Verboten?: Zürcher Autos. Verlocht: 5’300’000 Millionen US-Dollar Subven­tionen. Verboten!: Glyphosat-Nach­folger Dicamba

Zürich holt nach 1997 zum zweiten Mal Anlauf, um die Autos aus der Stadt zu verbannen — Autos, die mit hoch­sub­ven­tio­niertem Treib­stoff fahren. Und: Wer mit dem Herbizid Dicamba sät, zerstört die Felder der Nachbarn. 
Die vermeintlich natürliche Ordnung am Fussgängerstreifen. (Foto: Gareth Jones)

Wie schlimm steht es wirk­lich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nach­richt jagt die nächste – wie einen Über­blick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausge­wählte News häpp­chen­weise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhalts­punkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.

Heute: Zürich bald auto­frei? // 5’300’000 Millionen US-Dollar Subven­tionen für Kohle, Erdöl und Gas // Der Unkraut­ver­nichter Dicamba, Ersatz für Glyphosat, sorgt für kaputte Ernten bei den Nachbarn.

Good News: Zürich bald autofrei?

Was ist passiert? Autos sollen aus der Stadt Zürich verbannt werden. So fordert es die Anfang August einge­reichte Juso-Initia­tive Züri auto­frei“. Damit könnte sich die Stadt auf einen Schlag ihres erst  70 Jahre alten Jochs namens „Massen­ware Auto­mobil” befreien. 1997 hatte eine ähnliche Initia­tive bereits 37% Zustim­mung erhalten. Heute  ist die Schweiz um eine Million (!) Autos reicher; alleine im Kanton Zürich sind 180’000 Autos mehr regi­striert. Der Leidens­druck ist hier also seit der letzten Initia­tive um geschätzte 360 Millionen Tonnen Fahr­zeug­ge­wicht schwerer geworden. Es besteht diesmal Grund zur Hoff­nung, dass das gewichtig genug ist.

Warum ist das wichtig? Weil mit diesem Befrei­ungs­schlag am Hori­zont nicht nur unsere Lungen, sondern auch unsere Geister eine dicke Schicht Russ loswerden könnten. In 70 Jahren Massen­ware Auto haben wir uns so an den verkehrs­rei­chen Alltag gewöhnt, dass wir uns seiner Absur­di­täten gar nicht mehr bewusst sind. Beispiels­weise das „luege, lose, laufe“, das jedem Kind einge­bläut wird: Wie der Jour­na­list Marcel Hänggi recher­chiert hat, wurden Fuss­gän­ger­streifen in ihren Anfängen um von Fuss­gän­gern syste­ma­tisch miss­achtet; eine Praxis, die im Falle eines Unfalls auch von der Recht­spre­chung bis in die 1930er-Jahre legi­ti­miert wurde. Denn die Gesell­schaft sah solche Streifen nicht etwa als begrüs­sens­werten Dienst am Fuss­gänger („Hier kannst du sicher über die Strasse“), sondern als weisse Flagge der Resi­gna­tion gegen­über dem aggres­siven Auto: „Überall sonst hast du als Fuss­gänger auf der Strasse nichts verloren.“

Eine weitere Selbst­ver­ständ­lich­keit gefällig, die wir dem Auto verdanken? Dass man eine über­di­men­sio­nierte Metall­kiste für ein paar Dutzend Franken einen ganzen Monat auf einen öffent­li­chen Gehweg stellen darf (= „parkieren“). Es ist solcher zu Gewohn­heit geron­nener Irrsinn, den diese Initia­tive ans Licht holt. Damit schafft sie frische Luft für neue Ideen zu einem gelun­ge­neren Zusam­men­leben in Zürich.

Aber? Einige Autos würde es im „auto­freien“ Zürich dennoch geben. Ambu­lanzen, Hand­werker, Busse und Taxis etwa für Gehbe­hin­derte sollen weiterhin fahren dürfen. Dieser Punkt ist auch von links unbe­stritten. Aber eine weitere, etwas kurio­sere Befürch­tung begleitet die Juso-Initia­tive: Durch den Auto­bann würde Zürich noch attrak­tiver und damit noch teurer. Weni­ger­ver­die­nende müssten in die letzten Auto­ba­stionen Dietikon und Diet­likon flüchten. Auch wenn hohe Stick­oxid- und Lärm­be­la­stungen mit günstigem Wohn­raum einher­gehen: Sie als Garanten für ein soziales Zürich zu handeln, ist nicht nur im Hinblick auf das heutige Zürcher Preis­ni­veau schlicht zynisch. Denn was in diesem Fall den Wohn­raum vergün­stigt, ist gemäss neuen Studien auch tödlich. Sehr sozial ist das nicht. Wir werden also auf verläss­li­chere Garanten für ein soziales Zürichs setzen müssen als Gestank und Lärm, sollen dereinst nicht nur Wohl­ha­bende Zürichs reine Luft atmen dürfen.

Bad News 1: 5’300’000 Millionen US-Dollar Subven­tionen für Kohle, Erdöl und Gas

Was ist passiert? Eine neue Studie rechnet vor, dass fossile Brenn­stoffe im Jahr 2015 mit 5.3 Tera-Dollar (5’300’000 Millionen Dollar) subven­tio­niert wurden. Das entspricht 6.5 Prozent des Brut­to­in­land­pro­dukts aller Länder der Welt zusam­men­ge­nommen. Damit ist der Mythos „Hoch­sub­ven­tio­nierte erneu­er­bare Ener­gien vs markt­be­stän­dige fossile Ener­gien“ enttarnt. Beson­ders bezeich­nend: Diese Entzau­be­rung stammt nicht etwa aus der Feder von Ökofundis, sondern von Autoren des unver­däch­tigen Inter­na­tio­nalen Währungs­fonds (IWF). Dessen Ausgangs­punkt für die Studie ist keine esote­ri­sche Mutter-Erde-Liebe, sondern eine knall­harte Kosteneffizienzperspektive.

Warum ist das wichtig? Bishe­rige Schät­zungen der Erdöl- und Kohle­sub­ven­tionen fielen deut­lich kleiner aus, weil sie nur die direkten Zahlungen an Förder‑, Verteil- und Umwand­lungs­in­fra­struktur sowie direkte Preis­stüt­zungen zu den Subven­tionen zählten (so wären 2015 „nur“ 333’000 Millionen Dollar Subven­tionen zusam­men­ge­kommen). Wie die Autoren um David Coady vom IWF über­zeu­gend argu­men­tieren, muss aber die gesamte Diffe­renz zwischen bezahlten Preisen für fossile Ener­gie­träger und den tatsäch­li­chen Kosten (Luft­ver­schmut­zung, Erder­wär­mung, etc.), die durch staat­liche Eingriffe bzw. Nicht-Eingriffe bei der Allge­mein­heit anfallen, als Subven­tionen verbucht werden. Nehmen wir das Beispiel der  Luft­ver­schmut­zung, die durch die Verbren­nung von fossilen Ener­gie­trä­gern verur­sacht wird: Sie kostet gemäss dieser Studie jähr­lich 2.4 Peta-Dollar. Diese Kosten werden aber nicht von den Verur­sa­chern bezahlt, sondern von den Geschä­digten und via Versi­che­rungs­prä­mien von der Allge­mein­heit. Kosten, die tatsäch­lich als direkte Folge der fossilen Treib­stoffe anfallen, ohne dort zu Buche zu schlagen. So berechnet betragen alleine die Luft­ver­schmut­zungs­sub­ven­tionen 3 Prozent des globalen BIP!

Aber? Diese horrenden Subven­tionen auf fossilen Brenn­stoffen sind beson­ders stos­send, weil nach dem Pariser Abkommen alle ökono­mi­schen und poli­ti­schen Anstren­gungen auf eine Verteue­rung abzielen sollten — eine Verteue­rung minde­stens auf das Niveau der „Kosten­wahr­heit“, wie die Autoren der Studie argu­men­tieren. Das Problem ist aber, dass die Kosten­ef­fi­zi­enz­per­spek­tive nicht genü­gend Anwälte hat. Zwar wäre sie, zumin­dest nach der Theorie, die insge­samt günstigste Vari­ante — weil Schäden nicht nur repa­riert werden, sondern viel weniger erst entstünden. Aber sie bricht mit einer Gewohn­heit, die uns lieb geworden ist: dass wir fürs Öl nicht zahlen, was es uns wirk­lich kostet. Es ist wie mit dem Scho­ko­riegel: Wäre in ihm der Preis für das Fitnessabo und fürs Fett­ab­saugen mitein­be­rechnet, wir würden ihn gar nicht kaufen. Aber wer wagt es schon, die Lust auf Scho­ko­riegel zu vermiesen, möge die Kosten­ef­fi­zenz­per­spek­tive auch der Hoch­sitz der (ökono­mi­schen) Vernunft schlechthin sein?

Bad News 2: Wer den Glyphosat-Ersatz Dicamba spritzt, vernichtet die Ernten der Nachbarn

Was ist passiert? Um den Agro­che­mie­un­ter­nehmer Monsanto steht es nicht gut. Sein Unkraut­ver­nichter Glyphosat steht in Kali­for­nien vor Gericht und in Europa vor dem Tribunal der Öffent­lich­keit. Der Grund: mögli­cher­weise ist ihr meist­ver­kauftes Herbizid krebs­er­re­gend. Aber nicht nur das macht Monsanto zu schaffen: Immer mehr Unkräuter sind gegen Glyphosat resi­stent. Deshalb hat das Unter­nehmen das alte Herbizid Dicamba ausge­graben und insge­samt eine Milli­arde Dollar in neue Produk­ti­ons­stätten inve­stiert. Dort werden nicht nur das Herbizid selbst, sondern auch das zuge­hö­rige Herbizid-resi­stente Gentech-Saatgut als Kombi­packung herge­stellt. Unter dem bezeich­nenden Produkt­namen „Xtend” hätte Dicamba als Nach­folger von Glyphosat die neue cash cow Monsantos werden sollen.

Doch jetzt hat Dicamba ein altes Problem einge­holt: Einmal auf die Felder gesprüht, verflüch­tigt es sich. So gelangt es auf benach­barte Felder, wo es ganze nicht-resi­stente Kulturen verwü­sten kann. Deshalb waren ältere Dicamba-Produkte von der US-Envi­ron­mental Protec­tion Agency (EPA) für den gross­flä­chigen Einsatz verboten worden. Jetzt stellt sich heraus: Auch die neue Monsanto-Mischung (eine soge­nannte „neue Formu­lie­rung“) Xtend mit dem Wirk­stoff Dicamba verflüch­tigt sich trotz gegen­tei­liger Verspre­chen — und zerstört so benach­barte Felder. Deshalb hat der US-Agrar­staat Arkansas nach 900 Beschwerden von Bauern den Gebrauch von Produkten mit dem Wirk­stoff Dicamba temporär verboten; Missouri ist mit einem Verbot soeben nachgezogen.

Warum ist das wichtig? Dicamba war also als proble­ma­ti­sches Herbizid bekannt. Wie hat es dennoch wieder auf die Felder kommen können? Monsanto präsen­tierte der EPA seine neue Dicamba-Formu­lie­rung Xtend und versprach aufgrund haus­ei­gener Studien: Das Problem der Verflüch­ti­gung sei mit der neuen Formu­lie­rung, die verbes­serte physiko-chemi­sche Eigen­schaften zeige, gelöst. Norma­ler­weise lassen die Zulas­sungs­be­hörden dann weitere Studien von unab­hän­gigen Wissen­schaft­le­rInnen durch­führen. So auch bei Xtend. Das perfide: In diesem Fall wurde den Wissen­schaft­le­rInnen ausdrück­lich verboten, die Verflüch­ti­gungs­ten­denz zu messen. Die EPA hat diese Restrik­tion offen­sicht­lich durch­gehen lassen. Und Monsanto recht­fer­tigt das Verbot so: „To get a meaningful data takes long, long time”. Wegen des kriselnden Glypho­sats und der Milli­ar­den­in­ve­sti­tion in Xtend musste es schnell gehen. Zu schnell, wie sich jetzt heraus­stellt. Nun steht nicht nur Monsanto vor einem Scher­ben­haufen. Sondern auch Zulas­sungs­be­hörden wie die EPA, die ihre Zulas­sungs­be­scheide zu oft einseitig auf geheime Herstel­ler­stu­dien stützen, die – wen überrascht’s – manchmal etwas tenden­ziös ausfallen.

Aber? Der EPA war bei der Zulas­sung dieser neuen Dicamba-Formu­lie­rung wohl auch etwas mulmig zumute. Deshalb hat sie Xtend nur für zwei statt der übli­chen zehn Jahre zuge­lassen. Zwar beteuert Monsanto weiterhin, dass sich das Produkt nicht in Nach­bars Felder verirre, wenn es mit den rich­tigen Düsen und bei geeig­netem Wetter gespritzt werde. Auch wenn ein Teil der 900 Beschwer­de­fälle auf eine nicht sach­ge­mässe Anwen­dung zurück­ge­führt werden mag: Dem agri­cul­ture depart­ment von Arkansas sind das ein paar Hundert Scha­dens­fälle zu viel. Schlössen sich weitere Bundes­staaten dem Verbot an, wäre das für Monsanto desa­strös. Denn damit wäre nicht nur das Herbizid selbst, sondern auch die zuge­hö­rigen Dicamba-resi­stenten Kultur­pflanzen, an denen Monsanto jahre­lang getüf­telt hat, am Ende. Das wäre keine schlechte Nach­richt, wenn dadurch Alter­na­tiven zum massiven Herbi­zid­ein­satz Aufschwung erhielten.


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