Stän­dige Verfüg­bar­keit, sonst droht Strafe: schwere Vorwürfe gegen die Candrian Cate­ring AG

Sie betreibt unter anderem unzäh­lige Restau­rants und Take-Aways im Haupt­bahnhof Zürich: Die Candrian Cate­ring AG ist eine der grössten Firmen im Gastro­be­reich. Eine Recherche von das Lamm zeichnet ein düsteres Bild des Unter­neh­mens. In einem von Candrian betrie­benen Take-Away-Restau­rant seien die Ange­stellten wider­recht­lich zu stän­diger Verfüg­bar­keit und Gehorsam gezwungen worden, werfen ehema­lige Mitarbeiter*innen der Firma vor. Auch höhere Führungs­ebenen hätten von den Vorwürfen gewusst. 
Das Take-Away-Restaurant Buffet Express in der Querhalle des Hauptbahnhofs in Zürich. (Foto: Lukas Tobler)

„Ich halte das nicht mehr aus, mein Kopf geht hier kaputt“, sagt Selin*. Sie wisse einfach nicht mehr weiter – und mache sich Sorgen um ihre Gesund­heit. Sie erhebt die glei­chen, schweren Vorwürfe gegen ihren Arbeit­geber Candrian wie drei weitere ehema­lige Mitarbeiter*innen, mit denen das Lamm gespro­chen hat: Sie seien unter Einsatz nicht erlaubter Prak­tiken zu stän­diger Verfüg­bar­keit gezwungen worden. Und Selin sagt, dass die Ange­stellten derart einge­schüch­tert seien, dass sie sich nicht trauen würden, sich zu wehren. Ein Mitar­beiter, der sich beschwert hat, sei deswegen entlassen worden.

Selin arbeitet im Take-Away-Restau­rant „Buffet Express“, wo vor allem Sand­wi­ches, Süss­ge­bäck und Brat­würste verkauft werden – in der Quer­halle des Haupt­bahn­hofs in Zürich. Am Freitag und am Samstag rund um die Uhr, an den übrigen Wochen­tagen von 05:00 Uhr morgens bis Mitter­nacht. Betrieben wird Buffet Express von der Candrian Cate­ring AG, einem der grössten Gastro­un­ter­nehmen der Schweiz mit rund 1000 Mitarbeiter*innen, 45 Betrieben und einem Jahres­um­satz von über 100 Millionen Franken. Zum Port­folio der Firma, die von der Familie Candrian kontrol­liert wird, gehören etwa die Bras­serie Lipp, das Clouds im Prime Tower oder die Goethe-Bar beim Sech­se­läu­ten­platz, sowie eine Viel­zahl Restau­rants im Haupt­bahnhof Zürich. Der Erfolg von Candrian ist eng mit den SBB und dem HB verknüpft. „Die Zusam­men­ar­beit ist im Lauf der Jahre histo­risch gewachsen und hat sich stets weiter­ent­wickelt“, sagt SBB-Medi­en­spre­cher Oli Dischoe gegen­über das Lamm. Die Familie Candrian wurde damit reich.

Nicht so Selin. Trotz Unzu­frie­den­heit könne sie es sich nicht leisten, die Arbeit bei Candrian zu kündigen. „Ich habe keinen Mann, der 5000 Franken oder mehr verdient“, sagt sie. Sie ist im Stun­den­lohn ange­stellt: 19.65 Franken erhält sie brutto pro Stunde. Mindest­ar­beits­zeit wird ihr nicht garan­tiert. Sie ist darauf ange­wiesen, genü­gend oft einge­setzt zu werden, sonst werde es knapp. Diese Abhän­gig­keit sei ausge­nutzt worden, sagt sie. Wenn man im Buffet Express nicht spontan einspringen könne und nicht immer verfügbar sei, sogar wenn man wegen Krank­heit fehle, würden spontan Arbeits­schichten aus dem Arbeits­plan gestri­chen – zur Bestra­fung. So werde sie dazu gezwungen, jeder­zeit verfügbar zu sein.

Diesen Vorwurf äussert auch Aziz*, der während zweier Jahre im Buffet Express gear­beitet hat. Auch er war im Stun­den­lohn ohne garan­tierte Mindest­ar­beits­zeit einge­stellt. Und auch er sagt: „Wenn man einmal krank war oder nicht spontan einspringen konnte, wurden Schichten gestri­chen.“ Einmal sei er für drei Tage krank­ge­schrieben gewesen. Sein Chef habe ihm mit Arbeits­zeit­ver­kür­zung gedroht und ihn aufge­for­dert, trotzdem zur Arbeit zu erscheinen. Unter Druck habe er nach­ge­geben. In einem Stun­den­blatt, das dem Lamm vorliegt, ist ersicht­lich, dass Aziz zwar für drei Tage krank­ge­meldet war – aber schon nach zwei Tagen wieder zur Arbeit erschien.

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Denselben Sach­ver­halt schil­dern zwei weitere ehema­lige Mitar­beiter. Mikael* hat nur während weniger Monate im Buffet Express gear­beitet und sagt: „So etwas Schlimmes habe ich an einem Arbeits­platz noch nie erlebt.“ Ahmed* war für mehr als zehn Jahre bei Candrian ange­stellt, bis er zuletzt nach einem Unfall während mehrerer Monate arbeits­un­fähig war – und nach genau sechs Monaten Arbeits­ab­we­sen­heit (dem gesetz­lich vorge­ge­benen Minimum) entlassen wurde. Er sagt zur Schicht­ver­tei­lung: „Als ich einmal darum gebeten habe, an einem Dienstag nicht arbeiten zu müssen, wurde mir zwar der Dienstag frei­ge­geben, aber es wurden mir gegen meinen Willen auch der Mitt­woch, der Donnerstag und der Freitag als Ruhe­tage zuge­wiesen. Und als ich darum gebeten habe, an einem Sonntag nicht arbeiten zu müssen, wurde mir absicht­lich die Früh­schicht an diesem Sonntag zugeteilt.“

Die Mitarbeiter*innen hätten sich wegen solcher Vorfälle gar nicht mehr getraut, ihre Bedürf­nisse anzu­bringen, sagt Aziz. Schon die Äusse­rung eines Wunsches hätte zu bedroh­li­cher Arbeits­zeit­ver­kür­zung führen können. An Kritik habe man erst recht nicht denken können. Selin wollte die anderen Mitarbeiter*innen zu einer Konfron­ta­tion des Chefs moti­vieren. „Aber alle hatten zu viel Angst, um sich zu wehren.“

Die Vorwürfe zu beweisen, ist schwierig. „Die Drohung, Schichten zu strei­chen, hat der Chef natür­lich nicht ausge­schrieben, sondern nur ausge­spro­chen“, sagt Aziz. Screen­shots und Bilder von Arbeits­plänen belegen aber minde­stens sehr kurz­fri­stige Ände­rungen des Arbeitsplans.

Solche kurz­fri­stigen Anpas­sungen des Arbeits­plans sind nur in Ausnah­me­fällen erlaubt, sagt Mauro Moretto, der Bran­chen­ver­ant­wort­liche für das Gast­ge­werbe bei der Gewerk­schaft Unia. „Der Arbeits­plan ist gemäss Arbeits­ge­setz zwei Wochen im Voraus auszu­stellen und darf nur in Ausnah­me­fällen und in Absprache kurz­fri­stig geän­dert werden.“  Und als Repres­si­ons­mass­nahme dürfe der Arbeits­plan natür­lich erst recht nicht ange­wandt werden.

Candrian bestreitet die Vorwürfe

Candrian bestreitet die Vorwürfe deut­lich: in einer mehr­sei­tigen und detail­lierten Stel­lung­nahme, die das Lamm nicht direkt zitiert, weil Candrian darum gebeten hat, von direkten Zitaten abzu­sehen. Die Firma hält aber fest, dass sie sich an die geltenden Gesetze sowie an den Gesamt­ar­beits­ver­trag für das Gast­ge­werbe L‑GAV halte. Dazu gehöre auch die recht­zei­tige Bekannt­gabe der gültigen Dienst­pläne. Die Einhal­tung der Gesetze werde in regel­mäs­sigen Kontrollen des kanto­nalen Arbeits­in­spek­to­rats über­prüft. Hinzu kämen die jähr­li­chen Kontrollen der Kontroll­stelle des L‑GAV. Bis anhin seien keine Rechts- oder Geset­zes­ver­let­zungen fest­ge­stellt worden, die sich mit den erho­benen Vorwürfen decken würden.

Tatsäch­lich erheben Selin und Ahmed keine Vorwürfe gegen die höhere Führungs­ebene der Firma Candrian. Das Problem seien vor allem der direkte Vorge­setzte, also der Leiter des Buffet Express, und dessen Vorge­setzter gewesen, sagen sie. Ahmed bemän­gelt höch­stens fehlende Kontrolle: „Diese Firma ist wie eine Familie ohne Eltern.“ Den CEO Reto Candrian loben gar alle vier Personen als umgäng­lich und freundlich.

Wer weiss wieviel?

Trotzdem: Die Einhal­tung von humanen Arbeits­be­din­gungen liegt nicht nur in der Verant­wor­tung der direkten Vorge­setzten, sondern auch in der Verant­wor­tung aller betei­ligten Kader. Und die vier Personen, mit denen das Lamm gespro­chen hat, halten an ihren Vorwürfen fest. Wenn diese Vorwürfe stimmen und auch auf höheren Führungs­ebenen bekannt waren, wurde die wider­recht­liche Preka­ri­sie­rung zugun­sten der Gewinn­ma­xi­mie­rung bewusst in Kauf genommen.

Das ist die Posi­tion, die Aziz vertritt. Sowohl der Leiter der Human Resources als auch der Leiter aller Schnell­ver­pfle­gungs­re­stau­rants hätten von seinen Vorwürfen gewusst. Er habe sich mehr­mals zu wehren versucht. Dem Lamm liegen E‑Mails vor, die belegen, dass Aziz die beiden jeweils einzeln zu Gesprä­chen getroffen hat. In einem Mail an den Restau­rant­leiter schreibt er von „Problemen mit [Name des direkten Vorge­setzten]“. Die E‑Mail an die HR-Abtei­lung belegt sogar deut­lich, dass der Vorwurf der Arbeits­zeit­ver­kür­zung dort bekannt war. Und sie zeugt von Verzweif­lung. Aziz schreibt:

[...]jetzt alle meine arbeit kolega mussen auf passen nicht mit mir tele­fo­nisch spre­chen, wenn [Name des direkten Vorge­setzten] erfahren welche mit mir tele­fo­nisch kontakt hat bekomt probleme mit plan unter­drücken muss mit weniger arbeit stunden abrechnen.

Das ist ziem­lich explizit. Geän­dert habe sich trotzdem nichts, sagt Aziz. Statt­dessen wurde er unge­fähr drei Wochen nach dem Versenden dieser E‑Mail entlassen. Die Gründe dafür wurden gemäss Kündi­gungs­schreiben „im persön­li­chen Gespräch erläu­tert“. Aziz sagt, man habe ihn entlassen, weil er sich gewehrt habe.

Ist die Candrian Cate­ring AG haltbar?

Das Bild, das die vier Personen von der Candrian Cate­ring AG zeichnen, ist düster. Und vieles deutet daraufhin, dass die geäus­serten Vorwürfe nicht nur stimmen, sondern die vorge­wor­fenen Prak­tiken bewusst in Kauf genommen wurden. Die Erfolgs­ge­schichte der Firma wird trotzdem weiter­gehen. Mit dem Bauschänzli in Zürich ist ihr erneut ein Coup gelungen. Kaum ein Restau­rant in Zürich ist besser gelegen, Candrian hat sich bei der Neuaus­schrei­bung durchgesetzt.

Verant­wortet hat die Ausschrei­bung die Liegen­schafts­ver­wal­tung der Stadt Zürich. Deren Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­cher sagt gegen­über das Lamm, man habe bei der Ausschrei­bung des Bauschänzlis auch den „Ruf als Arbeit­ge­berin“ berück­sich­tigt. Das spielt der Candrian Cate­ring AG in die Hände. Ihr Ruf als Arbeit­ge­berin lässt nichts zu wünschen übrig. Wohl auch dank der engen Zusam­men­ar­beit mit den SBB – und neu auch mit der Stadt Zürich.

*Namen der Redak­tion bekannt, aber zum Schutz der betref­fenden Personen geändert.

 


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