Konzept­för­de­rung: „Das schärft die Profile und schafft inter­es­santes Theater“

Zürich stimmt über ein neues Förder­sy­stem für Tanz und Theater ab, die soge­nannte Konzept­för­de­rung. Eine Annahme wird weit­rei­chende Folgen für freie Künstler*innen und beson­ders für die zahl­rei­chen kleinen Theater in Zürich haben. Doch gerade für sie liege eine grosse Chance in der Konzept­för­de­rung, meint Daniel Imboden, Leiter der Thea­ter­kom­mis­sion, im Interview. 
Symbolbild (Foto: unsplash)

Die Befürworter*innen spre­chen von einer Stär­kung der freien Szene, lang­fri­sti­geren Planungs­mög­lich­keiten und insge­samt 2,5 Millionen CHF mehr für die Kunst. Kritiker*innen, deren Stimmen zuletzt lauter wurden, befürchten einen härteren Wett­be­werb, der zu einer Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft in der Tanz- und Thea­ter­szene führen könnte.

Daniel Imboden hat als Projekt­leiter Konzept­för­de­rung seit 2017 feder­füh­rend an der Ausar­bei­tung der neuen Richt­li­nien mitge­wirkt. Das alte System, sagt er, sei nicht mehr zeit­ge­mäss. Die Thea­ter­för­de­rung müsse flexi­bler und nach­hal­tiger werden.

Das Lamm: Um über das neue Förder­mo­dell spre­chen zu können, müssen wir zuerst verstehen, wie das alte funk­tio­niert. Können Sie uns kurz erklären, wie die Stadt Zürich momentan ihre Theater- und Tanz­land­schaft fördert?

Daniel Imboden: Es gibt histo­risch gesehen zwei unter­schied­liche Förde­rungen, die komplett vonein­ander getrennt sind. Zum einen die insti­tu­tio­nelle Förde­rung, also die Förde­rung von Thea­ter­häu­sern und Festi­vals. Zum anderen die Projekt­för­de­rung: die Förde­rung der freien Szene. Da geht es um die freien Künstler*innen, die Einzel­för­de­rung bean­tragen müssen.

Wie läuft so ein Förder­an­trag im aktu­ellen System ab?

Im Moment ist das ein Zwei­schritt. Zuerst brauche ich als freie Gruppe oder als Künstler*in jemanden, der oder die mich produ­ziert – sei es die Gess­ne­r­allee, das Fabrik­theater oder ein anderes Haus –, und wenn ich von denen eine Zusage habe, gehe ich zur Theater- oder Tanz­kom­mis­sion der Stadt Zürich und stelle dort ein Gesuch auf Projekt­för­de­rung. Das ist wie ein Doppelfilter.

Dieses Förder­sy­stem soll jetzt grund­sätz­lich umge­staltet werden. Dazu wird am 29. November über die soge­nannte Konzept­för­de­rung abgestimmt.

Das ist der eine wich­tige Aspekt, ja. Diese Projekt­för­de­rung – ich sag das mal, damit man sich ein Bild machen kann – hat ein Volumen von rund 3,1 Millionen CHF. Während die insti­tu­tio­nelle Förde­rung einen Rahmen von rund 55 Millionen CHF hat. Also ein riesiges Ungleich­ge­wicht. Der Kredit für die freie Szene, also die beweg­liche Masse, mit der man wirk­lich auf Einzel­an­träge eingehen kann, ist sehr klein.

Was wird sich denn mit der neuen Konzept­för­de­rung ändern?

Die Idee ist, dass mehr Einzelkünstler*innen und Gruppen der freien Szene konti­nu­ier­lich geför­dert werden. Im Moment ist das nur über eine sehr geringe Anzahl von Mehr­jah­res­bei­trägen möglich. Aber das sind wirk­lich Einzel­bei­träge. Das Ziel der Konzept­för­de­rung ist, dass vermehrt Gruppen die Möglich­keit haben, lang­fri­stig und konti­nu­ier­lich an ihren Projekten zu arbeiten.

Die Vorlage besagt, dass sich die Thea­ter­häuser für sechs­jäh­rige, Gruppen sowie Einzel­per­sonen der freien Szene für zwei- oder vier­jäh­rige Förder­bei­träge bewerben können. Wie kann ich mir solche Bewer­bungen konkret vorstellen?

Tatsäch­lich ist der Rahmen da offener, als Sie es gerade beschrieben haben. Es ist zum Beispiel möglich, dass ich sage: Ich als Gruppe möchte eine Vier­jah­res­för­de­rung. Ein Projekt davon mache ich an der Gess­ne­r­allee, eins mache ich viel­leicht am Theater Neumarkt und zwei mache ich am Sogar Theater. Oder eine Gruppe sagt: Nein, ich möchte eine Zwei­jah­res­för­de­rung und mache nur Auffüh­rungen an öffent­li­chen Orten. Dann kann es auch noch sein, dass zum Beispiel das Millers sagt: Mit diesen beiden Gruppen möchten wir je drei Jahre inner­halb der Sechs­jah­res­för­de­rung zusam­men­ar­beiten. Oder – und hier wider­spreche ich dem, was Sie gerade gesagt haben – es wäre zum Beispiel auch denkbar, dass sich zwei Gruppen zusam­mentun und eine Zwischen­nut­zung irgend­eines Gebäudes über sechs Jahre bespielen, ohne dass ein weiteres subven­tio­niertes Theater daran betei­ligt wäre. Sechs­jah­res­för­de­rung also auch für freie Künstler*innen, nicht nur für Theaterhäuser.

Welche Vorteile hat dieses Modell für die freien Künstler*innen?

Das Problem in der freien Szene war bislang: Durch die reine Projekt­ar­beit hangelt sich eine Gruppe in einer Dauer­schleife von einem Projekt zum näch­sten. Das halten die Leute im Schnitt rund zehn Jahre durch. Dann löst sich die Gruppe auf. Es ist ein wahn­sin­niger Ressour­cen­ver­schleiss, immer für Einzel­pro­jekte Gelder bean­tragen zu müssen.

Es geht bei der Konzept­för­de­rung aber nicht nur um die freien Künstler*innen, sondern auch um die Thea­ter­häuser in Zürich. Und gerade aus dieser Ecke kam kürz­lich scharfe Kritik. In einem Artikel aus dem Tages-Anzeiger beschweren sich zehn der klei­neren Theater, dass sie das neue Förder­mo­dell einem zermür­benden Wett­be­werb aussetzen würde. Wie habe ich mir das vorzustellen?

Dazu muss man Folgendes wissen: Die insti­tu­tio­nelle Förde­rung von Thea­ter­häu­sern und Festi­vals – also die 55 Millionen CHF – ist noch mal zwei­ge­teilt. Der eine Teil, ich nenne ihn den konti­nu­ier­li­chen, betrifft die grossen Kopro­duk­ti­ons­häuser: Rote Fabrik, Tanz­haus, Gess­ne­r­allee und Theater Spek­takel. Die haben eine unbe­fri­stete Förde­rung, basie­rend auf einer Volks­ab­stim­mung. Und die steht jetzt nicht zur Diskussion.

Und der zweite Teil?

Der zweite Teil ist wesent­lich kleiner; ich nenne ihn den flexi­blen Teil. Er ist für die klei­neren Insti­tu­tionen wie das Sogar Theater oder die Winkel­wiese vorge­sehen. Dieser flexible Teil beläuft sich zurzeit – ähnlich wie die Projekt­för­de­rung – auf rund 3,1 Millionen CHF und wird unter den zehn Kleinen aufge­teilt. Die müssen bislang alle vier Jahre zum Gemein­derat. Der Gemein­derat entscheidet dann einzeln über die Förde­rung dieser Insti­tu­tionen. Das soll sich jetzt ändern: Die zehn kleinen Häuser sollen sich künftig eben­falls auf die Konzept­för­de­rung bewerben müssen. Insge­samt sind in der Konzept­för­de­rung 6,5 Millionen CHF. Es entsteht sicher­lich einer Wett­be­werbs­si­tua­tion, diese wird aber entschärft, weil rund 2,5 Millionen CHF mehr als bisher für die Insti­tu­tionen und die freie Szene zur Verfü­gung stehen.

Könnte sich so nicht eine Art Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft bilden, mit den grossen Kopro­duk­ti­ons­häu­sern und den von ihnen auser­wählten Künstler*innen auf der einen Seite – und den klei­neren Insti­tu­tionen auf der anderen Seite, die um jeden Rappen mitein­ander kämpfen müssen?

Für die zehn Häuser des flexi­blen Teils besteht jetzt natür­lich eine grös­sere Unsi­cher­heit. Sie sehen sich durch den neuen Wett­be­werb viel­leicht als Verlierer. Aber wenn man einen kleinen Schritt zurück­tritt und von der direkten Betrof­fen­heit absieht, gibt es doch auch für diese Häuser sehr grosse Vorteile.

Welche?

Gerade sie haben aktuell – man muss fast sagen – struk­tu­relle Defi­zite. Sie wurden histo­risch mal einge­stuft und erhielten einen Betrag zuge­spro­chen. Und den hat man jetzt im Laufe der Jahre sukzes­sive ein wenig erhöht. Aber wofür sie das Geld wirk­lich bekommen – das wurde inhalt­lich nie mehr disku­tiert oder analy­siert. Und darum haben sich einzelne Häuser derart weiter­ent­wickelt, dass das, was sie im Moment leisten, eigent­lich über­haupt nicht mehr über­ein­stimmt mit den Subven­tionen, die sie erhalten. Und da liegt natür­lich eine riesige Chance in der Konzept­för­de­rung: Da wird das wirk­lich mal im Vergleich ange­schaut. Und die einzelnen Insti­tu­tionen können Beiträge erhalten für das, was sie wirk­lich leisten.

Ich verstehe nicht ganz, wo da der Vorteil für die Kleinen liegen soll.

Auch jetzt müssen sie sich alle vier Jahre beim Gemein­derat vorstellen und riskieren, dort irgend­wann mal ein Nein zu erhalten. Bei der aktu­ellen Zusam­men­set­zung des Gemein­de­rats ist das viel­leicht nicht so wahr­schein­lich. Aber das kann sich durchaus ändern. Corona zeigt: Eine Stadt wie Zürich wird ihre Beiträge irgend­wann nicht mehr derart unge­fragt durch­winken. Mit der Konzept­för­de­rung werden die künst­le­ri­schen Profile der einzelnen Theater schärfer und lesbarer sein. Jedes muss sich noch­mals gewahr werden: Für was stehe ich ein und mit welchen Mitteln will ich es errei­chen? Das schärft die Profile und schafft inter­es­san­teres Theater.

Es heisst, das neue Förder­kon­zept koste zusätz­lich 2,5 Millionen CHF. Wie schlüs­selt sich der Betrag auf?

Die Konzept­för­de­rung hat einen Finanz­be­darf von 6,5 Millionen CHF. Dieser wird alimen­tiert aus den 3,1 Millionen CHF der zehn klei­neren Insti­tu­tionen, die bisher Vier­jah­res­sub­ven­tionen erhielten, und 0,9 Millionen CHF aus dem Topf für die Freien. Es braucht somit zusätz­liche 2,5 Millionen CHF in der Tanz- und Thea­ter­för­de­rung, um die Konzept­för­de­rung zu ermöglichen.

Das neue Förder­sy­stem wird zunächst auf Bewäh­rung einge­führt. Nach zwei sechs­jäh­rigen Förder­runden, also insge­samt zwölf Jahren, erfolgt eine Evalua­tion. Dann wird noch­mals disku­tiert und even­tuell ange­passt oder verän­dert. Was würden Sie sich nach diesen zwölf Jahren für die freie Tanz- und Thea­ter­szene in Zürich wünschen?

Das beste Ergebnis wäre, wenn durch starke lokale Veran­ke­rung und durch die verbes­serte Zusam­men­ar­beit der Gruppen mit den Häusern Zürich wieder ein Anzie­hungs­punkt für inter­na­tio­nale Künstler*innen würde. Damit würde auch die Nach­frage nach Zürcher Produk­tionen im Ausland steigen. Man könnte viel­leicht sagen, das Ziel ist: Rück­be­sin­nung auf das Lokale, um das Inter­na­tio­nale wiederzufinden.


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