die Stadt­ver­wal­tung den Gender­stern in offi­zi­ellen Texten verwenden darf. Über Sonder­zei­chen abstimmen: eine Weltpremiere!

Als mora­lisch von oben aufge­zwun­genes „Sprach­diktat“ bezeichnet die Initi­antin und SVPlerin Susanne Brunner die geschlech­ter­ge­rechte Sprach­ver­wen­dung der Stadt und möchte das Stern­chen ironi­scher­weise gesetz­lich verbieten lassen. Ironisch ist auch, dass sich die Initi­antin besorgt über die Leser­lich­keit von behörd­li­chem Schreiben gibt, das auch ohne gender­ge­rechte Sprache nicht gerade für seine Zugäng­lich­keit bekannt ist. 

Brunner selbst ist bisher dafür bekannt, dass sie sich gegen den bezahlten Vater­schafts­ur­laub und gegen gratis Badis einsetzt. Das Initia­tiv­ko­mittee setzt sich – bis auf einen Quoten-SPler – aus Politiker*innen von der Mitte bis zum rechten Rand zusammen. 

Die Genderstern-Gegner*innen wollen die Debatte um Geschlech­ter­rollen vom Tisch räumen.

Im Unter­stüt­zungs­ko­mitee der Gender­stern-Initia­tive versam­meln sich krude Gestalten wie Dominik Wermuth, ein Mitglied des Vorstandes von „Keine Heimat“ – eine Orga­ni­sa­tion, die die völki­sche und rassi­sti­sche Verschwö­rungs­er­zäh­lung des grossen „Bevöl­ke­rungs­aus­tauschs“ durch „Umvol­kung“ propa­giert. Im Früh­ling dieses Jahres wurde Wermuth, der vermut­lich anders heisst, auf dem anti­fa­schi­sti­schen Portal barrikade.info als Betreiber unzäh­liger rechts­extremer Schweizer Websites geoutet. Auch Michael Strau­mann, Vorstand vom Verein Mass­voll ist mit von der Partie. Der impf­skep­ti­sche Verein hat es sich schon lange im braunen Lager gemüt­lich gemacht und propa­giert „Remi­gra­tion“, eine faschi­sti­sche Idee eines „reinen Volkes“ und der Aufruf zur Depor­ta­tion aller, die nicht in diese Ideo­logie passen. 

Um den Anschein zu bewahren, es ginge hier irgendwie doch um Sprache und nicht um Politik, gibt es in der Liste des Unter­stüt­zungs­ko­mi­tees unter „Funktion/Amt“ auch eine Person in der Rolle der „Trans­frau“, eine „Ex-Jour­na­li­stin (Über­set­zerin)“ und einen „Typo­gra­phen im Ruhe­stand“. Dass die Verwen­dung des Sonder­zei­chens pola­ri­siert, ist keine Neuheit. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Gewalt gegen nonbi­näre und trans Personen in der Schweiz stetig zunimmt. Und es ist auch keine Über­ra­schung, dass Rechte mit dieser Initia­tive zum kultur­kämp­fe­ri­schen Schlag ausholen und sowohl die Debatte als auch das Ergebnis der Initia­tive hoch­po­li­tisch sind.

Niemand braucht den Gender­stern. Nestlé und Google verwenden ihn und sind deshalb keine grossen Queer-Menschenrechtler.

„Klima-Kleber, Gender- und Woke-Akti­vi­sten“ bedrohten unsere Demo­kratie, beginnt der Text zur Initia­tive auf der SVP-Website. Die Genderstern-Gegner*innen erhoffen sich mit ihrer Initai­tive offen­sicht­lich nicht, endlich gram­ma­ti­ka­lisch-ästhe­ti­sche Fragen bezüg­lich zugäng­li­cher Sprache zu klären, sondern die Debatte um die Frage nach Geschlech­ter­rollen vom Tisch zu räumen. Ein für alle Mal soll vermeint­lich demo­kra­tisch fest­ge­legt werden, wie erst die Zürcher*innen, dann der Rest der Schweizer Gemein­schaft zum Thema Gender steht – und wie wir schreiben und leben dürfen. Hier geht es nicht um Sonder­zei­chen, sondern um unser gesell­schaft­li­ches Zusam­men­leben. Ähnlich wie Elon Musk dieses Jahr die Begriffe „cis gender“ und „cis“ als Belei­di­gung dekla­riert und deren Verwen­dung auf X einge­schränkt hat, beab­sich­tigen sich die Befürworter*innen der Gender­stern-Initia­tive das binäre Verständnis der Geschlechter zu zementieren.

Trotzdem: Niemand braucht den Gender­stern. Nestlé und Google verwenden ihn und sind deshalb keine grossen Queer-Menschen­rechtler. Es ist nicht die Verwen­dung des Gender­sterns, der Menschen schützt oder sichtbar macht, sondern alle Facetten der Gesell­schaft. Sprache ist Teil davon, aber kein Sonder­zei­chen kann gender­queeren Personen das geben, was sie eigent­lich brau­chen: physi­sche, psychi­sche und ökono­mi­sche Sicher­heit, die recht­liche Aner­ken­nung ihrer Existenz – und ihre verdammte Ruhe vor der rechten Kultur­hetze wie dieser Abstim­mung, die ihre Unver­sehrt­heit weiter bedroht. 

Und dennoch ist das Resultat dieser Abstim­mung rele­vant: Weil auch Zeichen rele­vant sind; weil die ganze Welt aus Zeichen besteht, die wir ständig inter­pre­tieren. Momentan sieht es so aus, als würde der Gross­teil der Zürcher Gesell­schaft mit der Version der SVP mitgehen. „Wer nicht gendert, ist ein schlechter, igno­ranter Mensch“, behauptet sie klag­haft und empört sich: „Diese mora­li­sche Auftei­lung ist nicht zu akzep­tieren!“ Nein, ist sie wirk­lich nicht. Fick den Gender­stern! Aber fick zuerst eure menschen­ver­ach­tende und queer­feind­liche Politik! Dann klam­mert sich auch niemand an Sonder­zei­chen fest, um gesehen zu werden und ein sicheres Leben führen zu können.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 6 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 572 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Flucht als Katastrophe

In Europa wird Migration oft als Katastrophe dargestellt, die das Leben der Europäer*innen betrifft, während das tatsächliche Leid der Geflüchteten nebensächlich bleibt. Rohullah Suroosh, geflüchteter Journalist aus Kabul, berichtet von den wahren Katastrophen der Flucht.