Dies ist der 2. Teil einer Recherche zum Schweizer Kaffeehandel in Mexiko. Den 1. Teil findest du hier.
„Mit der Eröffnung dieser Fabrik unterstützt Nestlé fast 100’000 lokale Kaffeeproduzent*innen in Mexiko“, schwärmte der mexikanische Präsident André Manuel Lopez Obrador. Er war eigens 400 Kilometer gefahren, um die Nescafé Fabrik in Veracruz einzuweihen.
Neben der Region Chiapas ist der Bundesstaat Veracruz wegen seiner guten klimatischen Bedingungen und der hohen Biodiversität die wichtigste Heimat des mexikanischen Kaffees. Im Juli 2022 hat Nestlé hier, in unmittelbarer Nähe zum Puerto de Veracruz, einem der wichtigsten Handelsknotenpunkte Mexikos, ihre bisweilen grösste Nescafé-Fabrik weltweit eröffnet.
Inwiefern wirkt sich der Bau der neuen Nescafé-Anlage auf Kleinproduzent*innen aus? Und: Womit haben lokale Kooperativen angesichts der steigenden Dominanz von Grosskonzernen und dem diesjährigen Preisabfall im Kaffeesektor zu kämpfen?
Die Kaffeekooperative ist aus der 24 Jahre alten Bewegung MAIZ (Movimiento Agrario Indígena Zapatista – indigene, zapatistische Agrarbewegung) vor vier Jahren entstanden.
Die Recherche führte uns im Januar 2023 zur Kooperative Corazon de Montaña. Auf Nahuatl, der indigenen Sprache der Region, wird sie Tepeyolo genannt, was „im Herzen der Berge“ bedeutet. Nestlé nistet sich in dieser Region schon länger ein und breitet sich allmählich aus.
Tepeyolo liefert nun bereits das dritte Jahr in Folge an Café RebelDía, ein Solidaritätsprojekt, das seit 1998 Kaffee aus zapatistischen Kaffeekooperativen in Chiapas nach Europa importiert und hier mit einem solidarischen Aufpreis verkauft. Die Kaffeekooperative ist aus der 24 Jahre alten Bewegung MAIZ (Movimiento Agrario Indígena Zapatista – indigene, zapatistische Agrarbewegung) vor vier Jahren entstanden. MAIZ hat sich 2018 erfolgreich gegen den Bau des Staudammes Coyolapa-Atlzalá, der Teil der Minenanlage Autlán werden sollte, gewehrt. Vor wenigen Monaten konnte sich die etwa 80 bis 90 Familien zählenden Kooperative Tepeyolo nun auch offiziell und legal konstituieren.
Erntezeit am Fusse der schwarzen Berge
Den schneebedeckten Vulkan Popocatépetl im Rücken schlängelt sich ein Bus durch die trockenen Hügellandschaften des mit Säulenkakteen übersäten Cuicatlán-Tales Richtung Tehuacán-Stadt im Bundesstaat Puebla. Vor uns türmt sich unverkennbar die mächtige Bergkette der Sierra Negra, der schwarzen Berge, auf. Diese Gebirgskette verbindet die drei im östlichen Mexiko gelegenen Bundesstaaten Puebla, Oaxaca und Veracruz.
Am Bahnhof von Tehuacán angekommen, schüttelt uns Omar Esparza herzlich die Hände. Seine beträchtliche Statur fällt sofort auf, als er uns abholt. Esparza fährt in einem für seine Grösse zu klein wirkenden Auto an den Stadtrand zu einem kollektiv genutzten Grundstück. Stolz zeigt er auf den überdachten Platz: „Das Dach haben wir erst vor Kurzem fertig gebaut. Es geht nur langsam vorwärts mit den wenigen Ressourcen, die wir haben.“ Aber was sie bereits geschaffen hätten, sei sehr wichtig für die Kooperative.
Unter diesem Dach versammeln sich am kommenden Tag rund vierzig Kaffeebäuer*innen. Alle sind Mitglieder der Kooperative Corazon de Montaña. Sie finden sich zur vierteljährlich stattfindenden Zusammenkunft der Kooperative ein. Da einige Mitglieder bis zu sieben Stunden Weg aus den abgelegenen Bergdörfern auf sich nehmen müssen, ist ein Teil der „cafecultores“ bereits heute angereist. Um drei Uhr früh seien sie losmarschiert, erzählt Doña Sandra Lozano, eine ältere Frau aus einem abgelegenen Dorf in der Sierra Negra. Ihren richtigen Namen möchte sie uns nicht nennen.
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Seit jeher betreibe ihre Familie eigene Kaffeeplantagen. Teil der Kooperative sei die Familie seit gut zwei Jahren. „So können wir unseren Kaffee zu einem besseren Preis verkaufen“, sagt Lozano. Bei der Versammlung ist die regionale und nationale politische Lage genauso Thema wie der praktische Austausch zur Erntesaison, die bereits in vollem Gang ist. Die Kooperativmitglieder tragen zusammen, wie viele Kilos Kaffee sie dieses Mal zum „Beneficio“, dem Lagerhaus in Oaxaca, bringen können. Nicht zuletzt geht es auch um erste Schätzungen für den Verkaufspreis dieses Jahres.
Am Nachmittag führen wir ein Gruppengespräch mit den versammelten Kaffeeproduzent*innen. „Der Kaffee ist sehr arbeitsintensiv und kostspielig“, sagt ein älterer Herr mit starkem Nahuatl-Akzent. Eine Aussage, die etliche Gesprächspartner*innen im Laufe des Tages wiederholen werden. Ein weiteres Mitglied der Kooperative, nennen wir ihn José Tezoco, erklärt: „In der Sierra arbeiten wir seit jeher mit Kaffee. Er ist das Produkt, das uns ein Einkommen bringt.“
Sich kollektiv zu organisieren, scheint aber angesichts der Monopolstellung von Grosshändlern wie Nestlé, die zunehmend die Spielregeln auf dem Markt diktieren, keine schlechte Alternative zu sein.
José sieht Vorteile darin, in der Kooperative organisiert zu sein: „Es hilft uns, unsere Leben besser zu leben, unsere Familien zu ernähren und ist eine Alternative zu den Problemen, die wir mit Firmen wie Nestlé haben.“
Die Kooperative bezahlt einen besseren Verkaufspreis als die Coyotes, die Zwischenhändler*innen, die den Kaffee direkt bei den Familien einkaufen und gewinnbringend an Nestlé oder andere Firmen weiterverkaufen. José erklärt weiter, wie die Hackordnung funktioniert: „Es ist immer der Bauer, der die Arbeit und den Aufwand aufbringt, aber letztlich sind es die Coyotes und die Firmen, die das grosse Geld machen.“
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Ein junger Mann mit wachen Augen meldet sich zu Wort: „Genau! Deshalb versuchen wir auch als Kooperative die Kameradschaft, den compañerismo zu leben.“ Es gehe darum, einander zu helfen, voneinander zu lernen und auch gemeinsam gegen Megaprojekte der Firmen zu kämpfen. Er sagt: „Es geht nicht nur um den Kaffee.“
Nestlé in Mexiko
In Sachen Kaffee ist Nestlé ein Schwergewicht: Gemäss Forbes ist jeder fünfte weltweit servierte Kaffee ein „Nescafé“. Und das ist nur eine der vielen Marken aus Nestlés Sortiment. Neben Nescafé führt Nestlé die Kaffee-Brands Nespresso und die Starbucks Retail-Sparte „Starbucks Coffee at Home“ als Eigenmarke. Nestlé gehört zusätzlich mit 20 Prozent Anteil zu einem der wichtigsten Käufer und Verarbeiter von grünem Kaffee.
Fernando Celis, der für den nationalen Dachverband der Kaffeeproduzent*innen CNOC in Mexiko arbeitet, weiss: Etwa 55 Prozent des nationalen Kaffeekonsums wird in Mexiko in Form von löslichem Kaffee konsumiert, welcher hauptsächlich von Nescafé produziert wird.
Die erste Fabrik in Mexiko baute das Unternehmen im Jahr 1935. Mittlerweile ist das Land Nestlés fünftgrösster Absatzmarkt. Das Unternehmen hat ebenso wie ECOM eine starke Lobby im mexikanischen Parlament. Mit der Eröffnung der Nescafé Fabrik in Veracruz soll Mexiko zu Nestlés grösstem Kaffeelieferanten werden, noch vor den Exportriesen Brasilien und Vietnam.
Gemäss dem Jahresbericht von Nestlé von 2022 hat der Konzern einen Profit von 9.59 Milliarden Schweizer Franken erzielt, bei einem Jahresumsatz von 94.4 Milliarden Schweizer Franken. Der Kaffeesektor machte 2022 rund einen Viertel von Nestlés weltweitem Gesamtumsatz aus. Der kumulierte Umsatz von Nestlé in Mexiko betrug 2022 rund 3.45 Milliarden.
„Wir kämpfen und bemühen uns darum, uns so zu organisieren, dass wir in Würde leben können. Wenn dort drüben die Konsument*innen unseren Kaffee trinken und dies als eine solidarische Geste der Menschlichkeit tun, bedeutet uns das viel.“
Omar Esparza, Mitglied der Kooperative Corazón de Montaña
Die neue Fabrik ist der gegenwärtige Höhepunkt von Nestlés „Plan Nescafé“: Seit 2011 hat der Lebensmittelgigant in Mexiko Millionen von Kaffeepflanzen an Bäuer*innen gratis abgegeben, als Programm zur Förderung von sozial und ökologisch nachhaltiger Kaffeeproduktion. Das Ziel: Bis 2025 soll 100 Prozent des eingekauften Kaffees nachhaltig sein. Im Jahresbericht von 2022 schreibt Nestlé, bereits zu 87 Prozent nachhaltig Nescafé produziert zu haben.
Auf einen ausführlichen Fragenkatalog hat Nestlé-México nicht geantwortet. Das Lamm hat unter anderem um Auskunft zu Handelszahlen zwischen Mexiko und der Schweiz, den Auswirkungen der neuen Anlage auf die Geschäftszahlen, den sinkenden Preisen für Rohkaffee in diesem Erntezyklus und zu umstrittenen Nachhaltigkeitsprogrammen gebeten.
Ein gerechter Preis?
Aus den Gesprächen mit der Kooperative wird klar: Sowohl Nestlé als auch andere Kaffeegrosshändler wie Starbucks oder Café California der deutschen Neumann Kaffee Gruppe sind in den letzten Jahren in der Region präsenter geworden. Dies bestätigt Esparza, der Teil der Kooperative Corazón de Montaña ist, in einem Telefonat mit das Lamm Mitte September.
Der Kooperative machen Firmen wie Nestlé zu schaffen: „Nestlé richtet zunehmend Kaffeesammelzentren in den Bergen ein“, erzählt Esparza. „Und zwar auch in Regionen, die in der Hand von kriminellen Banden sind.“ Das sei natürlich bequem für die Produzent*innen, sie können nun vor ihrer Haustüre direkt verkaufen und müssen sich nicht um den mühsamen Transport des Kaffees kümmern.
Die Kooperative kann den Mitgliedern gerade in einem Kaffeekrisenjahr wie dem jetzigen einen signifikant höheren Preis bezahlen als die Grosshändler, erklärt Esparza am Telefon.
Als Mitglied der Kooperative nehme Esparza an Sitzungen und politischen Bildungstagen teil und organisiere den Transporten des Kaffees mit. Esparza setzt die neuen Sammelzentren in Bezug zu der 340 Millionen schweren Subvention, mit denen die mexikanische Regierung den Bau der neuen Anlage in Veracruz unterstützte. „Die Regierung hat Nestlé enorme finanzielle Mittel zugesprochen.“
Zwar dränge diese Entwicklung die Kooperative in eine Konkurrenz bezüglich der Preissetzung. Trotzdem: Die Kooperative kann den Mitgliedern gerade in einem Kaffeekrisenjahr wie dem jetzigen einen signifikant höheren Preis bezahlen als die Grosshändler, erklärt Esparza am Telefon.
Der Börsenpreis für Kaffee ist momentan sehr tief. Grund für die Krise ist insbesondere die gute Ernte in Brasilien, die die Preise in Mexiko drückt. Gleichzeitig steigen wegen der Inflation der letzten Jahre die Lebensmittelpreise.
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Während im vergangenen Jahr in der Region für durchschnittlich 70 Pesos (3.50 Schweizer Franken) an Zwischenhändler von Nestlé, Starbucks oder Café California verkauft werden, seien es dieses Jahr noch zwischen 45 bis 55 Pesos (2.27 bis 2.77 Schweizer Franken). Die Kooperative hingegen konnte den Mitgliedern für ein Kilo grünen, getrockneten Kaffee letztes Jahr rund 85 Pesos (4.28 Schweizer Franken) und dieses Jahr 70 Pesos (3.48 Schweizer Franken) auszahlen. Diese Kaffeebohnen enthalten noch die Pergaminhaut und Bohnen schlechterer Qualität, die in der Verarbeitungsfabrik vor dem Export herausgefiltert werden. „Wir konnten dieses Jahr 22 Tonnen davon verkaufen“, resümiert Esparza.
Ein Stück des Herzens in der Schweiz
Teil einer Kooperative zu sein, hat Vor- und Nachteile, wie uns die Kaffeeproduzent*innen und Omar Esparza in Tehuacán schilderten. Einerseits kann ein besserer Verkaufspreis bezahlt werden, andererseits aber wird ein gewisses politisches Engagement und Interesse vonseiten der Mitglieder vorausgesetzt. Sich kollektiv zu organisieren, scheint aber angesichts der Monopolstellung von Grosshändlern wie Nestlé, die zunehmend die Spielregeln auf dem Markt diktieren, keine schlechte Alternative zu sein.
Omar Esparza sieht aber auch die Konsument*innen in Ländern wie der Schweiz in der Verantwortung. Denn ein gerechter Preis sei eine Frage der Solidarität: „Unser Kaffee enthält ein kleines Stückchen dieser Berge hier und erfreut euch dort in der Schweiz. Ein gerechter Preis ist ein Preis, der die Herkunft des Produktes wertschätzt und Solidarität im Betrag miteinschliesst. Es macht für uns einen relevanten Unterschied, wenn ihr in der Schweiz Kaffee zu einem solidarischen und gerechten Preis konsumiert.“
Damit ermöglichen Konsument*innen am anderen Ende der Wertschöpfungskette die Erhaltung von einem Lebensmodell, meint Omar: „Denkt daran, wenn ihr den Kaffee dieser Region, wo wir sind, kauft, enthält er auch die Solidarität, die wir untereinander als Genoss*innen und Familien leben. Wir kämpfen und bemühen uns darum, uns so zu organisieren, dass wir in Würde leben können. Wenn dort drüben die Konsument*innen unseren Kaffee trinken und dies als eine solidarische Geste der Menschlichkeit tun, bedeutet uns das viel.“
Seit unserem Besuch im Januar wurde der Kaffee der Kooperative des Erntezyklus 2022/2023 in Container gepackt und über den Atlantik nach Europa verschifft. Mittlerweile befindet sich der Kaffee bereits in der Schweiz. In Tehuacán hatte die Kooperative am 18. November eine weitere Sitzung abgehalten. Denn bereits gilt es, die nächste Erntesaison zu planen.
Die Preise auf dem kommerziellen Markt bleiben tief. Lokale Verbände haben deshalb Ende November in Veracruz eine Protestaktion durchgeführt, um die Bundesregierung darauf aufmerksam zu machen, dass das Einkommen für den Verkauf von Rohkaffee um mindestens 50 Prozent zum Vorjahr sinken wird. Sie fordern staatliche Subventionen für Kaffeeproduzent*innen.
Mitarbeit: Lorenz Naegeli und Osama Abdullah
Diese Recherche wurde vom Reporter:innen Forum Schweiz unterstützt.
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