Keine günstige Prognose

Vor zwei Jahren demon­strierten in Basel zwei­tau­send Menschen gegen eine Kund­ge­bung der rechts­extremen PNOS. Es folgte eine Repres­si­ons­welle gegen Antifaschist:innen. Die Prozess­reihe ist juri­stisch frag­würdig, aber poli­tisch eindeutig: Wer gegen Nazis demon­striert, muss mit einer Haft­strafe rechnen. 

Es ist der 24. November 2018 in Basel. 2000 Antifaschist:innen haben gerade erfolg­reich eine Kund­ge­bung der rechts­extremen Partei National Orien­tierter Schweizer (PNOS) vom Messe­platz verdrängt. Diese musste von den Einsatz­kräften schliess­lich in eine Seiten­strasse eskor­tiert werden.

Übrig bleibt die Gegen­demo, sie ruft Parolen. Auf einem Trans­pa­rent steht: „Rechte stoppen. Für ein soli­da­ri­sches Leben.“ Aus den Boxen klingt Musik. Der Menge gegen­über steht eine Poli­zei­kette. Ein Mann tanzt mit einem Bier in der Hand vor dem Front­trans­pa­rent herum und über­tritt dabei tänzelnd das zu Boden gefal­lene Absperr­band, das den Sicher­heits­ab­stand zur Polizei markiert. Zwei Personen gesellen sich zu ihm. So ist es auf Video­auf­nahmen der Polizei zu sehen.

Dann zerschneidet ein Knall die ange­spannte Luft. Der Schuss aus einem Gumi­schrot­ge­wehr trifft mitten in die Demo. Die Menschen weichen jetzt zurück, treiben ausein­ander und werfen verein­zelt Gegen­stände in Rich­tung der Poli­zei­kette. Der tanzende Mann bleibt einen Moment verdutzt stehen.

Kurze Zeit später, im Messe­turm, reden zwei Poli­zi­sten über den Einsatz, wie ein weiteres Video nahe­legt, dass Anfang dieser Woche an die Öffent­licht­keit gelangte: „Die Steine wären nicht geflogen, wenn wir nicht Gummi gegeben hätten“ – „Haben Sie zuerst Gummi gegeben?“ — „Ja“ – „Wieso?“ – „Als Ablen­kung, damit die PNOS wegkönnen.“ – „Das ist heikel, das muss ich ehrlich sagen.“

Jetzt, zwei Jahre nach diesem verhäng­nis­vollen Tag, stehen rund vierzig Antifaschist:innen vor Gericht für die Teil­nahme an einer „Zusam­men­rot­tung“, von der Gewalt ausging.

Aber: Wer wendet hier eigent­lich Gewalt an?

Ein vorein­ge­nom­menes Gericht

Wenige Monate nach diesem Tag folgen die ersten Haus­durch­su­chungen bei Teil­neh­menden der Gegen­demo, landen erste Vorla­dungen in ihren Brief­kä­sten. Die Staats­an­walt­schaft reicht schliess­lich Anklage gegen rund vierzig von ihnen ein. Es ist die grösste Prozess­reihe, die Basel jemals sah.

Der häufigste Ankla­ge­punkt ist der Land­frie­dens­bruch. Darunter fallen alle Menschen, die an einer „Zusam­men­rot­tung“ anwe­send sind, von der Gewalt gegen Personen oder Gegen­stände ausgeht. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie selbst Gewalt ausgeübt haben.

Die Vertei­di­gerin Eva Schür­mann findet den Tatbe­stand zu ausufernd: „Der Land­frie­dens­bruch wurde geschaffen, weil es den Behörden schwer­fiel, Beweise für verübte Stratftaten während Demos zu sammeln. Sie können so Personen verur­teilen, denen sie keine indi­vi­du­elle Straftat nach­weisen können, die aber auf der Straße ihre poli­ti­sche Meinung kundtun.“ Für Schür­mann wirke es so, als wolle man insbe­son­dere linke Bewe­gungen einschüchtern.

Aber nicht nur der Straf­tat­be­stand ist umstritten – auch das Vorgehen der Staats­an­walt­schaft in der Prozess­reihe ist zumin­dest unge­wöhn­lich, viel­leicht auch unrecht­mässig. Denn anstatt die Verfahren zusam­men­zu­legen und als Sammel­klage zu behan­deln, werden sie getrennt und einzeln geführt, obwohl die Ankla­ge­punkte beinahe iden­tisch sind.

Das hat die Konse­quenz, dass die Ange­klagten, deren Fälle zu einem späteren Zeit­punkt verhan­delt werden, mögli­cher­weise von einem vorein­ge­nom­menen Gericht beur­teilt werden. Der Vertei­diger Amr Abde­laziz sagt: „Wenn mein Klient in einigen Monaten an der Reihe ist, wird das Gericht schon so viele Urteile gefällt haben, die sich auf dieselben Ankla­ge­punkte beziehen, dass das Urteil eigent­lich schon entschieden ist.“ Er komme sich als Vertei­diger vor wie ein Feigen­blatt: „Man ist nur dazu da, den Anschein eines fairen Prozesses zu erwecken.“

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Staats­an­walt­schaft in Basel beson­ders repressiv zeigt. Bereits bei den Prozessen der soge­nannten „Basel 18“ forderte sie unge­wöhn­lich hohe Strafen gegen Teil­neh­mende einer unbe­wil­ligten Demo, an deren Rand es auch zu Sach­be­schä­di­gung kam. Schon damals fiel ein Staats­an­walt durch seine Forde­rungen nach drako­ni­schen Strafen auf: Camilo Cabrera.

Bei einer der aktu­ellen Verhand­lungen verlangte er, dass der Ange­klagte für fünf Jahre des Landes verwiesen werde. Dieser wäre dadurch in das faschi­sti­sche Regime unter Erdoğan in die Türkei abge­schoben worden, vor dem er wegen seiner regime­kri­ti­schen Haltung floh.

Cabrera brachte in derselben Verhand­lung zudem eine Ankla­ge­schrift aus der Türkei als Beweis­mittel vor. Er fragte den Ange­klagten, was darin stehe. Auf die Frage des Rich­ters, ob er die Ankla­ge­schrift denn nicht habe über­setzen lassen, erwi­derte Cabrera, er habe sie mit Google Trans­late über­flogen. „Das war reine Stim­mungs­mache gegen meinen Mandanten, um ihn wie einen Krawall­ma­cher aussehen zu lassen“, sagt die vertei­di­gende Anwältin im Nach­hinein. Cabreras Forde­rung nach Landes­ver­weis wurde abgelehnt.

In einem anderen Prozess plädierte die Staats­an­walt­schaft dafür, dass das Werfen einer leeren Bier­dose in Rich­tung der Poli­zei­kette in Voll­montur als „versuchte quali­fi­zierte Körper­ver­let­zung mit einem gefähr­li­chen Gegen­stand“ beur­teilt werde. Auch dem wurde nicht statt­ge­geben: Eine Bier­dose gegen einen Poli­zi­sten­helm ist kein gefähr­li­cher Gegenstand.

Keine „günstige Prognose“ für Antifaschistin

Meistens stösst die Anwalt­schaft bei der Justiz aber auf offene Ohren. Das bisher härteste Urteil fällte der SP-Richter und Gerichts­prä­si­dent René Ernst: Acht Monate Haft – unbe­dingt. Das Urteil fiel auch deswegen so hart aus, weil die Ange­klagte vor Gericht zu der Demon­stra­tion stand. Sie betonte in ihrem Plädoyer, wie unab­dingbar anti­fa­schi­sti­scher Wider­stand und eine revo­lu­tio­näre Bewe­gung seien.

In einem Inter­view mit der BaZ äusserte sich der zustän­dige Richter René Ernst zum Urteil. Der Ange­klagten sei keine „günstige Prognose“ zu stellen, da sie offen­sicht­lich aus Über­zeu­gung gehan­delt habe und noch andere Verfahren gegen sie hängig seien. Deswegen wird sie jetzt beson­ders hart verurteilt.

„Das über­zeugt mich nicht“, sagt der emeri­tierte Professor für Straf­recht Peter Albrecht. „Die erwähnten Verfahren haben noch nicht zu einem rechts­kräf­tigen Schuld­spruch geführt, es gilt die Unschulds­ver­mu­tung.“ Zudem sei es nicht zulässig, allein von einer poli­ti­schen Haltung auf eine Rück­fall­ge­fahr zu schliessen, wie es der urtei­lende Richter anschei­nend tat. Allein für Land­frie­dens­bruch sei das ein unge­wöhn­lich hartes Urteil.

Die vertei­di­genden Anwält:innen sehen in dem vorschnellen Gang an die Presse ihre Vermu­tung erneut bestä­tigt, dass das Gericht vorein­ge­nommen sei. Einzelne reichten ein Ausstands­ge­such ein. Damit wollten sie bewirken, dass das Gericht die Fälle an ein ausser­kan­to­nales Gericht abgeben muss, weil es zu befangen sei. Es wurde noch nicht entschieden.

„Am Ende“, sinniert Ernst im BaZ-Inter­view, „ist Gewalt Gewalt.“

Aber Gewalt entsteht nicht, weil Demon­strie­rende einen Stein werfen. Sie ist immer schon da, ist untrennbar im poli­ti­schen System und den gesell­schaft­li­chen Zuständen verbaut.

In der Schweiz etwa in Form eines Migra­ti­ons­re­gimes, das Menschen einsperrt, schi­ka­niert und in lebens­be­droh­liche Gefahr bringt. In Form einer Regie­rung, in der eine Partei sitzt, die vor Kurzem die Präven­tiv­haft als Methode forderte, um poten­zi­elle Gefährder:innen fest­zu­setzen, selbst wenn sie keine Straftat begangen haben.

Oder in Form eines Poli­zei­ein­satzes, der mit allen Mitteln einen Aufmarsch Rechts­extremer vertei­digt.

Die PNOS ist eine Partei, die poli­tisch wenig einfluss­reich ist, aber immer wieder mit anti­se­mi­ti­schen und rassi­sti­schen Aussagen und Aktionen an die Öffent­lich­keit tritt. Das passiert nicht isoliert, sondern ist Teil eines euro­pa­weiten und globalen Rechtsrucks.

Im Zuge der Demon­stra­tionen gegen Anti-Corona-Demos etwa werden anti­se­mi­ti­sche Bilder und Rhetorik erneut salon­fähig gemacht. Auch der Basler Sekti­ons­leiter der PNOS, der die Demo im November 2018 anmel­dete, hat sich im Anti-Corona-Umfeld getraut, gegen­über einem Jour­na­li­sten die Forde­rung zu äussern, alle Juden*Jüdinnen sollten steri­li­siert werden.

Solche Aussagen bleiben selten allein und norma­li­sieren menschen­ver­ach­tende Ideo­lo­gien – Stück für Stück. Der Anti­se­mi­tis­mus­be­richt für die Schweiz erfasste für das Jahr 2019 rund 500 anti­se­mi­ti­sche Äusse­rungen on- und offline. Die Dunkel­ziffer dürfte weit höher sein. Rund ein Drittel aller Menschen mit Migra­ti­ons­ge­schichte berich­teten laut einer Befra­gung des Bundes­amts für Stati­stik aus dem Jahr 2018, schon einmal rassi­sti­sche Diskri­mi­nie­rung erfahren zu haben. Unter den 14- bis 24-Jährigen sind es sogar 45 Prozent, die solche Erfah­rungen kennen.

Wer übt Gewalt aus?

Letzt­lich führt diese Verschie­bung im Diskurs und die Akzep­tanz von menschen­ver­ach­tenden Aussagen auch zu einer Verschie­bung im poli­ti­schen Klima. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass ein Mann in Halle versuchte, eine Synagoge zu stürmen und zwei Menschen tötete. In Hanau wurden vor weniger als einem Jahr neun Menschen von einem Rassi­sten ermordet.

An den Anti-Corona-Demos zeigen sich Rechts­extreme in Deutsch­land und der Schweiz selbst­be­wusst und offen auf der Strasse und fordern zum Teil einen gewalt­samen Sturz der Regie­rung. Überall in der Welt kamen in den letzten Jahren reak­tio­näre und faschi­sti­sche Menschen in die Regie­rungen und bauen seither ihren Einfluss aus. Erdoğan in der Türkei, Bolso­naro in Brasi­lien oder Duterte in den Phil­ip­pinen etwa.

Die Gegen­demo in Basel bekämpfte im November 2018 diese gewalt­volle Ideo­logie. Die Polizei hingegen schützte sie – und wird dabei nun von der Justiz unter­stützt. Gegen die PNOS-Kund­ge­bung wurde eben­falls Anklage einge­reicht wegen Verstoss gegen die Rassismus-Straf­norm. Das Verfahren ist noch hängig. Eigent­lich ist dieses Vergehen ein Offi­zi­al­de­likt und muss von der Staats­an­walt­schaft verfolgt werden.

Poli­tisch ist die Message der Prozess­reihe klar: Wer gegen Nazis auf die Strasse geht, muss mit einer Haft­strafe rechnen.

Dagegen hat sich jetzt neuer­lich Wider­stand formiert: Eine breit­ge­tra­gene Kampagne soli­da­ri­siert sich mit den Ange­klagten und sammelt in dem groß­an­ge­legten Fund­rai­sing mit dem Namen 500k Geld für die Gerichtskosten.

„Für mich war die Demo ein ermäch­ti­gendes Gefühl: Wir sind viele und wir sind selbst­be­stimmt“, sagt einer der Teil­neh­menden von damals. Jetzt ginge es nicht darum, die Prozesse zu gewinnen, sondern den anti­fa­schi­sti­schen Wider­stand zu stärken. Für den 28. November 2020 ruft das Basel Nazifrei Bündnis erneut zu einer Demo auf, um gegen Faschismus zu prote­stieren und auf die Repres­sion aufmerksam zu machen.

Rich­tig­stel­lung (7.12.2020): In einer früheren Version dieses Texts hiess es, das Ausstands­ge­such sei abge­lehnt worden. Das stimmt nicht. Es war zum Zeit­punkt des Erschei­nens und bis heute noch nicht entschieden.

 


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