Am äussersten Rand der Berner Gemeinde Lyss, wo das Industriegebiet an Bauernhöfe grenzt, steht die unauffällige, graue Anlage der GZM Extraktionswerk AG mit ihren Tanks, Rohrleitungen und Schornsteinen. Ihr Auftrag: sogenannte tierische Reststoffe zu verarbeiten, die man laut Gesetz sterilisieren muss, bevor man sie entsorgen darf. Dazu gehören Tierkörper aus Kadaversammelstellen und Schlachtabfälle.
Und Schlachtabfälle produziert die Schweiz en masse. Nur etwa ein Drittel eines Tiers kann die Industrie laut eigenen Angaben zu verkaufsfertigem Fleisch machen. Der Rest sind Blut und andere Flüssigkeiten, Fett, Haut, Knochen, Sehnen, Hörner, Hufe, Haare, Borsten, Federn, Zähne, Schnäbel, Knorpel, Organe oder der Inhalt des Verdauungstrakts. Insgesamt kommen weit über 200’000 Tonnen Schlachtabfälle im Jahr zusammen.
Die tierische Landwirtschaft, die diese Tonnen produziert, ist enorm klimaschädlich. Sie verursacht weit mehr als die Hälfte des Methanausstosses der gesamten Schweizer Landwirtschaft, die ihrerseits rund 12.4 Prozent der gesamten Schweizer Treibhausgase ausmacht. Der Anbau von Futtermitteln vereinnahmt hierzulande zudem rund 90 Prozent der Landwirtschaftsflächen, während im Jahr zusätzlich 1.4 Millionen Tonnen Futtermittel importiert werden.
All das verbraucht Ressourcen und verursacht Emissionen – Klimakosten, mit denen Tiere produziert werden. Und nach ihrem Ableben sind diese Tiere zu zwei Dritteln Schlachtabfälle.
Um die Verarbeitung von Schlachtabfällen dreht sich eine ganze Industrie. Die grösste Schweizer Playerin ist die Mutterfirma der GZM, die Centravo. Allerdings wehrt sich diese vehement gegen den Ausdruck „Abfall“. Es handle sich um „Produkte mit vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten“, steht auf ihrer Webseite.
Und so gehören zur Centravo eine ganze Reihe weiterer Unternehmen. Eines macht Häute zu Leder, eines macht Därme zu Wursthüllen, eines macht Fett zu Bratbutter, eines extrahiert Kollagen für die Kosmetikindustrie, eines verkauft tiefgefrorene Hühnerfüsse nach Asien und Afrika, ein anderes stellt Tierfutter her, und so weiter.
Nur der letzte Bruchteil der Schlachtabfälle, der für gar nichts anderes verwendbar ist, landet letztlich bei der GZM. Sie verarbeitet davon etwa 90’000 Tonnen im Jahr, weitere 45’000 Tonnen pro Jahr gehen an die Ostschweizer TMF Extraktionswerk AG, die nicht zur Centravo gehört.
Da diese Stoffe Keimherde sind und deshalb eine Seuchengefahr bergen, gelten sie laut der Verordnung über tierische Nebenprodukte als Risikostoffe der „Kategorie 1“. Sie müssen direkt verbrannt oder unter Druck erhitzt werden, um sie zu sterilisieren und unschädlich zu machen. Und hier beginnt das eigentliche Geschäftsmodell der GZM.
Brennstoffe aus Körperteilen
Die Vernichtung von Tierkörperteilen ist bis ins kleinste Detail reglementiert: „Die Partikelgrösse des Rohmaterials darf bei Beginn des Sterilisationsprozesses höchstens 50 mm betragen“, schreibt die Verordnung vor. „Grössere Teile sind mechanisch zu zerkleinern.“ Nach dem Zerhäckseln müssen die letzten Überreste der Tiere mithilfe von Dampf auf mindestens 133 Grad Celsius erhitzt werden, für mindestens 20 Minuten unter 3 bar Druck.
Durch dieses Verfahren, die sogenannte Drucksterilisation, entsteht ein durchgekochter Fleischbrei, der anschliessend getrocknet und gepresst wird. Ähnlich wie in einer Ölpresse trennt sich dabei das Fett vom Protein.
Im Fachausdruck nennt man die Produkte „Tierfett“ und „Tiermehl“ – es sind sozusagen Nebenprodukte der Unschädlichmachung von Nebenprodukten. Aber gleichzeitig sind sie als Brennstoffe das hauptsächliche Verkaufsprodukt der GZM.
Die Firma exportiert 98 Prozent ihres Tierfetts ins Ausland, wo es zu Biodiesel verarbeitet wird. Die GZM könnte grundsätzlich auch die hauseigenen Anlagen mit Tierfett als Brennstoff betreiben. Doch wie ihr „Umweltbericht 2020″ erklärte: „Wegen der Wirtschaftlichkeit von Gas und dem am Markt erzielten Verkaufserlös von Tierfett für die Biodieselproduktion war es auch 2020 aus ökonomischer Sicht wiederrum [sic!] nicht sinnvoll, das Tierfett als Energieträger in der eigenen Dampfproduktion einzusetzen.“
Mit anderen Worten: Es ist lukrativer, billiges Erdgas einzukaufen und das teure Tierfett weiterzuverkaufen. Und so betreibt die GMZ die Dampfkessel, mit denen sie die Schlachtabfälle erhitzt, zu 100 Prozent mit fossilem Brennstoff. Die GMZ stiess 2019 rund 18’000 Tonnen CO2 aus.
Den zweiten Brennstoff aus dem Hause GZM, das Tiermehl, verwendet vor allem die Zementindustrie. Früher gingen 100 Prozent des Tiermehls aus der GMZ an diese Branche. Seit 2021 verbrennt die GZM allerdings einen Grossteil des Tiermehls im eigenen Haus und produziert damit Strom. Was an Abwärme anfällt, beheizt einen riesigen Warmwassertank und wird dann als Fernwärme genutzt. Wärme-Kraft-Kopplung nennt sich dieses System, auf das die GZM in ihrem Umweltbericht stolz verweist. Wie die Gemeinde Lyss auf Anfrage bestätigt, werden auf diese Weise bereits Liegenschaften mit toten Tieren geheizt.
Eigentlich müssen Firmen sowie Privatpersonen in der Schweiz dafür bezahlen, wenn sie CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen verursachen. Die übliche CO2-Abgabe konnte die GZM aber zeitweise umgehen, indem sie am Emissionshandelssystem des Bundes teilnahm.
Denn Firmen, die ihre Klimakosten unter dem Emissionshandelssystem abrechnen dürfen, bezahlen keine CO2-Abgabe. Stattdessen müssen sie für jede ausgestossene Tonne CO2 ein entsprechendes Emissionsrecht vorweisen. Dies geschieht auf zwei Arten: Entweder sie erwerben sie käuflich oder sie bekommen sie geschenkt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verteilt jedes Jahr eine grosse Menge an Gratisemissionsrechte an die Schweizer EHS-Firmen, um zu verhindern, dass sie ihre Emissionen ins Ausland verlagern.
Die Emissionsrechte kosten auf dem Emissionsmarkt momentan rund 90 Franken. Doch selbst diese CO2-Kosten musste die GZM schlussendlich nicht bezahlen. Denn sie erhielt von 2013 bis 2019 mehr Emissionsrechte geschenkt, als sie für ihre eigenen CO2-Emissionen brauchte. Durch die Teilnahme am EHS wurden der GZM laut Berechnungen von das Lamm 8.8 Millionen Franken CO2-Abgabe erlassen. Die CO2-Kosten, die die GZM stattdessen im EHS bezahlen musste, beliefen sich schätzungsweise auf nur rund 27’000 Franken. Der Wert der Emissionsrechte, die nach wie vor ungenutzt bei der GZM lagern, beläuft sich mit dem aktuellen Zertifikatspreis auf über eine Million Franken. Die GZM stieg 2019 aus dem EHS aus.
Neben der GZM profitierten auch andere Grossemittent*innen von der Teilnahme am EHS. Wer genau wie viel Cash sparte, berechnete das Lamm in der Serie „Eine Flatrate auf Monsteremissionen“.
Der grösste Marketingcoup des Unternehmens: Die GZM verkauft Tierfett und Tiermehl explizit als „CO2-neutrale“ Brennstoffe. Das ist sogar die grosse Überschrift ihres Webauftritts. Mit gutem Grund: Ein CO2-neutraler Brennstoff ist weder von der Mineralölsteuer noch von der CO2-Abgabe betroffen. Das ist wiederum attraktiv für Käufer*innen.
Vom Handel mit diesen Brennstoffen profitiert nicht nur die GZM, sondern die ganze Fleischbranche. Denn könnte man die letzten Überreste der Tiere nicht so gut als CO2-neutralen Brennstoff verkaufen, fielen für Fleischfirmen höhere Kosten für die Entsorgung ihrer Abfälle an. Das würde die ganze Fleischindustrie verteuern. Letztlich ist Fleisch also billiger herzustellen, weil man Tierfett und Tiermehl als CO2-neutrale Brennstoffe verkaufen darf.
Aber wie können Tierfett und Tiermehl CO2-neutral sein, wo doch Schlachtabfälle genauso ressourcenintensiv sind wie Fleisch, die Dampfkessel der GZM komplett mit Erdgas betrieben werden und die Anlage Zehntausende Tonnen CO2 pro Jahr ausstösst?
Wir rufen bei der GZM an und fragen nach.
Fossile Energie wird plötzlich CO2-neutral
„Tierische Nebenprodukte der Kategorie 1 muss man thermisch behandeln, damit sie hygienisch unbedenklich werden“, erklärt René Burri, Geschäftsleiter der GZM am Telefon. „Man muss diesen Aufwand also sowieso machen.“ Die Emissionen fielen somit nicht in erster Linie für die Produktion von Brennstoffen an, sondern für die per Verordnung vorgeschriebenen Verarbeitungsmethoden. „Und auf den Endprodukten haben wir zweieinhalb- bis dreimal so viel Energie, wie wir reinstecken. Es ist sinnvoll, diese Energie möglichst optimal zu nutzen.“
Diese Logik bestätigt uns auch das Bundesamt für Umwelt per E‑Mail: „Wird Biomasse ausschliesslich für die Herstellung eines Energieträgers hergestellt, müssen sämtliche Emissionen aus der Herstellung auch dem Energieträger zugeordnet werden. Wird der Energieträger dagegen aus Abfällen hergestellt, müssen die Emissionen aus der Herstellung möglicherweise nicht dem Energieträger selbst angerechnet werden.“
Der zentrale Selling Point der GZM, die CO2-Neutralität ihrer Produkte, beruht also auf einem ganz spezifischen Argument: Mittels Erdgasverbrennung werden sowohl Schlachtabfälle sterilisiert als auch Brennstoffe hergestellt. Aber nur die Sterilisation zählt für die GZM als eigentlicher Zweck der Übung. Die Herstellung von Brennstoffen zählt bloss als angenehmer Nebeneffekt.
Geht man mit der GZM mit, ist sie quasi eine CO2-emittierende Maschine, die Erdgas und emissionsreiche Schlachtabfälle in Brennstoffe verwandelt, die dann plötzlich CO2-neutral sind.
Damit diese Logik funktioniert, muss man aber mindestens ein Auge zudrücken. Neutral betrachtet erfüllt die Erhitzung der Schlachtabfälle nämlich beide Zwecke gleichermassen: sowohl die Sterilisation als auch die Produktion von Brennstoffen. Beides generiert Umsatz, entweder über Gebühren oder über Verkaufserlöse. Beides hält die GZM am Laufen.
Es ist daher willkürlich, sämtliche Emissionen nur der Sterilisierung zuzurechnen und keine der Produktion von Brennstoffen. Die Selbstdarstellung der GZM als Produzentin CO2-neutraler Brennstoffe steht auf wackligen Beinen.
Doch die Mutterfirma Centravo geht im grünen Marketing sogar noch einen Schritt weiter.
Schlachtabfälle als grüne Industrie der Zukunft?
In ihrem Nachhaltigkeitsleitbild schreibt die Centravo, sie übernehme „eine wesentliche Rolle in der Schweiz für den Übergang zu einer nachhaltigen, kohlenstoffarmen und zirkulären Zukunft, die auf erneuerbaren und natürlichen Ressourcen beruht“. Sie beruft sich auch auf die 17 UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung, deren quadratische Logos sie ohne weitere Erläuterung ins eigene Dokument kopiert.
Der Anspruch ist klar: Die Centravo will nicht bloss die Klimaschäden der Fleischindustrie ein Stückchen weit begrenzen. Vielmehr sieht sie sich als Teil der „klimaneutralen Ökonomie“ der Zukunft, wie sie im Nachhaltigkeitsleitbild weiter schreibt. Höher könnte man kaum zielen. Doch der Bezug zu den reinkopierten UNO-Zielen ist dabei kaum erkennbar.
Die Centravo beruft sich etwa auf das Ziel Nummer 6: „sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen“. Doch der UNO geht es an betreffender Stelle eigentlich nicht um Wasser in der Schweiz, sondern um die 785 Millionen Menschen weltweit, denen eine sichere Trinkwasserversorgung fehlt.
Die Firma nennt auch das Ziel Nummer 15 „Leben an Land“. Da geht es um den Schutz von Ökosystemen, insbesondere von Wäldern – ein Bereich, mit dem die Centravo kaum etwas zu tun hat. Als Teil der Fleischindustrie gehört sie sogar eher zum Problem, weil sowohl die Tierhaltung als auch der Futtermittelanbau zahlreiche Habitate zerstört.
Und gleich zweimal bezieht sich die Centravo auf Ziel 12 „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“. Doch eine der wichtigsten Empfehlungen der UNO zur Erreichung dieses Ziels lautet „Eat more vegetables… and less meat and dairy“ – also mehr Gemüse und weniger Fleisch und Milchprodukte essen. Dasselbe sagen die Expert*innen des Schweizer Netzwerks für Nachhaltigkeitslösungen SDSN, das sich den 17 UNO-Zielen verschrieben hat.
Würde die Schweiz die UNO-Ziele verwirklichen, hiesse das für die Centravo: weniger Schlachtabfälle, weniger Arbeit, weniger Umsatz. Die Erreichung dieser Ziele steht deshalb im direkten Konflikt mit den Geschäftsinteressen der Centravo.
Wer aus Imagegründen grosse Nachhaltigkeitsversprechen macht, hinter denen wenig steckt, betreibt Greenwashing. In diesem Fall nicht nur für die Schlachtabfallverarbeitung, sondern für die ganze Fleischindustrie. Denn je grüner die Verarbeitung von zwei Dritteln eines Tiers erscheint, desto weniger wird der Konsum des letzten Drittels hinterfragt. In einer Industrie, wo alles immer nur Nebenprodukt ist, kann man sich fragen: Ist das Greenwashing am Ende das eigentliche Hauptprodukt?
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