Wanda oder Gerech­tig­keit für die Care-Arbeit

„Wanda, mein Wunder“, der neue Film von Bettina Oberli, ist eine todernste Komödie über die Ausbeu­tung in der Pflege. Leider zu höflich und zu zahm. 
Als polnische Care-Arbeiterin in der Schweiz: Agnieszka Grochowska im Film Wanda, mein Wunder. (Foto: www.filmcoopi.ch)

Wanda, mein Wunder erzählt von einer Frau, die in die Schweiz zieht und dort als 24-Stunden-Betag­ten­be­treuerin arbeitet. Sie ist unter­be­zahlt und wohnt in einem Keller. Ganz unten ange­kommen, nimmt ihr die Arbeitgeber:innenfamilie auch noch ihren Reise­pass weg.

Soweit gibt es wenige Gründe zum Lachen. Neben der übli­chen Betreuung eines Pati­enten, der in seinen vier Wänden gefangen lebt, hat Wanda, die Prot­ago­ni­stin, Sex mit ihm. Sex gegen Geld.

Als ob dies nicht genug wäre, wird sie von ihm schwanger. Auch das ist keine beson­ders glück­liche Wendung in ihrem Leben. Für Josef, den Pati­enten, ist es aller­dings ein Wunder: Schliess­lich war er über­zeugt davon, dass er keine weiteren Kinder mehr zeugen könne. Auf Wandas wunder­liche Schwan­ger­schaft folgt eine Serie von Feind­se­lig­keiten von Josefs kulti­vierter Schweizer Familie.

Diese Geschichte stellt einen schwie­rigen Ausgangs­punkt für einen Film dar, der für ein breites Publikum gedacht ist und witzig sein soll. Leider erzählt er von einer bitter­ern­sten Realität. Die Realität vieler auslän­di­scher Arbeitskräfte.

Laut dem Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft SECO, arbeiten etwa 30 000 Frauen in der Schweiz im Pfle­ge­be­reich. Die Zahl könnte aber auch höher sein: Neben den legal ange­stellten gibt es auch jene, deren Arbeitgeber:innen an Sozi­al­ab­gaben sparen und ihnen einen ordent­li­chen Arbeits­ver­trag verwei­gern. Für die staat­li­chen Behörden unsichtbar bleiben auch die Sans-Papiers, die in diesem Bereich tätig sind.

Ein Job von grosser Bedeutung

Betagte Personen zu betreuen ist keines­wegs illegal. Im Gegen­teil, es ist ein Job von grosser sozialer Bedeu­tung. Der Markt dieser Dienst­lei­stungen ist im Umbruch, nicht nur, weil die Gesell­schaft altert. Die statio­näre Senior:innenpflege ist teuer, die öffent­liche Betei­li­gung an ihren Kosten gering. Die Fami­li­en­an­ge­hö­rigen sind nicht immer bereit, ihre Auto­nomie zu opfern, um sich um die ältere Gene­ra­tion zu kümmern: eine Arbeit, die körper­lich und psychisch anstren­gend ist.

In einer solchen Situa­tion kann es logisch erscheinen, auf Ausla­ge­rung zu setzen: Outsour­cing von Liebe. Und wenn man kosten­gün­stige Liebe bzw. Senior:innenpflege sucht, schaut man gerne nach Osten und holt sich Arbeits­kräfte aus Polen oder Ungarn, den beiden grössten Anbieter:innen derar­tiger Dienst­lei­stungen für die Schweiz.

Genau das tut die wohl­ha­bende Familie Wegmei­ster-Gloor im Film von Bettina Oberli. Statt Josef, das Fami­li­en­ober­haupt, nach seinem Schlag­an­fall ins Pfle­ge­heim einzu­weisen, stellt die Familie für ihn eine polni­sche Betreuerin ein. Wanda wird als live-in arbeiten, wie es im Jargon heisst: Sie soll bei den Wegmei­ster-Gloors wohnen und Josef zu Hause – in seiner geräu­migen Villa am sonnigen Seeufer – betreuen.

Bald wird Wanda seine engste Bezugs­person. Ohne sie kann Josef weder duschen noch auf die Toilette gehen. Sie hilft ihm beim Essen, geht mit ihm spazieren, pflegt seinen versehrten Körper. Selbst nachts liegt das Babyfon in ihrer Reich­weite und Wanda ist bereit, jeder­zeit aus ihrem Bett zu springen.

Die Care-Arbeit bringt Wanda Geld, das für sie als allein­ste­hende Mutter von zwei Kindern über­le­bens­wichtig ist. Das bedeutet für sie aber auch, auf die Kate­gorie „Mensch zweiter Klasse“ redu­ziert zu werden. Von Josefs Tochter Sofie wird sie nur in verächt­li­chem Ton als „die Polin“ bezeichnet. Nur macht „die Polin“ genau das, was Sofie selbst nicht schafft: Sie pflegt ihren Vater und gibt ihm emotio­nale Nähe.

Elsa, die schicke Frau von Josef, schenkt Wanda ihr altes Kleid – bevor sie sie in die Küche schickt: ein barm­her­ziges Geschenk. Weniger herz­lich wirkt sie, als sie Wanda befiehlt, die Küche nicht zu verlassen, solange die Party­gäste im Haus sind.

Für Gäste zu kochen – dafür wurde Wanda eigent­lich nicht ange­stellt. Elsa dachte aber, dass „die Polin“ – so nebenbei – auch den Haus­halt schmeissen könnte. Dies für magere 160 Franken pro Monat. Eine Familie mit so viel Glanz und Glamour könnte gross­zü­giger sein.

24 Stunden Arbeit sind keine Ausnahme

Wanda ist kein Einzel­fall. Wie die meisten Care-Arbeiter:innen pendelt Wanda zwischen ihrer Heimat und dem Haus ihres Pati­enten: ein paar Monate in der Schweiz, einer in Polen. Ein 24-Stunden-Arbeitstag erschöpft auch die Stärk­sten. Sie erfor­dert Herz, aber auch einen starken Körper und Geist, sagt Bożena Domańska, die das VPOD-Netz­werk Respekt für Care-Arbeiter:innen in Basel leitet und Oberlis Film­crew beraten hat.

Ihr Zuhause als Rück­zugsort braucht frau aber auch, weil sie dort ihre eigene Familie hat, der sie ihre Aufmerk­sam­keit schenken möchte. Ähnlich wie für viele Frauen liegt auch für Wanda Care-Arbeit unter ihrem Bildungs­ni­veau. Viele Betreuer:innen waren einmal als Lehrer:innen, Büro­an­ge­stellte oder ander­weitig tätig. Der Schritt hin zur Care-Arbeit erfolgte aus ökono­mi­schen Gründen.

Wandas vorhe­riger Beruf bleibt uns unbe­kannt. Der Film lässt aber in ihr polni­sches Leben blicken. Als sie mit ihren Kindern skypt sieht man ein mit Büchern über­fülltes Wohn­zimmer in einem Wohn­block. Unter den Care-Arbeiter:innen gibt es sicher­lich auch solche, die einen Hoch­schul­ab­schluss haben.

Wanda ist jünger als andere Care-Arbeiter:innen, die meistens gut über vierzig sind. Das war für das Dreh­buch notwendig, denn sie musste im Film schwanger werden. Sexu­elle Belä­sti­gung kommt in der Care-Arbeit durchaus vor, wenn auch nicht oft, wie die Frauen berichten.

Auch bei einem bett­lä­ge­rigen Pati­enten kann das Bewusst­sein, eine „bezahlte“ Frau zu haben, dazu führen, dass er sie mit Bitten um sexu­elle Gefäl­lig­keiten belä­stigt. Die übliche Pflege impli­ziert ohnehin eine gewisse Inti­mität. Warum nicht einen Schritt weiter­gehen? Ist doch all-inclu­sive, kann der Patient behaupten. Ist es eben nicht. Zum Glück ist Josef in Oberlis Film bereit, für Sex zu bezahlen und zwar mit einem 1000-Franken-Schein.

Ein schmaler Grat

Die Regis­seurin bewegt sich auf einem schmalen Grat des Klischees. Die Vorstel­lung, dass eine Osteu­ro­päerin, wenn sie in Geldnot ist, käuf­lich wird, ist leider weit verbreitet. Aline Wüst schreibt in Piff-Paff-Puff, einem sorg­fältig recher­chierten Buch über das Milieu, dass die meisten Sexarbeiter:innen aus dem Osten kommen, was auch wirt­schaft­lich begründet ist. Es wäre jedoch ein Irrtum, zu glauben, dass der Schritt in die Sexar­beit quasi auto­ma­tisch geschieht oder gar natür­lich ist.

Es ist auch deshalb ein schmaler Grat, weil dieses Stereotyp vom Schweizer Staat in seine behörd­li­chen Abläufe einge­baut zu sein scheint. Eine Frau, die einen Antrag auf Staats­bür­ger­schaft stellt, bekommt eine Reihe von Fragen aus einem offi­zi­ellen Frage­bogen gestellt. Ob sie im Milieu arbei­teten, wurden mehrere Frauen in meinem Freun­des­kreis gefragt.

Sexar­beit mag eine Tätig­keit wie jede andere sein. Trotzdem wünschte ich mir, gefragt zu werden, ob ich als Lokfüh­rerin, Flori­stin, Köchin oder Inge­nieurin tätig bin. Der Weg zum Abbau von Geschlechter- oder ethni­schen Vorur­teilen besteht darin, Geschichten zu erzählen, die ihnen entge­gen­wirken. Wanda hat es nicht wirk­lich geschafft.

Oberlis Film zeigt eine Form der ökono­mi­schen Ausbeu­tung, wenn nicht eine Art Skla­verei. Ihr Fokus liegt auf der Familie, das Problem ist aber poli­ti­scher Natur: Ein reiches Land schliesst seine Versor­gungs­lücken durch Aneig­nung von Personal aus Ländern mit hoher Arbeits­lo­sig­keit und nied­rigen Löhnen, die manchmal nicht zum Über­leben reichen.

Der libe­rale Staat will seine eigenen Kosten der Senior:innenpflege gering halten, verla­gert sie dann aber auf andere Länder, die – ohnehin – wirt­schaft­lich unter­pri­vi­le­giert sind.

In dieser Situa­tion sollte man zumin­dest gesetz­liche Regeln für faire Arbeits­be­din­gungen schaffen und schauen, dass die Frauen entspre­chend ihrer Leistung entlohnt werden. Das ist selten der Fall. Eine Betreuerin wie Wanda mag Tag und Nacht auf Abruf sein, bezahlt wird sie effektiv nur für sechs, sieben, höch­stens acht Stunden.

Der Bund weigert sich, die Situa­tion zu regu­lieren und schiebt die Verant­wor­tung auf die Kantone. Aber jede Ände­rung, die den Care-Arbeiter:innen eine faire Bezah­lung garan­tieren würde, verur­sacht Kosten für die Gesell­schaft. Gerech­tig­keit scheint leider teuer zu sein.

Wanda ist ein lobens­werter Film, er irri­tiert aber auch. Löblich ist die gelun­gene Darstel­lung einer Familie, in der die Lüge die Textur der sozialen Kontakte ist. Dass Josef mit seiner Pfle­gerin „fremd­geht“, ist hier das kleinste Vergehen. Es ist kein Wunder, dass die Familie der polni­schen Betreuerin gegen­über wenig Respekt zeigt. Auch fürein­ander haben sie wenig davon übrig.

Irri­tie­rend wenig Irritation

Die profes­sio­nelle Unter­stüt­zung von Bożena Domańska tat dem Film gut. Oberlis Film irri­tiert aber trotzdem, und gerade deshalb, weil er so wenig irri­tiert. Das Thema eignet sich für ein Sozi­al­drama im Stil von Ken Loach, der Ikone des Genres, für einen Film, der wütend macht und das Publikum dazu bringt, die Welt verän­dern zu wollen.

Aber Oberlis Film möchte lieber eine Tragi­ko­mödie bleiben. Er stellt die Macht­struk­turen nicht infrage. Er ist höflich und zahm. Viel­leicht ist das die rich­tige Sprache, um solche Botschaften in der Schweizer Gesell­schaft zu kommunizieren.

Bei vielen Betreuer:innen, die Wanda sehen werden, wird der Film die Hoff­nung wecken, das Thema Ausbeu­tung in der Care-Arbeit stärker in die Öffent­lich­keit zu rücken. Im Stillen werden sie hoffen, dass die Zuschauer:innen, die diese Art von Dienst­lei­stung für ihre Senior:innen in Anspruch nehmen, ihre Haltung „ihren“ Wandas gegen­über überdenken.

Und auch, dass die Kantone, die bis jetzt keine gesetz­li­chen Rege­lungen einge­führt haben, diesen Schritt wagen. Wird der Film diese Wirkung haben? Gehen Leute, die einen Menschen in ihrem Keller hausen lassen, ins Kino, um solche Filme zu sehen? Und wird er sie zum Nach­denken anregen?

Dieser Artikel wurde erst­mals publi­ziert bei Saiten.

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