Selbst viele Befürworter*innen haben nicht an einen Sieg der Initiative gegen Massentierhaltung geglaubt. Diesen Pessimismus zeigten Erhebungen von gfs.bern bereits im Vorfeld. Nun kann man sich zwar sagen, immerhin habe man das Thema Massentierhaltung lanciert. Doch das alleine ist ein schwacher Trost für Tierfreund*innen, und für Tiere ist es überhaupt keiner. Denn die Initiative wurde mit 62.9 Prozent Nein-Stimmen an der Urne abgeschmettert.
An der Kampagnenarbeit des Initiativteams lag es bestimmt nicht – diese war fehlerfrei. Doch die internen Spannungen im Ja-Lager waren ein grosses Hindernis. Veganer*innen, Tierschützer*innen und Kleinbäuer*innen wollen letztlich nicht alle das Gleiche.
Teilweise mit Augenrollen konnte man sich auf eine Initiative einigen, die im Wesentlichen eine Schweiz fordert, die auch im Jahr 2050 noch Abermillionen Tiere für Fleisch tötet, dabei aber 2018er Bio-Standards einhält. Das war eher ein Kompromiss als eine Vision.
Fehlende Unterstützung aus den eigenen Reihen
Ursprünglich war alles anders gedacht. Als 2016 die ersten Ideen für eine Initiative gegen Massentierhaltung kursierten, war die Rede von einer Kampagne, die aufrütteln sollte. Tierrechtler*innen versprachen sich garantierte Medienaufmerksamkeit für ihre oft ignorierte und belächelte Bewegung. Man wollte eine kritische Botschaft zum Thema Tierausbeutung platzieren, auch wenn es vordergründig nur um die krassesten Formen von Massentierhaltung ging.
Klar, mit einer radikaleren Initiative hätte man erst recht verloren. Aber ums Gewinnen und Verlieren ging es nicht, sondern ums Lancieren der richtigen Diskussion.
Mit der Zeit wuchs jedoch die Ambition, tatsächlich zu gewinnen. Also versuchte man, pragmatisch zu sein, nicht zu viel zu fordern. Das vergraulte prompt einen Teil der ursprünglichen Basis.
Symptomatisch war etwa der Vegi-Verband Swissveg, der sich offen gegen die Initiative stellte, weil sie zu moderat war. Dann kamen die Kleinbäuer*innenvereinigungen, KAG Freiland und Demeter an Bord. Die Kampagne änderte ihren Ton, setzte immer stärker auf Positivbeispiele der kleinbäuerlichen Fleisch- und Eierproduktion.
Gleichzeitig war die Kampagne etwa dem Schweizer Tierschutz STS immer noch zu radikal. Er unterstützte sie zwar ideell, wollte im Abstimmungskampf jedoch nicht in Erscheinung treten. Auch andere Player mit grosser Ausstrahlung wollten mit der Initiative nichts zu tun haben.
Wo waren beispielsweise die Zoos, die sich doch den Artenschutz auf die Fahne schreiben? Immerhin ist die Massentierhaltung wegen Futtermittelproduktion und dazugehöriger Habitatzerstörung eine Hauptursache des globalen Artensterbens.
Und wo waren die Tierärzt*innen? Nun, die Gesellschaft Schweizer Tierärzte GST gab eine Nein-Parole heraus, ohne dafür irgendeinen tierärztlichen Grund zu nennen. Das Schweigen dieser Institutionen spricht natürlich Bände über ihre Haltung zu Tieren. Aber das ändert nichts daran, dass die Basis der kompromissbasierten Initiative letztlich nicht breit und begeistert genug war.
Wie weiter?
Im Abstimmungskampf kamen weitere Schwierigkeiten hinzu. Der Stadt-Land-Graben war bereits früh spürbar. So ist Basel-Stadt der einzige Kanton, in dem die Initiative angenommen wurde. Auch ein Geschlechtergraben war beim Thema Tierschutz zu erwarten. Doch die meisten Zähne biss sich die Ja-Kampagne am Vertrauen des Volks ins Tierschutzrecht aus.
Eigentlich hatte die Ja-Seite sehr überzeugend aufgezeigt, welches Tierleid in der Schweiz ganz legal herrscht. Insbesondere der Verein Tier im Fokus leistete mit der Veröffentlichung von Undercover-Aufnahmen viel Aufklärungsarbeit.
Doch trotz allen deprimierenden Fotos aus Schweizer Ställen lautete das stärkste Argument der Nein-Seite, Tiere wären in der Schweiz bereits streng geschützt und es brauche keine Verbesserungen. Der patriotisch gefärbte Glaube, bei uns laufe alles gut, lässt sich durch die Realität nicht so leicht erschüttern.
Und dennoch: Die Tierbewegung in der Schweiz ist heute stärker und besser organisiert als vor der Initiative. Sentience beschäftigte zu Beginn der Sammelphase zwei Angestellte, heute sind es neun. Eine Kampagne im Anschluss an die Initiative ist bereits aufgegleist. Auch andere Gruppen konnten sich vergrössern und mit neuen Aktionsformen experimentieren.
Die diversen Organisationen der eher zersplitterten Szene stehen wieder in engerem Kontakt. Und sie haben Erfahrungen gesammelt im Unterschriften sammeln, im Allianzen schmieden, im Campaignen und in der Medienarbeit.
Damit geht es nahtlos weiter. Am Abstimmungssonntag wurden bereits Unterschriften für Initiativen gegen den Import von Pelz und Stopfleber gesammelt. Wie bei der Massentierhaltungsinitiative ist auch hier das Anliegen ein Understatement. Vorderhand geht es nur um Pelz und Stopfleber, langfristig jedoch um das Verhältnis der Schweiz zur Tierquälerei allgemein.
Auch wenn die Rechnung bei Pelz und Stopfleber aufgehen könnte, muss die Schweizer Tierbewegung in Zukunft andere Strategien finden. Sie braucht eine Vision, zu der sie offen stehen kann, die sie nicht hinter Understatements und Kompromissen verstecken muss.
Dafür muss sich die Tierbewegung aber selbst einmal klarer werden, was sie mittel- bis langfristig eigentlich will. Wie soll die Schweiz aussehen, die im Jahr 2050 keine 80 Millionen Tiere mehr für Fleisch tötet? Was für ein Landwirtschafts- und Ernährungssystem wünschen wir uns konkret? Und wie gelangen wir da hin? Es braucht gute Antworten auf diese Fragen, damit zukünftige Tierwohl-Initiativen eine Chance haben.
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