Staat­liche Gewalt­prä­ven­tion wird weggespart

Seit Jahren wird eine Präven­ti­ons­kam­pagne gegen häus­liche, sexua­li­sierte und geschlechts­be­zo­gene Gewalt im Parla­ment disku­tiert und geplant. Nun fällt sie den staat­li­chen Spar­mass­nahmen zum Opfer. 
Ausgerechnet kurz vor dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen streicht der Bundesrat die Präventionsgelder. (Bild: zVg)

Am 22. November gab der Bundesrat die Eckdaten für den kommenden Legis­la­tur­fi­nanz­plan bekannt. Teil davon ist die Entschei­dung, gewisse Vorhaben „zu redi­men­sio­nieren oder zu verschieben“. Darunter fallen auch die schon lange geplanten Präven­ti­ons­kam­pa­gnen zur Gleich­stel­lung der Geschlechter sowie gegen häus­liche und sexua­li­sierte Gewalt.

„Finanz­mi­ni­sterin Keller-Sutter streicht den Präven­ti­ons­kam­pa­gnen sämt­liche Gelder“, titelte die SP prompt in ihrer Medi­en­mit­tei­lung. Auf X, ehemals Twitter, wehrte sich darauf das Eidge­nös­si­sche Finanz­de­par­te­ment (EFD) gegen die Anschul­di­gungen gegen­über ihrer Chefin und sprach von „Fake News“. Ausserdem würden die budge­tierten drei Millionen Präven­ti­ons­gelder nach wie vor zur Verfü­gung stehen.

Dieses Argu­ment lässt SP-Natio­nal­rätin Tamara Funi­ciello im Gespräch mit das Lamm aller­dings nicht gelten: Da es sich bei den drei Millionen um Subven­ti­ons­gelder handle, die für nicht-staat­liche Projekte vorge­sehen sind, zwingen sie den Staat nicht dazu, endlich in Aktion zu treten. Die geplanten Kampa­gnen seien zwar nicht unbe­dingt für immer verloren, würden sich aber noch mehr in die Länge ziehen. Zeit, die Opfer von Gewalt nicht haben. Kurz: Der Bundesrat prio­ri­siere an der falschen Stelle, so Funiciello.

Wer dem roten Stift des Staates als erstes unter­liegt, ist kein Zufall, sondern das Resultat von poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Entscheidungen.

Das EFD bleibt auch auf Nach­frage von das Lamm dabei, keine Kürzungen voll­zogen zu haben. Es handle sich ledig­lich um Gelder, die nicht zusätz­lich gespro­chen würden. Es läge nun am Innen­de­par­te­ment (EDI), eigene Prio­ri­täten zu setzen und die Kampagne auf eigene Faust umzu­setzen. Laut Recher­chen vom Blick war es der Bundesrat, der den Antrag des EDI von gut einer Million Franken für die Präven­ti­ons­kam­pagne abge­lehnt hat. Das EFD verneint diese Darstel­lung bis heute.

Eigent­lich ist es ziem­lich egal, wer keine Gelder gespro­chen, Gelder gestri­chen, oder gar nicht erst budge­tiert hat. Offen­sicht­lich ist, dass der Schweizer Staat die Präven­tion von häus­li­cher, sexua­li­sierter und geschlechts­be­zo­gener Gewalt nicht prio­ri­siert. Dass sich die verschie­denen Depar­te­mente gegen­seitig die Schuld für die Spar­mass­nahmen in die Schuhe schieben, ist im besten Fall kindisch, im schlimm­sten Fall tödlich.

In der Schweiz über­lebt jede Woche eine Frau einen versuchten Femizid. Alle zwei Wochen ermordet ein Mann eine Frau — meistens ist er ein Angehöriger.

42 Prozent aller Schweizer Frauen haben bereits Gewalt in einer Part­ner­schaft erlebt, 22 Prozent mussten bereits sexua­li­sierte Gewalt erfahren, 12 Prozent eine Verge­wal­ti­gung. Hoch­ge­rechnet auf die Schweiz sind das fast eine halbe Million Personen.

Ein, zwei Millionen Franken für Gewalt­prä­ven­tion oder den Asyl­be­reich springen zu lassen, wäre in den Dimen­sionen einer Staats­kasse eigent­lich ein Klacks. 

Diese Infor­ma­tionen sind nicht neu. Diese Gewalt gegen Personen, die stati­stisch als Frauen erhoben werden, stellt schon seit jeher ein immenses Problem dar. Dass der Bundesrat diese schwer­wie­genden Anliegen der Bevöl­ke­rung nun ein weiteres Mal vertagt, ist keine Über­ra­schung – aber ein fort­wäh­render Skandal.

Wer dem roten Stift des Staates als erstes unter­liegt, ist kein Zufall, sondern das Resultat von poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Entschei­dungen. So inve­stiert die offi­zi­elle Schweiz lieber in den Ausbau der Digi­ta­li­sie­rung, während auch die Mass­nahmen für die Verbes­se­rung der Umstände in Bundes­asyl­zen­tren wegge­spart werden. Die Gelder für die Armee wachsen seit Jahren ins uner­mess­liche – momentan sind es 21.7 Milli­arden Franken pro Jahr – und auch für beson­dere Anliegen wie „die Förde­rung des Absatzes von Schweizer Wein“ werden zusätz­liche 6.2 Millionen bereitgestellt.

Ein, zwei Millionen Franken für Gewalt­prä­ven­tion oder den Asyl­be­reich springen zu lassen, wäre in den Dimen­sionen einer Staats­kasse eigent­lich ein Klacks. Schliess­lich konnte der Staat auch spon­tane Milli­arden für die Über­nahme der Credit Suisse locker machen. Das Narrativ des Spar­druckes ist also daher­ge­redet. Das zeigt auch die Tatsache, dass sie Schweiz im inter­na­tio­nalen Vergleich nach wie vor eine der gering­sten Staats­ver­schul­dungen aufweist.

Der Bundesrat spart also ohne Not – und als erstes bei den Verletzlichsten.


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