Katze, Kobra, Krieg

In Kabuls einzigem Yoga­studio finden trau­ma­ti­sierte Frauen eine Atem­pause von der Gewalt in ihrer Stadt. Doch die Taliban sind noch immer eine tägliche Bedrohung. 

Fakhria Ebra­himi Momtaz hätte gerne die Präsi­den­ten­gattin als Kundin. Nicht in ihrem Studio aller­dings, denn sollte die First Lady den Wunsch nach Yoga verspüren, würde man alle Strassen der Umge­bung für sie und ihre Entou­rage aus Sicher­heits­leuten sperren, bewaff­nete Männer würden das Gebäude sichern. Das wäre Momtaz zu viel der Aufregung.

Doch eine Privat­stunde in der Präsi­dent­schafts­re­si­denz könnte sie sich vorstellen. Warum auch nicht, sagt sie, selbst First Ladies hätten das Bedürfnis nach Verin­ner­li­chung. Die First Lady eines Landes, in dem Krieg herrscht und deren Ehemann sich gegen viele Feinde behaupten muss, ganz beson­ders. Was gibt einer Frau mehr Kraft, als etwas für ihren Körper, Geist und Seele zu tun? Vor allem in Zeiten, in denen afgha­ni­sche Frauen fürchten, die wenigen Frei­heiten zu verlieren, die sie sich in den vergan­genen 20 Jahren erkämpft haben.

In Afgha­ni­stan, wo Momtaz in der Haupt­stadt Kabul das erste und einzige Yoga­studio des Landes betreibt, sollen die Taliban wieder Teil der Regie­rung werden, sollen mitbe­stimmen können, welchen Weg Politik und Gesell­schaft gehen. Und dieser, so sieht es jetzt schon aus, wird kein Weg der Frau­en­rechte sein. Denn immer wieder ermorden die Taliban oder der IS jene Frauen, die sichtbar sind: Jour­na­li­stinnen, Poli­ti­ke­rinnen, Akti­vi­stinnen. Im August 2020 gab es ein Attentat auf die Poli­ti­kerin Fausia Kufi – das diese über­lebte –, im Dezember wurden die Mode­ra­torin Malalai Maiwand und die Frau­en­recht­lerin Freschta Konstani, im Januar 2021 zwei Rich­te­rinnen ermordet.

Bereits seit September 2019 gibt es einen soge­nannten inner­af­gha­ni­schen Dialog zwischen Dele­ga­tionen der Taliban und der Regie­rung. Zu Letz­teren gehört auch Fausia Kufi als eine von vier Frauen, die die Belange der Zivil­ge­sell­schaft und die Wahrung von Frau­en­rechten gegen­über den Taliban durch­setzen wollen. Doch die Gespräche kommen kaum voran, schei­tern schon an Grundsatzfragen.

Nach wie vor beharren die Taliban auf der Ausle­gung des Lebens streng nach der Scharia, die unter der Tali­ban­herr­schaft, die bis zum Jahr 2001 andau­erte, Frauen jegliche Frei­heit nahm, sie ins Haus und unter den Voll­schleier, fort aus dem öffent­li­chen Leben verbannte. Obwohl der von ihnen gefor­derte Austausch von Gefan­genen inzwi­schen abge­schlossen ist, haben die Taliban bislang keiner Waffen­ruhe zuge­stimmt, die Anzahl ihrer Atten­tate sogar noch inten­si­viert. Laut Recher­chen der New York Times wurden im Jahr 2020 137 Zivi­li­sten ermordet.

Dass Frauen mitten in einer Stadt, in der sich seit Jahr­zehnten die Spirale der Gewalt immer schneller dreht und der Grat zwischen Leben und Tod schmal ist, sich zu Hund und Katze, Kobra und Krie­gerin verdrehen, ihrem inneren Atem lauschen oder den Sonnen­gruss üben können, das, sagt Momtaz, sei ein hart erkämpftes Recht und umso wich­tiger sei es, dieses weiter zu verteidigen.

Es gibt von Momtaz ein Foto, darauf ist sie neun Jahre alt, sieht aus wie eine Pippi-Lang­strumpf-Göre und streckt ihren Kopf von hinten durch die Beine, ganz so, als sei ihr Rück­grat aus Gummi. Momtaz hat solche und ähnliche Verren­kungen als Kind ständig gemacht, sie unter­hielt damit ihre Familie und hatte keine Ahnung, dass man so etwas in anderen Ländern als Yoga bezeichnet.

Als Momtaz 1977 geboren wurde, war Kabul eine mittel­grosse Stadt, Zwischen­sta­tion für viele Verrückte auf dem Hippie-Trail nach Indien und beliebt wegen der billigen Drogen, die man dort kaufen konnte. Afgha­ni­sche Männer liefen in Jeans, afgha­ni­sche Frauen in kurzen Röcken herum, und wenn Kabul auch nicht der Inbe­griff von peace, joy and love war, so liess sich dort doch fried­lich leben.

Als Momtaz 19 Jahre alt war, kamen die Taliban an die Macht. Sie verboten Musik, Kunst und Mädchen­bil­dung, zwangen Frauen zum Tragen einer Burka und brachten die Dunkel­heit einer menschen­feind­li­chen Ideo­logie über das Land. Momtaz floh mit ihren Eltern nach Peschawar in Paki­stan und hörte dort erst­mals von Yoga. „Jemand schenkte mir ein Übungs­buch und ich sah darin all die Posen, die ich bereits als Kind geübt habe.“

Es ist das eine, gut in Yoga zu sein, aber etwas ganz anderes, daraus einen Beruf zu machen. Momtaz beschloss zunächst, Ärztin zu werden, studierte Medizin, kam 2002 nach Kabul zurück, heira­tete einen Unter­nehmer, bekam vier Kinder und übte zur Entspan­nung täglich ihr Yoga. Je tiefer ihr Land in Verzweif­lung versank, je mehr Leid all das Töten und Sterben über Fami­lien, über die Frauen brachte, desto mehr wuchs die Idee, ein Yoga­studio zu eröffnen.

In ihrer Verwandt­schaft gab es Frauen, die ihre Männer verloren hatten und ausge­brannt waren von Trauer, junge Mädchen mit Angst­an­fällen oder Aggres­sionen, Mütter mit schweren Depres­sionen. „Nach all den Jahren der Gewalt sind alle müde und frustriert. Viele haben die Hoff­nung verloren, dass es besser wird.“

Momtaz ist klein, durch­trai­niert, die Haare sorg­fältig frisiert. Die Geschäfts­frau, die Mutter, die Yoga­leh­rerin: Man kann sie sich in allen drei Rollen vorstellen. 2010 grün­dete sie mit ihrem Mann eine IT-Firma. Das brachte Geld – genug, um frei für Ideen zu sein.

Das Yoga­studio nahm Form an, 2016 war die Eröff­nung. Aus Angst vor Anschlägen schaltet das Studio keine Werbung. Mund­pro­pa­ganda brachte die ersten Kundinnen, es waren zumeist Afgha­ninnen, die im Ausland gelebt hatten und mit Yoga vertraut waren. Erst nach einer ganzen Weile kamen auch die Haupt­städ­te­rinnen. „Das waren Frauen, die psychisch so am Ende waren, dass sie sich keine Minute konzen­trieren konnten und die Stille erst lernen mussten.“

Das Studio hat eine durch­ge­hende Fenster­front, durch die viel Licht dringt, Grün­pflanzen stehen davor, die Fenster sind isoliert, sie halten den Stras­sen­lärm und den Krach der stets über der Stadt krei­senden Hubschrauber fern. „Wir sind ein Hafen in dieser Stadt, ein Ort, an dem Frauen sich geborgen fühlen. Das heilt nicht die Wunden des Kriegs, aber es macht den Alltag erträglicher.“

Auch die Ehemänner ihrer Kundinnen seien inzwi­schen von der heilenden Kraft des Yoga über­zeugt. „Sie danken mir dafür, dass ihre Frauen jetzt nicht mehr voller Angst oder Depres­sionen sind.“ Mancher Mann würde eben­falls gerne die Kunst des Yoga lernen. „Das hat mich über­rascht, denn es wird den Männern in unserem Land nicht beigebracht, auf sich acht­zu­geben. Das gilt als schwach. Wir finden aller­dings keinen männ­li­chen Yoga­lehrer und ich als Frau darf keine Männer anleiten.“

Auch ohne die First Lady als Kundin ist Momtaz’ Studio vier Jahre nach der Eröff­nung ein Name in Kabul und läuft so gut, dass Momtaz’ älteste Tochter als Lehrerin einge­stiegen ist und es mehr Anfragen gibt, als das Studio leisten kann. Alles könnte also gut sein, hingen nicht über dem Land die dunkle Wolke der Taliban-Rück­kehr und die Angst vor einer neuen atavi­sti­schen Epoche. „Wenn mit den Taliban der Tali­ba­nismus zurück­kommt, dann wird es schwierig für uns“, sagt Momtaz. Auch sie bekommt immer wieder Drohungen, muss für ihren privaten Schutz und den des Studios sorgen.

Die Kabu­le­rinnen, da ist sie sich sicher, werden sich ihre mühsam erkämpften Rechte nicht kampflos nehmen lassen. „Die Taliban müssen einsehen: Das hier ist nicht mehr das Afgha­ni­stan von 1996. Sie können nicht kommen und uns einfach wieder unsichtbar machen.“ Viel­leicht, sinniert sie halb im Scherz, halb im Ernst, werde sie doch einen männ­li­chen Lehrer auftreiben und einen spezi­ellen Tali­bankurs anbieten. „Frieden schliessen ist das eine. Aber um Frieden zu halten, braucht man inneren Frieden und Bewusst­sein. Yoga wird ihnen helfen, bessere Menschen zu werden.“

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