Madame Sifa kommt zu Fuss von ihrem weit entfernten Feld zurück. „Jetzt siehst du, wie ich humple“, sagt die Frau, als sie sich auf dem staubigen Vorplatz ihrer Hütte auf einen Holzhocker plumpsen lässt, um die geernteten Maniokblätter zu rüsten.
Madame Sifa rechnet vor, wie viel sie früher mit ihrem Laden verdienen konnte, als viele Kund:innen ihr die Bohnen, Erdnüsse, Zucker oder das Benzin abkauften. „Meine Kinder gingen zur Schule, assen und kleideten sich gut und ich hatte keine Schwierigkeiten, sie zu versorgen, wenn sie krank waren“, sagt sie. Heute klagt Madame Sifa darüber, wie schwierig es ist, ihre Familie zu versorgen: „Stell dir vor, eine Handvoll Maniokblätter kostet 200 Francs. Du musst zehn Handvoll verkaufen, um 2000 Francs (knapp 1 Dollar) zu bekommen.“
Die Bevölkerung des Handelszentrums Ndjingala war einmal stark vom handwerklichen Bergbau in Bisie abhängig. Die mehrstöckigen Gebäude aus Holz mit Blechdächern erinnern an jene Zeit. Manche stehen heute leer, andere sind eingestürzt. Denn seit Alphamin in Bisie auf industriellem Niveau Zinn abbaut, haben viele Händler:innen Ndjingala verlassen, viele Bars und Restaurants ihre Türen geschlossen.
Einen Monat nach dem Treffen mit Madame Sifa prophezeit eine von Alphamins Beratungsfirmen: „Im Jahr 2021 kommt Alphamin als Geldmaschine so richtig in Fahrt.“ Die Firma berechnet fürs kommende Geschäftsjahr – bereits drei Jahre nach Inbetriebnahme der Mine – Erträge von 72 Millionen Dollar für Alphamins Aktionär:innen. Denn mit knapp 40’000 Dollar pro Tonne ist der Zinnpreis an der Londoner Metallbörse so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Man denke nur an den Einsatz von Zinn in Batterien von Elektrofahrzeugen, Touchscreens oder Mikrochips.
Was wird Madame Sifa von diesem steigenden Zinnpreis zu spüren bekommen?
„Plündern Sie nicht!“
„Wenn Sie in den Kongo gehen, werden Sie eine Menge Geld verdienen“, sagt die Direktorin eines südafrikanischen Minenfonds an der digitalen, noch immer einsehbaren DRC Mining Week im Jahr 2020. „Aber Sie müssen endlich dafür sorgen, dass Sie den Kongo in einem besseren Zustand verlassen, als Sie ihn vorgefunden haben“, ermahnt sie die Investoren und Vertreter von Minenfirmen ihres Panels, zu denen auch der damalige CEO von Alphamin gehört. Nachdem ihr Appell an die weisse Männerrunde, mehr Verantwortung gegenüber dem Gastland zu tragen, mehrfach unterbrochen wird, sagte sie nur noch: „Plündern Sie nicht!“
Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung des handwerklichen Sektors hat der Kongo seinen Bergbau im letzten Jahrzehnt (re-)industrialisiert, indem er Konzessionen an ausländische Investor:innen und Konzerne übertrug. Damit die kongolesische Bevölkerung nichtsdestotrotz vom Bergbau profitiert, hat das Land 2018 ein neues Bergbaugesetz eingeführt. Minenfirmen müssen in lokale Arbeitsplätze investieren, Unteraufträge lokal besetzen, soziale Investitionen an die lokalen Gemeinden leisten oder eben „nicht plündern“.
Dies wurde von den Rohstofffirmen nicht einfach so hingenommen. Der private Bergbausektor organisierte sich mit der Mining Promotion Initiative – einer Lobby, zu deren Gründungsmitgliedern unter anderem etwa Glencore gehört. Generalsekretär dieser Initiative war aber kein anderer als Richard Robinson, der bis 2020 als Geschäftsführer von Alphamins Zinnmine in Bisie fungierte.
Zwar konnte die Lobby die Abschaffung einer Klausel, die sie vor zukünftigen Gesetzesänderungen und damit vor Steuererhöhungen hätte schützen sollen, nicht verhindern. Aber trotz Reform gehört die kongolesische Steuerregelung im Minensektor noch immer zu den liberalsten der Welt.
Zinn wird im Vergleich zu vielen anderen Mineralien zu einem grossen Teil in handwerklichen Minen abgebaut. Denn viele Kassiteritvorkommen verfügen über geringen Zinngehalt, sind über weite Gebiete verstreut und lassen sich daher schlecht mit mechanischen Methoden abbauen. Was bedeutet: Sie sind auch mit den derzeitigen Zinnpreisen nicht rentabel für Grossinvestitionen.
Der kongolesische Staat hat daher die lukrativen Zinnlagerstätten an ausländische Konzerne übergeben und die handwerklichen Zonen auf Gebiete mit ärmeren Erzvorkommen beschränkt. Dabei spielte auch die diskursive Abwertung des handwerklichen Abbaus von „Konfliktmineralien“ eine Rolle: Die Informalität und partielle Kriminalität des Sektors wurden mehr und mehr ein Problem für Unternehmen in dieser Branche. Heute sind die Zinnreserven des Kongo – die zweitgrössten weltweit – in den Händen von zwei grossen Minenprojekten. Eines davon ist Alphamins Zinnmine in Bisie – Afrikas grösster Produzent von „verantwortungsvollem“ Zinn.
Trotz ihrer Lobbyarbeit gegen das neue Bergbaugesetz zu ihrem eigenen Vorteil brüstet sich Alphamin damit, dass sie unternehmerische Möglichkeiten, verbesserte Infrastruktur und Arbeitsplätze in die Region bringe – in ein Gebiet, das laut dem Unternehmen früher kaum wirtschaftliche Aktivität aufwies.
Wirtschaftliche Enklaven
Ehemalige Bergleute und Händler:innen wie Madame Sifa schwärmen noch immer von der Blütezeit Bisies. „Das Geld zirkulierte“, heisst es immer wieder in den umliegenden Dörfern. Um die 15’000 Menschen hatten sich während der Blütezeit in Bisie niedergelassen. Doch sie mussten das Gebiet verlassen, als Alphamin die Mine übernahm, wie das Lamm berichtete. Heute empören sie sich darüber, wohin das Geld fliesst, das ihnen früher direkt ein Einkommen bot.
Ben Radley, der an der University of Bath zum Übergang vom handwerklichen zum industriellen Bergbau forscht, hat für die ostkongolesischen Kivu-Regionen beobachtet: „Natürlich ging ein Teil des Gewinns an bewaffnete Gruppen. Aber der überwiegende Teil ging an Kongoles:innen. Das ist mit der Industrialisierung nicht mehr der Fall, denn das Geld wird ausser Landes gebracht.“
Während der Kongo-Kriege blühte der handwerkliche Bergbau im Ostkongo auf – oftmals einhergehend mit Allianzen zwischen Kooperativen, Händler:innen und bewaffneten Gruppen. Bisie galt als eines der Beispiele für sogenannte „Konfliktmineralien“ schlechthin.
In Ndjingala und anderen Ortschaften um Bisie gab es in dieser Zeit zahlreiche négociants – Zwischenhändler:innen, die das Zinnerz den Bergleuten abkauften und es an Handelshäuser weiterverkauften. Heute jedoch, seit Alphamin Zinn auf industriellem Niveau abbaut, ist auch diese Einkommensquelle versiegt. Denn einer der weltweit grössten Rohstoffhändler, Gerald Metals, kauft das Zinnkonzentrat direkt ab Alphamins Mine und liefert es nach Malaysia. Die Profite werden über ihr Handelsbüro am Genfersee in der Schweiz verbucht und landen nicht mehr in den Händen der kongolesischen négociants.
Der Wissenschaftler Radley problematisiert aber nicht nur, dass durch grosse Minenprojekte wirtschaftliche Enklaven gebildet werden. „Es ist eine gewisse soziale und kulturelle Demütigung, die mit diesem Prozess verbunden ist“, sagt er. „Die Menschen sehen, dass die Mineralien nun von einer vorwiegend ausländischen Führungsschicht kontrolliert werden.“
Und wenn Bergleute in der industriellen Mine beschäftigt werden, so Radley, dann auf den untersten Rängen der Arbeitshierarchie. Seine Forschung zum Goldsektor in Süd-Kivu zeigen, dass die meisten dieser Menschen ähnlich bezahlt werden wie die handwerklichen Bergleute. Aber natürlich sind weit weniger von ihnen beschäftigt. In Alphamins Zinnmine waren 2019 gerade einmal 119 Menschen angestellt.
Infrastruktur und soziale Investitionen
Zwischen kleinen Restaurants und Sportwettbüros in der Ortschaft Walikale Centre ist der Ableger eines Verbands für Klein- und Mittelbetriebe zu finden. Der Name FENAPEC steht in Blau und Rot auf einer Spanplatte unter dem Wellblechdach. Anselme Kachara, der Vorsteher des Verbands, hat bis jetzt keine positiven Veränderungen durch die Industrialisierung des Bergbaus erkannt. Im Gegenteil: Seither hätten sich Preise von Gütern wie Salz oder Bier verdreifacht, berichtet er.
Der Grund: „Die Strassen in unser abgelegenes Gebiet sind in schrecklichem Zustand. Waren werden bis zu vier Wochen auf Motorrädern oder per Lastwagen transportiert“, sagt Kachara. Während des handwerklichen Bergbaus hingegen landeten bis zu sieben Flugzeuge pro Tag auf einem Abschnitt asphaltierter Strasse, um das Zinnerz zu transportieren. Beim Anflug beförderten sie Tonnen von Waren in die Region.
Bei der Ankunft von Alphamin glaubten viele Menschen an die Instandsetzung der 250 Kilometer langen Strasse in die Provinzhauptstadt Goma. Und tatsächlich hat Alphamin in Form von Steuervorauszahlungen dazu beigetragen. Was als gemeinnützige Investition hervorgehoben wird, ist jedoch nicht nur eine Steuerpflicht, sondern dient in erster Linie der Gewinnmaximierung des Unternehmens. In Alphamins strategischem Bericht steht: „Das Unternehmen würde es vorziehen, keine derartigen gemeinnützigen Projekte zu übernehmen. Aber um in Zukunft eine sichere Zu- und Abfahrt zu gewährleisten, wird es zur Instandhaltung von Strassen und Brücken beitragen, die es benötigt.“
Alphamin hat auch in Schulen oder Trinkwasserprojekte investiert. Nichtsdestotrotz beklagen viele Leute um Bisie die fehlenden sozialen Investitionen vonseiten Alphamins. Auch die ehemalige Händlerin Madame Sifa ist deswegen enttäuscht: „Sie sprachen im Jahr 2019 von einem Projekt, von dem die Frauen profitieren würden. Aber das Jahr endete, 2020 ist auch vorbei. Nun haben wir 2021, aber wir sehen immer noch nichts.“
Alphamin steckt zwar mit vier Prozent ihrer Betriebsausgaben mehr in soziale Projekte, als gesetzlich vorgegeben ist. Die Betriebsinvestitionen sinken jedoch Jahr um Jahr, während der Gewinn stetig steigt. Und schon 2020 hatte Alphamin mehr als das Doppelte ihrer sozialen Investitionen an Werbe- und Beratungsfirmen bezahlt. Madame Sifa wird also nicht einmal über die sozialen Investitionen vom steigenden Zinnpreis profitieren können.
Aber was hat dies alles mit Fairphone zu tun?
Fairphone und die Zinngiganten
Fairphone ist bewusst, wie viele Menschen im Kongo vom handwerklichen Bergbau abhängig sind. Deshalb bezieht das Unternehmen 90 Prozent seines Zinns aus handwerklichen Minen. Das Problem ist nur: Es kommt dabei um die grossen Player der Zinnindustrie und deren Interessen nicht herum.
Denn das ITSCI-Programm, dessen sich Fairphone bedient, wurde von der International Tin Association ins Leben gerufen. Diese arbeitet im Auftrag der grössten zinnproduzierenden Unternehmen der Welt, mit dem Ziel, „führende Unternehmen zusammenzubringen, um die Märkte für Zinn zu verteidigen und auszubauen“, wie auf der Webseite zu lesen ist.
Da sich für viele Vorkommen der industrielle Abbau aber nicht lohnt, ist es für Zinnschmelzen sowie für Handelshäuser interessanter, diese dem Abbau durch Bergleute in oftmals prekären Bedingungen zu überlassen und ihnen die Produkte über das ITSCI-Programm als „konfliktfrei“ abzukaufen. Betroffene Abbauländer sowie Wissenschaftler:innen kritisieren aber, dass die Bergleute – und nicht etwa die Handelshäuser oder Endverbraucher:innen – die höchsten Kosten im ITSCI-Programm tragen (das Lamm berichtete).
Zudem bezieht Fairphone ihr ITSCI-Zinn via Massenbilanzmodell. Das heisst: Fairphone stellt sicher, dass die Menge für die Herstellung ihres Lötzinns dem entspricht, was in die Zinnschmelze eingespeist wird. Denn auf der Ebene der Zinnschmelze – in diesem Fall die Malaysia Smelting Corporation – wird das ITSCI-Material mit Zinn aus aller Welt vermischt, auch mit demjenigen von Alphamin. Im Jahr 2020 lieferte das gesamte kongolesische ITSCI-Programm jedoch weniger, als von Alphamin gefördert wird. Trotz Massenbilanzmodell ist also gut möglich, dass mehr industrielles als handwerkliches Zinn aus dem Kongo im Fairphone landet.
Interessant ist dabei auch, dass das neue kongolesische Bergbaugesetz Unternehmen eigentlich dazu verpflichtet, die Mineralien im Land zu verarbeiten und damit die Wertschöpfung vor Ort zu erhöhen. Für Alphamin wurde das Verbot, ungeschmolzenes Zinnkonzentrat aus dem Kongo auszuführen, wiederholt und nun auf unbestimmte Zeit aufgehoben. Explizit erwähnt wurden dabei die vergleichsweise hohen sozialen Investitionen Alphamins.
Sowohl die Malaysia Smelting Corporation als auch Alphamin sind in der International Tin Association vertreten, Erstere gar unter den zehn wichtigsten Mitgliedern. Und nicht nur die Malaysia Smelting Corporation, sondern auch der internationale Händler Traxys, über den Fairphone ihre Massenbilanz von handwerklichem Zinn sicherstellt, ist an Alphamins Zinnmine beteiligt. Schon 2017 hatte Traxys zwei Prozent von Alphamins Aktien gekauft und damit einen Sitz im Verwaltungsrat erhalten.
Massenbilanzmodelle machen grundsätzlich dann Sinn, wenn mit dieser Art des Wirtschaftens die Nachfrage für sozialere oder ökologischere Varianten wächst. Diese Player werden sich aber kaum dafür einsetzen, dass zukünftig mehr handwerkliches Zinn zu besseren Bedingungen abgebaut wird. Denn die Bemühungen von Kooperativen um eine ernsthafte Professionalisierung ihres Sektors wurden durch politische Koalitionen zwischen kongolesischen Staatsbeamt:innen und industriellen Bergbaurepräsentant:innen immer wieder behindert.
Und sie werden kaum dazu beitragen, dass die kongolesische Bevölkerung mehr von den Rohstoffreichtümern profitiert.
Eine rosige Zukunft
Im touristischen Küstendorf Grand Baie im Norden Mauritius’, mitten in einem grossen Einkaufszentrum, das von Restaurants, Nachtclubs und Yachthäfen umgeben ist, befindet sich Alphamins steuerlicher Hauptsitz. Die Adresse lautet auf C/O Adansonia Management Limited. Adansonia wirbt damit, internationalen Unternehmen mit dauerhaften Niederlassungslösungen zu helfen und macht auf die steuerlichen Anreize des Landes aufmerksam: „ein ideales strategisches Tor für ausländische Investitionen in Afrika“, steht auf ihrer Webseite.
Spätestens seit den Mauritius Leaks 2019 ist die Insel im Indischen Ozean bekannt als Steuerparadies für Briefkastenfirmen. Über Doppelbesteuerungsabkommen mit 15 afrikanischen Ländern begünstigt Mauritius, dass ein Grossteil der Steuereinnahmen in die Kassen westlicher Konzerne gespült wird.
Wie es in Alphamins letztjährigem Geschäftsbericht steht, stimmt deren Tochterfiliale – die Zinnmine in Bisie – den Steueraufwand mit dem Steuersatz der Muttergesellschaft in Mauritius ab. Für diese gilt ein extrem niedriger effektiver Steuersatz von drei Prozent. Im Kongo hat Alphamin 2020 etwas mehr als eine Million Dollar Steuern bezahlt (hinzu kommen knapp fünf Millionen Abgaben und Gebühren). In Mauritius hat das Unternehmen gar eine Gutschrift bekommen, da es – zumindest nach Rechnungslegung in Mauritius – Verluste machte. Für 2021, das Jahr, in dem erstmals höhere Umsätze gemacht wurden, sind noch keine Steuerdaten vorhanden.
Jedenfalls zählt Alphamins Mine mit einem Anteil von vier Prozent des weltweit geförderten Zinns nicht nur zu den grössten, sondern auch zu den lukrativsten Zinnlagerstätten. Aufgrund des unvergleichlich hohen Zinngehalts des Erzes sind für Alphamin grosse Profite zu erwarten. Ihre PR-Firma bewirbt die Investitionsmöglichkeiten wohl kundennah: „Kurz bevor der Kellner die Digestifs bringt, sollte man vielleicht erwähnen, dass Alphamin im afrikanischen Dschungel nach noch grösseren Elefanten Ausschau hält.“ Was sich hinter dieser neokolonialen Anspielung verbirgt: Alphamin besitzt in der Provinz Nord-Kivu neben Bisie fünf weitere Explorationslizenzen.
Erholungsprojekt?
Da Fairphone in diesem System des Rohstoffabbaus kaum etwas ausrichten kann, legt das Unternehmen den Fokus in seinen Initiativen und Allianzen zur Unterstützung des handwerklichen Bergbaus vor allem auf Sensibilisierung. Denn Investitionen in mehr Produktivität der handwerklichen Minen stossen nicht nur auf begrenztes Interesse innerhalb der Industrie, sondern sind auch enorm teuer.
Doch was die Leute vor Ort brauchen, sind weder Kampagnen gegen Kinderarbeit noch Motivationszentren für Einschulung, weder alternative Einkommensmöglichkeiten noch finanzielle Bildung. Stattdessen sollte ihnen ein fairer Anteil des Gewinns zustehen, der unter dem Sammelsurium „Responsible Mining“ zusammenkommt. Fairphones Initiativen haben zwar vereinzelt zu sichereren Arbeitsbedingungen beigetragen, aber mehr Geld verdienen konnten die Bergleute bis anhin in keinem der Projekte. Denn verdienen werden andere. Auch bei Fairphone.
Der Pharmamultimillionär Tony Tabatznik, der über Fairphones grössten Investor Phalanx Capital im Verwaltungsrat des Unternehmens sitzt, gilt als achtreichster Südafrikaner und gehört als Doppelbürger zu den 100 reichsten Engländer:innen. Obwohl Tabatznik Vorhaben unterstützt, die die Welt verändern wollen: Auch er profitiert vom Steueroasen-System, das Geld aus dem globalen Süden abzieht. Laut einer Recherche des Guardian ist Tabatznik in ein Netz von Offshore-Trusts verwickelt. Die Holdinggesellschaft Quiver Inc. etwa wurde laut den Panama Papers von der berüchtigten Anwaltskanzlei Mossack Fonseca verwaltet, die über die Hälfte der in Panama registrierten Briefkastenfirmen repräsentierte und in Steuerhinterziehung und Geldwäsche involviert war.
Solange Fairphone nicht die Prozesse in Frage stellt, die in ihrer eigenen Wertschöpfungskette zu einer so ungleichen Verteilung von Ressourcen führt, läuft das Projekt Gefahr, zu einem „Erholungsprojekt für den Kapitalismus“ zu verkommen. Damit bezeichnet der Sozialanthropologe Jason Hickel individuelle alternative Konsummöglichkeiten, die gewaltsame Produktionsverhältnisse eher verschleiern, anstatt sie anzuprangern. Vor allem freiwillige Industrie-Initiativen riskieren, stärkere Formen der sozialen Mobilisierung oder härtere gesetzliche Vorschriften für Lieferketten zu verdrängen. So scheinen viele der aktuellen Bemühungen um Responsible Mining dazu zu führen, dass radikalere Forderungen für eine Umverteilung der Rohstoffreichtümer umgangen und untergraben werden.
Für Madame Sifa und viele andere Personen um Bisie bedeutet es bis anhin jedenfalls kaum etwas Gutes, dass Alphamin nun „verantwortungsvolles“ Zinn abbaut. „Es waren die Handwerker:innen, die mit dem Abbau in Bisie begonnen haben, aber sie wurden vertrieben“, sagt Madame Sifa zum Ende des Gesprächs auf dem Vorplatz ihrer Hütte. „Nun profitieren andere von diesen Mineralien – ohne dass die Bevölkerung hier, wo die Mineralien herstammen, eine Entwicklung sieht.“
„Es ist kein Geheimnis: Wir wollen die Welt verändern. Fairphone stellt Mensch und Umwelt an erste Stelle.“ Mit diesem Anspruch will Fairphone nun schon seit bald zehn Jahren die Geschäftswelt der Smartphones revolutionieren. Anfang Oktober 2021 ist ihr viertes Fairphone-Modell erschienen. Kann dieses Telefon wirklich eine fairere Welt schaffen?
In einer vierteiligen Serie geht das Lamm dieser Frage nach.
Teil 1: Fairphones Zinnlieferkette: Different but same
Teil 2: Wenn Zertifikate Menschenrechtsverletzungen vertuschen
Teil 3: Fairphone: Der Preis des Wachstums
Teil 4: Wenn das Geld abfliesst
Die Serie enthält Links zu wissenschaftlicher Literatur, die nicht für alle frei zugänglich ist. Kontaktiere uns, wenn du sie lesen möchtest.
Diese Reportage wurde in Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Geologen Lucien Kamala realisiert und von der Journalistin Sylke Gruhnwald begleitet. Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der Olin gGmbH.
Journalismus kostet
Diese Recherche hat vor über einem Jahr begonnen und es ist unmöglich, die Zeit, die unsere Autorin zusammen mit ihrem Kollegen im Kongo gebraucht hat, in Stunden anzugeben. Unterstütze auch du uns mit einer Spende dabei, dass wir solche Beiträge weiter realisieren können.