Anders als die Kurzarbeitsentschädigung wurde die Unterstützung der allermeisten Selbstständigen schon vor Monaten eingestellt. Seit Mitte September erhielten nur noch die direkt von den Corona-Massnahmen betroffenen Selbstständigen Corona-Erwerbsersatz. Sprich: nur diejenigen, die ihr Geschäft auf Anordnung der Behörden schliessen mussten, oder diejenigen, die direkt davon betroffen waren, dass Veranstaltungen ab einer bestimmten Grösse verboten wurden.
All diejenigen Selbstständigen, die indirekt durch eine verminderte Nachfrage von den Corona-Massnahmen betroffen waren, etwa Taxifahrer:innen, Fotograf:innen, Marktfahrende oder Bergführer:innen, gingen leer aus.
Corona-Taggeld für Selbstständige
Wie schon im Frühjahr werden auch mit der neusten Verordnung über Massnahmen bei Erwerbsausfall Selbstständige benachteiligt. Die Probleme des Systems erläutert unsere Redaktorin Alex Tiefenbacher in zwei Artikeln:
Teil 1: Hürde für Corona-Taggeld: Immer nur Lohnarbeit, bitte!
Teil 2: Corona: Die Regeln zur Unterstützung von Selbstständigen bleiben unfair
Noch düsterer sah es bei den sogenannten Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen aus. Das sind die Leute, die eine GmbH oder eine AG gegründet haben und sich dann selbst bei dieser angestellt haben. Darunter fallen auch 63’000 Ich-AGs oder Ich-GmbHs, die nur aus einer Person bestehen.
Sie erhielten in den ersten Corona-Monaten über die Arbeitslosenversicherung (ALV) eine Pauschale von 3’320.- CHF.
Ende Mai entschied der Bundesrat, die Arbeitgeberähnlichen nicht mehr über die ALV zu unterstützen, sondern wie die Selbstständigen über die Erwerbsersatzordnung (EO). Vor allem aber erhielten fortan nur noch diejenigen AGler und GmbHler Unterstützung, die in der Eventbranche tätig sind.
Welche Arbeit genau zur Eventbranche zählt, wurde eng abgesteckt: Das Lamm berichtete von Veranstaltungsfotografen und Kongressdolmetscherinnen, die ab Mai keinen Rappen an Unterstützungsgeldern mehr erhalten haben.
Das ist nun vorbei. Denn der Bundesrat hat vor einigen Tagen mit der „Verordnung über Massnahmen bei Erwerbsausfall im Zusammenhang mit dem Coronavirus“ die Bestimmungen des Covid-19-Gesetzes für die Unterstützung der Selbstständigen veröffentlicht. Direkt und indirekt betroffene Selbstständige und Arbeitgeberähnliche können ab sofort wieder Erwerbsersatz beantragen.
Aber Achtung: Die gute Nachricht hat gleich mehrere Haken.
1) Wer die letzten Jahre nicht all seine Zeit in selbstständige Lohnarbeit steckte, zieht jetzt den Kürzeren
Das Gesetz sieht vor, dass man für den Erhalt des Corona-EO mindestens 55 Prozent Umsatzeinbussen vorweisen muss. Und zwar verglichen mit dem monatlichen Durchschnitt der letzten fünf Jahre (2015–2019). Wer also während der letzten fünf Jahre nicht durchgehend für Geld gearbeitet hat, zieht jetzt womöglich den Kürzeren. Dies betrifft nicht nur Personen, die sich einmal eine längere Reise gegönnt haben, sondern auch Leute, die sich unbezahlten Mutterschaftsurlaub genommen, sich um kranke Verwandte gekümmert oder in einer Suppenküche mitgeholfen haben.
Aber auch Menschen, die in den letzten fünf Jahren krankheitshalber nicht so viel Umsatz generieren konnten, werden von dieser Verordnung diskriminiert. Denn sowohl Krankheit als auch ein gesellschaftliches Engagement reduzieren den durchschnittlichen Monatslohn der letzten fünf Jahre, der als Referenzwert für die Umsatzeinbussen von 55 Prozent verwendet wird. Je tiefer der Referenzwert zu liegen kommt, desto kleiner die Chancen, dass die Corona-Einbussen nun diese 55-Prozent-Grenze knacken können (das Lamm berichtete). Und wer die Grenze nicht knackt, geht leer aus.
2) Den Selbstständigen mutet man zu, mit 50 Prozent des Einkommens auszukommen. Bei den Angestellten sind es 80 Prozent.
Selbstständige, die nachweisen können, dass ihr Umsatz 55 Prozent unter dem Monatsdurchschnitt der letzten fünf Jahre liegt, erhalten 80 Prozent des gemeldeten Einkommens von 2019. Zusätzlich zu dem, was sie trotz Corona noch erwirtschaften konnten. Kein schlechter Deal also. Betragen die Einbussen jedoch nur 50 Prozent, mutet man den Betroffenen zu, damit klarzukommen. Umsatz ist zwar nicht gleich Einkommen, aber das macht die Sache für viele Betroffene auch nicht besser.
Denn für diejenigen, die in einem investitionsarmen Business tätig sind, etwa als Stadtführerin, entspricht der Umsatz mehr oder weniger dem Einkommen. Kann die Stadtführerin 55 Prozent Einbussen vorweisen, wird sie unterstützt. Sind es nur 50 Prozent, muss sie wohl oder übel mit der Hälfte des Lohns über die Runden kommen. Angestellten werden derweil nur 20 Prozent Lohneinbussen zugemutet.
3) Untergrenze 10’000.-
Besonders absurd mutet eine weitere Regelung in der Verordnung des Bundesrates an:
Art.2 Abs.3bis: „Selbstständigerwerbende […] sind […] anspruchsberechtigt, wenn […] sie im Jahr 2019 für diese Tätigkeit ein AHV-pflichtiges Erwerbseinkommen von mindestens 10’000 Franken erzielt haben […].“
Diejenigen, die am wenigsten verdienen, kriegen wie schon bei den Corona-Hilfen vom Frühling nichts. Wir haben das Bundesamt für Sozialversicherung bereits im Mai gefragt, warum das so ist, und folgende Antwort erhalten: „Man kann davon ausgehen, dass Selbstständigerwerbende mit derart tiefem Einkommen nicht allein von diesem Einkommen leben, sondern zu wesentlichen Teilen auf andere Einkommen zurückgreifen können. Sehr tiefe Taggeldbeträge tragen in dieser Situation nur sehr beschränkt zur Existenzsicherung bei.“
Mit der Untergrenze wolle man verhindern, dass diejenigen, die eigentlich gar nicht wirklich von ihrem selbstständigen Erwerb abhängig sind, Leistungen kriegen, obwohl sie diese nicht wirklich brauchen würden.
Wenn das Amt aber wirklich nur denen helfen will, die das Geld tatsächlich brauchen, müsste es generell abklären, bei wem allfällige andere Geldquellen das Corona-Taggeld ersetzen können. Auch wer selbstständig 15’000, 20’000 oder gar 90’000 Franken verdient hat, könnte theoretisch einen lukrativen Zweitjob, eine:n gut verdienende:n Partner:in oder eine Millionenerbschaft geniessen und deshalb laut BSV-Logik gar nicht auf das Taggeld angewiesen sein. Dass das BSV lediglich den am wenigsten Verdienenden unterstellt, sie könnten sich beim Staat bedienen, ohne es nötig zu haben, ist nicht nur zynisch, sondern auch willkürlich.
4) Unterschiedliche Deckelung nach oben
Auch diejenigen unter den Selbstständigen und Arbeitgeberähnlichen, die Umsatzeinbussen von mehr als 55 Prozent vorweisen und entsprechend Corona-Taggeld beantragen können, sind bei Weitem noch nicht gleichgestellt mit den Angestellten. Denn das Corona-Taggeld ist bei maximal 196.- CHF pro Tag gedeckelt, was etwa einem Monatslohn von 6’000.- CHF entspricht. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das die Auszahlungen der Kurzarbeitsgelder auf Bundesebene koordiniert, liegt das Maximum, das als Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt werden kann, hingegen bei etwa 12’000.- CHF. Also doppelt so hoch.
6’000 Franken ist zwar nicht wenig, aber: Viele Selbstständige müssen, anders als die Angestellten, über ihre Einnahmen auch noch betriebliche Fixkosten, wie zum Beispiel die Taxilizenz oder die Miete für den Atelierplatz selbst tragen.
5) Saisonale Schwankungen
Ein weiteres Problem dürfte bei Selbstständigen aufkommen, deren Umsatz starken saisonalen Schwankungen unterliegt. Denn der Anspruch auf Corona-Taggeld wird jeden Monat aufs Neue abgeklärt. Für Berufsgruppen, die schon immer in der kalten Jahreshälfte einen Grossteil ihres Umsatzes erzielt haben, also etwa für Skilehrer:innen, ist das problematisch. Diesen Dezember erzielen sie womöglich viel weniger Umsatz als im vergangenen Dezember. Gegenüber ihrem Fünfjahresschnitt reicht das aber womöglich noch nicht, um 55 Prozent Umsatzeinbussen geltend machen zu können.
6) Bei den Ich-AGs und Ich-GmbHs bleibt eine Lücke von mehreren Monaten
Die grösste Benachteiligung erfahren Personen in arbeitgeberähnlichen Positionen. Während die Unterstützung der Selbstständigen erst Mitte September eingestellt wurde, wurde den meisten Arbeitgeberähnlichen, also auch den meisten Ich-AGs und Ich-GmbHs, der Geldhahn bereits Ende Mai zugedreht.
Vor allem aber können die betroffenen Selbstständigen die jetzt neu beschlossenen Hilfsmassnahmen rückwirkend ab Mitte September geltend machen und haben damit keine Unterstützungslücken. Das können zwar auch die Arbeitgeberähnlichen. Doch für die Zeit zwischen Mai und September wird ihnen eine Lücke von mehreren Monaten bleiben.
Wie wird diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt?
Dass Nicht-Angestellte im Vergleich zu Angestellten ungerecht behandelt werden, liegt auf der Hand. Gerechtfertigt wird das von den zuständigen Stellen damit, dass die Selbstständigen und Arbeitgeberähnlichen mit der unternehmerischen Freiheit halt auch Geschäftsrisiko übernommen hätten. Im Klartext: Die Selbstständigkeit bietet die Möglichkeit, sich unbeschränkt zu bereichern, weshalb man auch mal die bittere Kröte schlucken müsse.
Das greift viel zu kurz: Laut einem Beitrag der NZZ erzielen Selbstständige im Schnitt ein Monatseinkommen von 5’000 Franken, also 1’500 Franken weniger als der Schweizer Medianlohn. Obwohl unter den Selbstständigen auch einige sehr gut bezahlte Berufszweige vertreten sind, etwa Ärzt:innen und Anwält:innen, die den Schnitt nach oben ziehen. Viele Selbstständige müssen also mit deutlich weniger durchkommen als der Durchschnitt.
Dass sie jetzt auch noch in der Krise vom Bund benachteiligt werden, ist stossend.
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