Nach dem Vulkan­aus­bruch kommt das Virus

In der kongo­le­si­schen Stadt Goma und der zuge­hö­rigen Provinz Nord-Kivu steigen die Corona-Fall­zahlen rapide an. Das ist zum einen auf die Lage nach dem verhee­renden Erdbeben im Mai zurück­zu­führen, hat aber auch mit der Impf­si­tua­tion zu tun. Falsch­in­for­ma­tionen und zu wenig Aufklä­rung führen dazu, dass Impf­dosen verfallen oder an Mitarbeiter:innen auslän­di­scher Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen verteilt werden. 
Abgelaufener Impfstoff in der Demokratischen Republik Kongo. Foto: Judith Raupp.

Serge Kahatwa sitzt erschöpft in seinem Büro und blickt ernst über den Rand seiner Schutz­maske. „Heute Nacht sind wieder drei Covid-Pati­enten gestorben. Minde­stens einen hätten wir retten können, wenn wir genug Sauer­stoff gehabt hätten“, erzählt der medi­zi­ni­sche Direktor des Kran­ken­hauses Heal Africa in Goma. Das Hospital im Ostkongo produ­ziert 15 Flaschen Sauer­stoff pro Tag. Es bräuchte aber 20, um alle Covid-Patient:innen in den 34 Zimmern versorgen zu können.

Seit einigen Wochen steigt die Zahl der Covid-Fälle in der Provinz Nord-Kivu schneller als zuvor. Ein Fünftel der Fälle, die im Kongo in den vergan­genen beiden Wochen regi­striert wurden, entfallen auf Nord-Kivu. In den Leichen­hallen ist kaum noch Platz. Viele Tote müssen sofort beer­digt werden. Bis zum 24. Juli verzeich­nete die Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kongo insge­samt 48 970 Infek­tionen, davon 4 427 in Nord-Kivu. Die Provinz kommt damit an zweiter Stelle nach der Haupt­stadt Kinshasa. Laut der offi­zi­ellen Stati­stik sind 1 023 Menschen im Kongo an der Krank­heit gestorben. Vermut­lich sind es deut­lich mehr. Denn im Land mit 90 Millionen Einwohner:innen wird nur wenig getestet.

Den Kran­ken­häu­sern in Goma gehen Sauer­stoff, Masken, Hand­schuhe und Schutz­um­hänge aus. „Wenn wir keine Unter­stüt­zung bekommen, haben wir bald indi­sche Verhält­nisse“, warnt Chef­me­di­ziner Kahatwa. Die inter­na­tio­nale Hilfs­be­reit­schaft sei deut­lich geringer als bei der Ebola-Epidemie vor drei Jahren, stellt er fest. Damals waren die reichen Länder noch nicht damit beschäf­tigt, eine Pandemie zu bekämpfen und ihre Wirt­schaft zu retten.

Zahl­reiche Ansteckungen nach dem Vulkanausbruch

Eine Ursache für die vielen Covid-Fälle in Nord-Kivu ist unter anderem der Ausbruch des Nyira­gongo-Vulkans im Mai. Damals sind die Menschen in Panik aus Goma geflüchtet, eng gedrängt, ohne Masken, ohne Wasser, ohne Seife oder Desin­fek­ti­ons­mittel. Sie waren völlig auf sich selbst gestellt. Denn viele Entwicklungshelfer:innen waren aus Angst vor Lava und Erdbeben Hals über Kopf abge­reist und die örtli­chen Behörden waren überfordert.

Arzt Justin Hangi in der Covid-Notauf­nahme im Kran­ken­haus Heal Africa. Foto: Judith Raupp.

Inzwi­schen ist die hoch­an­steckende Delta-Vari­ante des Coro­na­virus auch im Kongo ange­kommen. Damit trifft die Pandemie eines der ärmsten Länder der Welt, das von einer Krise in die nächste schlit­tert. Im Osten maro­dieren seit Jahr­zehnten Milizen. Daran ändert die welt­weit grösste Frie­dens­mis­sion der Vereinten Nationen bisher nur wenig. Armut und Gewalt bleiben. Die Menschen haben längst alles Vertrauen verloren, in die eigene Regie­rung ebenso wie in auslän­di­sche Helfer:innen.

Impf­dosen vernichtet trotz stei­gender Zahlen

Als wäre das nicht genug, musste Kahatwa nun ein Schild an das Kran­ken­haustor kleben lassen, auf dem steht: „Wir stellen das Impfen gegen Covid-19 vorüber­ge­hend ein. Danke für ihr Verständnis.“ Wie es dazu gekommen ist, kann der Arzt Stéphane Hans Bateyi erklären. Er arbeitet am anderen Ende der Stadt und leitet die Impf­kam­pagne der Provinz­re­gie­rung. Im März haben die reichen Länder im Rahmen der Covax-Initia­tive dem Kongo 1,7 Millionen Dosen von Astra­Ze­neca gespendet. „Kurz darauf mussten wir 1,3 Millionen Dosen an andere afri­ka­ni­sche Länder abtreten, weil abzu­sehen war, dass wir nicht alle verab­rei­chen können“, sagt Bateyi. Covax wurde von der WHO und der EU-Kommis­sion ins Leben gerufen. Die Initia­tive soll dafür sorgen, dass alle Länder, unab­hängig von der finan­zi­ellen Lage, Zugang zu Vakzinen bekommen.

Argwohn in der Bevöl­ke­rung bremst die Kampagne aus. Eine Umfrage der Afri­ka­ni­schen Union unter 15 Ländern zeigt, dass Kongoles:innen skep­ti­scher gegen das Impfen sind als andere Afrikaner:innen. Dazu mag beigetragen haben, dass Staats­prä­si­dent Félix Tshise­kedi öffent­lich erklärte, er warte lieber auf einen anderen Impf­stoff, da es inter­na­tional Bedenken gegen Astra­Ze­neca gebe. Viele Länder in Europa haben das Vakzin aus indi­scher Produk­tion, das nach Afrika gelie­fert wurde, zunächst nicht aner­kannt. Die Schweiz hat bisher den Impf­stoff auch aus briti­scher Produk­tion nicht zuge­lassen. Solche Meldungen nährten den Verdacht, das Vakzin, das Afrika gespendet wurde, sei ein Impf­stoff zweiter Klasse. Seit ein Mann in der Haupt­stadt Kinshasa nach der Impfung gestorben ist, steigt das Miss­trauen noch mehr. „Der Fall wird unter­sucht“, versi­chert Bateyi.

Er führt in das Kühl­haus, in dem die Kartons mit den Impf­am­pullen gela­gert werden. Jemand hat in grossen roten Buch­staben darauf geschrieben: „Achtung, nicht mehr verwenden, abge­laufen.“ Bald werden die Dosen in einem Ofen der UN-Frie­dens­mis­sion unter Aufsicht eines Staats­an­walts verbrannt. Von den 400 000 Dosen, die im Kongo verblieben sind, „haben wir insge­samt nicht einmal 100 000 verwendet“, schimpft Bateyi.

Abge­lau­fener Impf­stoff im Kühl­raum der Impf­kam­pagne der Provinz­re­gie­rung. Foto: Judith Raupp. 

Nach dieser Rech­nung werden im Kongo rund 300 000 Dosen vernichtet, mehr als anderswo in Afrika. Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) bezif­fert die Zahl der abge­lau­fenen Dosen auf dem Konti­nent mit insge­samt 450 000. Neben dem Kongo verbrennen Malawi, Südsudan, Liberia, Maure­ta­nien, Gambia, Sierra Leone, Guinea und die Komoren Vakzine. Manche Dosen wurden relativ kurz vor dem Ablauf­datum nach Afrika geliefert.

Auslän­di­sche Helfer:innen profi­tieren von der Impfskepsis

Tuver Wundi, Leiter der Redak­tion des Staats­ra­dios in Goma, gibt den sozialen Medien eine Mitschuld an der grossen Impf­skepsis der Kongoles:innen: „Es wurde viel gehetzt. Die Leute dachten, dass sie als Versuchs­ka­nin­chen für die west­liche Phar­ma­in­du­strie herhalten müssten. Sie glaubten, sie würden nach dem Impfen sterben.“ Wundi hat sich impfen lassen, weil er als Jour­na­list viele Leute trifft, die auf Abstand­halten oder Maske­t­ragen pfeifen. Der Kampf um das tägliche Über­leben nimmt all ihre Energie in Anspruch. Da bleibt auch kaum Zeit, über das Impfen nach­zu­denken oder sich über verschie­dene Impf­stoffe zu informieren.

Ganz anders ergeht es den vielen auslän­di­schen Entwicklungshelfer:innen in Goma. In den Messenger-Gruppen über­schlagen sich die Ankün­digen, wer sich wo und wann impfen lassen kann, welcher Impf­stoff welche Vor- oder Nach­teile hat. „Relativ zur Einwoh­ner­zahl kamen mehr Fremde als Kongo­lesen zum Impfen“, schätzt der Arzt Justin Hangi. Er arbeitet im Kran­ken­haus Heal Africa und leitet dort das Impf­pro­gramm. „Ich hätte mir mehr kongo­le­si­sche Kund­schaft gewünscht, aber ich impfe natür­lich auch gerne die Weissen“, versi­chert er.

Eine von ihnen ist Emma Camp. Zuerst habe sie gezö­gert, gibt die Britin zu. Schliess­lich sollen die Impf­dosen der Covax-Initia­tive armen Menschen zugu­te­kommen. „Als ich gehört habe, dass die Dosen zurück­ge­schickt werden, habe ich mich impfen lassen“, erzählt Camp, zumal sie 2 300 Euro für die Quaran­täne in einem Hotel hätte ausgeben müssen, wenn sie zum Impfen nach Gross­bri­tan­nien geflogen wäre.

Die briti­sche Entwick­lungs­hel­ferin Emma Camp mit ihrem Impf­zer­ti­fikat. Foto: Judith Raupp.

Die Vereinten Nationen haben eigens für ihre Ange­stellten im Kongo zusätz­lich weitere 25 000 Dosen Astra­Ze­neca-Impf­stoff ausser­halb der Covax-Initia­tive einge­flogen. Den grössten Teil spen­dete ausge­rechnet das von der Pandemie hart getrof­fene Indien. Denn viele Blauhelm-Soldat:innen stammen aus dem asia­ti­schen Land. Ange­stellte der UN und inter­na­tio­naler Orga­ni­sa­tionen hoffen, dass sie künftig dank einer Impfung leichter reisen können. Viele von ihnen bekommen alle paar Monate Sonder­ur­laub, weil sie in einem Krisen­ge­biet arbeiten. Stän­dige Tests und Quaran­täne sind ihnen lästig.

Über­zeu­gungs­ar­beit bleibt schwierig

Die ameri­ka­ni­sche Missio­narin Michelle Smith hält es für ein gutes Werk, dass sie sich hat impfen lassen. „Wir Ausländer reisen in alle Welt, wir müssen die Kongoles:innen schützen“, findet sie. Ausserdem wollte sie mit gutem Beispiel voran­gehen. „Wenn wir uns impfen lassen, zeigt das den Kongoles:innen, dass es nicht gefähr­lich ist. Das kann sie moti­vieren, sich auch impfen zu lassen“, glaubt Smith. Aus ihrem guten Beispiel wurde aller­dings nur bedingt etwas. Kaum hatte sie die zweite Impf­dosis erhalten, ist sie an Covid-19 erkrankt. Nun erklärt sie ihren kongo­le­si­schen Freund:innen, dass dank der Impfung zumin­dest die Symptome nicht so stark sind. Aber die Über­zeu­gungs­ar­beit bleibt schwierig.

Die kongo­le­si­sche Akti­vi­stin Passy Muba­lama ärgert sich darüber, wie die Impf­kam­pagne verläuft. „Es zeugt von einer schlechten Politik, wenn sich eher die Ausländer:innen als die Einhei­mi­schen impfen lassen“, schimpft sie. Die Reichen seien doch sowieso schon besser geschützt als die arme Mutter, die sich jeden Tag auf dem Markt drän­gelt, um ihre Tomaten zu verkaufen. „Wir müssen die Menschen besser aufklären“, fordert sie. Muba­lama war lange Zeit skep­tisch und wollte sich nicht impfen lassen. „Man weiss nicht, was lang­fri­stig passiert“, argwöhnt sie. Aber ange­sichts der vielen Toten in Goma ändert sie gerade ihre Meinung.

Der Kongo hat noch­mals fünf Millionen Impf­dosen bei der Covax-Initia­tive ange­fragt. Die ersten Ampullen sollen in den näch­sten Wochen eintreffen. Chef­re­dak­teur Wundi hofft, dass die Kampagne dieses Mal besser läuft. „Wir können nicht noch einmal inter­na­tio­nale Spenden verschwenden, die andere gut brau­chen könnten“, sagt er.


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