Lebst du schon oder verlässt du ihn noch?

Um der Unter­drückung im Patri­ar­chat zu entkommen, müssen Frauen auch nutz­lose und faule Partner verlassen, findet Autorin Jacinta Nandi. Wie das geht, zeigt sie in ihrem Buch „50 Ways To Leave Your Ehemann“. 
Das Verlassen eines Partners ist nicht nur eine Angelegenheit des Herzens – sondern vor allem eine bürokratische. (Bild: Unsplash)

Manchmal braucht es die Hilfe eines Anderen, um die eigene Vergan­gen­heit zu begreifen. In Jacinta Nandis Fall ist dieser Andere nicht etwa Psycho­the­ra­peut oder Biografin, sondern Detektiv. Und zwar nicht irgend­einer: Es soll Agatha Chri­sties Detektiv Hercules Poirot sein, der Nandis Verbün­deter wird, um sich in ihrer eigenen Biografie auf die Suche nach Antworten zu begeben.

Nandi wurde 1980 in London geboren. Als zwan­zig­jäh­rige Frau zog sie nach Berlin und mit 23 Jahren wurde sie das erste Mal schwanger. Was es heisst, in einem fremden Land ohne fami­liäre Unter­stüt­zung zu leben – noch dazu in einem, das nicht gerade für gelebte Herz­lich­keit steht – wurde ihr späte­stens zu diesem Zeit­punkt schmerz­lich bewusst, wie sie im Buch anschau­lich beschreibt. 

Fakt ist, allein­er­zie­hend geht Hand in Hand mit Armut. 

Von der Über­for­de­rung als frisch­ge­backene Eltern über den Druck rund ums Stillen bis hin zum Zwischen­stopp im Frau­en­haus – Nandi beschö­nigt nichts. Im Gegen­teil. Sie schafft es mit ihrer humo­ri­sti­schen und selbst­kri­ti­schen Sicht­weise, die Posi­tion einer Beob­ach­terin einzu­nehmen, die das Gesche­hene analy­siert und zu verstehen versucht.

„Ich glaube nicht, dass Männer nur Täter sind und Frauen nur Opfer. Aber ich glaube, dass der Grund, weshalb so viele männ­liche Partner ihre Part­ne­rinnen so scheisse behan­deln, der ist, dass sie nicht glauben können, dass ihre Frauen sie je verlassen werden. Es ist so leicht für Männer, ihre Frauen scheisse zu behan­deln, weil es so schwer ist für Frauen, sie zu verlassen.“

Divorce Barbie und Unterhaltszahlungen

Von der Vergan­gen­heit, die mit detek­ti­vi­scher Präzi­sion erforscht werden muss, springt das Buch in die Gegen­wart. Die Bühne: der Alltag einer allein­er­zie­henden Mutter in Berlin-Lich­ten­rade. Nandi steckt irgendwo zwischen verpassten Termin­ver­schie­bungen, Kostüm basteln und dem Gefühl, einfach „Nie genug zu sein“. 

Zieht man an der schön drapierten Schlaufe, die die Gesell­schaft rundum allein­er­zie­hende Mütter gebunden hat, plumpsen Päck­chen der Stig­ma­ti­sie­rung, der Gewalt, der Unter­drückung und der Armut heraus.

Beim Treffen mit ihren Freund*innen kann Nandi dieser alltäg­li­chen Sisy­phus­ar­beit entfliehen. Sie dienen ihr als Ventil und Inspi­ra­ti­ons­quelle zugleich. Ein „Safe Space“, bei dem an einem Glas Sekt nippend, Pizza essend oder gemeinsam TV-Serien schauend übers Leben herge­zogen und hemmungslos über Freund*innen und andere Mütter getratscht werden kann.

In diesem Austausch wird klar: Zieht man an der schön drapierten Schlaufe, die die Gesell­schaft rundum allein­er­zie­hende Mütter gebunden hat, plumpsen Päck­chen der Stig­ma­ti­sie­rung, der Gewalt, der Unter­drückung und der Armut heraus. Und weil Raus­ge­fal­lenes wieder rein­zu­stopfen echt mühsam ist, wählt Nandi den einfa­cheren Weg. Sie früh­stückt eins nach dem anderen ab, ange­fangen bei „Divorce Barbie“.

Die Reali­täten von Allein­er­zie­henden sehen sehr unter­schied­lich aus, sie lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren. Das macht Nandi anhand der Geschichte ihrer Freund*innen klar. Von Vätern, die sich an der Erzie­hung und der Arbeit betei­ligen über Fami­lien, die die Mutter unter­stützen, bis hin zu denen, die alles allein stemmen. 

Statt Mitge­fühl und Soli­da­rität füllen Mitleid und gut gemeinte Ratschläge die Konver­sa­tionen rund ums Allein­er­ziehen und Verlassen.

Eine „Divorce Barbie“ ist aller­dings keine der Freun­dinnen. Diese fiktive geschie­dene Super­frau, die sich alles von ihrem Ex-Mann Ken unter den Nagel gerissen hat und nun ein Leben in Saus und Braus führt. „Divorce Barbie“ ist sowohl die Antwort auf den Witz: „Welche Barbie hat die meisten Sachen?“ als auch Asso­zia­tion rund um Geschie­dene und Allein­er­zie­hende. Fakt ist, allein­er­zie­hend geht Hand in Hand mit Armut. Dies belegt die Studie der Wissen­schaft­lerin und Profes­sorin Anne Lenze, die Nandi ihrem Text beigefügt hat. 

„Wenn es eine Divorce Barbie gäbe, hätte sie kaputte Schuhe, Aldi­tüten und Mahnungen als Ausstattung.“

Statt Mitge­fühl und Soli­da­rität füllen Mitleid und gut gemeinte Ratschläge die Konver­sa­tionen rund ums Allein­er­ziehen und Verlassen. Während Väter stets gut genug sind, kann eine Mutter den Erwar­tungen niemals gerecht werden. Als gäbe es zwei­erlei Mass. Vergisst beispiels­weise der Vater einen Termin, wird dieser kurzer­hand als unwichtig rela­ti­viert. Im Arbeits­stress können schliess­lich Dinge unter­gehen. Und wenn er sich an einen Termin doch erin­nert, so hat er sich gleich einen Ruf als liebe­voller und am Leben des Kindes teil­neh­menden Eltern­teils verdient, so Nandi. 

Das Verlassen eines Part­ners ist nicht nur eine Ange­le­gen­heit des Herzens – sondern vor allem eine bürokratische. 

Die Mutter, die Care‑, Haus- und Erwerbs­ar­beit unter einem Hut zu bringen versucht, strengt sich hingegen einfach nicht genug an. Das schlägt sich etwa im Kontakt mit einer Hort­be­treuerin nieder. Als einer ihrer Söhne auffäl­liges Verhalten an den Tag legt, wird dieses beim Einzel­ge­spräch mit Nandis Tren­nung vom Kindes­vater erklärt. Beim näch­sten Gesprächs­termin mit der Anwe­sen­heit beider Eltern­teile hingegen legen sich die Vorwürfe und die schmut­zigen Kleider sind das einzige Problem. Der Text kommt zum Schluss: Alle Bemü­hungen und Anstren­gungen einer Mutter zählen nicht oder gelten als Selbstverständlichkeit.

„In a patri­ar­chal society, father­hood is a hobby, mother­hood func­tions more like a prison. – Zawn Villines“

Das Verlassen eines Part­ners ist nicht nur eine Ange­le­gen­heit des Herzens – sondern vor allem eine büro­kra­ti­sche. Auf ihrem Weg zur Tren­nung vom Vater ihrer Kinder brauchte Nandi viel Hilfe, wie sie im Buch beschreibt. Diese erhielt sie zwar unter anderem vom Sozi­alamt, von der Frauen- und von der Rechts­be­ra­tung. An anderen Stellen hingegen liess sie der Sozi­al­staat allein: etwa bei der Beschaf­fung eines Wohn­be­rech­ti­gungs­scheins. Nandi setzt dem unzu­rei­chenden und über­bü­ro­kra­ti­schen System Alter­na­tiven entgegen – manchmal wirken sie utopisch.

Eine dieser Utopien: Väter, die keinen Unter­halt mehr zahlen wollen, sollen von jegli­cher Verant­wor­tung befreit werden und keinem Zwang unter­liegen. Denn, so Nandis Ansicht, es sei unzu­mutbar und gefähr­lich, sie in das Leben der Kinder zu invol­vieren. Statt­dessen sollte der Staat in diesem Falle stell­ver­tre­tend für die Unter­halts­zah­lungen aufkommen. Ebenso sollten Kita­ko­sten für Allein­er­zie­hende mit nied­rigem Einkommen ganz entfallen. Es sollte zudem, so lautet ein weiterer Policy-Vorschlag der Autorin, eine Art „Bildungs­gut­scheine“ geben, die für Musik­un­ter­richt oder Ähnli­ches ausge­hän­digt werden.

Sie steht hinter Amber Heard

Zum Ende hin widmet sich das Buch dem Thema der sexu­ellen Gewalt. Jede zweite Frau hat bereits Formen sexu­eller Gewalt erfahren. Doch den Frauen, die diese Taten an die Öffent­lich­keit tragen, schlägt Skepsis, Wut, Ernied­ri­gung und Verharm­lo­sung entgegen. Ein Para­de­bei­spiel dafür: der Fall Amber Heard. Die Schau­spie­lerin Heard bezich­tigte ihren Ex-Mann und eben­falls Schau­spieler Johnny Depp der häus­li­chen Gewalt und des sexu­ellen Missbrauches. 

Nandi pran­gert an, dass die Gewalt­täter, die als solche entlarvt wurden, Frauen zum Schweigen bringen wollen. 

Er wiederum bezich­tige sie der Lüge und des Rufmordes und konterte mit einer Verleum­dungs­klage. Eine Gegen­klage seitens Amber folgte. Sechs Wochen zogen sich die Gerichts­ver­hand­lungen, aus denen Johnny Depp als klarer Sieger hervor­ging. Alle Ankla­ge­punkte bezüg­lich der psychi­schen und physi­schen Gewalt wurden vom Gericht abge­schmet­tert und Depp nur wegen Verleum­dung seitens seines Anwaltes schuldig gespro­chen. Er wurde zu Scha­dens­er­satz verur­teilt, Amber ebenso. Für Nandi steht ausser Frage – sie posi­tio­niert sich klar hinter Heard.

 „Denn […] was Männer nicht wahr­haben möchten: Für mich, für uns ist Amber Heard deswegen so glaub­würdig, weil ich so viele Frauen wie sie kenne. Für mich, glaube ich, ist das Schlimmste an Ambers Geschichte, das Über­zeu­gendste, das Plau­si­belste und das Berüh­rendste, nicht der Glamour, sondern die Normalität.“

Umso ernüch­ternder, als Nandi einen Fall aus ihrem eigenen Freun­des­kreis schil­dert, bei dem sie selbst Zeugin wurde und nicht eingriff. Nandi reflek­tiert ihr Verhalten, doch gleicht ihre Schil­de­rung zeit­weise dem Versuch, sich von der Schuld frei­zu­spre­chen. Ihr Nicht-Eingreifen führt sie auf ihren alko­ho­li­sierten Zustand sowie mögli­cher Gefühle der Eifer­sucht zurück. Zu einer Anzeige kam es nie. 

Laut Nandi hätte eine Anzeige bloss mit Amandas Ernied­ri­gung geendet. Nandi pran­gert an, dass die Gewalt­täter, die als solche entlarvt wurden, Frauen zum Schweigen bringen wollen. Deshalb sei es ein Tabu, sich in der Öffent­lich­keit über sexu­elle Gewalt auszu­spre­chen. Gleich­zeitig steht sie im geschil­derten Fall nach Abwägen des mögli­chen Ausgangs hinter ihrer Entschei­dung zu schweigen. Es ist einer der wenigen Wider­sprüche im Buch.

Das Buch mag provo­kant, viel­leicht sogar verbit­tert scheinen und man mag nicht in allen Punkten mit der Autorin über­ein­stimmen, doch nach der Lektüre kann man die Perspek­tiven und Meinungen der Autorin nach­voll­ziehen. Nandi lädt dazu ein, das Leben Allein­er­zie­hender und deren Wünsche kennen­zu­lernen und sich in sie hinein­zu­ver­setzen. Zudem erin­nert uns das Buch daran, als Indi­vi­duen und als Gesell­schaft genauer hinzu­schauen, sexu­elle Gewalt klar als solche zu benennen und sich mit ihren Konse­quenzen auseinanderzusetzen.


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