„Es ist alles andere als ‚normal‘, eine solche Samm­lung zu betreten“

Schutz­an­züge und Brillen: „Wir begehen jetzt ein konta­mi­niertes Gebiet“. So beginnt eine kriti­sche Führung des Komi­tees Kapital Kolla­bo­ra­tion Kriegs­ge­winn durch die Samm­lung Bührle im Zürcher Kunst­haus. Im Inter­view mit das Lamm gibt Mediensprecher*in Kim Kunz Auskunft. 
Ein kontaminiertes Museum mit Kunst in Goldrahmen. Das Komitee Kapital Kollaboration Kriegsgewinn bei einer Führung Mitte August. (Foto: Genesis Ramírez)

Das Lamm: Komitee Kapital Kolla­bo­ra­tion Kriegs­ge­winn hat bislang zwei Führungen in der Samm­lung Bührle im Kunst­haus durch­ge­führt. Zu Beginn ihrer Führung warnen Sie davor, man betrete konta­mi­niertes Gebiet. Dafür verteile Sie jeweils Schutz­klei­dung. Warum die ganze Theatralik?

Kim Kunz: Wir wollen aufzeigen, dass es alles andere als ‚normal‘ ist, eine solche Samm­lung zu betrachten. Es handelt sich dabei um Kunst, die unter Druck verkauft und durch Zwangs­ar­beit finan­ziert wurde. Dabei orien­tieren wir uns unter anderem am Buch „Das konta­mi­nierte Museum“ von Erich Keller. Der Histo­riker schreibt, dass die Meta­pher der Konta­mi­na­tion nütz­li­cher ist, als von einer „histo­ri­schen Last“ zu spre­chen. Eine Last kann abge­legt werden, man kann einen Schluss­strich unter sie setzen. Die Konta­mi­na­tion aber bleibt und strahlt. So tut es auch die Samm­lung Bührle – sie strahlt auf die Besucher*innen, diese Stadt und die Zeit, in der wir leben.

Das Komitee Kapital Kolla­bo­ra­tion Kriegs­ge­winn besteht aus drei Kunst­schaf­fenden in Zürich. Sie haben sich zusam­men­ge­schlossen, um auf die fort­be­stehende Proble­matik der Bührle-Samm­lung aufmerksam zu machen. Im Inter­view spricht der*die fiktive Mediensprecher*in des Kollek­tivs Kim Kunz.

Bei Ihrer letzten Führung am 16. August war auch Ann Demee­ster, die Direk­torin des Kunst­hauses, mit weiteren Mitarbeiter*innen anwe­send. Sie trugen keine Schutzkleidung.

Neben den Schutz­an­zügen haben wir ihnen auch ange­boten, das G für Gefahr zu tragen wie alle anderen Besucher*innen. Sie meinten aber, dass sie keine bräuchten. Ich glaube, sie sind vermut­lich zu konta­mi­niert. (lacht)

Dabei ist unsere Kritik nicht persön­lich, sondern an die ganze Insti­tu­tion gerichtet. Das Museum und die Stif­tung sind seit Jahr­zehnten zu eng verban­delt, als dass Kritik aus den eigenen Reihen ange­bracht werden könnte.

Sie spre­chen die lange Zusam­men­ar­beit zwischen dem Kunst­haus und Emil Bührle, und später mit seiner Stif­tung an. So hat Bührle bereits die Erwei­te­rung des Kunst­hauses im Jahr 1958 finan­ziert. Wenn Sie die Samm­lung Bührle kriti­sieren und fordern, sie komplett zu schliessen, sollte dann nicht eigent­lich das ganze Museum geschlossen werden?

Natür­lich ist das Problem grösser als diese Ausstel­lung, aber es ist auch grösser als das Kunst­haus. Solche Samm­lungen sind ein Schau­platz, an dem wir als Gesell­schaft über unsere Geschichte und unser poli­ti­sches Selbst­ver­ständnis diskutieren.

Und ja, wir sind der Meinung, dass man Museen an sich hinter­fragen sollte. Denn sie sind Ausdruck einer kolo­nialen Geschichte. Die Idee, dass es unser Recht ist, als Gesell­schaft und Indi­vi­duen Kunst zu sammeln und zu besitzen, hängt stark mit der Ausbeu­tung und Unter­wer­fung anderer Menschen zusammen. Die Praxis des Sammelns an sich muss über­dacht werden, da es untrennbar mit der Zerschla­gung jüdi­scher Samm­lungen oder Enteig­nungen aus kolo­nialen Kontexten zusammenhängt.

Die Samm­lung Emil Georg Bührle besteht aus rund 180 Gemälden der Privat­samm­lung des verstor­benen Rüstungs­un­ter­neh­mers Georg Bührle. Heute ist sie im Besitz der gleich­na­migen Stif­tung. Im Jahr 2021 zogen die Gemälde in den eigens dafür gebauten Flügel im Kunst­haus Zürich. Das führte anfäng­lich zu Kritik an der Ausstel­lung: Viele Gemälde hatten ursprüng­lich Verfolgten des NS-Regimes gehört. Diese mussten die Werke unter Druck oder gar Zwang verkaufen. Bei anderen Gemälden in der Samm­lung Bührle besteht der Verdacht, es handelt sich um Raub­kunst, bei denen die ehema­ligen Besitzer*innen enteignet und in Konzen­tra­ti­ons­lager geschickt wurden.

Dazu kommt, dass der beken­nende NS-Befür­worter Bührle seinen Reichtum durch Waffen­ge­schäfte mit Hitler­deutsch­land, Zwangs­ar­beit und später ille­galen Waffen­ge­schäften mit geäch­teten Regimen in aller Welt – unter anderem dem Apart­heid­re­gime in Südafrika – verdiente.

Historiker*innen und Journalist*innen kriti­sieren, dass die Stif­tung keinen unab­hän­gigen Zugang zu den Doku­menten zulässt, die eine Prove­ni­enz­for­schung der Gemälde ermög­li­chen würden. Die Stif­tung würde aktiv versu­chen, die Geschichte der Samm­lung in ein besseres Licht zu rücken und unan­ge­nehme Stellen ausblenden, so die Kritik. In mehreren Fällen führten Gerichts­ver­fahren dazu, dass Bührle einzelne Gemälde zurück­geben oder Entschä­di­gungen zahlen musste. Bis heute fordern die Nachfahr*innen der ehema­ligen Besitzer*innen weitere Entschä­di­gungen und Rückgaben.

Die Zürcher Stadt­prä­si­dentin Corinne Mauch gab in einem Inter­view gegen­über SRF im Jahr 2022 grossen Teilen der Kritik recht. Der bestehende Vertrag zwischen dem Kunst­haus und der Stif­tung Bührle sei „ein Fehler“ gewesen, so Mauch, „entschei­dend ist jetzt, dass eine natio­nale Kommis­sion einge­setzt wird, die bei Fragen von Resti­tu­ti­ons­be­gehren dazu beiträgt, faire und gerechte Lösungen zu finden“.

Aber warum gerade Bührle? In Zürich mangelt es nicht an Zeichen kolo­nialer Ausbeu­tung und der vergan­genen Zusam­men­ar­beit mit dem NS-Regime.

Die Samm­lung Bührle ist Ausdruck dieser Geschichte. Sie ist ein Schlüs­sel­n­ar­rativ über unser poli­ti­sches und histo­ri­sches Selbst­ver­ständnis. Sie wirft Fragen auf: Wie denken wir über Kriegs­ge­winn nach? Wie über die Verbre­chen der NS-Zeit und die Rolle der Schweiz? Die Art und Weise, wie man über Emil Bührle spricht, prägt auch unseren Blick auf die Schweiz und somit auch die Gesell­schaft, in der wir leben.

Und so taucht die Debatte um Bührle über Gene­ra­tionen hinweg immer wieder auf: Wenn es um ille­gale Waffen­ex­porte geht, wenn mit seinem dreckigen Geld ein Kunst­haus­anbau finan­ziert werden soll oder ein neues Schau­spiel­haus. Wir führen diese Debatte nur fort.

Man könnte behaupten, beim Umgang mit Bührle habe es Fort­schritte gegeben. Nun gibt es zumin­dest einen Doku­men­ta­ti­ons­raum, der die Samm­lung in den histo­ri­schen Kontext rücken will.

Natür­lich gibt es nun den Doku­men­ta­ti­ons­raum, der vermeint­lich über den Kontext der Samm­lung infor­miert. Aller­dings werden die Inhalte in diesem Raum aus der Perspek­tive der Stif­tung Bührle vermit­telt und zwar mit dem eigen­nüt­zigen Inter­esse, die Samm­lung in ihrer aktu­ellen Form zu bewahren. Die Darstel­lung im Doku­men­ta­ti­ons­raum sagt viel darüber aus, wer für die Stif­tung Teil der Gesell­schaft ist und wen das Kunst­haus als sein Publikum sieht. Dass von der Shoah als „schwie­rige Zeit“ gespro­chen wird, ist ein Beispiel dafür, wie Opfer­per­spek­tiven bis heute zum Verschwinden gebracht werden.

Aber unsere Kritik ist noch grund­sätz­li­cher: Wir glauben, dass der Neubau des Kunst­hauses bereits ein Rück­schritt war. Dies beginnt bei der Archi­tektur, die an längst vergan­gene Zeiten erin­nert. Eigent­lich war geplant, das Foyer als öffent­li­chen Raum zugäng­lich zu machen. Dies ist aber nicht geschehen. Das Museum ist ein Tresor, der sich der Öffent­lich­keit verschliesst.

Weisse Anzüge im Eingangs­foyer des Kunst­haus. So beginnt eine Muse­ums­füh­rung des Komitee Kapital Kolla­bo­ra­tion Kriegs­ge­winn. (Foto: Genesis Ramírez)

Am Ende Ihrer Führung haben Sie im Doku­men­ta­ti­ons­raum gesagt, die Teilnehmer*innen könnten die Schutz­klei­dung nun ablegen, da sie „dekon­ta­mi­niert“ seien. Warum hat der Raum für Sie diese Funktion?

Dass der Raum tatsäch­lich “dekon­ta­mi­niere”, sagen nicht wir, sondern das Kunst­haus. In ihrer Logik können die Besucher*innen die Kunst problemlos betrachten und müssten danach nur etwas über die Geschichte erfahren – wenn man denn will. Dabei sind die Samm­lung und der Doku­men­ta­ti­ons­raum voll­ständig vonein­ander getrennt. So wird klar kommu­ni­ziert, dass die blutige Entste­hung der Samm­lung nicht Teil der Ausstel­lung ist.

Ausserdem werden hier keine Fragen gestellt. Es ist also keine kriti­sche Einord­nung, die die Besucher*innen dazu anregt, über den Kontext nachzudenken.

Wie hat das Kunst­haus bisher auf Ihre Arbeit reagiert?

Zuerst gar nicht. Sie wurden erst auf uns aufmerksam, als Medien darüber berich­tetet haben, dass wir die QR-Codes neben den Gemälden ausge­wech­selt haben. Die origi­nalen Codes führten zur Webseite der Stif­tung Bührle, die sehr umständ­lich und unver­ständ­lich die Herkunft der Gemälde doku­men­tiert und das, ohne dabei Kontext zu vermit­teln. Neu führten die Codes zu unserer Webseite, wo der Versuch einer ehrli­cheren Geschichts­ver­mitt­lung unter­nommen wird. Unsere QR-Codes werden nun regel­mässig vom Kunst­haus entfernt.

Ein konkretes Beispiel ist das Gemälde „Mohn­blu­men­feld bei Vétheuil“: Die Stif­tung Bührle spricht hier von „einem regu­lären Verkauf zu schwie­rigen Zeiten“. Tatsäch­lich hatte es der jüdi­sche Besitzer Hans Erich Emden mitten im Krieg auf der Flucht vor dem NS-Regime verkauft.

Gab es Gesprächs­an­ge­bote vonseiten der Direktion?

Ja, die Direk­torin hat uns auf ein persön­li­ches Gespräch einge­laden, aber wir bestehen auf ein öffent­li­ches Treffen. Das Museum hat nämlich ein Trans­pa­renz­pro­blem. Zum Beispiel wenn es darum geht zu infor­mieren, wie es in Zukunft einen verant­wor­tungs­vollen und reflek­tierten Umgang mit der Samm­lung Bührle finden will.

Wir denken, mit dem Angebot geht es auch darum, unsere Arbeit zu verein­nahmen und sich plakativ gesprächs­be­reit zu zeigen.

Für den 3. September kündigen Sie die endgül­tige Schlies­sung der Samm­lung Bührle an. Was können wir erwarten?

Wir behaupten, dass die Schlies­sung endgültig sei, weil wir die Existenz dieser Samm­lung grund­sätz­lich infrage stellen wollen. Wir planen ein rauschendes Festival mit Work­shops, Audio­walks und Vorträgen zum Thema Zwangs­ar­beit in den Bührles Fabrik­heimen. Das Ganze endet mit der offi­zi­ellen Schlies­sung der Samm­lung um 18 Uhr.


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