Mit weniger Geld zu mehr Gleichstellung?

Zwei aktu­elle Bundes­ge­richts­ur­teile gelten für viele als ein weiterer Schritt in Rich­tung Gleich­stel­lung. Was eman­zi­pa­to­risch daher­kommt, wird aber gerade Frauen deut­lich mehr schaden als nützen, wie die Erfah­rung der letzten Jahr­zehnte zeigt. 
Das Bundesgericht hat entschieden: Geschiedene Frauen sollen künftig noch weniger Geld haben. (Illustration: Jana Hofman, @janatschinski)

Wer in den Tagen nach dem femi­ni­sti­schen Kampftag die Zeitungen aufschlug, konnte schnell das Gefühl bekommen, dass das Bundes­ge­richt eigen­händig mit dem tradi­tio­nellen Fami­li­en­bild aufge­räumt hat. Die neusten Urteile seien ein Quan­ten­sprung für die schwei­ze­ri­sche Fami­li­en­po­litik, meint der Tages­an­zeiger; die Ehe sei jetzt kein sicherer Hafen mehr für Frauen, schreibt die NZZ; jetzt werde die Familie moder­ni­siert, hofft die WOZ. 

In zwei wegwei­senden Urteilen haben die Lausanner Richter – die einzige Bundes­rich­terin in der Zweiten zivil­recht­li­chen Abtei­lung war abwe­send – den Anspruch von Unter­halts­zah­lungen nach einer Schei­dung einge­schränkt. Bisher hatten Personen, die sich nach einer soge­nannten lebens­prä­genden Ehe scheiden liessen, Anspruch darauf, den bishe­rigen Lebens­stan­dard bis zur Pensio­nie­rung weiter­zu­führen. Von einer lebens­prä­genden Ehe spricht man dann, wenn sie minde­stens zehn Jahre dauerte oder das Paar zusammen ein Kind hatte.

In der hete­ro­nor­ma­tiven Praxis bedeu­tete das meist, dass der Ehegatte für seine ehema­lige Part­nerin Unter­halts­zah­lungen leisten musste, sofern diese während der Ehe keiner oder weniger Lohn­ar­beit nach­ging. Dasselbe galt bisher für Personen, die bei der Schei­dung älter als 45 Jahre alt waren und vor allem unbe­zahlte Care-Arbeit gelei­stet haben – auch sie mussten keine neue Arbeits­stelle suchen und hatten Anspruch auf Unter­halts­zah­lungen bis zum AHV-Alter.

Neu gilt für beide Fälle kein pauschaler Anspruch mehr auf Unter­stüt­zung durch den ehema­ligen Ehepartner, sondern nur noch in Einzel­fällen und für eine zeit­lich beschränkte Dauer. Wer sich scheiden lässt, soll danach ökono­misch auf eigenen Beinen stehen. Das setzt insbe­son­dere das tradi­tio­nelle Fami­li­en­mo­dell unter Druck: Wer während einer Ehe die Care-Arbeit über­nimmt, steht nun nach der Schei­dung viel­leicht mit leeren Händen da. Und weil diese in der Schweiz über­wie­gend von Frauen wahr­ge­nommen wird, lesen viele die Bundes­ge­richts­ur­teile als Appell an die finan­zi­elle Eigen­ver­ant­wor­tung von Frauen in der Ehe.

Armuts­falle Scheidung

„Damals konnte ich es mir einfach nicht vorstellen, während des Heran­wach­sens meiner Kinder zu arbeiten“, erin­nert sich Monika*. Damals, das war 1991, als sie zusammen mit ihrem Partner Zwil­linge bekam, drei Jahre später folgte ein weiteres Kind. Zuvor hatte die gelernte Kauf­frau Voll­zeit gear­beitet. „Viel­leicht liegt es an meiner konser­va­tiven Erzie­hung oder daran, dass ich keine Karrie­re­am­bi­tionen hatte, aber für uns beide war klar, dass ich zu Hause bleibe und auf die Kinder schaue.“

Dorian Kessler spricht in solchen Fällen von der Idee der Ehe als Versor­gungs­in­sti­tu­tion für Frauen. Kessler hat im Rahmen eines SNF-Forschungs­pro­jekts an der Berner Fach­hoch­schule zu Unter­halts­zah­lungen und zum Armuts­ri­siko nach Schei­dungen geforscht. Die Grund­idee hinter Unter­halts­zah­lungen sei patri­ar­chal: „Im Eherecht war bis 1988 fest­ge­schrieben, dass der Ehemann das Haupt der Familie und somit auch für das Haus­halts­ein­kommen zuständig ist“, erklärt Kessler. Mit den Unter­halts­zah­lungen sollte die finan­zi­elle Verant­wor­tung des Mannes nach der Schei­dung fort­ge­führt werden.

So sollte auch verhin­dert werden, dass die Öffent­lich­keit für die verarmte Ehefrau einspringen muss. Für Monika und ihre Kinder waren die Unter­halts­zah­lungen über­le­bens­wichtig. Nach der Schei­dung blieb ihr nur das gemein­same Haus – sie hatte das Bauland einst geerbt.

Mit dem revi­dierten Schei­dungs­recht wurde 2000 dem neuen egali­tären Eherecht Rech­nung getragen; gleich­zeitig wurde auch das Unter­halts­recht verschärft. Wurde zwischen 1990 und 1992 noch bei jeder zweiten Schei­dung Unter­halt für die Frau fest­ge­legt,  geschah das  zwischen 2006 und 2008 nur noch bei jeder dritten. Kurzum: Immer weniger Frauen erhielten nach dem Ende der Ehe Unterstützungszahlungen.

Doch hat sich dieses strik­tere Unter­halts­recht tatsäch­lich als Gleich­stel­lungs­motor heraus­ge­stellt? Eher weniger. Mit dem Wegfallen der Unter­halts­zah­lung wurde von den geschie­denen Frauen zwar immer mehr ökono­mi­sche Selbst­stän­dig­keit erwartet. „Das ist aber nicht einge­troffen. Unsere Studie zeigt, dass die Einkommen der Frauen in den Jahren nach einer Schei­dung nicht ange­stiegen sind“, sagt Kessler.

Mit anderen Worten: Der Einbruch in Unter­halts­zah­lungen ging nicht mit einer verstärkten Erwerbs­tä­tig­keit einher. Das bestä­tigt auch eine Studie aus Deutsch­land. Frauen haben nach einer Schei­dung schlicht weniger Geld. Zwar gebe es keine abschlies­senden Daten dazu, aber Umfra­ge­er­geb­nisse würden zeigen, dass das Armuts­ri­siko für geschie­dene Frauen in den letzten Jahr­zehnten gestiegen sei. „Ob das durch das Wegfallen der Unter­halts­zah­lungen erklärt werden kann, muss aber zuerst erforscht werden“, so Kessler.

Der Forscher zwei­felt dann auch an der Gleich­stel­lungs­wir­kung der jüng­sten Verschär­fung im Unter­halts­recht. Es erin­nere ihn ein wenig an die Diskus­sion rund um die Kürzungen bei der Sozi­al­hilfe: „Die wirt­schafts­li­be­rale Idee, dass Menschen durch Unter­stüt­zungs­lei­stungen arbeits­scheu werden und sich nur durch Kürzungen zur Arbeit moti­vieren lassen, lässt sich empi­risch kaum nach­weisen.“

Aben­d­ein­sätze im Gastgewerbe

Trotzdem scheint das Bundes­ge­richt an der Idee fest­zu­halten – und beweist Reali­täts­ferne: So hält es in einem der beiden Urteile fest, dass die Beschwer­de­füh­rerin sich trotz ihrer Care-Arbeit für die drei gemein­samen Kinder stärker auf dem Arbeits­markt hätte bemühen sollen. Das Bundes­ge­richt liefert im Urteil auch gleich mögliche Berufs­felder für die studierte Infor­ma­ti­kerin: Gast­ge­werbe, Detail­handel, Pflegebereich.

„Das ist zynisch“, meint dazu Aline Masé. Sie ist Leiterin der Fach­stelle Sozi­al­po­litik bei der Caritas Schweiz. Gerade der Pfle­ge­be­reich sei ohne Ausbil­dung prekär: sehr hohe Bela­stung bei schlechter Bezah­lung. „Natür­lich wäre es aus Sicht der Armuts­prä­ven­tion gut, wenn Frauen moti­viert werden, auch in einer Ehe erwerbs­tätig zu bleiben.“ Da aber Frauen über­durch­schnitt­lich viel Care-Arbeit in der Ehe über­nehmen und somit häufig und für lange Zeit aus der Arbeits­welt scheiden würden, sei nach der Schei­dung fast nur ein Einstieg in die Tief­lohn­branche möglich. Für Monika bedeu­tete das unre­gel­mäs­sige Aben­d­ein­sätze im Gast­ge­werbe. Gereicht hat das Geld aber nicht, auch nicht mit den Unterhaltszahlungen.

In solchen Fällen greift die Sozi­al­hilfe. Und das nicht selten: Die Wahr­schein­lich­keit, erst­mals Sozi­al­hilfe bean­tragen zu müssen, ist für Frauen nach einer Schei­dung mehr als 300 Prozent höher als für ihre Ex-Partner; rund jede achte Frau mit schul­pflich­tigen Kindern ist ein Jahr nach der Tren­nung von der Sozi­al­hilfe abhängig. Bei den Männern ist es jeder Zwanzigste.

Monika war lange auf Unter­halts­zah­lungen, Neben­ein­kommen und Sozi­al­hilfe ange­wiesen. Jetzt, da alle ihre Kinder im Erwach­se­nen­alter sind, arbeitet sie in der Verwal­tung. „Neben der Erzie­hungs­ar­beit und der Lohn­ar­beit im Restau­rant hatte ich schlicht keine Energie mehr, mich auf andere Stellen zu bewerben“, erin­nert sich Monika.

Über­haupt sei der Arbeits­markt gar nicht bereit, die geschie­denen Frauen mit Klein­kin­dern aufzu­nehmen, meint Aline Masé von der Caritas. Für Frauen, die zu Hause einen Gross­teil der Kinder­be­treuung über­nehmen und nur in einem geringen Pensum arbeits­tätig sein können, ist es sehr schwierig, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.

Es droht die Altersarmut

So sieht es für geschie­dene Frauen dann auch nach der Pensio­nie­rung düster aus. Monika erwartet, dass sie gerade einmal 3 500 Franken pro Monat erhalten wird – AHV und Pensi­ons­kasse zusammen. Der Grund dafür? Der soge­nannte „Gender-Pension-Gap“.

Frauen erhalten in der Schweiz rund einen Drittel weniger Rente als Männer. Und zwar aus den immer­glei­chen Gründen: Frauen über­nehmen mehr Care-Arbeit für die Familie. Da diese aber nicht bezahlt wird und somit nur kleine Pensi­ons­kas­sen­bei­träge gelei­stet werden, erhalten sie – wenn über­haupt – nur geringe Leistungen aus der beruf­li­chen Vorsorge. Wenn sie neben der Erzie­hungs­ar­beit doch noch Teil­zeit arbeiten – etwa im Pfle­ge­be­reich oder im Gast­ge­werbe – verdienen sie oft weniger als die 21 150 Franken, die den Arbeit­geber zu Beiträgen an die Pensi­ons­kasse verpflichten. Beson­ders einschnei­dend ist der Gender-Pension-Gap für geschie­dene Frauen: Fast ein Drittel von ihnen ist auf Ergän­zungs­lei­stungen ange­wiesen, also zusätz­liche finan­zi­elle Unter­stüt­zung, weil das Geld im Alter nicht zum Leben reicht.

Was also tun? „Die Schei­dung ist der falsche Moment, um Gleich­stel­lung zu schaffen“, ist Kessler über­zeugt. Es wäre viel wirkungs­voller, Gleich­stel­lung zu fördern, bevor Paare eine feste Rollen­ver­tei­lung eingehen. Für Aline Masé liegt der Schlüssel im Ausbau und der stär­keren Subven­tion von ausserfa­mi­liären Betreu­ungs­an­ge­boten. So fehlte im Dorf, in dem Monika ihre Kinder grosszog, ein Angebot für Fremd­be­treuung, Gross­el­tern gab es keine. „Hätte ich meine Kinder zu einer Tages­mutter gegeben, wäre mein ganzes Einkommen dafür drauf­ge­gangen“, sagt Monika.

Doch eigent­lich wären sowieso weit tief­grei­fen­dere Verän­de­rungen ange­zeigt: Aufwer­tung von prekären Berufen im Pflege- und Betreu­ungs­be­reich, finan­zi­elle Wert­schät­zung von Care-Arbeit, kompro­miss­lose Lohn­gleich­heit und eine vertiefte Ausein­an­der­set­zung mit den wirt­schaft­li­chen und sozialen Folgen von patri­ar­chalen Geschlechterrollen.

Alles Forde­rungen des femi­ni­sti­schen Kampf­tages, also.

* Name der Redak­tion bekannt


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