Das Bundesgericht hat in einer Serie von Urteilen diverse Schutzmassnahmen für Frauen nach der Scheidung ausgehebelt: Künftig werden weder gemeinsame Kinder noch ein fortgeschrittenes Alter als Grund für eine Unterhaltszahlung akzeptiert. Neu sei immer der Einzelfall entscheidend.
Was von Verbänden wie männer.ch und Alliance F gelobt und von Medien als „Revolution“ beschrieben wird, ist eigentlich nur eines: frauenfeindliche Symptombekämpfung.
Ja, in einer gleichgestellten, fortschrittlichen Gesellschaft könnten sich Frauen und Männer scheiden lassen und ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Viele verheiratete Frauen gehen keiner Lohnarbeit nach oder arbeiten Teilzeit, insbesondere wenn sie Kinder haben.
Einerseits, weil unbezahlte Care-Arbeit immer noch als „Frauenarbeit“ gilt und der gesellschaftliche Druck hoch ist, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein. Andererseits, weil der Ehemann tendenziell mehr verdient und es sich deswegen schlichtweg lohnt, dass er mehr Lohnarbeit auf sich nimmt.
Nach einer Scheidung stehen Frauen also meistens finanziell schlecht da. Die Gründe dafür sind vielfältig: Erstens ist es schwierig, nach jahrelanger unbezahlter Care- oder Teilzeitarbeit plötzlich einen Vollzeitjob zu finden. Zweitens sind Frauen oft in schlecht bezahlten Branchen tätig, etwa im Detailhandel, der Kinderpflege oder dem Gesundheitsbereich. Und drittens werden Frauen systematisch schlechter bezahlt als Männer.
Wie ein Pflaster auf einer Schusswunde
Das alles führt dazu, dass für geschiedene Frauen das Risiko, Sozialhilfe beantragen zu müssen, dreimal höher ist als für geschiedene Männer. Und das war schon bisher so, also in einer Zeit, in der Unterhaltszahlungen des Mannes an die Ex-Frau üblich waren.
Nun hat das Bundesgericht entschieden: Unterhaltszahlungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten sowieso immer seltener gesprochen wurden, sollen künftig die Ausnahme darstellen. Das Bundesgericht bekämpft so lediglich ein Symptom der fehlenden Gleichstellung in der Schweiz – auf Kosten der geschiedenen Frauen.
Jetzt darauf zu hoffen, dass die Urteile die Politik unter Druck setzen werden, mehr Massnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ergreifen, ist zynisch. Aktivist*innen und NGOs kämpfen schon seit Jahren für Massnahmen wie bezahlbare Kinderbetreuung, die Schliessung des Gender-Pay-Gaps und eine gleichberechtigte Elternzeit.
Und wer jetzt mit Sätzen wie „Bleibt erwerbstätig!“ und „Interessiert euch fürs Geld!“ an die Eigenverantwortung von Frauen appelliert, hat wohl ein bisschen zu viel neoliberale „Boss-Girl-Feminismus“-Luft geschnuppert.
Diese Bundesgerichtsurteile und insbesondere die mediale Auseinandersetzung damit sind für die Gleichstellung in der Schweiz etwa so nützlich wie ein Pflaster auf einer Schusswunde. Die Folge davon: Das Armutsrisiko für geschiedene Frauen wird weiter steigen. Und einige Frauen werden sich dreimal überlegen, ob sie sich die Scheidung leisten können und ob die schlechte bis gefährliche Ehe nicht doch das kleinere Übel ist.
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