E‑Trottinetts: Die einen geniessen es, damit durch die Stadt zu düsen, andere verzweifeln daran, dass sie überall im Weg rumstehen. Ich selber befinde mich seit Kurzem irgendwo dazwischen. Natürlich nerven mich die Trottis, die stumpfsinnig irgendwo mitten auf dem Gehweg stehen.
Aber vor ein paar Monaten habe ich mir von Freund*innen ein E‑Trotti ausgeliehen und ich muss sagen: Es fägt! Damit durch die Strassen zu düsen machte mir so viel Spass, dass mein Velo langsam Rost ansetzte. Bis zu dem Tag, als das Trotti plötzlich nicht mehr düsen wollte. Das war der Anfang von diesem Montagsmail.
Hast du dich auch schon gefragt, woher das Lamm eigentlich seinen Namen hat? Ursprünglich standen die vier Buchstaben nicht für das Babyschaf, sondern für die „Liga der aussergewöhnlichen Montagsmailer“ – kurz LAMM. Denn damit hat vor 15 Jahren alles begonnen: Wir haben Mails verschickt. An den Coiffeur Valentino, um ihn zu fragen, weshalb er das Licht in seinem Salon die ganze Nacht über anlässt. An die Stadt Zürich, um nachzufragen, weshalb es in unserer Stadt eigentlich keine Kompostsammlung gibt (haben wir mittlerweile). Oder an den H&M, um herauszufinden, wieso die erste Nachhaltigkeitskollektion des schwedischen Kleiderriesens nur zu 50 Prozent aus Biobaumwolle bestand.
Immer montags haben wir diese Mails publiziert. Einige dieser alten Montagsmails findest du noch immer auf unserer Website. Viel Spass beim Lesen!
Aber alles der Reihe nach. Es fing schleichend an. Zuerst ging die Anzeige nicht mehr, dann startete das Trotti nur noch sporadisch – manchmal sprang es an, manchmal nicht. Und dann streikte es ganz. Alles, was ich von meinem Trotti noch bekam, war eine Fehlermeldung. Anstatt Akku-Stand und Tempo zeigte mir das Display nur noch „E8“ an.
Also wendete ich mich an die Firma Gonser, wo meine Freund*innen das Gerät vor nicht ganz vier Jahren gekauft hatten. Die Website stimmte mich zuversichtlich. „Als Schweizer Unternehmen sind wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und möchten unseren Teil zu einer besseren gemeinsamen Zukunft beitragen“ ist dort zu lesen.
Guten Tag
Mein Gerät von Ihnen hat einen Defekt. Es geht um folgenden Artikel: https://www.gonser.ch/e‑scooter-pro-25-km-h-weiss/a‑12525/
Zuerst war es nur so, dass die Anzeige nicht mehr durchgehend funktionierte – man konnte das Trotti aber noch genau gleich verwenden. Sprich: Gas geben und Bremsen ging. Doch seit gestern geht gar nichts mehr. In den wenigen Momenten, wo die Anzeige doch noch funktioniert, kommt eine Fehlermeldung auf der Anzeige. Wie und wo kann ich mein Gerät reparieren lassen?
Vielen Dank für eine zeitnahe Antwort und freundliche Grüsse
Alex Tiefenbacher
Leider findet meine Zuversicht mit der Antwort von Gonser ein jähes Ende:
Guten Tag Frau Tiefenbacher
Besten Dank für Ihre Nachricht.
Leider haben wir keine Partnerwerkstatt, welche auf E‑Scooter spezialisiert ist. Vielen Dank für
Ihr Verständnis.
Eventuell können Sie Ihr E‑Scooter in einem Fachgeschäft reparieren lassen.
Bei weiteren Fragen sind wir gerne für Sie da.
Reparieren statt Wegwerfen
Aber aufgeben ist nicht. Zu sehr vermisse ich den Wind in meinem Gesicht, wenn ich auf meinem Trotti durch die Strassen düse. Zudem gilt es, Elektroschrott zu vermeiden. Einerseits verbraucht die Herstellung von neuen Geräten Energie und verursacht CO2. Anderseits wird anderswo auf der Welt gegen Berge von Elektroschrott gekämpft.
Das bekannteste Beispiel ist die Deponie Agbogbloshie in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Auf einer Fläche so gross wie 35 Fussballfelder stapelte sich dort laut einer SRF-Dokumentation von 2019 der giftige Elektroschrott aus aller Welt. Die Bilder muten dystopisch an. Schwarze Rauchwolken und Müll so weit das Auge reicht. Dazwischen Menschen, die versuchen ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, indem sie Kupfer oder Gold aus den kaputten Elektrogeräten herausschmelzen. Ohne Schutzmaske, ohne Filter. Die Einheimischen nennen den Ort „Sodom und Gomorra“ oder „Toxic City“.
Die Schweiz hat damals Expert*innen nach Ghana geschickt, um die Regierung beim Aufbau von professionellen Recycling-Zentren zu unterstützen – zusammen mit anderen europäischen Staaten.
Hat sich seither etwas verändert in Accra?
„Die Industrieländer exportieren nach wie vor sehr viel Elektroschrott nach Ghana“, schreibt mir der Umweltjournalist Mike Anana, der selbst aus Accra stammt. Die alte Deponie sei 2021 zwar von der ghanaischen Regierung geräumt worden. Wirklich verbessert habe dies aber nichts, so Anana: „In der Nähe der ehemaligen Elektroschrottdeponie Agbogbloshie gibt es nun eine Reihe von Standorten, an denen weiterhin Elektroschrott demontiert und verbrannt wird, mit enormen Folgen für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit.“
Damit weniger E‑Schrott in Accra landet, müssen wir bei uns anfangen. In der EU gibt es seit diesem Jahr ein Recht auf Reparatur. Damit sollen Abfälle reduziert und die Reparaturbranche gestärkt werden. In der Schweiz veröffentlichte der Bund Mitte Jahr einen Bericht über die sogenannte geplante Obsoleszenz. Davon spricht man, wenn die Hersteller*innen die Lebensdauer von Produkten absichtlich verkürzen. Wieso sie das tun? Damit sie mehr verkaufen können. Dagegen will nun auch die Schweiz stärker vorgehen. Zum Beispiel indem die Produzent*innen deklarieren müssen, ob sich ihr Elektrogerät reparieren lässt.
„Die Konsumentinnen und Konsumenten können vielfach die Reparierbarkeit oder Lebensdauer von Produkten unzureichend einschätzen und damit in ihren Kaufentscheidungen zu wenig berücksichtigen“, schreibt das Bundesamt für Umwelt in einer Medienmitteilung zum Bericht. Meine Freund*innen sind also nicht die Einzigen, die sich ein Schrott-Trotti andrehen lassen haben.
Blöd nur, ist das Ding schon gekauft. Dann muss ich jetzt wohl auch die Verantwortung für das kaputte Teil übernehmen.
Also aufstehen, Krone richten und weitermachen!
Fehlende Ersatzteile und hohe Kosten
Im ersten Fachgeschäft winkt man mir ab. Wir reparieren keine Trottis. Auch im zweiten werde ich weiter geschickt. Schliesslich werde ich fündig: KissMyWheels! Ein Geschäft, das sich ganz und gar den E‑Trottis verschrieben hat. Und sie bieten auch Reparaturen an, Volltreffer!
Als ich den Laden betrete und dem Reparatur-Profi mein kaputtes Trotti unter die Nase halte, zieht dieser den linken Mundwinkel missbilligend in die Höhe, schaut mich etwas schief an und fragt: „Ist das von Gonser?“ Ahnend, dass das nichts Gutes heissen kann, gebe ich ein fragendes und lang gezogenes „Jaaaaha…“ von mir. „Das sind Wegwerf-Trottis“, krieg ich darauf zu hören. Und: „Wir haben Gonser schon mehrmals versucht zu erreichen… da reagiert niemand.“ Deshalb bekommt KissMyWheels keine Ersatzteile von Gonser und kann die Dinger nicht reparieren.
Ein bisschen beschämt darüber, dass ich so einen Bockmist fahre, trotte ich neben meinem Trotti nach Hause. Es kann doch nicht sein, dass ich dieses Gerät jetzt einfach entsorgen muss. Wegwerf-Trottis – echt jetzt?
Ich wende mich nochmals an Gonser und setze im PS meine Geheimwaffe ein.
Vielen Dank für die rasche Antwort. Ich hab das Trotti in der Zwischenzeit in mehreren Fachgeschäften und Werkstätten vorbeigebracht, die E‑Trottis reparieren. Leider hat man mir überall gesagt, dass man es nicht flicken könne. Das Problem sei, dass Gonser keinerlei Ersatzteile zur Verfügung stelle.
Deshalb meine Frage: Wieso stellen Sie keine Ersatzteile zur Verfügung, um defekte E‑Trottis reparieren zu können?
PS: Ich bin Journalistin beim Onlinemagazin das Lamm. Die Geschichte dünkt mich spannend und ich werde darüber schreiben. Eventuell möchten Sie deshalb die Korrespondenz an Ihre Medienstelle weiterreichen.
Und tatsächlich, plötzlich klingt es etwas anders aus dem Hause Gonser.
Guten Tag Frau Tiefenbacher
Besten Dank für Ihre Nachricht.
Gerne möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass wir Ersatzteile für unsere E‑Scooter erhältlich haben. Wir bitten Sie, uns mitzuteilen, welche Teile Sie benötigen. Gerne werden wir anschliessend prüfen, ob diese verfügbar sind.
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
Cool! Super! Denk ich mir. Aber woher zum Teufel soll ich wissen, welche Ersatzteile ich brauche? Ich bin doch keine E‑Trotti-Reparateurin.
Darum schreibe ich noch eine Mail – diese an KissMyWheels. Ich frage, ob sie mir die Ersatzteile einbauen würden, wenn ich es schaffe, diese von Gonser zu kriegen. „Können wir versuchen“, schreibt KissMyWheels zurück und erklärt gleichzeitig entschuldigend die eigene Position: „Es lohnt sich nicht für uns, Ersatzteile von billigen E‑Scootern zu bestellen bzw. zu lagern. Reparaturen sind kompliziert, da diese Produkte oft geklebt sind, die Elektronik ist nicht robust und wird beim Öffnen beschädigt… Nimmt uns mehr Zeit als bei qualitativen Produkten, und danach beschweren sich Kunden, dass die Reparatur teuer ist. Natürlich, wenn der Scooter neu CHF 250 kostet!“ Hm… macht Sinn. 279 Schweizer Franken hat mein Gonser-Trotti gekostet.
Ob Kinderwagen, Ladekabel oder Hundeschwimmweste – Gonser hat alles. Neben No-Name-Ware bietet die Firma auch Eigenproduktionen an. Beispielweise ziert das Gonser-Label mein E‑Trotti. Auf der Webseite des Internethändlers, unter „Über uns“, weht eine grosse Schweizer Flagge vor einer alpinen Berglandschaft. Was einem*einer das Bild unmissverständlich entgegenschreit, wird im Text konkretisiert: „Aus der Schweiz für die Schweiz – und das seit über 10 Jahren“. Dieser Slogan scheint jedoch lediglich für die Briefmarken zu gelten, die das Unternehmen für den Versand der Ware verwendet. Mein E‑Trotti und all seine Geschwister werden nämlich in China produziert, wie Gonser uns mitteilt.
Aber eben: Wenn ich die benötigten Teile selbst besorge, könne man es versuchen. Was genau die Fehlermeldung E8 bedeutet und welche Ersatzteile benötigt werden, müsse mir jedoch der Internethändler beantworten. Klingt logisch. Darum geht die nächste Mail wieder an Gonser.
Cool, das freut mich. Da ich nichts von der Funktionsweise eines E‑Trottis verstehe, kann ich Ihnen leider nicht direkt sagen, welche Ersatzteile ich brauche. Es handelt sich um das Model E‑Scooter PRO 25 km/h weiss. Bevor es definitiv den Geist aufgegeben hat, kam auf dem Display noch die Fehlermeldung Error 8.
Was bedeutet diese Error-Meldung und welche Ersatzteile brauche ich, um das Trotti reparieren zu lassen?
Ich klicke auf senden und denk mir. Juhui! Fast geschafft. Zum Glück habe ich nicht klein beigegeben. Dieser E‑Schrott lässt sich verhindern! Doch Gonsers Antwort lässt lange auf sich warten. Nach rund einem Monat erhalte ich eine Mail.
Gemäss der Fehlermeldung gibt es ein Problem mit dem Controller bei Ihrem E‑Scooter. Leider können wir den benötigten Controller nicht nachbestellen. Wir bedauern, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können.
Wir empfehlen Ihnen, Ihren E‑Scooter in einem Fachgeschäft zu prüfen.
Mein aktueller Zuversichtlichkeitsstatus: wieder dahin. Falls da draussen jemand eine gute Idee hat, gerne her damit.
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