Wieso ein SVP-Gärtner und ein Pro-Natura-Mitar­beiter dagegen sind, fremde Bäume zu importieren

Trotz des drohenden Massen­ster­bens der Schweizer Bäume finden den Import fremder Arten bei weitem nicht alle eine gute Idee. Die Begeg­nung mit zwei Gast­baum-Gegnern zeigt: Es geht bei dieser Frage um weit mehr als um schmucke Strassenverzierung. 
Theoretisch könnten sich Baumarten aus dem Balkan auch auf natürlichem Weg hierher bewegen. (Illustration: Gaia Giacomelli)

Marcus Ulber und Sven Rind­lis­ba­cher kennen sich nicht. Das ist inso­fern mässig erstaun­lich, als sie eigent­lich nichts verbindet. Einer arbeitet im Hipster­quar­tier in Basel als Forst­in­ge­nieur, der andere besitzt eine Gärt­nerei im Berner Ober­land. Der eine glaubt an den Klima­wandel und daran, dass die Welt von morgen anders aussehen wird. Der andere ist davon nicht wirk­lich über­zeugt. Trotzdem sind sie sich in einem einig: Gast­bäume mögen sie nicht.

„Stihl“ steht auf Sven Rind­lis­ba­chers Hosen­trä­gern, die seine graue Arbeits­hose an Ort und Stelle halten. Er kommt gerade aus seiner Gärt­nerei. Die Wander­schuhe zieht er trotzdem nicht aus, als er in sein umge­bautes Bauern­haus mit Sicht auf den Thunersee stapft. Der grösste Stress des Jahres ist zwar schon vorbei, die meisten seiner 100’000 Primeln, 200’000 Gera­nien und 700’000 Gemü­se­setz­linge sind an die Landi ausge­lie­fert. Aber „irgend­etwas gibt es immer zu tun.“ Auch weil der Job als Gärt­ner­mei­ster nicht seine einzige Aufgabe ist: Daneben amtet Rind­lis­ba­cher als Vorstand­mit­glied der SVP Spiez.

Gut, dass ihm da wenig­stens der Klima­wandel keine schlaf­losen Nächte bereitet. „Es gibt mehr Wetter­ka­priolen, das stimmt wohl“, sagt er beim Mineral in seiner Küche sitzend. Aber dass die Tempe­ra­turen merk­lich steigen werden, das glaube er nicht so ganz. „Mit dem Wald­sterben war’s auch so eine Hysterie, so schlimm kam’s dann doch nicht.“ Entspre­chend muss man sich laut Rind­lis­ba­cher auch jetzt keine Sorgen um die Baum­land­schaft der Schweiz machen: „Nur weil es etwas milder wird, sterben uns noch nicht gleich alle Bäume weg.“

Ganz negieren will er den Klima­wandel dann aber doch nicht: „Natür­lich verän­dert sich das Klima. Aber erstens tat es das schon immer und zwei­tens ist es ja klar, dass wir das, so viele Menschen wie wir jetzt sind, beein­flussen“, sagt Rind­lis­ba­cher. Und dann komme noch die katho­li­sche Kirche und mache die Über­po­pu­la­tion mit ihrer Anti-Verhü­tungs­po­litik noch schlimmer. „Ich finde, die Schweizer Hilfs­werke sollten Aufklä­rung unterrichten.“

Die Angst vor der Invasion

Die einen oder anderen Hosen­träger sieht man auch im Gundel­dinger Feld in Basel. Nur sind sie hier modi­scher und werden eher in Kombi­na­tion zu Chelsea Boots getragen. Auf dem ehema­ligen Fabrik­areal gibt’s heute alles, von der kleinen Brauerei bis zur Klet­ter­halle. Irgendwo dazwi­schen ist der Pro Natura-Haupt­sitz ange­sie­delt. Marcus Ulber arbeitet seit 2005 hier. Der Forst­in­ge­nieur betreut das Dossier Wald­po­litik und hat unter anderem für das Vereins­ma­gazin einen Artikel verfasst mit dem Titel „Der Klima­wandel wird zu Buche schlagen“.

Das Lamm: Herr Ulber, die Erde wird wärmer. Viele der Bäume, die heute in unseren Wäldern und Städten wachsen, werden das in fünfzig bis hundert Jahren nicht mehr tun. Richtig?

Marcus Ulber: Aller Voraus­sicht nach wird das der Fall sein.

Das Lamm: Aber Rettung naht. Wir können Gast­bäume impor­tieren, aus Regionen, in denen das Klima heute dem unsrigen in einigen Jahr­zehnten entspricht. Zum Beispiel aus dem Balkan. 

Marcus Ulber: Schlechte Idee. Man weiss nie genau, was man macht, wenn man fremde Arten in ein Gebiet bringt. Die können einen Pilz mitbringen und damit einen riesigen Einfluss auf das heimi­sche Ökosy­stem haben. Es gibt wirk­lich genü­gend Beispiele von Pflanzen, die invasiv geworden sind. Zum Beispiel die Budd­leja, die übri­gens immer noch vieler­orts verkauft wird. Was ich eine Frech­heit finde. Wobei der Balkan für mich ein Grenz­fall ist.

Das Lamm: Wieso sind Balkan-Bäume ein Grenzfall?

Marcus Ulber: Ein wirk­lich abso­lutes No-Go sollten meiner Meinung nach Pflan­zen­im­porte aus Gegenden der Welt sein, von denen uns eine natür­liche Verbrei­tungs­bar­riere trennt. Zum Beispiel ein Ozean oder auch ein grosses Gebirge. Zwischen dem Balkan und Mittel­eu­ropa gibt es das nicht so wirk­lich, das heisst, theo­re­tisch könnten sich diese Arten auch auf natür­li­chem Weg hierher bewegen.

Das Lamm: Also doch Balkan-Gastbäume!

Marcus Ulber: Nur weil ich sie kein abso­lutes No-Go finde, heisst es noch lange nicht, dass ich ein Fan dieser Importe bin. Ich finde sie vor allem unnötig.

Das Lamm: Wir brau­chen Bäume. Sie kühlen und reinigen die Städte, sind Naherho­lungs­raum und Rohstoff. Inwie­fern ist das unnötig?

Marcus Ulber: Wir haben schon Bäume.

Das Lamm: Die ja eben aussterben. 

Marcus Ulber: Bei weitem nicht alle. Es gibt schon lange Arten, denen es hier eigent­lich eher zu kühl ist, die entspre­chend ein Mauer­blüm­chen­da­sein fristen. Die werden dann viel­leicht einfach ‚gross in Mode‘ kommen.

Das Lamm: Welches sind Arten, die wir schon hier haben und die bald ‚in Mode‘ sein werden?

Marcus Ulber: Etwa die Wild­kir­sche oder der Walnuss­baum. Diese werden in unseren Wäldern einen Aufschwung erleben. Andere, zum Beispiel Buchen, werden es schwer haben.

Migra­tion ausser Kontrolle

95 Kilo­meter vom Gundel­dinger Feld entfernt kommt Rind­lis­ba­cher an seinem Küchen­tisch eben­falls zum Schluss: Nur wegen des über­po­pu­la­ti­ons­ver­ur­sachten Klima­wan­dels Bäume zu impor­tieren, das finde er einfach über­trieben. „Ich finde, die gehören nicht hierher. Der Land­schaft wegen und weil man nie weiss, wie sie sich ins Ökosy­stem einfügen werden.“ Zudem sei die Globa­li­sie­rung eh zu weit fort­ge­schritten. „Wir haben sie nicht mehr im Griff. Schon die Pflanzen, die hier sind, nicht. Die Gold­rute zum Beispiel, wie sich die entwickelt hat, ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir nicht noch neue Neophyten zu uns holen sollten. Man sollte jede Kiste zurück­schicken, die irgend­eine neue Pflanze drin hat.“

Das mit dem umge­henden Zurück­schicken will er ausserdem auch mit Wirt­schafts­flücht­lingen machen. Rind­lis­ba­cher ist Kassier und Frak­ti­ons­chef der SVP Spiez. Paral­lelen zwischen bäumi­schen und mensch­li­chen Migran­tInnen möge es geben. „Aber das ist sehr an den Haaren herbei­ge­zogen. Die nicht stand­ort­ge­rechten Bäume werden von uns Menschen impor­tiert, wohin­gegen die Wirt­schafts­flücht­linge von selber kommen.“ Übri­gens habe er durchaus Verständnis für diese Wirt­schafts­flücht­linge. „Ich würde es auch versu­chen, wenn ich keine Perspek­tive und nichts zu verlieren hätte. Aber eine 10-Millionen-Schweiz, das will ich nicht.“

Das Lamm: Herr Ulber, bis jetzt haben wir haupt­säch­lich über Wälder gespro­chen. Die von Ihnen erwähnten Wild­kir­schen und Walnuss­bäume tragen Früchte und sind entspre­chend unge­eignet als Stadt­bäume. Haben Sie auch eine Lösung für die Städte?

Marcus Ulber: Bevor wir Bäume durch die Welt tragen, können wir viel­leicht auch den Krite­ri­en­ka­talog für Stadt­bäume anpassen, oder?

Das Lamm: Was sagen Sie dem Stadt­gärtner, der sich an diese Vorgaben halten muss? Lieber keine Bäume als fremde Bäume?

Marcus Ulber: Ich habe Verständnis für den Stadt­gärtner, dem irgend­wann die Möglich­keiten ausgehen. Ich bin ein Wald­ex­perte, ich sehe durchaus, dass die Stadt­bäume noch­mals eine andere Heraus­for­de­rung sind. Und wenn mir der Stadt­gärtner versi­chern könnte, dass sein Gast­baum nicht durch Vermeh­rung in meinem Wald landet, dann soll er den haben. Nur ist es extrem schwierig, das zu garan­tieren. Und die Bemü­hungen, neue Arten zu holen, gibt es ja auch bereits bei gewissen Förstern.

Wie viel Risiko ist mit dem Klima­wandel zu rechtfertigen?

Dass die Fort­pflan­zung der sprin­gende Punkt ist, darin ist Rind­lis­ba­cher mit Ulber einig. Er selber hat einen Kirsch­lor­beer im Garten, eine Pflanze, die ursprüng­lich aus Asien stammt. „Aber der wird einmal im Jahr zurück­ge­schnitten. Damit er sich nicht vermehren kann.“ Denn: „Was sich nicht vermehrt, das soll hier meinet­wegen sein können. Was schon, das nicht.“ Unver­ständ­lich sei für ihn, wieso man zum Beispiel den Budd­leja noch vertreiben dürfe. „Inva­sive Neophyten zu verkaufen, sollte verboten werden“, sagt Rind­lis­ba­cher, und seine tiefe Stimme dröhnt.

Nach der Lehre hat er vier Jahre in der Stadt­gärt­nerei Bern gear­beitet, bevor er sich selb­ständig machte. Was der Stadt­gärtner von Bern mit den Gast­bäumen mache, finde er vor allem riskant, sagt Rind­lis­ba­cher. „Wie gesagt, ich finde, dieses Risiko ist mit dem Klima­wandel nicht zu rechtfertigen.“

Auch sonst ist er nicht über­zeugt von der Stra­tegie der Stadt­gärt­nerei Bern: „Jetzt sind sie ja dort ziem­lich auf dem Ökotrip.“ Bio finde er zwar nicht schlecht. „Aber ich bin über­zeugt, dass wir die Welt so nicht ernähren können.“ Spritz­mittel sollen seiner Meinung nach dann einge­setzt werden, wenn ein Mass an Schäd­lingen vorhanden sei. „Ich bin ein Chemiefan, aber nur, wenn es sie braucht. Die Dosis macht aus dem Gift Gift. Hat schon Para­celsus gesagt.“

Das Lamm: Herr Ulber, fremde Arten können das Ökosy­stem verän­dern. Aber wenn nichts passiert, werden gewisse Arten aussterben, dann geht die Biodi­ver­sität zurück – eine wich­tige Kenn­zahl zur Qualität eines Ökosy­stems. Sollte man die nicht künst­lich wieder aufstocken?

Marcus Ulber: Die Biodi­ver­sität ist eine von vielen Kenn­zahlen. Eine andere ist die Unver­sehrt­heit. Es wäre sehr im Sinne der Unver­sehrt­heit unserer Ökosy­steme, keine fremden Arten zu impor­tieren. Und im Übrigen können neue Arten auch selber einwan­dern, wenn es genug warm wird, die brau­chen keine Hilfe dabei.

Das Lamm: Kann es nicht sein, dass die Bäume Mühe haben, zu wandern, weil die Sied­lungs­ge­biete teils so gross sind?

Marcus Ulber: Dazu kenne ich keine Studien, aber es kann sein, dass es das erschwert.

Das Lamm: Ist es dann nicht nur fair, wenn wir den Bäumen über die Hinder­nisse helfen, die wir geschaffen haben?

Marcus Ulber: Gegen die Hilfe über mensch­ge­machte Hinder­nisse – zum Beispiel Sied­lungs­ge­biete – habe ich nichts einzu­wenden. Aber das würde heissen, man nimmt Setz­linge eines Baumes von der einen Seite eines sehr grossen Sied­lungs­ge­biets wie dem Gross­raum Wien, und trans­por­tiert sie auf die andere Seite. Was für mich nicht darunter fällt, ist, den Baum gleich vom Balkan in die Schweiz zu transportieren.

Das Lamm: Der Klima­wandel bereitet Ihnen also keine Sorge?

Marcus Ulber: Bezüg­lich Wald und Bäumen nicht, nein. Die Welt wird anders aussehen, unsere Vege­ta­tion wird anders aussehen. Wer am Bild unserer hohen Fichten hängt, der soll sich davon verab­schieden. Zumin­dest im Mittelland.

Das Lamm: Das dünkt mich arg fata­li­stisch. Sie sind kein Fan der Gast­bäume, aber was spricht denn konkret dagegen?

Marcus Ulber: Es ist ein mensch­li­cher Eingriff in die natür­liche Vege­ta­tion. Die Konse­quenzen solcher Eingriffe kann man nie abschätzen, weshalb sie, wenn immer möglich, unter­lassen werden sollten. Und hier ist es möglich. Zudem ist die Forschung, die in das Thema gesteckt wird, auch teuer. Das ist verschwen­detes Steu­er­geld. Aktio­nismus ist einfach fehl am Platz, wenn sich die Natur auch selber regu­lieren kann.

Das Lamm: In der Schweiz wird der Wald gröss­ten­teils bewirt­schaftet. Wird es die Holz­wirt­schaft in Zukunft schwerer haben?

Marcus Ulber: Das ist möglich.

Das Lamm: Beun­ru­higt Sie das?

Marcus Ulber: Nein. Es gibt kein Menschen­recht auf immer­wäh­rende Holz­nut­zung, vor allem, wenn der Mensch die künf­tige Holz­nut­zung in der Schweiz mit dem Klima­wandel selber gefährdet.

Neue Tech­no­lo­gien gegen den Klimawandel

Einen anderen Blick auf die Holz­nut­zung in der Schweiz hat Rind­lis­ba­cher: Anstatt sich unnö­ti­ger­weise um neue Arten zu kümmern, solle man lieber mal sicher­stellen, dass der Wald in der Schweiz ordent­lich genutzt werde. „Der Wald in der Schweiz wird massiv unter­nutzt“, sagt er und fährt sich über seinen beein­druckend buschigen und ebenso beein­druckend wohl­ge­trimmten Schnauz. Dem Wald ginge es besser, wenn er mehr genutzt würde, ist er über­zeugt. „So über­al­tert er nur. Menschen geht es auch schlecht, wenn sie überaltern.“

Natür­lich sei es auch möglich, dass der Stadt­gärtner von Bern recht behalte, sagt Rind­lis­ba­cher. Aber die Folgen, die der Klima­wandel dann doch haben werde, die könne man mit neuen Tech­no­lo­gien auffangen. „Ich würde zum Beispiel alle land­wirt­schaft­li­chen Inten­siv­kul­turen in Gewächs­häuser stecken, dort kann man das Klima kontrol­lieren.“ Die Energie, die es dafür braucht, könne man ja aus nach­hal­tigen Quellen gewinnen. Zum Beispiel einer Holzschnitzelheizung.


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