Dieses Interview baut auf Informationen zum Schweizer Asylgesetz auf, die im kürzlich bei das Lamm erschienenen Text „Die Schweiz: Land der Lager“ erläutert werden.
das Lamm: Mattea Meyer, hast du der letzten Asylgesetzrevision zugestimmt? Wie stehst du heute zum neuen Asylgesetz?
Mattea Meyer: Ich konnte mich vor vier Jahren zu einem Ja durchringen, nach vielen Gesprächen mit Asylrechtsorganisationen. Vor der Revision haben Asylsuchende teils jahrelang auf ihren Asylentscheid gewartet. Nicht zu wissen, wie das Leben weitergeht: Das war und ist unglaublich zermürbend für die Betroffenen. Es braucht schnellere Entscheidungsprozesse. Zudem halte ich die unentgeltliche Rechtsvertretung für enorm wichtig. Aber das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Die kurzen Fristen für Einsprachen gegen Negativentscheide sind ein grosses Problem. Und die Frage bleibt, ob das abgekürzte Verfahren auch traumatisierten Menschen gerecht wird. Das bezweifle ich.
Klar sind kürzere Verfahren gut für diejenigen, die bleiben dürfen. Aber kürzere Verfahren bedeuten ja eben auch: kurzer Prozess für diejenigen mit schlechteren Aussichten.
Gut, aber das war auch schon bisher so. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat schon immer diejenigen Asylsuchenden priorisiert, die ohnehin schlechte Chancen auf einen Aufenthaltsstatus hatten. Und diejenigen, die bleiben durften, mussten lange warten. Das habe ich immer kritisiert.
Diese Prioritätensetzung des SEM wird wohl auch mit dem neuen Gesetz so bleiben.
Ja, aber die Wartefristen werden trotzdem kürzer, vor allem auch für diejenigen mit hoher Chance, bleiben zu können. Und bereits vor der Einführung der schnelleren Verfahren gab’s Fast-Track-Verfahren für Leute aus Ländern wie Bosnien und Herzegowina, bei denen die Chancen sehr gering sind, dass sie bleiben können. Dublin-Fälle wurden ebenfalls schon vor der Revision sehr schnell behandelt.
Gegenüber früher steht den Gesuchstellenden aber keine richtig unabhängige Rechtshilfe mehr zur Verfügung: Seit der Revision wird der Rechtsbeistand vom SEM und damit von der Gegenpartei zur Verfügung gestellt – und er geniesst nicht unbedingt das Vertrauen seiner Mandant*innen.
Es stimmt nicht, dass das SEM den Rechtsbeistand zur Verfügung stellt. Das SEM vergibt das Mandat an nichtstaatliche Rechtsberatungsstellen. Es gibt hier also schon eine klare Trennung. Problematisch ist eher, dass ein Fall pauschal vergütet wird – egal, wie kompliziert er ist. Sprich: Es stellt sich die Frage, ob die Rechtsbeistände sich immer voll und ganz für die Mandant*innen einsetzen werden. Das System ist sicher nicht perfekt. Aber neu hat eine asylsuchende Person vom ersten Moment an eine unentgeltliche Rechtsvertretung an der Seite. Das war bisher nicht der Fall. Früher waren die Asylsuchenden darauf angewiesen, die richtigen Informationen rechtzeitig zu bekommen und sich rechtzeitig bei einer Rechtsberatungsstelle zu melden. Die unentgeltliche Rechtsvertretung ist ein Fortschritt im Vergleich zu früher, trotz verkürzter Rekursfristen.
Der Rechtsbeistand ist aber angehalten, sein Mandat niederzulegen, wenn er eine Beschwerde gegen einen Negativentscheid für aussichtslos erachtet. Eine neue juristische Vertretung als Ersatz zu finden, wird dann aber enorm schwierig – weil die Personen ja kaum mehr mit der Zivilgesellschaft in Kontakt kommen.
Wie gesagt, es ist nicht perfekt und die zu kurzen Beschwerdefristen sind sehr stossend. Hier braucht es Korrekturen. Es besteht zwar immer noch die Möglichkeit, bei einer Rechtsberatungsstelle eine neue juristische Vertretung zu finden, aber dafür sind die Hürden für mich klar zu hoch.
Verschwinden die Leute nicht einfach irgendwo in einem Zentrum und werden dann ausgeschafft?
Dieses Problem hat auch schon mit dem alten Verfahren bestanden. Ich halte es für zentral, dass die Öffentlichkeit Zugang zu den Bundesasylzentren (BAZ) hat. Nicht zu den Schlafzimmern; die Leute wohnen ja dort. Aber dass es Räume gibt, die für beide Seiten zugänglich sind. Wichtig ist jetzt, dass man genau hinsieht und Druck aufbaut. Denn die politischen Verhältnisse vor Ort entscheiden. So hat die Stadt Zürich etwa grosszügigere Öffnungszeiten als andere Zentren.
Zürich dient aber auch als Vorzeigezentrum des neuen Asylsystems. Im BAZ auf dem Glaubenbergpass etwa sieht die Situation ganz anders aus: Dort ist es eigentlich egal, wie ‚offen‘ das ist. Da kommt niemand hin. Ähnliches gilt für die vielen Zentren ohne Verfahrensfunktion: Da kann man von Lagern sprechen. Ohne Perspektive und ohne Kontakt zur Gesellschaft.
Hier geht es nicht um die Asylgesetzrevision, sondern um die Frage, wo die Menschen wohnen sollen. Asylzentren möglichst abgelegen platzieren zu wollen, finde ich ein Problem. Viele Standorte sind schrecklich. Etwa in Altstätten, wo das BAZ zwischen einem Schiesstand und einem Gefängnis liegen wird. Diese Bundesasylzentren sind natürlich ein Sinnbild dafür, wie man allgemein mit Asylsuchenden umgeht in unserer Gesellschaft: Man drängt sie an den Rand und aus den Augen der Öffentlichkeit.
Und genau deshalb führen wir dieses Interview: Geflüchtete werden an den Rand gedrängt; das ist nicht besonders neu. Neu ist, dass wir mit dem neuen Gesetz einen Rahmen dafür haben, der von den grossen linken Parteien mitgetragen wurde. Neu ist, dass man jetzt davon ausgeht: Diese Abschottungspolitik wird auch von links mitgetragen.
Bei der Asylgesetzrevision ging es im Kern darum, schnellere Verfahren in Bundesasylzentren einzuführen, die Betroffenen nicht jahrelang im Ungewissen zu lassen sowie einen unentgeltlichen Rechtsbeistand einzuführen. Ich halte es für zu weit hergeholt, die Stimmung innerhalb der Linken auf die Zustimmung zu diesem Gesetz zu beschränken. Ich glaube, es ist klar, dass die Abschottungspolitik von links nicht mitgetragen wird und wir diese vehement kritisieren.
Aber es ist ja nicht nur Zustimmung. Das Gesetz wurde von einer SP-Bundesrätin erarbeitet. Und das ist kein Einzelfall: SP-Exekutivpolitiker*innen prägen die Schweizer Asylpolitik wesentlich mit.
Natürlich trägt das Asylgesetz die Handschrift von Simonetta Sommaruga. Bei früheren Asylgesetzrevisionen gingen wir immer auf die Barrikaden. Etwa bei der Abschaffung des Botschaftsasyls. Das waren massive Verschärfungen, die wir, leider erfolglos, bekämpft haben. Diese neue Revision hat zum ersten Mal auch Verbesserungen gebracht. Neben Verschlechterungen natürlich, es war und ist aber nicht mein Wunschgesetz. Aber ich konnte es mittragen und ich stehe weiterhin dahinter. Die Frage, wie man mit Asylsuchenden umgeht, misst sich nicht nur an einem Gesetz. Es geht hier um eine allgemeine Stimmung, zu der Exekutiv-Mitglieder der SP auf kantonaler, kommunaler und nationaler Ebene ihren Teil beitragen – positiv wie negativ.
Ich finde es beängstigend, dass in der Asylpolitik jetzt eine parlamentarische, linke Gegenstimme fehlt. Man sagt ja nicht nur Ja zu einer Revision; man gibt die Zustimmung zu einem Gesetz, das einen bestimmten Umgang mit Asylsuchenden vorgibt: Isolation, Halbgefangenschaft und möglichst effiziente Ausschaffungen.
Die Ausgangsfrage war ja, wie ich damals abgestimmt habe, und das habe ich erklärt. Aber dass ich es haarsträubend finde, wie wir mit Asylsuchenden umgehen, wie die Stimmung ist: Das ist selbstredend. Ich mache das einfach nicht an der Zustimmung zu diesem Gesetz fest. Die Asylgesetzrevision war nicht ein Wendepunkt in der Geschichte. Sie ist ein Teilchen, das diese Geschichte weitererzählt. Und dass diese Geschichte negativ geprägt ist, ist klar – aber das wäre auch bei einem Nein nicht anders gewesen.
Natürlich kann die ganze gesellschaftliche Stimmung im Asylbereich nicht an dieser Revision aufgehängt werden. Aber irgendwo muss man ja ansetzen. Wo sonst? Was muss passieren, damit es besser wird?
Was sicher wichtig ist, ist eine zivilgesellschaftliche Stimme, die gegenüber dem Asylprozess kritisch bleibt. Die tragen wir übrigens auch weiterhin ins Parlament. Es ist entscheidend, dass man weiterhin hinsieht und kritisiert. Aber nicht nur beim Asylgesetz, sondern auch bei anderen Themen: etwa bei Eingrenzungen, beim Umgang mit abgewiesenen Asylsuchenden, bei Ausschaffungen, beim fragwürdigen Status der Vorläufigen Aufnahme oder bei Dublin-Rückführungen, deren Zahl im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders hoch ist. Da muss man den Finger draufhalten. Ich glaube, das ist die einzige Chance, dem lauten Gekreische von rechts entgegenzustehen.
Also mit lautem Gekreische von links?
Ja, ich finde es zentral, dass es laute Kritik von links gibt und wir auch mutige Forderungen stellen. Wir müssen nicht den Kompromiss schon vorwegnehmen.
Also sollte man sich radikaler positionieren?
Ja, wir sollten grundsätzlichere Forderungen einbringen.
Aber wieso sagt dann die SP Ja zu so einem Asylgesetz? Das ist ja das Gegenteil!
Das ist doch nicht der Kern der Sache!
Vielleicht nicht – aber trotzdem wichtig.
Nochmals: Wir können bei der Asylgesetzrevision eine unterschiedliche Einschätzung haben, aber ich finde es falsch, nur diese im Fokus zu haben und daran zu messen, ob jemand kritisch gegenüber der aktuellen Politik ist oder nicht. Wir sollten aus meiner Sicht zum Beispiel über die Abschaffung des Botschaftsasyls sprechen. Die einzige legale Möglichkeit, in der Schweiz Asyl zu erhalten, haben die bürgerlichen Parteien abgeschafft. Oder etwa auch, dass die Verweigerung des Wehrdiensts nicht mehr als Fluchtgrund anerkannt wird. Das hat den Eritreer*innen in diesem Land nachhaltig geschadet.
Man kann sich ja nicht immer nur daran orientieren, was sonst noch alles schlimm ist. Und es ist ja schon so, dass die Abschottung mit den Bundesasylzentren noch grösser wurde. Früher mussten die Personen im Asylverfahren ja nicht um 17:00 Uhr zuhause sein. Sondern sie konnten sich eben auch aktiv an zivilgesellschaftlichen Angeboten beteiligen. Zwischenmenschliche Kontakte, Kontakte zu solidarischen Gruppierungen mit Verbindungen zu Anwält*innen wurden jetzt ganz gezielt abgeschafft – weil so immer wieder Bleiberecht erkämpft werden konnte.
Das muss auch unbedingt weiterhin möglich sein; das muss gewährleistet werden und dafür setze ich mich übrigens im Parlament auch ein. Vieles wird auf Verordnungsstufe geregelt und hier sehe ich grossen Verbesserungsbedarf. Auch für die Aufnahme von Geflüchteten braucht es mehr politischen Druck. Während der Bundesrat öffentlich kommuniziert, an Relocation-Programmen teilzunehmen und 1500 Flüchtende aufzunehmen, schafft die Schweiz dreimal so viele Menschen zurück nach Italien, weil diese Menschen den europäischen Boden in Italien betreten haben (sogenannte Dublin-Fälle). Und an den EU-Aussengrenzen herrschen unhaltbare Zustände. Es werden rechtsstaatliche Prinzipien verletzt, und die Schweiz schaut einfach zu – weil man sich die Flüchtlinge vom Hals halten will.
Das führt mich zurück zum meiner anfänglichen These: Wo bleibt die Empörung? Wieso stellt sich die SP nicht quer?
Die SP macht das längst. Es gibt viele Parteivertreter*innen, die regelmässig Druck aufbauen und Kritik üben. Teilweise auch sehr vehement. Da zähle ich mich dazu. Aber klar: Ich wünschte mir immer mal wieder mehr Mut. Hier geht es um die Grundrechte von verletzlichen Personen. Grundrechte sind erst dann etwas wert, wenn sie für alle Menschen gelten.
Auch mich erschreckt immer wieder, wie wenig das Thema die Leute noch zu bewegen vermag. Ich finde es krass, wie unwürdig die Gesellschaft mit Leuten umgeht, die keinen Pass haben. Und wie wir als Gesellschaft nicht wahrhaben wollen, dass man anstelle der Bekämpfung von Flüchtlingen endlich damit anfangen sollte, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die Schweiz hätte hierfür viele Ansatzpunkte; linke Politik muss diese Zusammenhänge thematisieren. Die Zusammenhänge zwischen Asylpolitik und dem Schaden und unglaublichen Leid, den die Schweiz weltweit verursacht.
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