Wie schlimm steht es wirklich um die Welt? Das weiss niemand genau. Eine Nachricht jagt die nächste – wie einen Überblick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausgewählte News häppchenweise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen in unregelmässigen Abständen Anhaltspunkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.
Heute: Eine Pipeline für Fracking-Öl darf nicht unter dem Missouri durch. Die Tentakel der Autobahn A5 vergreifen sich an Biel. Und wer Broccoli aus eigenen Samen züchten möchte, muss auch künftig keine Gebühr an die Paten Syngenta &Co. entrichten.
Good News 1: Eine Pipeline bohrt sich am Indianerreservat Standing Rock stumpf
Was ist passiert? In North Dakota wird viel Öl aus dem Boden gefrackt. Das ist dreckig, ausserdem an der Zapfsäule teuer. Nebst der teuren Förderung auch deshalb, weil es in Lastwagen gepumpt und weggekarrt werden muss, soll es das Hinterland North Dakotas verlassen können. Aus diesem Grund sollte eine 2000 Kilometer lange Pipeline her, die den Transportpreis halbieren würde. Und zwar so schnell wie möglich. Denn die saudische Ölschwemme drückt auf den Ölpreis.
So schnell wie möglich heisst, so direkt wie möglich unter dem Missouri hindurch nach Illinois, wo die Raffinerien auf das Rohöl warten. Das aber haben die EinwohnerInnen des Indianerreservats Standing Rock verhindern können. Ihre Begründung, die sie nur unter dem wütenden Knüppelregen der OrdnungshüterInnen vorbringen konnten: Schlüge das Rohr leck, so mischte sich das giftige Öl ins Grundwasser. Die Menschen würden dann von ihrer Lebensgrundlage abgeschnitten, und das über Jahre hinweg.
Nun hat das zuständige Army Corps of Engineers den Betreibern der Pipeline die Bewilligung für diesen Abschnitt entzogen. Sie müssen für ihr Rohr eine andere Route finden und dafür auch noch eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung vorlegen.
Weshalb ist das wichtig? Billiges Öl ist das letzte, was unser Klima braucht. Pipelines verbilligen den Öltransport und damit das Öl. Aber nicht nur das: Sowohl die geplante Dakota Access Pipeline (DAPL) wie auch die Keystone Pipeline, deren Kapazitätserweiterung auf Keystone XL — eine Pipeline direkt nach Kanada — dank Obama auf Eis gelegt ist, fördern viel „nicht-konventionelles“ Öl. Will heissen: Öl, das unter sündhaftem Energieaufwand dem Boden abgewonnen wird. Entweder dadurch, dass ganze Wälder abgetragen werden, um den Teersand darunter freizulegen, der dann in Lösemittel gekocht werden muss. Oder eben durch Fracking, bei dem unter Hochdruck Lösemittel ins Ölgestein gepresst wird.
Das so gewonnene Öl liegt dem Klima schon schwer auf, bevor es überhaupt in einem Motor verbrannt wird. Aber es war nicht primär klimapolitischer Aktivismus, der das Rohr verhinderte, sondern der zähe Widerstand der Menschen von Standing Rock. Wie sollten sie noch auf ihrer Erde leben können, wenn nach einem Leck ihre Duschen brennen, ihre Kehlen nach Benzin schmecken, ihre Ackerböden vom Öl kleben?
Aber? Trump und die zwei Schweizer Grossbanken haben kein Interesse, dass das halbfertige Rohr vor sich hinrostet. Für den einen ist es eine Lebensader des künftig wieder gross(motorig)en Amerikas, für die anderen eine potenzielle Investitionsruine. Wie die WOZ recherchiert hat, haben die CS und die UBS je 340 Millionen Franken in dieses lecke Rohr gebuttert. Das Baukonsortium der Dakota Access Pipeline wird gegen den Beschluss Rekurs einlegen, unter anderem auch, um seine Kredite am Paradeplatz bedienen zu können. Und Trump wird versuchen, den Widerstand von Standing Rock in geliebter Manier plattzutrampeln. Dass die Keystone Pipeline nicht auf das amerikanische Mass schlechthin vergrössert werden darf, das hat Trump bereits aufzuheben versprochen („Make Keystone XL again“). Der Kampf hat also erst begonnen.
Bad News: Autowahnsinn in Biel
Was ist passiert? Offene Autobahnanschlüsse gleich hinter dem Bahnhof und am Seeufer? In Biel werden totgeglaubte Träume aus der Hochblüte des Autoverkehrs wiederbelebt, und darin die Stadt durch eine Betonschlucht von ihrem See abgenabelt. In dieser offenen Wunde würden dereinst die Blechlawinen von Bern und Solothurn hinter dem Bahnhof hindurch vor den See fliessen — oder wohl eher stocken. Denn am Ende dieser Umfahrung wartet dann eine Strasse mit Gegenverkehr. Dort gilt wieder Tempo 60 bis 80, mit Velos und Traktoren versteht sich. Im Frühjahr 2017 sollen die definitiven Pläne für das Bauvorhaben von „nationalem Interesse“ publiziert werden. Zwangsenteignungen und fehlendes Mitspracherecht durch die EinwohnerInnen inklusive.
Weshalb ist das wichtig? Die Westumfahrung würde offen durch ein Wohnquartier geführt, und sie würde auch auf dem sogenannten Strandboden offen liegen, direkt unter dem Naturschutzgebiet Felseck. Weil keine Tunnels mehr gebaut werden dürfen, in denen ein Stau auftreten könnte. Denn im Falle eines Staus müssen die Rauchgase aus Sicherheitsgründen frei abdampfen können. Ausserdem würde die Westumfahrung an ihrem Ende die schönen Weinberge entlang des Jurasüdfusses auf einer Länge von 15 Kilometern zwischen Biel und Le Landeron mit noch mehr Stau und Gestank beglücken. Sie würde 2,2 Milliarden Steuergelder des Bundes opfern. Für ein 2,75 Kilometer langes Betonprojekt, das aus der Vergangenheit stammen könnte — und auch dort bleiben sollte. Am bedenklichsten aber ist, dass sie eine veraltete Verkehrspolitik in Beton und Bitumen gösse und damit für Jahrzehnte Fakten schaffte: Denn eine Strasse, die gebaut ist, die wird auch befahren. Und das meist mehr, als wenn sie nicht gebaut worden wäre.
Aber? Widerstand erblüht. Nicht nur bei jenen Menschen, die in den 50 Häusern wohnen, die abgerissen werden sollen, sondern in der ganzen Stadt: Der Verein „Westast“ so nicht! zählt mittlerweile 1001 Mitglieder, was bei 54’000 EinwohnerInnen schon zwei knappe Prozent ausmacht. Auch wenn die BielerInnen für diese Nationalstrasse kein Mitspracherecht haben, da von „nationalem Interesse“, übt er mit ihnen schon einmal den politischen Widerstand gegen diesen Wahnsinn. Etwa auf Stadtwanderungen „entlang der Zerstörungsachse Strandboden — Bahnhof — Weidteile“ unter dem Motto: „Was nicht gebaut ist, kann man ändern.“
Good News 2: Der Broccoli gehört nun wieder sich selbst
Was ist passiert? Es würde heute kein Broccoli mehr gedeihen, hätten italienische GärtnerInnen die Samen ihrer prächtigsten Exemplare seit dem 16. Jahrhundert nicht immer wieder neu in ihre Beeten gepflanzt. Denn Kulturpflanzen sind in der freien Wildbahn wenig konkurrenzfähig, sterben also rasch aus, wenn sie nicht ordentlich gepflegt werden.
Während 10’000 Jahren europäischer Pflanzenzucht war diese Kulturleistung bis vor kurzem Gemeingut. Das heisst, dass man aus einem Broccoli-Samen züchten durfte, was man wollte, ohne jemandem Geld zu schulden. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das geändert. Wer heute beispielsweise auf die (naheliegende) Idee käme, „wilde Brassica oleracea-Spezies mit Brassica oleracea-Zuchtlinien [d.h., Broccoli]“ (Pat. Nr. EP 1 069 819 B1) zu kreuzen und auf einen bestimmten Geschmack hin zu selektieren, der dann zufälligerweise mit einem hohen Anteil am gesunden Pflanzeninhaltsstoff Glucosinolat einherginge, der muss der Firma Plant Bioscience Ltd. Geld entrichten! Denn diese hält ein Patent auf eben diese Züchtungsmethode. Doch nun hat die EU-Kommission am 3. November 2016 entschieden, Patente auf konventionell gezüchtetes Saatgut wieder zu verbieten.
Weshalb ist das wichtig? Weil es nicht nur um Broccoli, sondern letzten Endes um all unser Essen geht. Gehörte das Gemüse aus eigens gezüchteten Samen plötzlich einem Agrarkonzern, weil der eine vermeintliche züchterische Innovation als die seinige glaubt ansehen zu dürfen, dann wird es rasch ungemütlich. Es entfielen dann plötzlich Gebühren auf diese und jene Pflanze, schlicht weil jetzt keine Broccoli aus Eigenzucht mehr, sondern überall nur noch Broccoli pat. pend. wüchsen. Also jeder Broccoli, der keimte, immer auch schon als einer von Plant Bioscience Ltd. keimte. Damit könnten Agrarkonzerne nicht nur Geld am von ihnen gezüchteten Saatgut verdienen, sondern auch an solchem, das sie gar nicht selbst gezüchtet haben. Weil auch in diesen Samen ‚ihr‘ Erbgut steckte.
Das ist keine Paranoia, sondern in den USA bereits grausige Realität: Privatdetektive und ‑detektivinnen von Monsanto schnüffeln in den Feldern von Bauern nach Mais, der Monsantos Bt-Gen enthält. Finden sie Mais mit einem solchen Gen bei einem Bauern, der keine Lizenzgebühr entrichtet, dann verklagen sie den Bauern. Ob er ihren Mais ‚illegal‘ weitergezüchtet hat, oder ob schlicht Pollen vom Nachbarn seinen Mais bestäubt haben, kann unter solchen Regelungen schnell als einerlei gelten. Gut, hat die EU-Kommission diesen Irrsinn in Europa nun verboten.
Aber? Momentan besteht das Patent EP 1 069 819 B1 auf den gesunden Broccoli nebst gut hundert weiteren Patenten auf konventionelles Saatgut noch. Dem Beschluss der EU-Kommission müssen erst noch die Taten des Europäischen Patentamts folgen. Und das Lobbying der Agrarkonzerne wird wegen dieser Niederlage nicht nachlassen. Sie werden fabulieren, wir würden ohne den Patentschutz keine effiziente Saatgutzüchtung haben – weil kein ausreichender finanzieller Anreiz dafür bestünde. Die über Jahrhunderte patentfreie Zucht von so wunderschönen Pflanzen wie der Feuerbohne oder dem Romanesco aber straft ein solches Denken Lügen – und entlarvt, dass es diesen Konzernen wohl um etwas ganz anderes geht: um die möglichst umfassende Kontrolle unser aller Lebensgrundlage.
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