Preis­über­wa­cher prüft: Zement­firmen Holcim und Ciments Vigier reichen wahr­schein­lich nie ange­fal­lene Kosten weiter

Die Baubranche ächzt unter den stei­genden Preisen für Zement. Die Hersteller führten 2021 einen neuen CO2-Zuschlag ein, der die Kosten für Emis­si­ons­zer­ti­fi­kate decken soll. Dabei mussten sie diese laut Berech­nungen von das Lamm gar nie kaufen. Denn der Bund hat sie ihnen geschenkt. 
Seit Anfang 2021 verrechnen die Zementhersteller den Betonwerken einen CO2-Zuschlag, beim Kauf des Zements (Illustration: Anna Egli)
Seit Anfang 2021 verrechnen die Zementhersteller den Betonwerken beim Kauf des Zements einen CO2-Zuschlag. (Illustration: Anna Egli)

„Der Zement wird immer teurer. Das ist in der gesamten Branche ein Thema“, sagt eine leitende Mitar­bei­terin eines Beton­werks am Telefon. „Die Margen sinken.“ Nament­lich zitieren lassen, will sie sich nicht. Das liegt auch daran, dass Beton­werke von ihren Zement­lie­fe­ranten abhängig sind. In der Regel haben sie nur einen einzigen Liefe­ranten. „Wenn wir diesen wech­seln würden, müssten wir alle Rezepte umschreiben“, sagt die Mitar­bei­terin des Beton­werks. „Wir können nicht einfach so ausweichen.“

Beton­werke kaufen Zement ein und vermi­schen ihn mit Wasser, Sand und Kies zu Beton. Diesen liefern sie Tag für Tag an Baustellen in der ganzen Schweiz. Bei einem Gross­teil dieser Werke handelt es sich um kleine oder mitt­lere Unter­nehmen. In der Schweiz gibt es rund 500 von ihnen. Ganz anders sieht es auf der Seite der Zement­her­steller aus: Von ihnen gibt es in der Schweiz nur drei: Holcim, Jura Cement und Ciments Vigier.

Seit Januar 2021 reichen sie einen soge­nannten CO2-Zuschlag an ihre Kund­schaft weiter, was ein Grund für den Preis­an­stieg beim Zement ist. Wie hoch die CO2-Zuschläge pro Tonne Zement sind, geben die Hersteller jedoch nicht bekannt. Erst in den Preis­li­sten für das Endpro­dukt Beton wird der Zuschlag öffent­lich ersicht­lich. Je nach Beton­sorte beträgt er zwischen etwas unter einem bis rund fünf Franken pro Kubik­meter Beton. Je mehr Zement die Beton­sorte enthält, desto höher der Zuschlag.

Die Zement­werke mussten nur sehr selten rele­vante Mengen an Emis­si­ons­rechten zukaufen.

Die Zement­branche begründet diesen Aufpreis mit den stei­genden Kosten im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS). „Die konti­nu­ier­liche Verknap­pung der Zerti­fi­kate hat zur Folge, dass die Preise für CO2-Zerti­fi­kate massiv gestiegen sind“, schreibt etwa der Zement­her­steller Holcim, der selber auch Beton­werke betreibt, in seinen online einseh­baren Preis­li­sten als Erklä­rung für den neuen Kostenfaktor.

Screen­shot aus der Preis­liste des Zement­her­stel­lers und Beton­lie­fe­ranten Holcim vom 1.11.2022. Die CO2-Zuschläge betragen zwischen 0.80 und 4.80 Franken pro Kubik­meter Beton. Neben dem Ener­gie­zu­schlag, der mit den höheren Ener­gie­preisen begründet wird, verrechnet Holcim seit Anfang 2021 auch einen CO2-Zuschlag weiter.

Ähnlich begründet Jura Cement, der zweite grosse Zement­pro­du­zent der Schweiz, den Zuschlag auf seiner Webseite. Auch Vigier, der dritte Schweizer Zement­her­steller, führte 2021 unter dem Namen Umwelt­zu­schlag einen Aufpreis ein. Auch er begründet dies auf Anfrage mit der obli­ga­to­ri­schen Teil­nahme am Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und den daraus resul­tie­renden „hohe CO2-Kosten“.

Doch sind diese Kosten bei den Zement­her­stel­lern über­haupt ange­fallen? Das ist bei genauerem Hinsehen mehr als fraglich.

Emis­si­ons­han­dels­sy­stem: Das meiste gab es gratis

Was stimmt: Die Zement­werke müssen am EHS teil­nehmen und dort für jede emit­tierte Tonne Treib­haus­gase ein Emis­si­ons­recht, ein soge­nanntes Zerti­fikat an den Bund abgeben. Dabei sind diese Zerti­fi­kate – anders als zum Beispiel Zerti­fi­kate, die man zur Kompen­sa­tion einer Flug­reise kauft – nicht an Reduk­ti­ons­mass­nahmen woan­ders auf dem Planeten gekop­pelt. Bei den EHS-Zerti­fi­katen handelt es sich nicht um Kompen­sa­ti­ons­zer­ti­fi­kate, sondern ledig­lich um Verschmutzungsrechte.

Dabei wird die Anzahl zur Verfü­gung stehender Verschmut­zungs­rechte im Voraus vom Staat defi­niert und laufend gesenkt. Damit soll das Angebot an Zerti­fi­katen konti­nu­ier­lich redu­ziert, das Emit­tieren von CO2 verteuert und schliess­lich die Dekar­bo­ni­sie­rung voran­ge­bracht werden. Klima­schutz per Angebot und Nachfrage.

Neben der Zement­firmen beglei­chen auch noch andere Bran­chen der Schwer­indu­strie ihre Klima­ko­sten im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS). Auf die Frage, ob man auch dort allfäl­lige EHS-Kosten an die Kund*innenschaft weiter­reiche, antwortet etwa die Medi­en­spre­cherin des Chemie­kon­zerns Roche: „Bis heute sind uns keine CO2-Kosten durch das EHS entstanden.“ Man lege entspre­chend keine EHS-bedingte CO2-Kosten auf die Preise um. Der Leiter der Abtei­lung Energie und Umwelt der Verpackungs­her­stel­lerin Model AG schreibt, man orien­tiere sich am Markt und weise keine sepa­raten CO2-Kosten aus. Die Marke­ting­ma­na­gerin des Chemie­kon­zerns Dottikon schreibt auf Anfrage: „Wie in unserer Branche üblich kalku­lieren wir die CO2-Kosten mit rein, wir weisen den Betrag jedoch nicht in Form eines fixen Zuschlags aus.“

Seit Anfang 2020 ist das Schweizer EHS mit dem euro­päi­schen System verknüpft. Die Schweizer Zerti­fi­kate werden seither auch in der EU akzep­tiert und umge­kehrt. Wer ein solches EHS-Zerti­fikat abgibt, erhält dafür das Recht, die Atmo­sphäre mit einer Tonne Treib­haus­gasen zu bela­sten. Und von diesen Verschmut­zungs­rechten braucht die Zement­in­du­strie viele, denn die Herstel­lung von Zement verur­sacht Unmengen an Emissionen. 

Die drei Schweizer Zement­werke von Holcim emit­tierten 2020 zusammen über 1.3 Millionen Tonnen Treib­haus­gase. Das ist mehr als doppelt so viel wie die Emis­sionen aus dem Verbrauch fossiler Brenn­stoffe auf dem gesamten Gebiet der Stadt Zürich.

Als Gegen­lei­stung dafür, dass die Zement­her­steller am EHS teil­nehmen, sind sie in der Schweiz von der übli­chen CO2-Abgabe auf fossile Brenn­stoffe befreit – damit machen sie im Vergleich zu anderen Unter­nehmen einen guten Deal. Denn im EHS kostet die Tonne CO2 momentan rund 70 Euro (Stichtag 7. Dezember 2023), über die CO2-Abgabe hingegen bezahlt man aktuell 120 Franken pro Tonne Treibhausgas.

Die Privi­le­gien der EHS-Firmen gehen noch weiter.

Aus Angst, die CO2-inten­sive Indu­strie könnte sich in Länder verschieben, in denen man für seine Umwelt­ver­schmut­zung weder Emis­si­ons­rechte abgeben noch CO2-Abgaben bezahlen muss, wurde und wird die Schwer­indu­strie in der Schweiz – aber auch in Europa – seit Jahren mit Samt­hand­schuhen ange­fasst und erhält einen grossen Teil der Emis­si­ons­rechte gratis zuge­teilt. In der Schweiz ist das Bundesamt für Umwelt (BAFU) für diese Zutei­lungen verantwortlich.

Das Lamm analy­sierte Anfang 2023 in einer aufwen­digen Inve­sti­gativ-Recherche die vergan­gene EHS-Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020. Die Ergeb­nisse zeigen: In vielen Jahren deckten die gratis zuge­teilten Emis­si­ons­rechte bei zahl­rei­chen Produk­ti­ons­stand­orten beinahe alle oder sogar alle Emis­sionen ab. Die Zement­werke mussten nur sehr selten rele­vante Mengen an Emis­si­ons­rechten zukaufen.

Das Zement­werk von Holcim in Siggen­thal, das von Ciments Vigier in Péry und das von Jura Cement in Wildegg erhielten in den letzten Jahren etwa gleich viele Gratis­e­mis­si­ons­rechte zuge­teilt, wie sie Emis­sionen verur­sachten, wobei in Wildegg der Anteil, den man zukaufen musste, in den letzten Jahren langsam anstieg. Die Produk­ti­ons­stätten von Holcim in Untervaz und Eclé­pens haben in den letzten Jahren – mit einer Ausnahme in Eclé­pens im Jahr 2014 – gar immer mehr Emis­si­ons­rechte zuge­teilt bekommen, als sie brauchten. Nicht verwen­dete Emis­si­ons­rechte können die Zement­her­steller zur Seite legen oder weiter­ver­kaufen. Ledig­lich beim Werk in Cornaux von Jura Cement fehlten nach der Zutei­lung der Gratis­e­mis­si­ons­rechte in den letzten Jahren teil­weise noch nennens­werte Anteile, die regulär ange­kauft werden musste.

Die Firmen haben sich ihre Emis­si­ons­rechte also mit billigen CERs gesi­chert und die teuren EHS-Zerti­fi­kate zur Seite gelegt.

Klar ist: Der Preis, den man im EHS für das Recht, eine Tonne CO2 zu emit­tieren bezahlt, ist zwar gestiegen in den letzten Jahren. Wegen der vielen Gratis­e­mis­si­ons­rechte beein­flusste der Preis­an­stieg die EHS-Kosten der Zement­her­steller aber kaum – zumin­dest nicht bei allen Werken.

Der Trick mit den Billigzertifikaten

Dank der gross­zü­gigen Gratis­zu­tei­lungen konnten viele Zement­werke in der letzten Handel­s­pe­riode Emis­si­ons­rechte beisei­te­legen. Mit dem Zukauf soge­nannter CERs sparten sie sich noch mehr Emis­si­ons­rechte an. Die Abkür­zung CER steht für Certi­fied Emis­sion Reduc­tion. Ein CER ist ein Zerti­fi­katstyp, der für Emis­si­ons­ein­spa­rungen im Rahmen von Klima­schutz­pro­jekte in den Ländern des Globalen Südens ausge­stellt wird. Für jede Tonne, die auf diesem Weg nicht emit­tiert wird, stellt eine UN-Behörde das Emis­si­ons­recht für eine Tonne Klima­gase aus. Anders als bei den normalen EHS-Zerti­fi­katen sind die CERs also mit einer Reduk­ti­ons­lei­stungen verknüpft.

In der vergan­genen Handel­s­pe­riode durften die Kompen­sa­ti­ons­zer­ti­fi­kate, die auf einer Platt­form der UN gekauft werden können, zu einem gewissen Teil anstelle der normalen EHS-Zerti­fi­kate von den Firmen einge­setzt werden, um genü­gend Verschmut­zungs­rechte vorweisen zu können. 

Auch viele Schweizer Indu­strie­un­ter­nehmen griffen bei den CERs zu und kamen so um einiges günstiger weg, als wenn sie die teuren EHS-Zerti­fi­kate hätten kaufen müssen. Denn laut einer Anfrage bei der Euro­pean Energy Exch­ange (EEX), einer Ener­gie­börse, an der diese CERs gehan­delt werden, lag der Preis für ein CER in der vergan­genen Handel­s­pe­riode nie über 45 Cent. Zur Erin­ne­rung: Im EHS kostet die Tonne CO2 momentan rund 70 Euro (Stichtag 7. Dezember 2023).

Das Emit­tieren einer Tonne Treib­haus­gase kostete nicht immer gleich viel. Über die CO2-Abgabe bezahlten die meisten Firmen und alle Haus­halte der Schweiz in den letzten Jahren zwischen 36 und 120 Franken. Im EHS kostete das Emis­si­ons­recht für eine Tonne Treib­haus­gase zwischen 7.5 und nicht ganz 80 Franken. Mit einem CER konnte man sich dasselbe Recht bereits für wenige Rappen sichern.

Zudem sorgten solche Kompen­sa­ti­ons­zer­ti­fi­kate kürz­lich für nega­tive Schlag­zeilen. Im Mittel­punkt der Kritik stand die Zürcher Firma South Pole, eine der grössten Anbie­te­rinnen von Kompen­sa­ti­ons­zer­ti­fi­katen, und die Art und Weise, wie man bei den Kompen­sa­ti­ons­pro­jekten die Treib­haus­gas­re­duk­tionen berech­nete. Auch an den CERs wurde dies­be­züg­lich bereits Kritik laut.

In der aktu­ellen EHS-Handel­s­pe­riode, also seit 2021, werden CERs nicht mehr akzep­tiert. Aber: Jedes normale Emis­si­ons­recht, das von 2013 bis 2020 durch ein CER ersetzt wurde, erhöhte die Anzahl Emis­si­ons­rechte, die die Firmen nicht einsetzen mussten und dementspre­chend beisei­te­legen konnten. Die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK) kommt in einem Bericht aus dem Jahr 2017 zu folgendem Schluss: „Fast alle Firmen im EHS, auch jene mit einer Über­al­lo­ka­tion an Emis­si­ons­rechten, haben ihren Spiel­raum genutzt, indem sie anstelle der kostenlos zuge­teilten Emis­si­ons­rechte vorerst auslän­di­sche CERs gekauft und abge­geben haben.“ Die Firmen haben sich ihre Emis­si­ons­rechte also mit billigen CERs gesi­chert und die teuren EHS-Zerti­fi­kate zur Seite gelegt. Auch jene Firmen, die vom BAFU bereits mehr Emis­si­ons­rechte gratis zuge­teilt bekamen, als sie selbst gebraucht haben.

Je nach Zement­werk hat das EHS bislang nichts gekostet

Was das alles nun für die Zement­branche bedeutet, unter­scheidet sich von Werk zu Werk: Bei den zwei Produk­ti­ons­stand­orten von Jura Cement dürften die zuge­teilten Gratis­e­mis­si­ons­rechte in den vergan­genen Jahren laut eigenen Berech­nungen von das Lamm voll­ends aufge­braucht worden sein. Daran haben auch die zuge­kauften CERs nichts geän­dert. Dementspre­chend fielen bei Jura Cement in den Jahren 2021 und 2022 wahr­schein­lich gewisse EHS-Kosten an.

Anders sieht das bei Holcim und Ciments Vigier aus. Am Ende der letzten Handel­s­pe­riode dürfte das Zement­werk von Ciments Vigier dank Gratis­zu­tei­lungen und dem Einsatz von CERs noch über mehr als 120’000 nicht entwer­teter Emis­si­ons­rechte verfügt haben. Und auch 2021 und 2022, also in den Jahren, in welchen Ciments Vigier neu einen Zuschlag weiter­reicht, teilte das BAFU dem Zement­her­steller mehr Gratis­e­mis­si­ons­rechte zu, als er für die eigene Produk­tion brauchte. Anders als von Ciments Vigier behauptet, hatte der Konzern also keines­wegs „hohe CO2-Kosten“ zu tragen aufgrund der Teil­nahme am EHS. Oder in anderen Worten: Die Mehr­ko­sten, die der Zuschlag decken soll, gab es gar nicht.

Ähnlich bei Holcim: 2021 fehlten dem Unter­nehmen für die zwei Werke in Siggen­thal und Untervaz Zerti­fi­kate für rund 100’000 Tonnen Emis­sionen und 2022 für etwa 123’000 Tonnen. Holcim konnte in den letzten Jahren seinen Bedarf an Emis­si­ons­rechten also nicht mehr voll­ständig aus den jähr­li­chen Gratis­zu­tei­lungen decken. Aller­dings dürften sich bei den drei Holcim-Werken durch Gratis­zu­tei­lungen und den Zukauf von CERs, über die Jahre über­schüs­sige Zerti­fi­kate für den Ausstoss von schät­zungs­weise 2.5 Millionen Tonnen Treib­hausgas ange­sam­melt haben. 

Holcim beant­wortet die Frage von das Lamm nicht, ob sie über­schüs­sige Emis­si­ons­rechte verkauft haben. Wenn der Baustoff­kon­zern jedoch sparsam mit den ihm zuge­teilten Emis­si­ons­rechten umge­gangen ist, hätte er die noch fehlenden Zerti­fi­kate in den Jahren 2021 und 2022 problemlos mit über­schüs­sigen Emis­si­ons­rechten aus den vergan­genen Jahren decken können. Dadurch hätte auch Holcim bis jetzt keine Kosten im EHS gehabt.

Späte­stens dann bekommen die CO2-Aufschläge nicht mehr nur die Beton­werks­be­treiber zu spüren, sondern alle. Dann landen sie nämlich auch auf dem Preis für das neue Einfa­mi­li­en­haus oder werden von den Immobilienbesitzer*innen auf die Miete umgelegt.

Keiner der drei Zement­her­steller möchte uns sagen, wie viel sie durch ihre CO2-Aufschläge einge­nommen haben oder wie viel sie in den Jahren 2021 und 2022 tatsäch­lich für Emis­si­ons­rechte im Rahmen des EHS bezahlen mussten.

Für die Schweizer Beton­werke ist die Situa­tion schwierig. Zumal der CO2-Zuschlag nicht die einzige Preis­er­hö­hung ist, die sie zu bewäl­tigen haben. „Stark zuge­nommen haben die Preise mit dem Krieg in der Ukraine“, sagt die Mitar­bei­terin des Beton­werks. Weil damals die Ener­gie­preise stark anstiegen, stieg auch der Ener­gie­zu­schlag, den die Zement­her­steller eben­falls an die Beton­werke weiter­rei­chen. „Der eigent­liche Markt­preis für Zement hat über­haupt nicht zuge­nommen“, sagt die Mitar­bei­terin. Es seien die Zuschläge, welche den Zement verteuerten.

Im Gegen­satz zu den drei grossen Zement­firmen fehlt den vielen kleinen Beton­werken oftmals die Markt­macht, um die Aufschläge voll­kommen an das nächste Glied in der Liefer­kette weiter­zu­leiten. Falls möglich reichen aber auch sie die neuen Mehr­ko­sten an die Bauherr­schaft weiter. Späte­stens dann bekommen die CO2-Aufschläge nicht mehr nur die Beton­werks­be­treiber zu spüren, sondern alle. Dann landen sie nämlich auch auf dem Preis für das neue Einfa­mi­li­en­haus oder werden von den Immobilienbesitzer*innen auf die Miete umgelegt.

Ist das erlaubt?

Da stellt sich die Frage: Dürfen die Zement­her­steller das über­haupt? Zuschläge weiter­rei­chen, die man womög­lich gar nicht bezahlt hat – oder zumin­dest nicht hätte bezahlen müssen, wäre man mit den gratis zuge­teilten Emis­si­ons­rechten haus­häl­te­risch umgegangen?

„Der Preis­über­wa­cher ist bisher nicht in diesem Markt aktiv. Er wird jedoch prüfen, ob er dies für die Zukunft vorsehen wird.“

Preis­über­wa­chung PUE

Für die Preis­ge­stal­tung zuständig ist der Preis­über­wa­cher. Und dieser will sich aufgrund der Nach­frage von das Lamm die Zement-Beton-Branche nun genauer anschauen: „Der Preis­über­wa­cher ist bisher nicht in diesem Markt aktiv. Er wird jedoch prüfen, ob er dies für die Zukunft vorsehen wird“, schreibt die Kommu­ni­ka­ti­ons­stelle der Preis­über­wa­chung. Wenn tatsäch­lich Kosten weiter­ge­geben würden, welche nicht anfallen, so könne das – zusammen mit der Tatsache, dass es nur drei Zement­her­steller gibt – ein Hinweis auf nicht wirk­samen Wett­be­werb sein, so die Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­liche weiter. Man müsse die Sach­lage aber zunächst vertieft prüfen.

Das Lamm hat auch bei anderen Stellen nach­ge­fragt, ob das, was die Zement­her­steller da tun, legal ist. Für die Frage, wie die von Holcim und Co. einge­setzte Kommu­ni­ka­tion in Bezug auf ihre Lauter­keit zu beur­teilen ist, verweist uns die Preis­über­wa­chung ans Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft (SECO). Das SECO teilt hierzu mit, dass es unlauter sei, für seine Waren oder Leistungen Mehr­ko­sten in Rech­nung zu stellen, wenn es diese in Wirk­lich­keit gar nicht gebe. So steht es im Artikel 3 Bundes­ge­setz gegen den unlau­teren Wett­be­werb (UWG). Das SECO schreibt aber auch, dass es weder für das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem noch für die Preis­ge­stal­tung der Unter­nehmen zuständig sei. Ob hier das UWG verletzt werde, müsste ein Gericht beur­teilen. Dazu bräuchte es aber erst mal eine Klage. Eine solche sei bis dato beim SECO nicht einge­gangen, weshalb man uns für weitere Fragen an die Behörde verweist, die zentral für das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem verant­wort­lich ist, das BAFU. Dort will man sich jedoch nicht zu unseren Fragen äussern und schreibt uns ledig­lich, dass die Unter­nehmen frei seien in ihrer Preisgestaltung.

Konfron­tiert mit dem Vorwurf, dass man hier Mehr­ko­sten weiter­ver­rechne, die man gar nicht bezahlen musste, schreibt die Medi­en­spre­cherin von Holcim, dass man die Vorwürfe nicht nach­voll­ziehen könne. Man beschleu­nige mit dem EHS die Dekar­bo­ni­sie­rung und setze die Regeln des Systems entspre­chend um. „Dass das System funk­tio­niert, belegt der beschleu­nigte Absenk­pfad von Holcim.“ Seit dem Start des Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem im Jahr 2013, also in den letzten zehn Jahren, sind laut unseren Berech­nungen die CO2-Werte aller drei im System regi­strierten Schweizer Holcim-Werke zusammen um 9.2 Prozent gesunken.

Das Emis­si­ons­han­dels­sy­stem der Schweiz sei mit dem System der Euro­päi­schen Union verknüpft, so die Medi­en­spre­cherin weiter. „Holcim betreibt keine Speku­la­tion mit Zerti­fi­katen und beschafft die nötigen Posi­tionen zentral am euro­päi­schen Markt.“ Das EHS diene nicht der kurz­fri­stig wirt­schaft­li­chen Opti­mie­rung, sondern „hat zum Ziel, CO2-inten­sive Produkte zu verteuern.“ Damit wolle man externe Umwelt­ko­sten in die Mate­ri­al­preise inter­na­li­sieren. Die anfal­lenden Kosten würden in der jewei­ligen Periode dem Markt verrechnet. Ciments Vigier will sich zu den Vorwürfen nicht äussern.

Diese Recherche wurde mit Unter­stüt­zung von Journa­FONDS recher­chiert und umgesetzt.


CO2-Ausstoß zum Nulltarif 
Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert

Rund um das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem gibt es viele span­nende Geschichten. Ab Februar 2024 kann man diese auch offline nach­lesen. In ihrem Buch „CO2-Ausstoß zum Null­tarif – das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und wer davon profi­tiert“ geben die beiden das Lamm-Redaktor*innen, Alex Tiefen­ba­cher und Luca Mond­genast, einen umfas­senden Einblick in eines der wich­tig­sten Klima­schutz­in­stru­mente und zeigen auf, wo es hakt. Das Buch erscheint beim Rotpunkt Verlag.


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