Brauchen wir eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit? Ja, hat sich das SRF gedacht und am vergangenen Mittwoch unter dem Titel Leidende Männer – „Alles Männliche wird verteufelt“ in der Rundschau eine Kurzdoku veröffentlicht.
Ja, denkt sich auch der vernünftige, progressive cis Mann – wenn er sich als solcher definiert – und schaltet den Fernseher ein. Schliesslich gäbe es zum Thema Männlichkeit wirklich eine ganze Menge zu sagen: Man(n) könnte zum Beispiel traditionelle Männerbilder untersuchen und sich fragen, ob und wie diese klischierten Vorstellungen noch in die Zeit passen. Man(n) könnte sie kritisieren, dekonstruieren, auseinandernehmen. Kurz, man(n) könnte so viel Interessantes machen, das ein neues Licht auf eines der ältesten Probleme der Menschheit werfen würde: auf die unreflektierte Männlichkeit.
Aber was macht das SRF? Es walzt die Urform reaktionärer Feminismusabwehr auf 15 quälende Minuten aus – die Annahme nämlich, es gebe so etwas wie eine natürliche Männlichkeit (immer und überall gleich – gleich blöd, möchte man sagen), die mit dem gleichberechtigten Dasein der Frau nicht vereinbar ist.
Oder anders: Will ein Mann den Feminismus unterstützen, geht das nur auf Kosten seiner Männlichkeit. Das erzählt uns das SRF im Jahr 2021.
Alle Männer schreien: Uargh!
Dementsprechend sucht die Reportage Männer in und um Zürich auf, die vor der Kamera eine Weile ihr „natürlich“ männliches Verhalten demonstrieren dürfen, um danach mit traurigem Blick in die Kamera zu lamentieren, dass sie all das unter dem feministischen Regime eben gerade nicht mehr dürfen. Nein: Heutzutage muss der arme Mann seine Natur unterdrücken, was, wie schon der Titel sagt, grosses Leid zur Folge hat.
Ganz kurz und nebenbei: Die Geschichte einer solchen reaktionären Männlichkeit ist die leidvolle Geschichte der Unterdrückung von Frauen und allen anderen Geschlechtern durch cis Männer. Die Geschichte des Feminismus dagegen ist die Geschichte der Befreiung.
Das einmal festgehalten, werden die Männlichkeitshopser vor der Kamera noch grotesker. In verschieden grossen Rudeln findet man sich zusammen und trägt die innerste Natur nach aussen. Zum Beispiel bei einer Art Baumumarmungszeremonie im Stadtwald, bei der gemeinsam im Kreis gestanden und dem Tier im Manne nachgespürt wird. Was dann den schwurbelnden Alt-Pfadis als typisch männlich entfährt, ist ein wild gebrülltes „Uargh!“ mit wie zum Angriff erhobenen Armen. Männer sind aggro, will man uns wohl sagen, Frauen hingegen … Ein harter Cut bringt uns mitten hinein in jenes Geschehen, von dem sich das Wolfsrudel am meisten bedroht fühlt: die Demo zum feministischen Streiktag.
Frauen hingegen … stellen politische Forderungen, denen sich zu unterwerfen im Wald immer einer Selbstverleugnung, ja, Unterdrückung der eigenen Triebe gleichkommt. Die beiden Filmsequenzen werden im SRF auf klassisch rechtspopulistische Weise nebeneinandergestellt, so dass die transportierte Politik dumpfes Geraune bleibt.
Cis Männer heulen im Wald
Trotzdem wird hier Politik gemacht. Eine Politik, die in ihrem reaktionären Gestus vom äussersten rechten Rand kommen könnte: der Versuch nämlich, Feminismus als Unterwerfungsmaschine zu verunglimpfen.
Passend dazu nimmt die Reporterin in der nächsten Sequenz – die sich, oh Wunder, wieder im Wald abspielt – einen Typen ins Gebet, der als ehemaliger Militärpolizist vorgestellt wird. Dieser ebenfalls leidende und traumatisierte Herr erzählt, wie er sich vor Jahren dazu entschlossen hatte, für die Kinder zu Hause zu bleiben, während die Frau Karriere machte. Irgendwann kam es zur Trennung und er stand allein da.
„Ja und?“, entfährt es da sogar der Reporterin vom SRF. Das passiert unzähligen Frauen, die in unserem System immer noch weit häufiger bei den Kindern bleiben, jeden Tag. Aber statt hier kurz einzuhaken, den offensichtlichen Blödsinn zu benennen, schwenkt die Doku-Kamera vom erstaunten Reporter:innen-Gesicht ins Gebüsch und sieht dem einsamen Mann zu, wie er im Wald, seinem Energiezentrum, verschwindet.
Feminismus, so wird suggeriert, unterdrückt nicht nur des Mannes Trieb, nein, er zerstört auch noch seine Karriere – zumindest, wenn der Mann so blöd war, sich drauf einzulassen. Oder, wie es der nächste leidende Mann, der sich zu Wort melden darf, ein Werbetexter, ausdrückt: „Man kann doch nicht das eine Schlechte mit dem anderen Schlechten bekämpfen.“
Gemeint ist, die feministische Forderung nach echter Gleichberechtigung wäre identisch mit der Unterdrückung anderer Geschlechter in einem uralten patriarchalen System. Scheinbar haben weder der Werbetexter noch die Kolleg:innen vom SRF verstanden, worum es geht, wenn eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit gefordert wird.
No Time to Die in der Sauna
Darum eine kleine Anekdote vom bevorstehenden Kinostart von No Time to Die, dem neuen James-Bond-Film. Zu den problematischen Männlichkeitsbildern aus der Filmreihe befragt, die gefühlt so alt ist wie das Patriarchat selbst, zeigt sich Regisseur Cary Joji Fukunaga fassungslos, was James Bond noch vor nicht allzu langer Zeit alles ungestraft tun durfte. Konkret: vergewaltigen.
Er beschreibt einen älteren 007-Streifen mit Sean Connery, in dem Bond in etwas, das eine Liebesszene sein soll, eine Frau bedrängt. Die Frau sagt mehrmals und deutlich vernehmbar nein. Der Gentleman-Geheimagent setzt sich über ihren klar artikulierten Willen hinweg, küsst sie und – drängt sie in eine Sauna (!). Die Tür schliesst sich hinter den beiden, das Publikum weiss: Jetzt geht’s zur Sache.
Das ist so krass, dass selbst Fukunaga, der nicht unbedingt für sensible Geschlechterporträts bekannt ist, die Spucke wegbleibt.
Gleichzeitig ist es gerade erst vor Kurzem geschehen. Sean Connerys James-Bond-Welt ist auch noch die unsere. Was der Frau – sicher unter zustimmendem Gegröle des männlichen Kinopublikums – angetan wurde, wird immer noch vielen Frauen sehr real angetan (oft unter zustimmendem Gegröle anderer Männer).
Dass wir cis Männer seit ein paar Jahren zumindest ein kleines bisschen Gespür dafür entwickelt haben, dass so was ein Verbrechen ist, haben wir dem Feminismus zu verdanken, der immer und immer wieder eine kritische Auseinandersetzung mit falschen Männlichkeitsidealen gefordert hat.
Darum gehts.
Und da können die vom SRF inszenierten Wolfsrudel im Stadtwald heulen, so lange sie wollen: Unterdrückung und Verbrechen gehen vom Patriarchat aus, Feminismus ist eine Befreiungsbewegung. Wenn das SRF das Gegenteil suggeriert, macht er sich zum Geheimagenten der Reaktion, der unter dem Gegröle seiner männlichen Zuschauer eine Welt im Aufbruch zurückdrängt in die schwitzig-stickige Sauna repressiver Männlichkeit.
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