Wenn das Geld abfliesst (4/4)

Das Konflikt­mi­ne­ra­lien-Narrativ hat die Indu­stria­li­sie­rung des kongo­le­si­schen Berg­bau­sek­tors begün­stigt – mit gravie­renden Konse­quenzen für manche. Fair­phone hat auf den ersten Blick wenig damit zu tun. Eine Kontex­tua­li­sie­rung: Teil 4 unserer Fairphone-Serie. 
Fairphone kann kaum etwas gegen die Machenschaften der Zinngiganten ausrichten. (Illustration: Iris Weidmann)

Madame Sifa kommt zu Fuss von ihrem weit entfernten Feld zurück. „Jetzt siehst du, wie ich humple“, sagt die Frau, als sie sich auf dem stau­bigen Vorplatz ihrer Hütte auf einen Holz­hocker plumpsen lässt, um die geern­teten Mani­ok­blätter zu rüsten.

Madame Sifa rechnet vor, wie viel sie früher mit ihrem Laden verdienen konnte, als viele Kund:innen ihr die Bohnen, Erdnüsse, Zucker oder das Benzin abkauften. „Meine Kinder gingen zur Schule, assen und klei­deten sich gut und ich hatte keine Schwie­rig­keiten, sie zu versorgen, wenn sie krank waren“, sagt sie. Heute klagt Madame Sifa darüber, wie schwierig es ist, ihre Familie zu versorgen: „Stell dir vor, eine Hand­voll Mani­ok­blätter kostet 200 Francs. Du musst zehn Hand­voll verkaufen, um 2000 Francs (knapp 1 Dollar) zu bekommen.“

Die Bevöl­ke­rung des Handels­zen­trums Ndjin­gala war einmal stark vom hand­werk­li­chen Bergbau in Bisie abhängig. Die mehr­stöckigen Gebäude aus Holz mit Blech­dä­chern erin­nern an jene Zeit. Manche stehen heute leer, andere sind einge­stürzt. Denn seit Alphamin in Bisie auf indu­stri­ellem Niveau Zinn abbaut, haben viele Händler:innen Ndjin­gala verlassen, viele Bars und Restau­rants ihre Türen geschlossen.

Einen Monat nach dem Treffen mit Madame Sifa prophe­zeit eine von Alpha­mins Bera­tungs­firmen: „Im Jahr 2021 kommt Alphamin als Geld­ma­schine so richtig in Fahrt.“ Die Firma berechnet fürs kommende Geschäfts­jahr – bereits drei Jahre nach Inbe­trieb­nahme der Mine – Erträge von 72 Millionen Dollar für Alpha­mins Aktionär:innen. Denn mit knapp 40’000 Dollar pro Tonne ist der Zinn­preis an der Londoner Metall­börse so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Man denke nur an den Einsatz von Zinn in Batte­rien von Elek­tro­fahr­zeugen, Touch­screens oder Mikrochips. 

Was wird Madame Sifa von diesem stei­genden Zinn­preis zu spüren bekommen?

„Plün­dern Sie nicht!“

„Wenn Sie in den Kongo gehen, werden Sie eine Menge Geld verdienen“, sagt die Direk­torin eines südafri­ka­ni­schen Minen­fonds an der digi­talen, noch immer einseh­baren DRC Mining Week im Jahr 2020. „Aber Sie müssen endlich dafür sorgen, dass Sie den Kongo in einem besseren Zustand verlassen, als Sie ihn vorge­funden haben“, ermahnt sie die Inve­storen und Vertreter von Minen­firmen ihres Panels, zu denen auch der dama­lige CEO von Alphamin gehört. Nachdem ihr Appell an die weisse Männer­runde, mehr Verant­wor­tung gegen­über dem Gast­land zu tragen, mehr­fach unter­bro­chen wird, sagte sie nur noch: „Plün­dern Sie nicht!“

Trotz der wirt­schaft­li­chen Bedeu­tung des hand­werk­li­chen Sektors hat der Kongo seinen Bergbau im letzten Jahr­zehnt (re-)industrialisiert, indem er Konzes­sionen an auslän­di­sche Investor:innen und Konzerne über­trug. Damit die kongo­le­si­sche Bevöl­ke­rung nichts­de­sto­trotz vom Bergbau profi­tiert, hat das Land 2018 ein neues Berg­bau­ge­setz einge­führt. Minen­firmen müssen in lokale Arbeits­plätze inve­stieren, Unter­auf­träge lokal besetzen, soziale Inve­sti­tionen an die lokalen Gemeinden leisten oder eben „nicht plündern“.

Dies wurde von den Rohstoff­firmen nicht einfach so hinge­nommen. Der private Berg­bau­sektor orga­ni­sierte sich mit der Mining Promo­tion Initia­tive – einer Lobby, zu deren Grün­dungs­mit­glie­dern unter anderem etwa Glen­core gehört. Gene­ral­se­kretär dieser Initia­tive war aber kein anderer als Richard Robinson, der bis 2020 als Geschäfts­führer von Alpha­mins Zinn­mine in Bisie fungierte. 

Zwar konnte die Lobby die Abschaf­fung einer Klausel, die sie vor zukünf­tigen Geset­zes­än­de­rungen und damit vor Steu­er­erhö­hungen hätte schützen sollen, nicht verhin­dern. Aber trotz Reform gehört die kongo­le­si­sche Steu­er­re­ge­lung im Minen­sektor noch immer zu den libe­ral­sten der Welt.

Zinn wird im Vergleich zu vielen anderen Mine­ra­lien zu einem grossen Teil in hand­werk­li­chen Minen abge­baut. Denn viele Kassi­terit­vor­kommen verfügen über geringen Zinn­ge­halt, sind über weite Gebiete verstreut und lassen sich daher schlecht mit mecha­ni­schen Methoden abbauen. Was bedeutet: Sie sind auch mit den derzei­tigen Zinn­preisen nicht rentabel für Grossinvestitionen.

Der kongo­le­si­sche Staat hat daher die lukra­tiven Zinn­la­ger­stätten an auslän­di­sche Konzerne über­geben und die hand­werk­li­chen Zonen auf Gebiete mit ärmeren Erzvor­kommen beschränkt. Dabei spielte auch die diskur­sive Abwer­tung des hand­werk­li­chen Abbaus von „Konflikt­mi­ne­ra­lien“ eine Rolle: Die Infor­ma­lität und parti­elle Krimi­na­lität des Sektors wurden mehr und mehr ein Problem für Unter­nehmen in dieser Branche. Heute sind die Zinn­re­serven des Kongo – die zweit­grössten welt­weit – in den Händen von zwei grossen Minen­pro­jekten. Eines davon ist Alpha­mins Zinn­mine in Bisie – Afrikas grösster Produ­zent von „verant­wor­tungs­vollem“ Zinn.

Trotz ihrer Lobby­ar­beit gegen das neue Berg­bau­ge­setz zu ihrem eigenen Vorteil brüstet sich Alphamin damit, dass sie unter­neh­me­ri­sche Möglich­keiten, verbes­serte Infra­struktur und Arbeits­plätze in die Region bringe – in ein Gebiet, das laut dem Unter­nehmen früher kaum wirt­schaft­liche Akti­vität aufwies.

Wirt­schaft­liche Enklaven

Ehema­lige Berg­leute und Händler:innen wie Madame Sifa schwärmen noch immer von der Blüte­zeit Bisies. „Das Geld zirku­lierte“, heisst es immer wieder in den umlie­genden Dörfern. Um die 15’000 Menschen hatten sich während der Blüte­zeit in Bisie nieder­ge­lassen. Doch sie mussten das Gebiet verlassen, als Alphamin die Mine über­nahm, wie das Lamm berich­tete. Heute empören sie sich darüber, wohin das Geld fliesst, das ihnen früher direkt ein Einkommen bot.

Ben Radley, der an der Univer­sity of Bath zum Über­gang vom hand­werk­li­chen zum indu­stri­ellen Bergbau forscht, hat für die ostkon­go­le­si­schen Kivu-Regionen beob­achtet: „Natür­lich ging ein Teil des Gewinns an bewaff­nete Gruppen. Aber der über­wie­gende Teil ging an Kongoles:innen. Das ist mit der Indu­stria­li­sie­rung nicht mehr der Fall, denn das Geld wird ausser Landes gebracht.“

Während der Kongo-Kriege blühte der hand­werk­liche Bergbau im Ostkongo auf – oftmals einher­ge­hend mit Alli­anzen zwischen Koope­ra­tiven, Händler:innen und bewaff­neten Gruppen. Bisie galt als eines der Beispiele für soge­nannte „Konflikt­mi­ne­ra­lien“ schlechthin. 

In Ndjin­gala und anderen Ortschaften um Bisie gab es in dieser Zeit zahl­reiche négoci­ants – Zwischenhändler:innen, die das Zinnerz den Berg­leuten abkauften und es an Handels­häuser weiter­ver­kauften. Heute jedoch, seit Alphamin Zinn auf indu­stri­ellem Niveau abbaut, ist auch diese Einkom­mens­quelle versiegt. Denn einer der welt­weit grössten Rohstoff­händler, Gerald Metals, kauft das Zinn­kon­zen­trat direkt ab Alpha­mins Mine und liefert es nach Malaysia. Die Profite werden über ihr Handels­büro am Genfersee in der Schweiz verbucht und landen nicht mehr in den Händen der kongo­le­si­schen négoci­ants. 

Der Wissen­schaftler Radley proble­ma­ti­siert aber nicht nur, dass durch grosse Minen­pro­jekte wirt­schaft­liche Enklaven gebildet werden. „Es ist eine gewisse soziale und kultu­relle Demü­ti­gung, die mit diesem Prozess verbunden ist“, sagt er. „Die Menschen sehen, dass die Mine­ra­lien nun von einer vorwie­gend auslän­di­schen Führungs­schicht kontrol­liert werden.“ 

Und wenn Berg­leute in der indu­stri­ellen Mine beschäf­tigt werden, so Radley, dann auf den unter­sten Rängen der Arbeits­hier­ar­chie. Seine Forschung zum Gold­sektor in Süd-Kivu zeigen, dass die meisten dieser Menschen ähnlich bezahlt werden wie die hand­werk­li­chen Berg­leute. Aber natür­lich sind weit weniger von ihnen beschäf­tigt. In Alpha­mins Zinn­mine waren 2019 gerade einmal 119 Menschen angestellt.

Infra­struktur und soziale Investitionen

Zwischen kleinen Restau­rants und Sport­wett­büros in der Ortschaft Wali­kale Centre ist der Ableger eines Verbands für Klein- und Mittel­be­triebe zu finden. Der Name FENAPEC steht in Blau und Rot auf einer Span­platte unter dem Well­blech­dach. Anselme Kachara, der Vorsteher des Verbands, hat bis jetzt keine posi­tiven Verän­de­rungen durch die Indu­stria­li­sie­rung des Berg­baus erkannt. Im Gegen­teil: Seither hätten sich Preise von Gütern wie Salz oder Bier verdrei­facht, berichtet er. 

Der Grund: „Die Strassen in unser abge­le­genes Gebiet sind in schreck­li­chem Zustand. Waren werden bis zu vier Wochen auf Motor­rä­dern oder per Last­wagen trans­por­tiert“, sagt Kachara. Während des hand­werk­li­chen Berg­baus hingegen landeten bis zu sieben Flug­zeuge pro Tag auf einem Abschnitt asphal­tierter Strasse, um das Zinnerz zu trans­por­tieren. Beim Anflug beför­derten sie Tonnen von Waren in die Region.

Bei der Ankunft von Alphamin glaubten viele Menschen an die Instand­set­zung der 250 Kilo­meter langen Strasse in die Provinz­haupt­stadt Goma. Und tatsäch­lich hat Alphamin in Form von Steu­er­vor­aus­zah­lungen dazu beigetragen. Was als gemein­nüt­zige Inve­sti­tion hervor­ge­hoben wird, ist jedoch nicht nur eine Steu­er­pflicht, sondern dient in erster Linie der Gewinn­ma­xi­mie­rung des Unter­neh­mens.  In Alpha­mins stra­te­gi­schem Bericht steht: „Das Unter­nehmen würde es vorziehen, keine derar­tigen gemein­nüt­zigen Projekte zu über­nehmen. Aber um in Zukunft eine sichere Zu- und Abfahrt zu gewähr­lei­sten, wird es zur Instand­hal­tung von Strassen und Brücken beitragen, die es benötigt.“

Alphamin hat auch in Schulen oder Trink­was­ser­pro­jekte inve­stiert. Nichts­de­sto­trotz beklagen viele Leute um Bisie die fehlenden sozialen Inve­sti­tionen vonseiten Alpha­mins. Auch die ehema­lige Händ­lerin Madame Sifa ist deswegen enttäuscht: „Sie spra­chen im Jahr 2019 von einem Projekt, von dem die Frauen profi­tieren würden. Aber das Jahr endete, 2020 ist auch vorbei. Nun haben wir 2021, aber wir sehen immer noch nichts.“

Alphamin steckt zwar mit vier Prozent ihrer Betriebs­aus­gaben mehr in soziale Projekte, als gesetz­lich vorge­geben ist. Die Betriebs­in­ve­sti­tionen sinken jedoch Jahr um Jahr, während der Gewinn stetig steigt. Und schon 2020 hatte Alphamin mehr als das Doppelte ihrer sozialen Inve­sti­tionen an Werbe- und Bera­tungs­firmen bezahlt. Madame Sifa wird also nicht einmal über die sozialen Inve­sti­tionen vom stei­genden Zinn­preis profi­tieren können.

Aber was hat dies alles mit Fair­phone zu tun?

Fair­phone und die Zinngiganten

Fair­phone ist bewusst, wie viele Menschen im Kongo vom hand­werk­li­chen Bergbau abhängig sind. Deshalb bezieht das Unter­nehmen 90 Prozent seines Zinns aus hand­werk­li­chen Minen. Das Problem ist nur: Es kommt dabei um die grossen Player der Zinn­in­du­strie und deren Inter­essen nicht herum.

Denn das ITSCI-Programm, dessen sich Fair­phone bedient, wurde von der Inter­na­tional Tin Asso­cia­tion ins Leben gerufen. Diese arbeitet im Auftrag der grössten zinn­pro­du­zie­renden Unter­nehmen der Welt, mit dem Ziel, „führende Unter­nehmen zusam­men­zu­bringen, um die Märkte für Zinn zu vertei­digen und auszu­bauen“, wie auf der Webseite zu lesen ist. 

Da sich für viele Vorkommen der indu­stri­elle Abbau aber nicht lohnt, ist es für Zinn­schmelzen sowie für Handels­häuser inter­es­santer, diese dem Abbau durch Berg­leute in oftmals prekären Bedin­gungen zu über­lassen und ihnen die Produkte über das ITSCI-Programm als „konflikt­frei“ abzu­kaufen. Betrof­fene Abbau­länder sowie Wissenschaftler:innen kriti­sieren aber, dass die Berg­leute – und nicht etwa die Handels­häuser oder Endverbraucher:innen – die höch­sten Kosten im ITSCI-Programm tragen (das Lamm berich­tete).

Zudem bezieht Fair­phone ihr ITSCI-Zinn via Massen­bi­lanz­mo­dell. Das heisst: Fair­phone stellt sicher, dass die Menge für die Herstel­lung ihres Lötzinns dem entspricht, was in die Zinn­schmelze einge­speist wird. Denn auf der Ebene der Zinn­schmelze – in diesem Fall die Malaysia Smel­ting Corpo­ra­tion – wird das ITSCI-Mate­rial mit Zinn aus aller Welt vermischt, auch mit demje­nigen von Alphamin. Im Jahr 2020 lieferte das gesamte kongo­le­si­sche ITSCI-Programm jedoch weniger, als von Alphamin geför­dert wird. Trotz Massen­bi­lanz­mo­dell ist also gut möglich, dass mehr indu­stri­elles als hand­werk­li­ches Zinn aus dem Kongo im Fair­phone landet.

Inter­es­sant ist dabei auch, dass das neue kongo­le­si­sche Berg­bau­ge­setz Unter­nehmen eigent­lich dazu verpflichtet, die Mine­ra­lien im Land zu verar­beiten und damit die Wert­schöp­fung vor Ort zu erhöhen. Für Alphamin wurde das Verbot, unge­schmol­zenes Zinn­kon­zen­trat aus dem Kongo auszu­führen, wieder­holt und nun auf unbe­stimmte Zeit aufge­hoben. Explizit erwähnt wurden dabei die vergleichs­weise hohen sozialen Inve­sti­tionen Alphamins.

Sowohl die Malaysia Smel­ting Corpo­ra­tion als auch Alphamin sind in der Inter­na­tional Tin Asso­cia­tion vertreten, Erstere gar unter den zehn wich­tig­sten Mitglie­dern. Und nicht nur die Malaysia Smel­ting Corpo­ra­tion, sondern auch der inter­na­tio­nale Händler Traxys, über den Fair­phone ihre Massen­bi­lanz von hand­werk­li­chem Zinn sicher­stellt, ist an Alpha­mins Zinn­mine betei­ligt. Schon 2017 hatte Traxys zwei Prozent von Alpha­mins Aktien gekauft und damit einen Sitz im Verwal­tungsrat erhalten.

Massen­bi­lanz­mo­delle machen grund­sätz­lich dann Sinn, wenn mit dieser Art des Wirt­schaf­tens die Nach­frage für sozia­lere oder ökolo­gi­schere Vari­anten wächst. Diese Player werden sich aber kaum dafür einsetzen, dass zukünftig mehr hand­werk­li­ches Zinn zu besseren Bedin­gungen abge­baut wird. Denn die Bemü­hungen von Koope­ra­tiven um eine ernst­hafte Profes­sio­na­li­sie­rung ihres Sektors wurden durch poli­ti­sche Koali­tionen zwischen kongo­le­si­schen Staatsbeamt:innen und indu­stri­ellen Bergbaurepräsentant:innen immer wieder behin­dert.

Und sie werden kaum dazu beitragen, dass die kongo­le­si­sche Bevöl­ke­rung mehr von den Rohstoff­reich­tü­mern profitiert.

Eine rosige Zukunft

Im touri­sti­schen Küsten­dorf Grand Baie im Norden Mauri­tius’, mitten in einem grossen Einkaufs­zen­trum, das von Restau­rants, Nacht­clubs und Yacht­häfen umgeben ist, befindet sich Alpha­mins steu­er­li­cher Haupt­sitz. Die Adresse lautet auf C/O Adan­sonia Manage­ment Limited. Adan­sonia wirbt damit, inter­na­tio­nalen Unter­nehmen mit dauer­haften Nieder­las­sungs­lö­sungen zu helfen und macht auf die steu­er­li­chen Anreize des Landes aufmerksam: „ein ideales stra­te­gi­sches Tor für auslän­di­sche Inve­sti­tionen in Afrika“, steht auf ihrer Webseite.

Späte­stens seit den Mauri­tius Leaks 2019 ist die Insel im Indi­schen Ozean bekannt als Steu­er­pa­ra­dies für Brief­ka­sten­firmen. Über Doppel­be­steue­rungs­ab­kommen mit 15 afri­ka­ni­schen Ländern begün­stigt Mauri­tius, dass ein Gross­teil der Steu­er­ein­nahmen in die Kassen west­li­cher Konzerne gespült wird.

Wie es in Alpha­mins letzt­jäh­rigem Geschäfts­be­richt steht, stimmt deren Toch­ter­fi­liale – die Zinn­mine in Bisie – den Steu­er­auf­wand mit dem Steu­er­satz der Mutter­ge­sell­schaft in Mauri­tius ab. Für diese gilt ein extrem nied­riger effek­tiver Steu­er­satz von drei Prozent. Im Kongo hat Alphamin 2020 etwas mehr als eine Million Dollar Steuern bezahlt (hinzu kommen knapp fünf Millionen Abgaben und Gebühren). In Mauri­tius hat das Unter­nehmen gar eine Gutschrift bekommen, da es – zumin­dest nach Rech­nungs­le­gung in Mauri­tius – Verluste machte. Für 2021, das Jahr, in dem erst­mals höhere Umsätze gemacht wurden, sind noch keine Steu­er­daten vorhanden. 

Jeden­falls zählt Alpha­mins Mine mit einem Anteil von vier Prozent des welt­weit geför­derten Zinns nicht nur zu den grössten, sondern auch zu den lukra­tiv­sten Zinn­la­ger­stätten. Aufgrund des unver­gleich­lich hohen Zinn­ge­halts des Erzes sind für Alphamin grosse Profite zu erwarten. Ihre PR-Firma bewirbt die Inve­sti­ti­ons­mög­lich­keiten wohl kundennah: „Kurz bevor der Kellner die Dige­stifs bringt, sollte man viel­leicht erwähnen, dass Alphamin im afri­ka­ni­schen Dschungel nach noch grös­seren Elefanten Ausschau hält.“ Was sich hinter dieser neoko­lo­nialen Anspie­lung verbirgt: Alphamin besitzt in der Provinz Nord-Kivu neben Bisie fünf weitere Explorationslizenzen.

Erho­lungs­pro­jekt?

Da Fair­phone in diesem System des Rohstoff­ab­baus kaum etwas ausrichten kann, legt das Unter­nehmen den Fokus in seinen Initia­tiven und Alli­anzen zur Unter­stüt­zung des hand­werk­li­chen Berg­baus vor allem auf Sensi­bi­li­sie­rung. Denn Inve­sti­tionen in mehr Produk­ti­vität der hand­werk­li­chen Minen stossen nicht nur auf begrenztes Inter­esse inner­halb der Indu­strie, sondern sind auch enorm teuer. 

Doch was die Leute vor Ort brau­chen, sind weder Kampa­gnen gegen Kinder­ar­beit noch Moti­va­ti­ons­zen­tren für Einschu­lung, weder alter­na­tive Einkom­mens­mög­lich­keiten noch finan­zi­elle Bildung. Statt­dessen sollte ihnen ein fairer Anteil des Gewinns zustehen, der unter dem Sammel­su­rium „Respon­sible Mining“ zusam­men­kommt. Fair­phones Initia­tiven haben zwar verein­zelt zu siche­reren Arbeits­be­din­gungen beigetragen, aber mehr Geld verdienen konnten die Berg­leute bis anhin in keinem der Projekte. Denn verdienen werden andere. Auch bei Fairphone.

Der Phar­m­amul­ti­mil­lionär Tony Tabatznik, der über Fair­phones grössten Inve­stor Phalanx Capital im Verwal­tungsrat des Unter­neh­mens sitzt, gilt als acht­reich­ster Südafri­kaner und gehört als Doppel­bürger zu den 100 reich­sten Engländer:innen. Obwohl Tabatznik Vorhaben unter­stützt, die die Welt verän­dern wollen: Auch er profi­tiert vom Steu­er­oasen-System, das Geld aus dem globalen Süden abzieht. Laut einer Recherche des Guar­dian ist Tabatznik in ein Netz von Offshore-Trusts verwickelt. Die Holding­ge­sell­schaft Quiver Inc. etwa wurde laut den Panama Papers von der berüch­tigten Anwalts­kanzlei Mossack Fonseca verwaltet, die über die Hälfte der in Panama regi­strierten Brief­ka­sten­firmen reprä­sen­tierte und in Steu­er­hin­ter­zie­hung und Geld­wä­sche invol­viert war.

Solange Fair­phone nicht die Prozesse in Frage stellt, die in ihrer eigenen Wert­schöp­fungs­kette zu einer so unglei­chen Vertei­lung von Ressourcen führt, läuft das Projekt Gefahr, zu einem „Erho­lungs­pro­jekt für den Kapi­ta­lismus“ zu verkommen. Damit bezeichnet der Sozi­al­an­thro­po­loge Jason Hickel indi­vi­du­elle alter­na­tive Konsum­mög­lich­keiten, die gewalt­same Produk­ti­ons­ver­hält­nisse eher verschleiern, anstatt sie anzu­pran­gern. Vor allem frei­wil­lige Indu­strie-Initia­tiven riskieren, stär­kere Formen der sozialen Mobi­li­sie­rung oder härtere gesetz­liche Vorschriften für Liefer­ketten zu verdrängen. So scheinen viele der aktu­ellen Bemü­hungen um Respon­sible Mining dazu zu führen, dass radi­ka­lere Forde­rungen für eine Umver­tei­lung der Rohstoff­reich­tümer umgangen und unter­graben werden.

Für Madame Sifa und viele andere Personen um Bisie bedeutet es bis anhin jeden­falls kaum etwas Gutes, dass Alphamin nun „verant­wor­tungs­volles“ Zinn abbaut. „Es waren die Handwerker:innen, die mit dem Abbau in Bisie begonnen haben, aber sie wurden vertrieben“, sagt Madame Sifa zum Ende des Gesprächs auf dem Vorplatz ihrer Hütte. „Nun profi­tieren andere von diesen Mine­ra­lien – ohne dass die Bevöl­ke­rung hier, wo die Mine­ra­lien herstammen, eine Entwick­lung sieht.“

„Es ist kein Geheimnis: Wir wollen die Welt verän­dern. Fair­phone stellt Mensch und Umwelt an erste Stelle.“ Mit diesem Anspruch will Fair­phone nun schon seit bald zehn Jahren die Geschäfts­welt der Smart­phones revo­lu­tio­nieren. Anfang Oktober 2021 ist ihr viertes Fair­phone-Modell erschienen. Kann dieses Telefon wirk­lich eine fairere Welt schaffen?

In einer vier­tei­ligen Serie geht das Lamm dieser Frage nach.

Teil 1: Fair­phones Zinn­lie­fer­kette: Diffe­rent but same

Teil 2: Wenn Zerti­fi­kate Menschen­rechts­ver­let­zungen vertuschen

Teil 3:  Fair­phone: Der Preis des Wachstums

Teil 4: Wenn das Geld abfliesst

Die Serie enthält Links zu wissen­schaft­li­cher Lite­ratur, die nicht für alle frei zugäng­lich ist. Kontak­tiere uns, wenn du sie lesen möchtest.

Diese Repor­tage wurde in Zusam­men­ar­beit mit dem kongo­le­si­schen Geologen Lucien Kamala reali­siert und von der Jour­na­li­stin Sylke Gruhn­wald begleitet. Die Recherche wurde geför­dert und unter­stützt von Netz­werk Recherche und der Olin gGmbH.


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