Korrup­ti­ons­vor­würfe gegen Schweizer Agrar-Multi

Falsche Beweise, Klün­gelei und poli­ti­sche Fest­nahmen: Kaffeeproduzent*innen im mexi­ka­ni­schen Vera­cruz werfen dem waadt­län­di­schen Unter­nehmen ECOM Korrup­tion vor. Erster Teil einer Recherche zum Schweizer Kaffeehandel. 
Die Familienangehörigen der Inhaftierten protestierten im Juni in Xalapa, Veracruz, gegen die Anschuldigungen des Agrarkonzerns. (Foto: Yerania Rolón)

Am 26. Mai 2023 werden im mexi­ka­ni­schen Bundes­staat Vera­cruz vier Kaffee­bauern und die ehema­lige Gemein­de­prä­si­dentin des male­ri­schen Städt­chens Ixhutlán del Café ohne Vorwar­nung fest­ge­nommen. Sie werden beschul­digt, für Proteste gegen das Agrar­un­ter­nehmen AMSA verant­wort­lich zu sein. Diese fanden im Januar 2022 statt. AMSA ist eine mexi­ka­ni­sche Toch­ter­firma des multi­na­tio­nalen Agrar­kon­zerns ECOM Trading, der seinen Haupt­sitz in Pully im Kanton Waadt hat.

Die Beschul­digten werfen dem Konzern wiederum vor, Teil eines korrupten Systems zu sein. Lokale Behörden, Politiker*innen und die Firma, so der Vorwurf der Kaffee­bauern, spannten zusammen, um die Stimme der Kaffeeproduzent*innen zum Schweigen zu bringen.

Wer ist dieser kaum bekannte Konzern, der welt­weit zweit­grösste Kaffee-Händler? Und wieso prote­stieren Kaffee­bauern in Vera­cruz gegen die ECOM-Tochter AMSA? Für diese Recherche sprach das Lamm mit neun Personen, die heute oder früher in der Kaffee­in­du­strie arbei­teten oder in berufs­po­li­ti­schen Verbänden orga­ni­siert sind.

Gefälschte Beweis­mittel und korrupte Justiz

AMSA beschul­digt insge­samt 12 Personen. Sie sollen Stras­sen­blockaden initi­iert, Immo­bi­lien und Kaffee­pro­dukte beschä­digt und ein Lager­haus der Firma in Brand gesetzt haben – so will es AMSA mit Video- und Foto­ma­te­rial belegen können. Die Stras­sen­blockaden hinderten die Firma am Trans­port von grünem Kaffee zu deren Lager­hallen. Kaffeeproduzent*innen demon­strierten in diesen Tagen in Ixhuatlán dagegen, dass AMSA den Preis der Bohnen gesenkt hat. Fünf von ihnen wurden am 26. Mai 2023 fest­ge­nommen: Crisanto Vali­ente, Minervo Cantor, Abraham Cabal, Cirio Ruiz González und Viri­diana Bretón. Sieben konnten sich verstecken, ihre Haft­be­fehle stehen noch aus.

Den Kaffee­bauern wird unter anderem vorge­worfen, diese Lager­halle von AMSA in Brand gesetzt zu haben. (Bild: Yerania Rolón)

Gegen die Beschul­di­gungen formt sich nun Wider­stand: Die Kommis­sion der Fami­li­en­an­ge­hö­rigen der Beschul­digten von AMSA-ECOM wirft dem Konzern vor, mit falschen Beweis­mit­teln hantiert zu haben. Einer derer, die sich als Teil dieser Kommis­sion nun wehren, ist Fernando Celis. 

Celis, ein Mann um die Sechzig mit Drei­ta­ge­bart und ruhigem Blick, ist Spre­cher eines natio­nalen Dach­ver­bandes von Kaffeeproduzent*innen und vertritt Mexiko in der inter­na­tio­nalen Kaffee­or­ga­ni­sa­tion ICO. Er kennt alle Inhaf­tierten durch seine jahre­lange Tätig­keit im Kaffee­sektor. Im Video-Gespräch mit das Lamm sagt er: „Wäre ich da gewesen, hätte AMSA auch mich ange­klagt.“ Wenn er nicht ausge­rechnet an dem Tag mit Covid im Bett gelegen hätte.

„Die Beweis­akte ist extrem schlecht gefälscht worden“, ist Celis sicher. So seien in den Medien Fotos eines anderen bren­nenden Gebäudes verwendet worden. Die Kommis­sion um die Ange­klagten legt zudem Alibis von allen fünf Inhaf­tierten vor, die belegen, dass sie zur Zeit des Brandes an einem anderen Ort gewesen sind. Das Lamm erhielt Einsicht in das entspre­chende Foto- und Video­ma­te­rial und hat sich die betref­fende Doku­mente ange­schaut. Der Richter hat bis heute jedoch keine dieser Beweis­mittel der Kommis­sion ange­nommen. Deshalb hat diese gegen die Staats­an­walt­schaft und den Richter Korrup­ti­ons­vor­würfe erhoben.

Rodolfo Cantor, Bruder von dem fest­ge­nom­menen Minervo Cantor, bei der Arbeit auf seiner Kaffee­plan­tage. (Bild: Yerania Rolón)

Fran­cisco Faus, der CEO von AMSA, hält in seiner Antwort­mail auf unser Nach­fragen daran fest, dass AMSA die Beschul­digten für die Proteste verant­wort­lich macht und es Sache der Justiz ist, dies zu prüfen. Er weist zudem darauf hin, dass im Januar 2022 nicht AMSA, sondern eine andere Firma die Preise gesenkt hätte. Die genaue Klage­schrift könne nicht öffent­lich gemacht werden. Bezüg­lich der gefälschten Beweise und der vorhan­denen Alibis verweist Faus darauf, dass die Aussage dem Richter bewiesen werden müssen. Auf die Frage, wieso die Fest­nahmen ohne das Vorweisen eines Haft­be­fehls durch­ge­führt wurden, verweist der Konzern auf die Anord­nung des Rich­ters, der mit Flucht­ge­fahr argumentiert.

Von der Kaffee­bäuerin zum Grosshändler

Firmen wie ECOM-AMSA oder der eben­falls in der Region tätige Schweizer Konzern Nestlé betreiben in Mexiko ein ausge­prägtes Lobbying, wie die Schweizer NGO Public Eye bestä­tigt. Der vorlie­gende Fall sei ein Para­de­bei­spiel für den korrupten Filz zwischen Politiker*innen und Lobbyist*innen von Gross­kon­zernen, hält auch Celis fest: „Drei­erlei kommt zusammen: Die Lobby­isten der Firmen, das Justiz­sy­stem, das zum Vorteil dieser Firmen urteilt und das korrupte Beamtentum.“

Lokale Behörden, Politiker*innen und die Firma, so der Vorwurf der Kaffeebäuer*innen, spannten zusammen, um die Stimme der Kaffeeproduzent*innen zum Schweigen zu bringen.

Auch Manuel Ortíz bestä­tigt dies an einem sonnigen Herbsttag in Zürich. Die Firmen seien mass­geb­lich an der Preis­set­zung von Kaffee betei­ligt. Ortíz ist 40 Jahre alt und flüch­tete vor der Repres­sion in Mexiko in die Schweiz. Als ihm frischer Kaffee aus der Mokka­ma­schine ange­boten und er gefragt wird, wie viel er denn wolle, meint Ortíz lachend: „Gerne die ganze Tasse, bei mir zu Hause ist Kaffee sehr wichtig.“ Ortíz erin­nert sich: „Meine Gross­mutter hat uns immer frischen Kaffee zube­reitet. Sie holte draussen Kaffee­kir­schen, legte sie zum Trocknen in den Korb, und röstete einige bereits getrock­nete Bohnen auf dem Herd, um sie zu mahlen und aus dem Pulver frischen Kaffee zuzubereiten.“

Seit einigen Monaten lebt Ortíz in Zürich. „Die Situa­tion wurde für mich einfach zu heikel in Vera­cruz.“ Ortíz ist Umwelt­ak­ti­vist und Sohn einer Familie von Kaffeeproduzent*innen aus einer Stadt im Bundes­staat Vera­cruz. Kurz vor seiner Abreise in die Schweiz führte er selbst ein kleines Kaffee­ge­schäft. Er kaufte den „Café Pergamino“, die vom Frucht­fleisch getrennte Kaffee­bohne, und betrieb zusammen mit einem Freund eine kleine Rösterei. Die konsum­be­reite Bohne verkaufte er auf der Strasse, an Bekannte oder kleine Läden.

Auf dem Weg zur Parzelle des Kaffee­bauern Crisanto Vali­ente erstreckt sich im Hinter­grund der Pico de Orizaba, der höchste Berg Mexikos. (Bild: Yerania Rolón)

„Viele Fami­lien hier in Vera­curz haben aufge­hört, Kaffee für kommer­zi­elle Zwecke zu produ­zieren“, so Ortíz. Schuld daran sei der inter­na­tio­nale Markt. „Du stehst früh­mor­gens auf, arbei­test 17 Stunden am Tag und hast trotzdem nichts am Schluss.“ Auch seine Familie hat mit der kommer­zi­ellen Kaffee­pro­duk­tion aufge­hört. Ortíz erin­nert sich wieder an seine Gross­mutter, die ihm mal sagte: „Du wirst es noch erleben, dass alle nur noch Nescafé trinken hier.“

Laut Ortíz seien Zwischenhändler*innen, die soge­nannten Coyotes, gezwungen, zu einem zu tiefen Preis bei den Bäuer*innen einzu­kaufen, damit für sie ein Profit abspringt. Dadurch entsteht ein Konkur­renz­klima unter den Produzent*innen. Je tiefer sie die jorn­a­leros, also die Tagelöhner*innen, die in der Ernte­saison umher­ziehen, entlöhnen, desto tiefer können sie den Kaffee an die Zwischenhändler*innen verkaufen. So werde der durch die Konzerne wie ECOM ausge­löste Preis­druck nach unten gereicht. Der Preis wird so weit gedrückt, dass sich das Geschäft für die Kleinen nicht mehr lohnt.

Ana Hidalgo, Schwie­ger­mutter von Minervo Cantor, gehört mit ihren Kaffee­steck­lingen eben­falls zu „den Kleinen“. (Foto: Yerania Rolón)

Im kleinen Geschäft von Ortíz und seinem Freund hätten sie deshalb darauf geachtet, zu einem fairen Preis einzu­kaufen. „Wir haben den Kaffee bei den Produzent*innen selbst verar­beiten lassen, dadurch konnten wir ihnen einen höheren Preis bezahlen.“

Poli­ti­sches Kalkül

Ohne in die Wirren einer mexi­ka­ni­schen Polit-Tele­no­vela eintau­chen zu wollen, lohnt es sich, einige Details des oben geschil­derten Falls genauer anzu­schauen. Am 28. Juni 2023 wurden drei der Inhaf­tierten aus der Unter­su­chungs­haft entlassen und können seither ausser­halb der Gefäng­nis­mauern auf ihren Prozess warten. 

Bei Viri­diana Bretón und Crisanto Vali­ente dauerte die Inhaf­tie­rung hingegen bis zum 7. Oktober. Bretón ist Poli­ti­kerin und 2024 ist Wahl­jahr. Während ihrer Amts­zeit als Bürger­mei­sterin von Ixhuatlan hat sie AMSA immer wieder dafür kriti­siert, Umwelt­schäden zu verur­sa­chen. Vali­ente ist Umwelt­ak­ti­vist und setzt sich seit Langem für die Rechte der Kaffeeproduzent*innen ein. 

Handelt es sich bei der verzö­gerten Frei­las­sung der beiden um ein poli­ti­sches Manöver?

Yolanda, die Ehefrau des Inhaf­tierten Crisanto Vali­ente, auf dem gemein­samen Stück Land, wo sie zusammen Kaffee für den Verkauf anbauen. (Foto: Yerania Rolón)

In dieser Ange­le­gen­heit kommt man nicht an Sant­iago José Arguello Campos vorbei. Arguello ist Koor­di­nator des Land­wirt­schafts­se­kre­ta­riat auf Bundes­ebene. Gegen ihn erhebt die Kommis­sion der Fami­li­en­an­ge­hö­rigen schwere Korrup­ti­ons­vor­würfe: In einem ihrer Pres­se­kom­mu­ni­qués argu­men­tiert sie, Arguello habe in Absprache mit Fran­cisco Faus, dem CEO von AMSA, die Preis­sen­kung im Januar 2022 vor der Regie­rung von Vera­cruz mit faden­schei­nigen Argu­menten legi­ti­miert. Fran­cisco Faus, CEO von AMSA will auf Anfrage keine Stel­lung zu diesen Anschul­di­gungen nehmen und schreibt ledig­lich, die Preis­re­gu­lie­rung von Kaffee würde sich an der Börse in New York orientieren.

Weiter beschul­digt das Kommu­niqué Arguello, an der Fälschung von Geständ­nissen der Ange­schul­digten betei­ligt gewesen zu sein. Auf Anfrage zu einer Stel­lung­nahme erhielt das Lamm von Arguello keine Antwort. Auch AMSA weist den Vorwurf der Fälschung solcher Geständ­nisse von sich und verneint, jemals solch ein Doku­ment gesichtet zu haben. Auf unsere Frage nach der Bezieung der Firma mit Arguello hin, sagt AMSA: „Wir versu­chen, eine herz­liche Bezie­hung mit ihm und allen Kantons- und Bundes­au­to­ri­täten zu pflegen.“ Die Bezie­hungen zu Politiker*innen oder Parteien weist Faus jedoch mit dem State­ment zurück: „Die Firma ist apolitisch.“ 

Das globale Geschäft mit der bitteren roten Frucht, die geschält, gewa­schen, getrocknet und gerö­stet täglich das Leben von Millionen versüsst, hat viel mit der Schweiz zu tun. So befinden sich sowohl Grosshändler*innen wie Nestlé oder ECOM als auch Logi­stik­un­ter­nehmen, die für den Über­see­trans­port von Kaffee verant­wort­lich sind, in der Region rund um den Genfersee oder der Innerschweiz.

Bis die braune, süch­tig­ma­chende Brühe früh­mor­gens die Kehlen herun­ter­fliesst, wird die frisch geern­tete Frucht durch einige Hände gereicht und durch­läuft etliche Verar­bei­tungs­schritte. Vor dem Trans­port nach Übersee steht für die Kaffee­kir­schen, die etwa in den abschüs­sigen Bergen der Sierra Negra von Hand gepflückt wurden, der Verkauf und der Weg zu den Lager­häu­sern in Coatepec oder Xalapa in Vera­cruz an.

Laut Einschät­zungen der Produk­ti­ons­branche befindet sich Mexiko gerade in einem der grössten Krisen­jahre seit 2004. „Wir haben seit September eine klare Abwärts­ten­denz. Der Preis könnte bis zu 50 Prozent fallen“, meint der Experte für Kaffee­anbau, Fernando Celis. Während Kaffeeproduzent*innen in Vera­cruz im Ernte­zy­klus 2021/ 2022 ein Kilo unver­ar­bei­tete Kaffee­kir­schen für durch­schnitt­lich 15 Pesos (0.75 Schweizer Franken) an Grosshändler*innen wie Nestlé verkaufen konnten, sind es dieses Jahr noch geschätzte 7 Pesos (0.35 Schweizer Franken).

Gemäss Daten des Coffee Baro­me­ters 2023 ist Südame­rika der Konti­nent mit der höch­sten Export­rate, während Europa als klein­ster Konti­nent mit 31 Prozent die höch­sten Import­zahlen des braunen Goldes verzeichnet. Für den sinkenden Verkaufs­preis ist einer­seits die stei­gende Infla­tion des mexi­ka­ni­schen Pesos gegen­über dem US-Dollar verant­wort­lich. Ande­rer­seits spielt der gute Ernte­zy­klus von 2023/2024 in Brasi­lien eine wich­tige Rolle. Brasi­lien machte im Jahr 2022 gemäss Zahlen des Coffee Baro­me­ters 2023 rund 40 Prozent der welt­weiten Kaffee­pro­duk­tion aus. Und dieses Jahr wird aufgrund guter klima­ti­scher Bedin­gungen ein noch üppi­geres Ernte­jahr, was das Angebot sättigt und die Preise auch in Mexiko sinken lässt.

Seit den neoli­be­ralen Reformen in den 1990er-Jahren befindet sich der mexi­ka­ni­sche Kaffee­sektor in fester Hand der welt­weit grössten Kaffee­händler. So sind AMSA, Exporta­dora de Café Cali­fornia, Toch­ter­firma der Neumann-Kaffee­gruppe, und die mexi­ka­ni­sche Toch­ter­firma der Louis Dreyfus Company die drei wich­tig­sten Expor­teure von grünem Kaffee aus Mexiko, wobei die zwei letz­teren gemäss der Platt­form Panjeeva zu den drei wich­tig­sten Liefe­ranten für die Schweiz gehören.

Mexiko impor­tiert auch eine Menge Kaffee, wobei die Schweiz Platz fünf auf Mexikos Import­part­ner­liste besetzt. Für 17.7 Millionen Dollar hat die Schweiz Kaffee aus Dritt­staaten nach Mexiko expor­tiert. Damit mani­fe­stiert sich auch heute noch die im Handel mit Kaffee auf kolo­niale Ausbeu­tungs­ver­hält­nisse zurück­ge­hende Logik, dass der Rohstoff aus ärmeren Ländern und Regionen expor­tiert, in Ländern wie der Schweiz kost­spielig verar­beitet und dann zu höheren Preisen wieder zurück verkauft wird.

Silvie Lang von der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tion Public Eye hält fest: „Der Kaffee­sektor ist enorm konzen­triert. Wenige grosse Unter­nehmen domi­nieren die globale Wert­schöp­fungs­kette.“ Schät­zungen der NGO zu Folge wird etwa die Hälfte des globalen Rohkaf­fee­han­dels von Firmen in der Schweiz abge­wickelt. Public Eye bilan­ziert, dass dies die kleine Schweiz zur grössten Dreh­scheibe im globalen Kaffee­handel macht.

Dies erstaunt wenig, wenn man bedenkt, dass sechs der wich­tig­sten Kaffee­händler die Schweiz als Standort für ihr Kaffee­ge­schäft auser­koren haben: Neben ECOM haben auch Suca­fina, die deut­sche Neumann Kaffee­gruppe, Olam mit Haupt­sitz in Singapur, die hollän­di­sche Louis Dreyfus Company und die briti­sche EDF Man mit Volcafe Ltd. ihre opera­tiven Geschäfte mit dem Rohstoff Kaffee im kleinen Alpenland.

Auch beim Export von gerö­stetem Kaffee ist die Schweiz gemäss Zahlen von 2022 sowohl volumen- als auch wert­mässig unter den Top 3 mit Italien und Deutsch­land. Die wert­mäs­sige Spit­zen­po­si­tion dürfte laut Silvie Lang vor allem auf die Nespres­so­kap­seln von Nestlé zurück­zu­führen sein, welche einzig in der Schweiz produ­ziert werden. Gemäss Zahlen der Eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung von 2022 über den Schweizer Aussen­handel der Nahrungs- und Genuss­mit­tel­branche war Kaffee mit einem Wert von 2.79 Milli­arden Franken weit vor Käse oder Schokolade.

Osama Abdullah und Sophie Hartmann

Der verschwie­gene Agrar­multi aus der Waadt

Teddy Esteve ist Mana­ging Director von ECOM und CEO des Kaffee­zweigs des Konzernes, welcher seit 1948 in Mexiko wirt­schaftet. Esteve, der sich gerne als Kaffee­bauer in Mexiko präsen­tiert, ist in Lausanne aufge­wachsen und nach Mexiko ausge­wan­dert. Er ist einer der vier Esteve Brüder, die mit 94 Prozent die Haupt­be­sitzer des Waadt­länder Agrar­multis sind.

ECOM ist nicht an der Börse einge­schrieben, publi­ziert keine Handels­zahlen und hält sich so bedeckt.

Das Lamm hatte die Möglich­keit, an einem Gespräch mit der Pres­se­spre­cherin von ECOM teil­zu­nehmen – jedoch unter der Bedin­gung, nicht daraus zu zitieren. Teddy Esteve erschien kurz­fri­stig höchst­per­sön­lich zu diesem Video-Gespräch. Das lässt vermuten, dass dem Konzern viel daran liegt, nicht in Miss­gunst zu geraten. Auf unser späteres schrift­li­ches Nach­fragen hin hebt der Konzern hervor: „Wir versu­chen möglichst nahe an den Kaffeeproduzent*innen zu sein und vermeiden Zwischenhändler*innen. Das ist der Grund, wieso wir die Firma in Mexiko sind, welche in allen wich­tigen Kaffee­re­gionen vertreten ist.“

ECOM ist nicht an der Börse einge­schrieben, publi­ziert keine Handels­zahlen und hält sich so bedeckt. Der Anbieter von Unter­neh­mens­daten, Dun & Brad­street, schätzt die Einnahmen des Konzerns 2022 auf rund 4.95 Milli­arden Dollar. Der Rohstoff­händler besteht seit 1849 und hat heute bis zu 13 Toch­ter­firmen unter sich, von denen eine die mexi­ka­ni­sche AMSA ist. Sie gehört zu mehr als 50 Prozent dem Schweizer Konzern. Neben Kaffee ist der Agrar­multi auch im Handel mit Baum­wolle, Kakao und Nüssen dick im Geschäft und heute in 35 Ländern tätig. Gemäss Zahlen von 2019 gehört ECOM auch in der Baum­woll- und Kakao­branche zu den welt­weit grössten Händlern.

Nach der Frei­las­sung folgt der Prozess

Gewisse Themen ziehen sich durch alle Gespräche: die Verflech­tungen der Konzern­lobby mit der mexi­ka­ni­schen Regie­rung und die domi­nante Posi­tion der Firmen in der Kaffee­branche. Das verstärkt die Macht der sowieso schon über­mächtig wirkenden inter­na­tio­nalen Konzerne wie ECOM und deren Einfluss auf den Kaffee­sektor und das Leben der lokalen Bevölkerung.

„AMSA und ECOM: korrupte Konzerne“, prote­stieren die Ange­hö­rigen der Inhaf­tierten. (Foto: Yerania Rolón)

Ein Beispiel für diese Macht gibt die Verfol­gung der 12 Personen. Die Kommis­sion der Fami­li­en­an­ge­hö­rigen arbeitet jetzt an einer Öffent­lich­keits­kam­pagne. Denn trotz Frei­las­sung steht der Prozess gegen die fünf Inhaf­tierten an. Die Kommis­sion fordert den Rückzug der Anklage des Unter­neh­mens. „Es braucht grossen inter­na­tio­nalen Druck“, schreibt Celis Anfang Oktober in einer E‑Mail. Nur so könne ECOM Trading dazu gebracht werden, seine Toch­ter­firma AMSA von den Klagen gegen Kaffee­bauern abzubringen.

Die lokalen Gemein­schaften haben auch Kontakt mit Marc Duvoisin, dem Direktor von Nespresso, aufge­nommen, damit dieser auf Eduardo Esteve, den CEO von ECOM zugehe. Celis erzählt, dass sie gerne auch Aktionen vor den Firmen­stand­orten von ECOM abhalten wollten, auch in anderen Ländern. „Es wäre gut, wenn sich bei diesen Aktionen auch die Konsument*innen des Kaffees betei­ligen würden!“

Und auch die Beschul­digten geben nicht klein bei. In einer ersten Pres­se­kon­fe­renz kurz nach der Entlas­sung hält die Poli­ti­kerin und Jour­na­li­stin Bretón fest: „Wir werden den Prozess weiter­führen und zeigen, dass wir die Tat nicht begangen haben.“ Breton bedankt sich für die Unter­stüt­zung während den vier Monaten im Gefängnis und ruft: „¡Que viva el café de Ixhuatlán del Café!“

Diese Recherche wurde vom Reporter:innen Forum Schweiz unterstützt.

Mitar­beit am Text: Lorenz Naegeli und Osama Abdullah vom WAV Kollektiv


Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel

12 statt 21 Franken pro Stunde

Der Brief- und Paketzusteller Quickmail wirbt mit einem Stundenlohn von 21 Franken. Sobald Mitarbeitende aber weniger schnell sind als von der Firma verlangt, sinkt das Gehalt – schlimmstenfalls weit unter das Existenzminimum.