Letztens scrollte ich durch Instagram, wie so oft, und sah ein Reel eines Bekannten, in dem er Werbung für eine Zügelfirma macht. Er erklärt, dass die Zügelkisten mit farbigen Klebern bestimmten Zimmern zugewiesen werden können. Er hält den Wohnungsgrundriss in die Kamera und bezeichnet das Zimmer mit dem roten Punkt als „das Zimmer deiner Schwester“. Er sagt: „Diese Punkte kann man auf Zügelkisten kleben – oder auf mich.“ Er klebt sich selbst einen roten Punkt auf die Nase. „Denn ich schlafe bei deiner Schwester.“
Bestenfalls ist das ein billiger, sexistischer ‘Witz’ auf Kosten einer stimm- und gesichtslosen Frau. Schlimmstenfalls ist das eine Anspielung auf eine krasse Grenzüberschreitung. Als ich das Reel kritisierte, kam als Antwort: „Das ist doch lustig.“
Diese normativ verwendete Aussage erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Das ist genauso wenig lustig wie die altbekannten „Deine Mutter“-Witze. Diese waren damals an meiner Schule auf dem Pausenplatz gang und gäbe. Entweder hiess es „Deine Mutter ist so fett, dass...“ oder „Deine Mutter ist so hässlich, dass...“ – please insert your chosen ridiculous consequence here.
„Deine Mutter“-Witze waren bei den Jungs eine beliebte Wahl, um das Gegenüber abzuwerten und gleichzeitig die eigenen Freund*innen zum Lachen zu bringen. Dieses Muster zieht sich durch etliche solcher sexistischer ‘Witze’: Männer machen sich über andere Männer lustig, indem sie „ihre“ Frauen abwerten. Die Mutter muss zum Fatshamen, die Schwester zum Ficken herhalten.
Wie absurd und misogyn ist das denn bitte?
Misogyny sells
Es gibt sowohl Hobby-Komiker, die ‘ihre Jungs’ unterhalten möchten, als auch Personen, die sich ihrem Humor gar nicht richtig bewusst zu sein scheinen: Sie schnappen ‘Witze’ auf und erzählen sie ungefiltert weiter. Und wieso sollte es anders sein, wenn sogar Berufscomedians sich regelmässig über FINTA und Gewalt lustig machen?
Ein modernes Beispiel ist der über TikTok und Instagram bekanntgewordene Matt Rife. Der 28-jährige Amerikaner ging auf den sozialen Medien viral – und ergatterte ein sogenanntes Netflix Special, das im November 2023 erschien. In den ersten paar Minuten kommt der erste Tiefschuss: Er erzählt, dass er mit seinem Kollegen in ein Restaurant gegangen sei, wo die Kellnerin ein blaues Auge hatte. Der Kollege meint, sie hätten sie besser in der Küche arbeiten lassen sollen, wo man sie nicht sehen könne. Rife entgegnet, wenn sie kochen könnte, hätte sie wohl kein blaues Auge.
Schockiert? Ich auch. Sein Publikum hingegen hört man laut lachen, während Rife zufrieden grinst. Während Rife online kritisiert wird, scheint er kein Problem zu haben, seine Shows auszuverkaufen – misogyny sells.
Ein Schweizer Beispiel für Männer mit grosser Reichweite, die immer mal wieder nach unten treten, sind die Comedymänner. Dem wöchentlichen Podcast von Stefan Büsser, Aron Herz und Michael Schweizer hört mit Zuhörer*innenzahlen irgendwo zwischen 60’000 und 90’000 immerhin ein Prozent der Schweizer Bevölkerung zu.
Ein anonymer Instagram-Account namens @uncover_comedymaenner publiziert seit Frühling 2023 problematische Ausschnitte aus den Podcastfolgen. In diesen Ausschnitten ist unter anderem zu hören, wie das Trio berühmte Frauen auf ihr Aussehen reduzieren, sich mehrfach über Pädophilie lustig machen und den Fall um sexualisierter Gewalt ausgeübt von Rammstein-Sänger Till Lindemann ohne Kontext als ‘witzigen’ Einstieg benutzen.
Wie Stefan Büsser es beschreibt, tönt es so, als würden die Comedymänner fast aus Versehen solche ‘Witze’ erzählen.
Mein persönliches Lowlight: Als Büsser in einer Folge erzählt, dass an einer „Disco Night“ eine Frau zusammengeklappt sei und er sie zusammen mit anderen zur Rezeption des nahe gelegenen Hotels gebracht hätte, witzeln Herz und Schweizer allen Ernstes darüber, dass Büssers Chance gestiegen sei, mit jemandem „Händli zu halten“ – weil sich eine halb ohnmächtige Frau ja nicht wehren kann. Das tönt im ersten Moment vielleicht harmlos, aber die Anspielung ist widerlich.
Auf das Instagramkonto angesprochen, erklärt Stefan Büsser gegenüber Watson, dass die Aussagen aus dem Kontext gerissen worden seien. Welcher Kontext solche Aussagen plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lassen würde, ist mir schleierhaft. Weiter sagt Büsser: „Unser Ansatz ist immer, die Zuhörenden zu unterhalten, zum Lachen zu bringen.“ Aber auf wessen Kosten?
Wie Büsser es beschreibt, tönt es so, als würden sie fast aus Versehen solche ‘Witze’ erzählen. Sie lassen sich im Moment dazu hinreissen, als könnte man im Restaurant der Versuchung eines dekadenten Schoggidesserts halt einfach nicht widerstehen. Ein kleiner Ausrutscher, den man ihnen verzeihen soll, weil sie nicht die ganze Folge damit füllen.
Wieso wollen so viele Männer so verbissen an diesem altbackenen, frauenfeindlichen Verständnis von Humor festhalten?
Aber: Wenn privilegierte weisse cis Männer sexistische ‘Witze’ machen und in ihren Shows häusliche oder sexualisierte Gewalt als punch line benutzen, sind sie nicht lustig, sondern gewaltvoll. Sie sind Teil der Gewaltpyramide, da sie diese Gewalt verharmlosen. Und wer solche Aussagen mit ‚Comedy‘ zu legitimieren versucht, entblösst sich ein Stück weit selbst.
Es ist die Reaktion auf die Kritik, die den Charakter und die Wertvorstellungen eines Menschen zeigt. Wer eine mehrfach geäusserte Kritik, dass seine ‘Witze’ problematisch sind, wegzuerklären versucht, zeigt die eigene Ignoranz gegenüber dem Thema.
Lohnungleichheit, unbezahlte Care-Arbeit, sexualisierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxische Maskulinität, die Abschaffung der Wehrpflicht und homosoziale Gewalt sind feministische Themen – und werden als „Frauensache“ abgestempelt. Dadurch werden diese Themen einerseits abgewertet, andererseits die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen, sondern auf der Täterseite. Es sind eben Männersachen. Deshalb müssen Männer als Teil der privilegierten Gruppe Verantwortung übernehmen und diese Probleme angehen.
Lustig ist nicht gleich lustig
Es gibt ein paar Standard-Antworten, die auf diese Kritik folgen. Zum Beispiel das eingangs erwähnte „Das ist doch lustig“. Nur weil ein paar (oder viele) Menschen über abschätzige ‘Witze’ lachen, sind sie noch lange nicht lustig – aber da „Lustigkeit“ kein objektives Kriterium ist, werden wir uns da wohl nie einig.
Andere sagen etwas im Sinne von „So ist mir der Schnabel gewachsen“ und zeigen damit, wie faul sie sind. Entwickeln sie sich denn nie weiter? Wenn sich der Sprachgebrauch seit dem Teenie-Alter nicht mehr verändert hat, sollten sie vielleicht noch mal über die Bücher.
Und die Behauptung „Man darf ja gar nichts mehr sagen“ hat nichts mit der Realität zu tun. Sagen darf man offensichtlich alles – was auch rege ausgenutzt wird. Das heisst dann aber auch, dass Kritik geäussert werden darf und soll. Vor allem gegenüber Menschen, die aus ihrer bequemen Position aus nach unten treten.
Ich frage mich ernsthaft: Wieso wollen so viele Männer so verbissen an diesem altbackenen, frauenfeindlichen Verständnis von Humor festhalten?
Wahre Kreativität ist es doch, Unbekanntes zu erforschen, Neues zu testen und das auf eine interessante Weise künstlerisch umzusetzen. Ob jetzt in schriftlicher oder gesprochener Form, in Kunst, Gedichten oder eben Comedy? Wie lustig und spannend wären Comedy-Shows und ‑Podcasts, wenn weisse cis Männer sich über ihre eigene Gruppe lustig machen würden? Statt immer und immer wieder denselben Scheiss zu bringen.
Wenn man über ein Thema wie sexualisierte Gewalt solche ‘Witze’ reissen kann, kann es ja nicht so ernst sein. Und wenn es nicht so ernst ist, müssen wir uns nicht damit auseinandersetzen.
Früher waren die sogenannten Schenkelklopfer explizite rape jokes – heute sind es auf-rape-anspielende jokes. Das ist nichts Neues. Wie misogyn, aber auch: Wie langweilig!
Das Absurde ist: Ich glaube, dass nicht einmal die Männer, die solche Sprüche klopfen, sie wirklich „schallendes-Gelächter“-lustig finden. Ich glaube viel eher, dass sie damit ihre heimliche Wut und Frustration gegenüber den sich (langsam) verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen Ausdruck verleihen – und versuchen, Verbündete zu finden. Wer nämlich mitgrunzt, gibt dem Sprücheklopfer zu verstehen: Ich stimme dir zu.
Und die meisten, die bei solchen ‘Witzen’ mitlachen, tun das nicht, weil sie sexualisierte oder häusliche Gewalt als solches extrem lustig finden. Sondern weil sie erleichtert sind: Wenn man über ein Thema solche ‘Witze’ reissen kann, kann es ja nicht so ernst sein. Und wenn es nicht so ernst ist, müssen sie sich nicht damit auseinandersetzen.
Comedy mit Gesellschaftskritik
Sollen also Themen wie Alltagssexismus oder sexualisierte und häusliche Gewalt nicht in Comedy behandelt werden? Doch, klar. Aber die Frage ist, von wem und wie. Wer einen ‘Witz’ macht und wieso, verändert dessen Sinn und Zweck.
In ihrem Netflix Special „Nanette“ erzählt die australische Comedienne Hannah Gadsby, dass sie von fremden Menschen oft als Mann gelesen werde. Die meisten würden sich überschwänglich entschuldigen, sobald sie ihren Fehler realisieren, erzählt Gadsby. Dabei sei das gar nicht nötig. Sie liebe es, als Mann wahrgenommen zu werden, weil das Leben plötzlich so viel einfacher sei. Sie ruft: „Ich bin der König der Menschen, ich bin ein weisser hetero Mann!“ Das Publikum lacht laut.
Es ist unendlich viel kraftvoller, wenn die Pointe eines Witzes jemanden in einer Machtposition blossstellt, statt die Person, die sowieso schon mit Diskriminierungen zu kämpfen hat.
Als Gadsby gegen Ende der Show das Thema noch mal aufnimmt und erzählt, dass ein Mann sie an einer Busstation verprügelte, weil er sie zuerst als Mann, der seine Freundin anbaggerte, und dann als queere Frau las, kippt die Stimmung. Sie macht sich nicht über die Gewalt lustig, sondern übt mit der Geschichte scharfe Gesellschaftskritik aus.
Wenn hingegen ein cis Mann eine Geschichte über eine Frau erzählen würde, die so männlich wirkt, dass man sie glatt als Bedrohung sehen und verprügeln könnte, würde das Ganze schon sehr anders tönen.
Es ist unendlich viel kraftvoller und lustiger, wenn die Pointe eines Witzes jemanden in einer Machtposition blossstellt, statt die Person, die sowieso schon mit Diskriminierungen zu kämpfen hat. Letzteres ist, als würde man jemandem, der schon im Regen steht, einen Kübel Wasser über den Kopf leeren – unnötig, langweilig und schlimmstenfalls schädigend.
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