Saubere Energie – dreckiges Geschäft

Eine Firma, deren Spuren bis in die Schweiz führen, betreibt in Ecuador ein kleines Lauf­was­ser­kraft­werk. Sie verspricht nichts weniger als „Saubere Energie für alle“. Gebracht hat sie der Lokal­be­völ­ke­rung aber nur Gewalt und Zerstö­rung. Dies ist die Chronik eines 18-jährigen Kampfes um Gerechtigkeit. 
Die BewohnerInnen protestieren immer wieder, wie hier in Quito. Auf dem Banner steht: «Zuerst griff HIDROTAMBO mein Dorf an, danach leiteten sie den Fluss um und töteten meine Nachbarn, jetzt wollen sie mir das Wasser wegnehmen. Was werden sie als nächstes tun?» (Foto: Emily Conrad)

Es ist mitten in der Nacht in San Pablo de Amalí, einem kleinen Nest mit etwa 500 Einwohner:innen, gelegen in einem frucht­baren, wasser­rei­chen Tal in Ecuador. Hier liegt die soge­nannte Korn­kammer des Landes. Draussen tobt ein Unwetter, wie ich es wohl noch nie erlebt habe. Eine Stunde zuvor schlug mit einem ohren­be­täu­benden Krachen der Blitz ganz in der Nähe ein und das Licht ging aus. Und ich verstehe nun, warum die Leute hier Angst haben vor dem Fluss, der ansteigen und ihre Häuser mitnehmen kann.

Fünf Tage zuvor bin ich in San Pablo ange­kommen. Ich treffe Abel, der in einem Haus etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt wohnt. Aus Angst vor Über­schwem­mungen in der Regen­zeit zieht er während der Hälfte des Jahres in ein vom Fluss weiter entferntes Haus. Aus gutem Grund: In der Nacht vom 19. März 2015 wurde das Dorf über­schwemmt, drei Menschen starben, Abels Haus, 13 weitere und unzäh­lige Kakao‑, Orangen- und Bana­nen­plan­tagen der Klein­bäue­rInnen wurden zerstört. Der Schock sitzt bis heute tief.

San Pablo de Amalí war in seinen Anfängen eine grosse Haci­enda und wurde ab 1960 von immer mehr Menschen besie­delt, die ihre Häuser in ausrei­chender Distanz zum Fluss bauten. Trotz heftig­ster Regen­fälle in den letzten 60 Jahren wurde das Dorf nie über­schwemmt, auch dann nicht, wenn sich während den wieder­keh­renden El Niño-Phäno­menen der Pazifik ausser­or­dent­lich stark erwärmte und es dadurch zu ausser­ge­wöhn­lich starken Regen­zeiten an der ganzen Pazi­fik­küste Südame­rikas kam.

Leere Verspre­chen und eine grosse Bedrohung

Was war 2015 also anders? Nur wenige Monate vor Beginn der Regen­zeit leitete die Firma Hidro­t­ambo S.A. für den Bau ihres Wasser­kraft­werks den Fluss in Rich­tung des Dorfes um.

Das natür­liche Fluss­bett, wo sich in der Regen­zeit bisher die ange­schwemmten Sedi­mente absetzten und die zusätz­li­chen Wasser­massen passieren konnten, war von da an verbaut. Und genau wie das ganze Dorf befürchtet hatte, stauten sich bei den ersten hefti­geren Regen­fällen nach dem Bau vor dem Auffang­becken die Sedi­mente an und hielten die Wasser­massen während zwanzig Minuten zurück. Als die Anstauung durch den Druck gebro­chen wurde, zerstörte der Fluss nicht das Auffang­becken des Wasser­kraft­werks, sondern flutete das unge­schützte Dorf.

Hidro­t­ambo ist eine Akti­en­ge­sell­schaft. Haupt­ak­tio­närin ist die Familie Cuesta, die ihr Vermögen mit dem Verkauf von Schuhen, insbe­son­dere von Gummi­stie­feln, gemacht hat. Als einzige auslän­di­sche Aktio­närin ist eine Frau mit dem blumigen Namen Magi­stra Maria Schenk Fran­cesco am Konzern betei­ligt. Dem ecua­do­ria­ni­schen Firmen­re­gi­ster ist ihr Name zu entnehmen, dass sie über zwei­ein­halb Millionen Dollar in die Firma inve­stiert hat – und dass sie Schwei­zerin ist. Weitere Angaben gibt es nicht. Bei local.ch ist keine Tele­fon­nummer einer Maria Schenk Fran­cesco zu finden, auch auf Google hat sie unter diesem Namen keine Spuren hinterlassen.

Die Frau scheint weder zu einer Firma noch zu einer Orga­ni­sa­tion zu gehören. Viel­leicht liess sie sich als Privat­person von der Firma dazu verleiten, in den Kampf gegen den Klima­wandel am anderen Ende der Welt zu inve­stieren, verspricht Hidro­t­ambo S.A. im Firmen­em­blem doch nichts weniger als „Saubere Energie für alle“. Den Menschen in San Pablo de Amalí versprach sie ausserdem kosten­losen Strom, Arbeit und Fort­schritt. Keines dieser Verspre­chen wurde eingehalten.

Skru­pel­loses Vorgehen

Die Bedro­hung für die Dorfbewohner:innen und ihre Lebens­welt durch Über­schwem­mungen stellt das Problem während der Regen­zeit fluss­ab­wärts dar: Die vom Wasser­mi­ni­ste­rium nach 2015 ange­ord­neten Vorsichts­mass­nahmen werden bis heute weder vom Staat noch von der Firma umge­setzt, obwohl es 2017 und 2019 erneut zu Über­schwem­mungen kam, glück­li­cher­weise ohne Todes­fälle. Die nächste Kata­strophe ist durch diese Nach­läs­sig­keit bereits vorpro­gram­miert. Damit sind weiterhin Tausende von Menschen bedroht.

Der Fluss über­schwemmt regel­mässig das Dorf. Im Bild eine Aufnahme vom Jahr 2017. (Foto: Darwin Paredes)

Das andere Problem passiert in der Trocken­zeit fluss­auf­wärts: Der Fluss führt in dieser Zeit nur wenig Wasser, zu wenig, damit all die Menschen in den Dörfern weiter oben im Tal ihren tägli­chen Wasser­be­darf für sich, ihre Tiere und ihre Felder abdecken könnten und das Wasser­kraft­werk am Ende auch noch funk­tio­nieren würde. Die ecua­do­ria­ni­sche Verfas­sung sagt zwar klar, dass Wasser ein Menschen­recht ist und dass deswegen die Menschen für den Eigen­konsum und die Subsi­stenz­wirt­schaft ein Vorrecht auf das lebens­wich­tige Nass haben. Erst danach darf das Wasser für indu­stri­elle Zwecke, wie zum Beispiel das Erzeugen von Energie durch Wasser­kraft, genutzt werden.

Ihr Vorrecht müssen die Klein­bäue­rInnen aber bei der Regio­nal­stelle des Wasser­mi­ni­ste­riums bean­tragen und lega­li­sieren lassen. Ein aufwän­diger Prozess, insbe­son­dere für Menschen, die jeden Tag auf dem Feld arbeiten und in bis zu drei Stunden Entfer­nung von der Provinz­haupt­stadt leben. Ausserdem beinhaltet das Lega­li­sie­rungs­ver­fahren die Pflicht, andere Nutzer:innen der Wasser­quellen zu infor­mieren, damit diese bei allfäl­ligen Konflikten Einspruch erheben können. Eine Mitnut­zerin aller Quellen im Tal ist eben auch das Lauf­was­ser­kraft­werk. Und dies nutzen die Anwält:innen des Konzerns schamlos aus: Seit Jahren erheben sie Einspruch gegen jeden einzelnen Lega­li­sie­rungs­an­trag der Menschen, die fluss­auf­wärts wohnen.

Recht­lich ist die Sache dermassen klar, dass bis jetzt keinem einzigen ihrer etwa 200 Einsprüche statt­ge­geben wurde. Die Anwält:innen von Hidro­t­ambo S.A. können durch diese recht­liche Sinn­lo­sig­keit die Lega­li­sie­rungs­an­träge der Lokal­be­völ­ke­rung aber unnötig hinaus­zö­gern und die Menschen im Tal einschüch­tern, verun­si­chern und deren Wider­stands­kraft zermürben.

Manuel, Einwohner von San Pablo, erin­nert sich, dass der Konzern Hidro­t­ambo S.A. von Beginn an ohne Skrupel vorging: „Im September 2004 kamen die Arbeiter:innen der Firma, die damals Coandes hiess, zum ersten Mal. Sie hatten keine Bewil­li­gung, unser Land zu betreten, sie hatten keinen offi­zi­ellen Auftrag und keine Doku­mente. Trotzdem betraten sie unser Land und zerstörten ohne Rück­sicht alles, was ihnen im Weg stand: Kakao­stauden, Bana­nen­pflanzen, Oran­gen­bäume.“ Manuel fühlte sich seiner Rechte beraubt und trom­melte in derselben Nacht vier andere Dorf­be­wohner zusammen, um sich zu wehren.

In der näch­sten Woche waren es bereits zwanzig Personen, die sich den Ange­stellten des Wasser­kraft­werks entge­gen­stellten. Diese gingen mithilfe der Polizei hart gegen die Dorfbewohner:innen vor und dachten, so den Wider­stand brechen zu können. Aber Manuel und seine Mitstrei­te­rInnen liessen sich nicht unter­kriegen: „In der näch­sten Woche waren wir bereits 200 Menschen, die sich der Firma entge­gen­stellten. Von diesem Moment an waren wir jeden Tag dort. Wir blockierten das Vorhaben der Firma, bis die den Inge­nieur-Korps des Mili­tärs holte.“ Aber auch das hielt die Menschen San Pablos nicht davon ab, weiter­zu­kämpfen. Und sie erhielten Unter­stüt­zung von all den Dörfern aus der Region. So standen innert kürze­ster Zeit 4000 Leuten den Inge­nieuren des Mili­tärs gegenüber.

Diese Zeit wird von vielen Bewohner:innen als Krieg beschrieben. Ein Krieg ohne Grenzen, orga­ni­siert auf der einen Seite vom Militär und der Firma, auf der anderen Seite von der Lokal­be­völ­ke­rung, die sich zu helfen wusste: Einige Mitstreiter:innen wohnten dort, wo das Militär statio­niert war. Wenn sich etwas regte, riefen sie sofort an, damit sich weiter oben die Leute versam­meln konnten, um die Strasse zum Fluss zu versperren. Das Militär antwor­tete mit Tränengas, Gummi­schrot und Fest­nahmen. Sogar von Entfüh­rungen ist die Rede.

Erschöpft und ohne Hoffnung

Dieser Kampf hielt so lange an, bis das Militär sich zurückzog: Es stellte sich heraus, dass die nötigen Bewil­li­gungen für den Bau des Kraft­werks gar nicht vorhanden waren. Die angeb­li­chen Protest-Anführer:innen wurden dennoch wegen Terro­rismus verklagt. Dies hätte bis zu sech­zehn Jahre Gefängnis bedeuten können. Alle Prozesse endeten jedoch mit einem Freispruch.

Nach diesem heftigen Zusam­men­stoss glaubten die Menschen im Dorf, dass die Firma sich zurück­ge­zogen habe und das Problem damit vorbei war. Sie täuschten sich: Drei Jahre später kamen dieselben Besitzer:innen unter dem neuen Namen Hidro­t­ambo S.A. und mit verän­dertem Plan zurück. Anstatt Energie für den lokalen Gebrauch zu produ­zieren, würde die Energie nun an den Staat verkauft werden, zu einem etwa doppelt so hohen Preis, da es ja erneu­er­bare Energie ist. Diesmal blieb der breite Wider­stand aus, die Bevöl­ke­rung war durch Gerichts­ur­teile und Einschüch­te­rungen wie gelähmt. So bauten die Arbeiter:innen, zum Teil aus San Pablo, zum Teil aus anderen Dörfern, das Kraft­werk, indem sie auf der anderen Fluss­seite eine ganze Fels­land­schaft wegsprengten, um Platz für das Auffang­becken zu schaffen.

Trotz der Erschöp­fung, die nach so vielen Jahren Zermür­bung, Einschüch­te­rung und Gewalt von Seiten des Konzerns und des Staates viele Menschen im Dorf ergriffen hat, ist der Kampf von San Pablo de Amalí bis heute nicht vorbei. Seit über drei Jahren setzt sich das sozio-ökolo­gi­sche Projekt „Río Dulce­pampa“ für die Menschen fluss­ab­wärts und fluss­auf­wärts ein. Die fünf Haupt­ver­ant­wort­li­chen sind täglich im Einsatz, einer­seits bei den Lega­li­sie­rungs­pro­zessen des Wasser­ge­brauchs, ande­rer­seits bei der Bereit­stel­lung von Infor­ma­tionen für mehrere Gerichtsprozesse.

Der viel­ver­spre­chendste ist die Anklage von der regio­nalen öffent­li­chen Ombuds­stelle, der defen­soría del pueblo, und der NGO „Comi­sión Ecumé­nica de Derechos Humanos“ wegen dem Verstoss gegen verschie­denste Rechte der Lokal­be­völ­ke­rung: gegen das Recht auf eine intakte Umwelt, das Recht auf Wasser und das Recht auf physi­sche und psychi­sche Inte­grität. Ange­klagt ist aber nicht nur Hidro­t­ambo S.A., sondern auch der ecua­do­ria­ni­sche Staat, da er genauso am Miss­brauch betei­ligt war.

Eine Firma ohne Spuren

Nachdem die Anklage von sämt­li­chen regio­nalen Instanzen zurück­ge­wiesen worden war, hat das Höchste Gericht in Quito den Fall dagegen als ausser­ge­wöhn­lich wichtig erachtet. Da bisher keine Recht­spre­chung in diesem Bereich existiert, besteht Hoff­nung, dass die Dorfbewohner:innen nach 17 Jahren Kampf viel­leicht endlich Gerech­tig­keit erfahren.

Das Wasser­kraft­werk steht nun seit 2014, gebaut gut sichtbar direkt gegen­über von San Pablo de Amalí. Die Firma hingegen bleibt ein Phantom: Hidro­t­ambo S.A. hat keinen Firmen­sitz in San Pablo de Amalí, sie hat nicht einmal eine Home­page, nur einen Face­boo­k­auf­tritt. Auch nach mehr­fa­cher Nach­frage bleibt eine Reak­tion der Verant­wort­li­chen bisher aus. Auf Kommu­ni­ka­tion scheint die Firma also keine Lust zu haben. Und ohne eine Möglich­keit, mehr über Magi­stra Schenk Fran­cesco heraus­zu­finden, bleibt nur die grosse Frage, ob sie wohl eine Ahnung hat, in was für eine skru­pel­lose Firma sie inve­stiert hat.


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